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28. November 1927

Medek selbst prüft Lie-Liechens Beschwerde. — An Georg (K.): setze für ihn Montag ½6–½7h fest. — An Deutsch hoffentlich sendet Kalmus ein Exemplar der neuen Auflage; 1 wo bleibt Balzac? Werde mit Richtera sprechen. — An Landau (K.): danke für den Glückwunsch, stelle eine Verabredung in Aussicht. — Brünauer erzählt von Vrieslanders Brief u. möchte in seiner Erwiderung betonen, daß ich selbst auf einer Er Verbreitung nicht bestehe. Ich untersage ihm diese Wendung, da es nicht an uns ist, einen solchen Eingriff in Vrieslanders Tätigkeit zu machen. Zwar wünsche ich es wirklich nicht, doch sollte es schon so weit gekommen sein, daß in jeder Bibliothek ehrenhalber auch mit meinen Arbeiten sich schmücke. Es sei ja schließlich für den Besitzer der Bibliothek einerlei, ob er Lessing oder Goethe oder mich nicht liest u. nicht versteht. — An Brünauer (K. expr.): wiederhole was ich gesagt habe u. empfehle, Vrieslander den Gefallen zu tun ein paar Prospekte zu erbitten, sie dann gleich wegzuwerfen. — Wege. 2

— Rf.: „Der Prophet“ mit Slesak, Olschewska, Nemeth usw. Der Lautsprecher ist festlich gestimmt, es ist als säßen wir im Opernhaus, so klingen Stimmen u. Orchester. Lie-Liechen hört das Werk zum erstenmal, ich brachte es mir nur in Erinnerung. 3 Wagner, Schumann hatten gewiß Recht, wenn sie diese Quadrillen-, Walzer-, Marsch-Musik, die aufdringliche Instrumentation u. Effekthascherei verdammten, doch sind Meyerbeer „gute Einfälle“ im Sinne einer schlecht verstandenen Technik vom von Einfällen nicht abzusprechen. Er überragt mit seinen Einfällen gewiß seine Rivalen, sie sind treffend u. schön, nur eben niedrig geboren. Für die Kunst kommt das ganze Schaffen {3141} nicht in Betracht, d. h. von oben gesehen – von unten betrachtet ist es ein Hochgipfel. Eigentlich ist es so, daß man sich der Wirkung nicht erwehren kann u. erst hintennach bemerkt, daß man sich zu billig hergegeben hat, – so sicher wirkt seine Technik. Die Instrumentierung hat nicht selten Vorzügliches. Die Kantilenen sind vom italienischen Typus weit genug entfernt, im Grunde aber auch von dem französischen, dem solche Wärme u. Glut fehlt. Kein Zweifel, daß sich in Meyerbeers Werken deutsche Art kundgibt, aber aus einer verhängnisvollen Anlage liebedienernd vor dem französischen Wesen, also sich preisgebend an das tieferstehende französische Publikum. Schon die vielen Brüche im Textbuch zum Prophet stammen von der Sucht, das Publikum der Pariser Oper minutenweise an- u. aufzuregen, selbstverständlich auch durch Bal letteinlagen [sic] , – gleichviel ob der Stoff sie verträgt oder nicht. Zur Ehre gereicht Meyerbeer, daß er im 4. Akt von der anfänglichen Höhe, die vielleicht die höchste im Werke ist, sofort abgleitet, wie nur der Konflikt mit Mutter u. Braut in die Quere kommt u. sich sozusagen Kleines dem Großen entgegenstellt. Meyerbeer verläßt da die sonst sichere Erfindung u. er schließt das Werk im Grunde gar nicht ab.

© Transcription Marko Deisinger.

November 28, 1927.

Medek himself examines Lie-Liechen's ailment. — To Georg (postcard): I fix Monday from 5:30 to 6:30 for him. — To Deutsch: I hope that Kalmus will send a copy of the new printing; 1 where is Balzac? I will speak with Richtera. — To Landau (postcard): I thank [him] for his greetings, hold out the prospect of a get-together. — Brünauer tells me about Vrieslander's letter and would like to stress in his reply that I myself am not insisting on a broad dissemination. I forbid him to take this course, as it is not for us to interfere in such a way in Vrieslander's activities. In truth, I do not really want this either; but things may proceed to the point that every [research] library is adorned with a complimentary copy of my works. In the end it is all the same for the owner [recte user?] of the library, whether he does not read or does not understanding Lessing or Goethe or me. — To Brünauer (express postcard): I repeat what I have said and recommend that he accommodates Vrieslander by asking for a few copies of the Prospectus and then immediately throw them away. — Errands. 2

— Radio: The Prophet, with Slesak, Olschewska, Nemeth, etc. The loudspeaker is ceremoniously tuned; it is as if we were sitting in the Opera House, the way in which the voices and orchestra sound. Lie-Liechen is listening to the work for the first time, I was merely recalling it from memory. 3 Wagner and Schumann were surely right when they damned these quadrilles, waltzes and marches, the brash instrumentation, and sensationalism; yet one should not deny Meyerbeer "good ideas," understood in terms of a poor technique of invention. He surely surpasses his rivals with his musical ideas; they are apposite, and beautiful, but just conceived at a low level. One cannot consider the whole of his creation as art, {3141} i.e. viewed from above – viewed from below, it is a mountain peak. Actually it's like this: one cannot resist the effect [of the music], and one notices only in retrospect that one had been taken in too cheaply; that is how securely his technique works. The instrumentation is not seldom without something excellent. The cantilenas are sufficiently distant from the Italian type; but also basically dissimilar to that of the French, from which such warmth and glow is missing. There is no doubt that Meyerbeer's works are informed by German character, but in the context of an ill-fated tendency to play up to the French nature; thus they sacrifice themselves to a lower-ranking French audience. Already the many fractures in the libretto to Le prophète originate from the obsession with keeping the audience of the Paris Opera stimulated and excited from one minute to the next, naturally, too, by means of ballet insertions – whether the plot can accommodate them or not. It is to Meyerbeer's credit that, in Act IV, having reached the high point at the beginning – which is probably the highest in the work – he slides down immediately, since it is only the dispute between mother and bride that get in the way and, so to speak, the small is set in opposition to the great. At this point, Meyerbeer abandons his otherwise secure invention, and he basically fails to conclude the work. —

© Translation William Drabkin.

28. November 1927

Medek selbst prüft Lie-Liechens Beschwerde. — An Georg (K.): setze für ihn Montag ½6–½7h fest. — An Deutsch hoffentlich sendet Kalmus ein Exemplar der neuen Auflage; 1 wo bleibt Balzac? Werde mit Richtera sprechen. — An Landau (K.): danke für den Glückwunsch, stelle eine Verabredung in Aussicht. — Brünauer erzählt von Vrieslanders Brief u. möchte in seiner Erwiderung betonen, daß ich selbst auf einer Er Verbreitung nicht bestehe. Ich untersage ihm diese Wendung, da es nicht an uns ist, einen solchen Eingriff in Vrieslanders Tätigkeit zu machen. Zwar wünsche ich es wirklich nicht, doch sollte es schon so weit gekommen sein, daß in jeder Bibliothek ehrenhalber auch mit meinen Arbeiten sich schmücke. Es sei ja schließlich für den Besitzer der Bibliothek einerlei, ob er Lessing oder Goethe oder mich nicht liest u. nicht versteht. — An Brünauer (K. expr.): wiederhole was ich gesagt habe u. empfehle, Vrieslander den Gefallen zu tun ein paar Prospekte zu erbitten, sie dann gleich wegzuwerfen. — Wege. 2

— Rf.: „Der Prophet“ mit Slesak, Olschewska, Nemeth usw. Der Lautsprecher ist festlich gestimmt, es ist als säßen wir im Opernhaus, so klingen Stimmen u. Orchester. Lie-Liechen hört das Werk zum erstenmal, ich brachte es mir nur in Erinnerung. 3 Wagner, Schumann hatten gewiß Recht, wenn sie diese Quadrillen-, Walzer-, Marsch-Musik, die aufdringliche Instrumentation u. Effekthascherei verdammten, doch sind Meyerbeer „gute Einfälle“ im Sinne einer schlecht verstandenen Technik vom von Einfällen nicht abzusprechen. Er überragt mit seinen Einfällen gewiß seine Rivalen, sie sind treffend u. schön, nur eben niedrig geboren. Für die Kunst kommt das ganze Schaffen {3141} nicht in Betracht, d. h. von oben gesehen – von unten betrachtet ist es ein Hochgipfel. Eigentlich ist es so, daß man sich der Wirkung nicht erwehren kann u. erst hintennach bemerkt, daß man sich zu billig hergegeben hat, – so sicher wirkt seine Technik. Die Instrumentierung hat nicht selten Vorzügliches. Die Kantilenen sind vom italienischen Typus weit genug entfernt, im Grunde aber auch von dem französischen, dem solche Wärme u. Glut fehlt. Kein Zweifel, daß sich in Meyerbeers Werken deutsche Art kundgibt, aber aus einer verhängnisvollen Anlage liebedienernd vor dem französischen Wesen, also sich preisgebend an das tieferstehende französische Publikum. Schon die vielen Brüche im Textbuch zum Prophet stammen von der Sucht, das Publikum der Pariser Oper minutenweise an- u. aufzuregen, selbstverständlich auch durch Bal letteinlagen [sic] , – gleichviel ob der Stoff sie verträgt oder nicht. Zur Ehre gereicht Meyerbeer, daß er im 4. Akt von der anfänglichen Höhe, die vielleicht die höchste im Werke ist, sofort abgleitet, wie nur der Konflikt mit Mutter u. Braut in die Quere kommt u. sich sozusagen Kleines dem Großen entgegenstellt. Meyerbeer verläßt da die sonst sichere Erfindung u. er schließt das Werk im Grunde gar nicht ab.

© Transcription Marko Deisinger.

November 28, 1927.

Medek himself examines Lie-Liechen's ailment. — To Georg (postcard): I fix Monday from 5:30 to 6:30 for him. — To Deutsch: I hope that Kalmus will send a copy of the new printing; 1 where is Balzac? I will speak with Richtera. — To Landau (postcard): I thank [him] for his greetings, hold out the prospect of a get-together. — Brünauer tells me about Vrieslander's letter and would like to stress in his reply that I myself am not insisting on a broad dissemination. I forbid him to take this course, as it is not for us to interfere in such a way in Vrieslander's activities. In truth, I do not really want this either; but things may proceed to the point that every [research] library is adorned with a complimentary copy of my works. In the end it is all the same for the owner [recte user?] of the library, whether he does not read or does not understanding Lessing or Goethe or me. — To Brünauer (express postcard): I repeat what I have said and recommend that he accommodates Vrieslander by asking for a few copies of the Prospectus and then immediately throw them away. — Errands. 2

— Radio: The Prophet, with Slesak, Olschewska, Nemeth, etc. The loudspeaker is ceremoniously tuned; it is as if we were sitting in the Opera House, the way in which the voices and orchestra sound. Lie-Liechen is listening to the work for the first time, I was merely recalling it from memory. 3 Wagner and Schumann were surely right when they damned these quadrilles, waltzes and marches, the brash instrumentation, and sensationalism; yet one should not deny Meyerbeer "good ideas," understood in terms of a poor technique of invention. He surely surpasses his rivals with his musical ideas; they are apposite, and beautiful, but just conceived at a low level. One cannot consider the whole of his creation as art, {3141} i.e. viewed from above – viewed from below, it is a mountain peak. Actually it's like this: one cannot resist the effect [of the music], and one notices only in retrospect that one had been taken in too cheaply; that is how securely his technique works. The instrumentation is not seldom without something excellent. The cantilenas are sufficiently distant from the Italian type; but also basically dissimilar to that of the French, from which such warmth and glow is missing. There is no doubt that Meyerbeer's works are informed by German character, but in the context of an ill-fated tendency to play up to the French nature; thus they sacrifice themselves to a lower-ranking French audience. Already the many fractures in the libretto to Le prophète originate from the obsession with keeping the audience of the Paris Opera stimulated and excited from one minute to the next, naturally, too, by means of ballet insertions – whether the plot can accommodate them or not. It is to Meyerbeer's credit that, in Act IV, having reached the high point at the beginning – which is probably the highest in the work – he slides down immediately, since it is only the dispute between mother and bride that get in the way and, so to speak, the small is set in opposition to the great. At this point, Meyerbeer abandons his otherwise secure invention, and he basically fails to conclude the work. —

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Schenker is referring to the revised Philharmonia edition of Schubert's Symphony in B minor, which he and Deutsch prepared earlier in the month.

2 No paragraph-break in source.

3 Schenker had previously commented on Le prophète around 1907, in the essay "Über den Niedergang der Kompositionskunst."