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OJ 13/37, 8 - Handwritten letter from Ernst Rudorff to Schenker, dated November 14, 1909
Zu meinem nicht geringen Schrecken schreibt mir soeben mein Verleger Stahl , daß er mehrere Musikdirektoren und auch Sie(!!) auf meinen bevorstehenden 70ten Geburtstag aufmerksam gemacht habe. Wahrscheinlich hat in ihm mein Auftrag Ihnen mein Herbstlied 2 zuzuschicken die Vorstellung erweckt, daß Sie Leiter eines Wiener Chorvereins sind u.s.w.! Sie können sich vorstellen, daß ich einigermaßen außer mir bin über das Geschehene, {2} und damit dieser falsche Vorfall nicht etwa dazu führt, daß Sie mir Ihre Freundschaft aufkündigen, schreibe ich rasch diese Zeilen. Nun aber, da ich einmal die Feder mit Gedanken an Sie in der Hand habe, fällt mir noch Anderes ein, vor Allem, daß ich Ihnen noch den Dank schuldig bin für Ihren letzten so lieben Brief. 3 Hier sagen Sie nun, daß Sie aus eigenem Antrieb bemüht gewesen sind, Anderen meine Musik zur Aufführung anzuempfehlen, und daß mich das lebhaft erfreut hat, ist ebenso gemäß, wie die gegentheilige Wirkung, die die Taktlosigkeit {3} des guten Herrn Stahl auf meine Stimmung ausgeübt hat. Es ist ja trostlos, um sich herum eine Welt zu sehen, die im Widerspruch zu Allem steht, das dem eigenen Herzen werth ist, daß die Herren, die heute an den Dirigentenpulten Deutschlands stehen, mich einfach todtschweigen ‒ und das mit steigender Konsequenz seit 30 Jahren ‒ kann mich ja nicht verwundern. Sie haßen mich, weil ich den Hochschulenmann bin, daher sich nicht dazu verstehen kann, den Rücken zu beugen und ihre Götzen anzubeten. Wie freue ich mich, daß Ihre Ornamentik und Ihre Harmonielehre endlich in Wien Anerkennung gefunden hat [recte haben] ! Und wie {4} begierig bin ich auf Ihren weiteren Thaten! Nun aber zum Schluß noch eine Bitte! Im Anfang des 70ter Jahren des vorigen Jahrhunderts etwa ist, soweit ich mich erinnere, meine Ouvertüre zu Tieck’s „Blondem Eckbert“ 4 in ihrer ersten Gestalt in Wien von den Philharmonikern aufgeführt worden. Hanslick soll sie geringschätzig beurtheilt haben, was ich nicht gelesen habe, und nicht lesen will. Das Werk, das mir selbst sehr am Herzen lag, und auch J. B. von Spitta 5 besonders geliebt wurde, litt, was ich allmählig immer mehr einsah, doch an Mängeln der Entwickelung, die mir geradezu peinlich wurden. Nach- {5} dem mehr als ein Jahrzehnt seit der ersten Conzeption vergangen war, stand ich der Sache frei genug gegenüber, um eine Umarbeitung mit voller Frische unternehmmen zu können. Diese wurde denn etwa 1880 veröffentlicht, und, soweit es mir möglich war, sorgte ich für Vernichtung des [?Urlanmaterials] der ersten Ausgabe. Zufällig kam mir in diesen Wegen die Erinnerung an jene ferne Wiener Aufführung, und nun wurmt mich der Gedanke, daß dort in der Bibliothek der Philharmoniker noch Partitur und Stimmen der ersten Ausgabe schlafen könnten. So fern die {6} Möglichkeit liegt, daß die Herren daran gehen könnten, diesen Schlaf einmal zu stören, um die Musik zum Leben zu erwecken, die Möglichkeit ist doch da, und mir liegt daran, die alten Noten in solche der neuen Gestalt umzutauschen. Bin ich sehr unbescheiden, wenn ich Sie bitte, gelegentlich sich dieses Angelegenheit zu erinnern und sie in Fluß zu bringen. Natürlich müßte Simrock das neue [?Urlanmaterial], nachdem das alte vernichtet ist, unentgeltlich den Wienern liefern, oder ich müßte dasselbe, wenn er nicht will, bezahlen. Seien Sie nicht ungehalten, wenn ich Sie {7} Ihre Güte so brandschatze, und nehmen Sie [?ein] [?neues] [?Dank] für Alles, was Sie an Mühe aufwenden. 6 An Jakob Fischer sandte ich von Lauenstein aus die Partitur des Herbstliedes und schrieb ihm einen längeren Brief. Hat er wohl Beides erhalten? 7 Es fällt mir nicht ein, einen Brief von ihm deshalb zu erwarten, doppelt [?nachdem] seine ihn erdrückende [?Unterrichtszeit] wieder begonnen hat. Nur beunruhigt mich der Gedanke, daß meine beiden Sendungen ihn vielleicht nicht erreicht haben könnten, weil sie gerade in eine Zeit {8} fielen, wo er rückreisend weder in Wien noch im Ampezzo-Gebiet zu finden war. © Transcription Ian Bent, 2018 |
To my not inconsiderable alarm, my publisher, Stahl, has just written telling me that he has drawn the attention of several music directors, including yourself(!!), to my forthcoming seventieth birthday. Apparently, my instruction that he send you my Herbstlied 2 has given him the idea that you are the director of a Vienna choral society or the like! You can well image that I am quite distraught at this eventuality, {2} and I therefore write these lines in haste lest this unfortunate incident lead to your withdrawing your friendship. But now that I have taken up my pen with thoughts of you, other things come to my mind, above all that I still owe you thanks for your latest letter, 3 which is so precious [to me]. In it you say that on your own initiative you have taken pains to recommend my music to others for performance, and that has afforded me great pleasure balancing out the contrary effect that the insensitivity {3} of the good Mr. Stahl has exerted on my mood. It is indeed deplorable to see all around one a world that stands in contradiction to everything dear to one's heart ‒ that the gentlemen who occupy today the conducting rostrums of Germany simply pass over me ‒ and do so with increasing consequences over the past thirty years ‒ doesn't at all surprise me. They hate me because I am a Hochschule man, therefore I cannot agree to bow down and worship their idols. How delighted I am that your Ornamentation and Theory of Harmony have at last found recognition in Vienna! And how {4} eager I am for your future achievements! But now, before I close, just one more request! At the beginning of the '70s of the last century, so far as I recall, my Overture to Tieck's Der blonde Eckbert in its first form 4 was performed by the Philharmonic in Vienna. Hanslick apparently gave it a contemptuous review, which I did not read and do not wish to read. The work, close to my heart though it was, and especially liked by J. B. von Spitta, 5 suffered, as gradually dawned on me over a long period, from flaws in its development that became downright painful for me. After {5} more than a decade since the first realization of the work was past, I had distance enough to be able to undertake a revision with fresh vigor. This was published about 1880, and as far as was feasible for me I took care of destroying the original performance materials of the first edition. In the course of this, by chance the memory of that distant Vienna performance came back to me, and now the thought rankles with me that there, in the library of the Philharmonic Orchestra, the score and parts of the first edition could still be languishing. As long as the {6} possibility remains that the gentlemen could go in there and succeed for once in disturbing this slumber in order to reawaken the music to life, the possibility still exists; and it would mean much to me to exchange the old notation with that of its new shape. It is very presumptuous of me to ask you to bear this matter in mind when the occasion arises, and to set things in motion. Naturally Simrock would, after the old [?performance material] has been destroyed, have to supply the Viennese with the new materials free of charge; or if he won't pay, then I would have to do so. Do not be annoyed with me if I {7} take so much advantage of your kindness, and please accept [?renewed] [?thanks] for all the trouble that you go to. 6 I sent Jakob Fischer from Lauenstein the score of my Herbstlied, and wrote him a long letter. Did he really receive both of them? 7 It doesn't occur to me to expect a letter from him in this connection, [?doubly so] since his [?teaching term], which overwhelms him, has begun again. The only thing that disturbs me is the thought that my two packages might not have reached him because they were sent just at a time {8} when, en route for home, he was to be found in neither Vienna nor the Ampezzo region. © Translation Ian Bent, 2018 |
Zu meinem nicht geringen Schrecken schreibt mir soeben mein Verleger Stahl , daß er mehrere Musikdirektoren und auch Sie(!!) auf meinen bevorstehenden 70ten Geburtstag aufmerksam gemacht habe. Wahrscheinlich hat in ihm mein Auftrag Ihnen mein Herbstlied 2 zuzuschicken die Vorstellung erweckt, daß Sie Leiter eines Wiener Chorvereins sind u.s.w.! Sie können sich vorstellen, daß ich einigermaßen außer mir bin über das Geschehene, {2} und damit dieser falsche Vorfall nicht etwa dazu führt, daß Sie mir Ihre Freundschaft aufkündigen, schreibe ich rasch diese Zeilen. Nun aber, da ich einmal die Feder mit Gedanken an Sie in der Hand habe, fällt mir noch Anderes ein, vor Allem, daß ich Ihnen noch den Dank schuldig bin für Ihren letzten so lieben Brief. 3 Hier sagen Sie nun, daß Sie aus eigenem Antrieb bemüht gewesen sind, Anderen meine Musik zur Aufführung anzuempfehlen, und daß mich das lebhaft erfreut hat, ist ebenso gemäß, wie die gegentheilige Wirkung, die die Taktlosigkeit {3} des guten Herrn Stahl auf meine Stimmung ausgeübt hat. Es ist ja trostlos, um sich herum eine Welt zu sehen, die im Widerspruch zu Allem steht, das dem eigenen Herzen werth ist, daß die Herren, die heute an den Dirigentenpulten Deutschlands stehen, mich einfach todtschweigen ‒ und das mit steigender Konsequenz seit 30 Jahren ‒ kann mich ja nicht verwundern. Sie haßen mich, weil ich den Hochschulenmann bin, daher sich nicht dazu verstehen kann, den Rücken zu beugen und ihre Götzen anzubeten. Wie freue ich mich, daß Ihre Ornamentik und Ihre Harmonielehre endlich in Wien Anerkennung gefunden hat [recte haben] ! Und wie {4} begierig bin ich auf Ihren weiteren Thaten! Nun aber zum Schluß noch eine Bitte! Im Anfang des 70ter Jahren des vorigen Jahrhunderts etwa ist, soweit ich mich erinnere, meine Ouvertüre zu Tieck’s „Blondem Eckbert“ 4 in ihrer ersten Gestalt in Wien von den Philharmonikern aufgeführt worden. Hanslick soll sie geringschätzig beurtheilt haben, was ich nicht gelesen habe, und nicht lesen will. Das Werk, das mir selbst sehr am Herzen lag, und auch J. B. von Spitta 5 besonders geliebt wurde, litt, was ich allmählig immer mehr einsah, doch an Mängeln der Entwickelung, die mir geradezu peinlich wurden. Nach- {5} dem mehr als ein Jahrzehnt seit der ersten Conzeption vergangen war, stand ich der Sache frei genug gegenüber, um eine Umarbeitung mit voller Frische unternehmmen zu können. Diese wurde denn etwa 1880 veröffentlicht, und, soweit es mir möglich war, sorgte ich für Vernichtung des [?Urlanmaterials] der ersten Ausgabe. Zufällig kam mir in diesen Wegen die Erinnerung an jene ferne Wiener Aufführung, und nun wurmt mich der Gedanke, daß dort in der Bibliothek der Philharmoniker noch Partitur und Stimmen der ersten Ausgabe schlafen könnten. So fern die {6} Möglichkeit liegt, daß die Herren daran gehen könnten, diesen Schlaf einmal zu stören, um die Musik zum Leben zu erwecken, die Möglichkeit ist doch da, und mir liegt daran, die alten Noten in solche der neuen Gestalt umzutauschen. Bin ich sehr unbescheiden, wenn ich Sie bitte, gelegentlich sich dieses Angelegenheit zu erinnern und sie in Fluß zu bringen. Natürlich müßte Simrock das neue [?Urlanmaterial], nachdem das alte vernichtet ist, unentgeltlich den Wienern liefern, oder ich müßte dasselbe, wenn er nicht will, bezahlen. Seien Sie nicht ungehalten, wenn ich Sie {7} Ihre Güte so brandschatze, und nehmen Sie [?ein] [?neues] [?Dank] für Alles, was Sie an Mühe aufwenden. 6 An Jakob Fischer sandte ich von Lauenstein aus die Partitur des Herbstliedes und schrieb ihm einen längeren Brief. Hat er wohl Beides erhalten? 7 Es fällt mir nicht ein, einen Brief von ihm deshalb zu erwarten, doppelt [?nachdem] seine ihn erdrückende [?Unterrichtszeit] wieder begonnen hat. Nur beunruhigt mich der Gedanke, daß meine beiden Sendungen ihn vielleicht nicht erreicht haben könnten, weil sie gerade in eine Zeit {8} fielen, wo er rückreisend weder in Wien noch im Ampezzo-Gebiet zu finden war. © Transcription Ian Bent, 2018 |
To my not inconsiderable alarm, my publisher, Stahl, has just written telling me that he has drawn the attention of several music directors, including yourself(!!), to my forthcoming seventieth birthday. Apparently, my instruction that he send you my Herbstlied 2 has given him the idea that you are the director of a Vienna choral society or the like! You can well image that I am quite distraught at this eventuality, {2} and I therefore write these lines in haste lest this unfortunate incident lead to your withdrawing your friendship. But now that I have taken up my pen with thoughts of you, other things come to my mind, above all that I still owe you thanks for your latest letter, 3 which is so precious [to me]. In it you say that on your own initiative you have taken pains to recommend my music to others for performance, and that has afforded me great pleasure balancing out the contrary effect that the insensitivity {3} of the good Mr. Stahl has exerted on my mood. It is indeed deplorable to see all around one a world that stands in contradiction to everything dear to one's heart ‒ that the gentlemen who occupy today the conducting rostrums of Germany simply pass over me ‒ and do so with increasing consequences over the past thirty years ‒ doesn't at all surprise me. They hate me because I am a Hochschule man, therefore I cannot agree to bow down and worship their idols. How delighted I am that your Ornamentation and Theory of Harmony have at last found recognition in Vienna! And how {4} eager I am for your future achievements! But now, before I close, just one more request! At the beginning of the '70s of the last century, so far as I recall, my Overture to Tieck's Der blonde Eckbert in its first form 4 was performed by the Philharmonic in Vienna. Hanslick apparently gave it a contemptuous review, which I did not read and do not wish to read. The work, close to my heart though it was, and especially liked by J. B. von Spitta, 5 suffered, as gradually dawned on me over a long period, from flaws in its development that became downright painful for me. After {5} more than a decade since the first realization of the work was past, I had distance enough to be able to undertake a revision with fresh vigor. This was published about 1880, and as far as was feasible for me I took care of destroying the original performance materials of the first edition. In the course of this, by chance the memory of that distant Vienna performance came back to me, and now the thought rankles with me that there, in the library of the Philharmonic Orchestra, the score and parts of the first edition could still be languishing. As long as the {6} possibility remains that the gentlemen could go in there and succeed for once in disturbing this slumber in order to reawaken the music to life, the possibility still exists; and it would mean much to me to exchange the old notation with that of its new shape. It is very presumptuous of me to ask you to bear this matter in mind when the occasion arises, and to set things in motion. Naturally Simrock would, after the old [?performance material] has been destroyed, have to supply the Viennese with the new materials free of charge; or if he won't pay, then I would have to do so. Do not be annoyed with me if I {7} take so much advantage of your kindness, and please accept [?renewed] [?thanks] for all the trouble that you go to. 6 I sent Jakob Fischer from Lauenstein the score of my Herbstlied, and wrote him a long letter. Did he really receive both of them? 7 It doesn't occur to me to expect a letter from him in this connection, [?doubly so] since his [?teaching term], which overwhelms him, has begun again. The only thing that disturbs me is the thought that my two packages might not have reached him because they were sent just at a time {8} when, en route for home, he was to be found in neither Vienna nor the Ampezzo region. © Translation Ian Bent, 2018 |
Footnotes1 Receipt of this letter is not recorded in Schenker's diary. 2 Ernst Rudorff, Herbstlied [Autumn Song] (Groth), Op. 43, for 6-voice chorus and orchestra (Berlin: Albert Stahl). 3 The letter is not known to survive. 4 Ernst Rudorff, Overture to "Der blonde Eckbert", Op. 8 (Bonn: Simrock, n.d.). I'm informed by William Drabkin that two copies of the first edition still exist, one in the Petrucci Music Library, the other in a library in Munich, provisionally dated "1868" and "1870"; there is no reference to a published later version. 5 J. B. von Spitta: unknown: he cannot be either (Julius August) Philipp Spitta (1841‒1924), biographer of J. S. Bach and editor of works by Schütz and Buxtehude, or his brother Friedrich (Adolph Wilhelm) Spitta (1852‒1954), writer on Schütz and Luther. 6 Schenker's diary does not record any actions in this regard in late 1909, nor does any correspondence survive between Schenker and the Philharmonic Society; however, in OJ 13/37, 10 of December 17, Rudorff thanks Schenker for the trouble he has taken. 7 OJ 13/37, 9 of the next day gives the answer to this question, and OJ 13/37, 10 reports progress with the Vienna Philharmonic. |