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Vormittag 10h.


Lieber Herr van Hoboken! 1

Vor mir liegt auch die Partitur der missa u. ich merke ihre Unentbehrlichkeit auf Schritt u. Tritt. Die Stimmführungsbilder stellen sich anders und plastischer dar, als in den pianistisch erzwungenen, namentlich bei den Bässen! Es scheint mir ausgeschlossen, daß wir zu den beiden Aufführungen in Berlin zurechtkommen. 2 Dem Werk gegenüber sowohl wie unserer Methode 3 wollen wir daher soviel Verantwortung entgegenbringen, daß wir das Gigantische, wirklich Gigantische der Anforderung nicht an das Konzertereignis anpassen.

{2} Mit Klenau huschte ich die Partitur, d.h. die Form im Großen und Äußerlichsten in 2‒3 Stunden durch. Sie aber auf diesen Standpunkt zurückzuschrauben, geht heute nicht an, Sie finden jenen Formgebung vielleicht auch selbst. Zu Ihnen muß ich anders sprechen, etwas, das Ihnen mehr sagt. Nun aber widerstrebt es mir, ewig das lamento über das Fiasco der Durchkomponierung 4 vorzutragen, ohne mir u. Ihnen Beweise zu liefern. Beeth. ist soll nicht blos Gegenstand von Kritiken sein, wir wollen ihm ja auch zunächst mit Überzeugung folgen. Mit einem Wort: wir, Sie u. ich, können eine solche Aufgabe {3} nicht mehr mit zurückgeschraubten kindlichen Mitteln machen, wir müssen sie so schwer nehmen, als wie sie ist. Ich müsste mich damit lange u. ausgiebig befassen, eigens auf die Stimmführung hin auch die Durchkomponierung als Ganzes betrachten. Dann würde ich es riskieren, genaueres auch gegen die Durchkomp. auszusprechen. Was ist ich bis jetzt am Tisch vorgenommen habe, bestätigt mir nur zu deutlich das gestern blos Improvisierte. Ich versuche noch etwas weiter vorzudringen u. zeige Ihnen das Ergebnis am Dienstag, rate aber vom Ganzen ab u. empfehle die Beschäf- {4} tigung mit der missa abzubrechen, sie könnte aus technischen , Ihnen bereits wohlvertrauten Gründen nur in äußerst langsamen Tempo fortgesetzt werden. Die „Eroica 5 hat ein Jahr meiner Arbeit in Anspruch genommen, die missa brauchte vielleicht noch mehr! Wir wollen uns hüten, Beeth daraus einen Vorwurf zu machen, daß er eine missa so 6 schreibt, u. ebenso uns hüten davor, mich für meine Methode verantwortlich zu machen 7 — ich weiß Sie heute schon so weit, daß Sie es gewiß nicht tun werden. Die Musik ist in ihren höchsten Erscheinungen keine Mahlzeit blos für Kritiker u. Publikum.


Besten Gruß,
Ihr
[signed:] H Schenker
22. 2. 1930

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016


10 a. m.


Dear Mr. van Hoboken! 1

Before me lies the score of the Missa as well, and I note its indispensability at every turn. The voice-leading formations show themselves differently and more transparently than in the pianistically constrained version, especially in the basses! It seems to me out of the question that we shall be ready for the two performances in Berlin. 2 We therefore want to show such responsibility to the work and to our method 3 that we not so much as try to fit the gigantic, truly gigantic scope of the task to the concert-event.

{2} With Klenau I rushed through the score – i.e. the form in the large and most overall sense – in 2‒3 hours. To torque you down to this standpoint, however, is not good enough today; you would perhaps find this formal organization yourself. I must speak differently to you — something that says more to you. Now it goes against my grain, though, to rehearse perpetually the lament about the fiasco of the through-composition 4 without supplying proofs to myself and to you. Beethoven is should not be merely an object of critiques; we certainly want even from the outset to follow him with conviction. In a word: we, you and I, can {3} no longer perform such a task with limited, childlike means: we must take it seriously as it is serious. I would have to study it long and diligently, considering expressly in terms of the voice-leading also the through-composition as a whole . Then I would risk saying something definite also against the through-composition. What lies before me at my desk confirms only too clearly what was merely improvised yesterday. I will try to penetrate somewhat further and show you the result on Tuesday; I advise against study of the work as a whole, however, and recommend {4} breaking off study of the Missa ; it could for technical reasons, already well known to you, be continued only in the most extremely slow tempo. The Eroica 5 claimed a year of my work, the Missa might need still more than that! We should avoid blaming Beethoven for writing a Missa in such a way, 6 and also take care not to hold me responsible for my method 7 — I know you well enough by now to know that you certainly will not do so. Music in its highest manifestations is not just a meal served up for critics and public.


With best greetings,
Your
[signed:] H. Schenker
February 22, 1930

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016


Vormittag 10h.


Lieber Herr van Hoboken! 1

Vor mir liegt auch die Partitur der missa u. ich merke ihre Unentbehrlichkeit auf Schritt u. Tritt. Die Stimmführungsbilder stellen sich anders und plastischer dar, als in den pianistisch erzwungenen, namentlich bei den Bässen! Es scheint mir ausgeschlossen, daß wir zu den beiden Aufführungen in Berlin zurechtkommen. 2 Dem Werk gegenüber sowohl wie unserer Methode 3 wollen wir daher soviel Verantwortung entgegenbringen, daß wir das Gigantische, wirklich Gigantische der Anforderung nicht an das Konzertereignis anpassen.

{2} Mit Klenau huschte ich die Partitur, d.h. die Form im Großen und Äußerlichsten in 2‒3 Stunden durch. Sie aber auf diesen Standpunkt zurückzuschrauben, geht heute nicht an, Sie finden jenen Formgebung vielleicht auch selbst. Zu Ihnen muß ich anders sprechen, etwas, das Ihnen mehr sagt. Nun aber widerstrebt es mir, ewig das lamento über das Fiasco der Durchkomponierung 4 vorzutragen, ohne mir u. Ihnen Beweise zu liefern. Beeth. ist soll nicht blos Gegenstand von Kritiken sein, wir wollen ihm ja auch zunächst mit Überzeugung folgen. Mit einem Wort: wir, Sie u. ich, können eine solche Aufgabe {3} nicht mehr mit zurückgeschraubten kindlichen Mitteln machen, wir müssen sie so schwer nehmen, als wie sie ist. Ich müsste mich damit lange u. ausgiebig befassen, eigens auf die Stimmführung hin auch die Durchkomponierung als Ganzes betrachten. Dann würde ich es riskieren, genaueres auch gegen die Durchkomp. auszusprechen. Was ist ich bis jetzt am Tisch vorgenommen habe, bestätigt mir nur zu deutlich das gestern blos Improvisierte. Ich versuche noch etwas weiter vorzudringen u. zeige Ihnen das Ergebnis am Dienstag, rate aber vom Ganzen ab u. empfehle die Beschäf- {4} tigung mit der missa abzubrechen, sie könnte aus technischen , Ihnen bereits wohlvertrauten Gründen nur in äußerst langsamen Tempo fortgesetzt werden. Die „Eroica 5 hat ein Jahr meiner Arbeit in Anspruch genommen, die missa brauchte vielleicht noch mehr! Wir wollen uns hüten, Beeth daraus einen Vorwurf zu machen, daß er eine missa so 6 schreibt, u. ebenso uns hüten davor, mich für meine Methode verantwortlich zu machen 7 — ich weiß Sie heute schon so weit, daß Sie es gewiß nicht tun werden. Die Musik ist in ihren höchsten Erscheinungen keine Mahlzeit blos für Kritiker u. Publikum.


Besten Gruß,
Ihr
[signed:] H Schenker
22. 2. 1930

© Transcription John Rothgeb and Heribert Esser, 2016


10 a. m.


Dear Mr. van Hoboken! 1

Before me lies the score of the Missa as well, and I note its indispensability at every turn. The voice-leading formations show themselves differently and more transparently than in the pianistically constrained version, especially in the basses! It seems to me out of the question that we shall be ready for the two performances in Berlin. 2 We therefore want to show such responsibility to the work and to our method 3 that we not so much as try to fit the gigantic, truly gigantic scope of the task to the concert-event.

{2} With Klenau I rushed through the score – i.e. the form in the large and most overall sense – in 2‒3 hours. To torque you down to this standpoint, however, is not good enough today; you would perhaps find this formal organization yourself. I must speak differently to you — something that says more to you. Now it goes against my grain, though, to rehearse perpetually the lament about the fiasco of the through-composition 4 without supplying proofs to myself and to you. Beethoven is should not be merely an object of critiques; we certainly want even from the outset to follow him with conviction. In a word: we, you and I, can {3} no longer perform such a task with limited, childlike means: we must take it seriously as it is serious. I would have to study it long and diligently, considering expressly in terms of the voice-leading also the through-composition as a whole . Then I would risk saying something definite also against the through-composition. What lies before me at my desk confirms only too clearly what was merely improvised yesterday. I will try to penetrate somewhat further and show you the result on Tuesday; I advise against study of the work as a whole, however, and recommend {4} breaking off study of the Missa ; it could for technical reasons, already well known to you, be continued only in the most extremely slow tempo. The Eroica 5 claimed a year of my work, the Missa might need still more than that! We should avoid blaming Beethoven for writing a Missa in such a way, 6 and also take care not to hold me responsible for my method 7 — I know you well enough by now to know that you certainly will not do so. Music in its highest manifestations is not just a meal served up for critics and public.


With best greetings,
Your
[signed:] H. Schenker
February 22, 1930

© Translation John Rothgeb and Heribert Esser, 2016

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/3, pp. 3444-3445, February 22, 1930: "An v. Hoboken (expreß Br.): lehne die Durcharbeitung der Missa auf Grund des Klavierauszuges ab, zumindest müsse die Partitur Grundlage bilden. — Trotzdem mache ich den Versuch, in der Partitur nach Linien zu suchen. Es ist mir erfreulich zu sehen, daß meine Improvisation sich in ähnlichen Bahnen bewegt, wie ehemals in den Weisungen an Klenau, noch mehr freut mich bestätigt zu sehen, daß sich, wie ursprünglich vermutet, im Gloria u. Credo keine Urlinie zu finden sein dürfte. Beethoven beging eben den schweren Fehler, die Musik fast im gleichen Tempo mit der Sprache laufen zu lassen."
("To Hoboken (express letter): I decline to work through the Missa on the basis of the piano reduction; at the very least the score must form the basis. — In spite of this, I make the attempt to search for lines in the score. It pleases me to see that my improvisation proceeds along paths similar to those that I had previously taken in my instructions to Klenau; I am even more pleased to have confirmed what I originally suspected, namely that no Urlinie is to be found in the Gloria or the Credo. Beethoven committed that serious mistake of letting the music proceed at almost the same tempo as that of speech.").

2 For Berlin, hence the impetus behind the entire letter, see the long diary entry for February 21, 1930.The issue arose initially in Hoboken's lesson on February 20: "He asks for elucidation of the Missa solemnis for the concerts by Furtwängler and Klemperer in Berlin; I direct him to the Gloria." (lessonbook 1929/30, p. 21). No lesson on Tuesday February 25 is recorded in the lessonbook, but Schenker's diary for that day records: "Hoboken thanks me for the first time for my kindness with regard to the Missa [...]".

3 The term "method", used here and near the end of this letter, is defined primarily as "1. An orderly procedure or process, as, originally, of treating disease; a regular way or manner of doing anything . . ." (Webster's New International Dictionary of the English Language, second edition, unabridged (Cambridge, MA, 1948)). In this sense of the term, however, Schenker's teaching neither constitutes nor comprises a "method"; only in a sense subsequently provided by Webster's, "3. Orderly arrangement, elucidation, development, or classification; lucid exhibition, as of ideas; systematic arrangement peculiar to a person or a given matter . . .," might it be said to do so.

4 Schenker did regard the Missa solemnis as flawed by Beethoven's use of the technique of Durchkomponierung (through-composition). His reluctance to express his criticism in detail without extensive study is evident here. Some illumination of his thinking is provided by notes he recorded in his journal and on various papers in the Oster Collection. See in particular OC 31/282, OC 31/283; diary 22 and 23 February 1930.

5 See Das Meisterwerk in der Musik, vol. 3 (1930).

6 That is, by means of through-composition.

7 The meaning is that Schenker is not to be held responsible for possibly surprising and antipathetic judgments that his correct and neutral "method" (see note 3) may disclose.

Commentary

Format
4p letter, Bogen format, holograph message and signature
Provenance
Hoboken, Anthony van ([document date]-1983)--Schneider, Hans(19??-2007)--University of California, Riverside (2007--)
Rights Holder
IPR: Heirs of Henrich Schenker, deemed to be in the public domain.
License
All reasonable steps have been taken to locate the heirs of Heinrich Schenker. Any claim to intellectual rights on this document should be addressed to the Schenker Correspondence Project, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence [at] mus (dot) cam (dot) ac (dot) uk.

Digital version created: 2016-09-27
Last updated: 2012-11-19