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OJ 9/12, [1] - Handwritten letter from Carl Bamberger to Schenker, dated October 6, 1924
Nun sitze ich über ein Monat bereits im lieben Danzig. Das lang ersehnte – an einem Theater zu sein — ist mir nun auch beschieden! Vorläufig bloß korrepetierarbeit, zu Weihnachten kanns etwas zu dirigieren geben, früher schwerlich. Ich muss damit schon zufrieden sein. Jetzt erkenne ich allmählich, wie überflüssig meine Sorgen für mein Klavier-Spiel fürs Theater waren. Sie wissen, lieber Meister, ich lobe mich niemals. Aber da bin ich immer noch ein „edler“ Virtuose gegen das Kapellmeisterkollegium. Sie wissens ja: alle Töne gleich stark (von denen, die sie spielen, die meißten lassen sie ja wohl!) – Gott sei Dank habe ich genügend freie Zeit, um für mich ein wenig zu arbeiten. {2} Jetzt sehe ich mir gerade die Beethoven-Sonaten – endlich! endlich! – genauer an. Ich habe Ihre Ausgabe. Ist das eine Erquickung für mich! Die Ziffern der Fingersätze sprechen doch allein schon mehr, als sämtliche Theoriewerke unserer armseligen Zeit! Was ist ja zu lesen! Jetzt empfinde ich stärker als je meine tiefe, aufrichtige Dankbarkeit für die Tatsache, daß ich 4 Jahre meines Lebens bei Ihnen sein durfte und konnte. 2 Seien Sie dessen versichert! Wie war ich vor 5 Jahren erbärmlich durch meine Hast und Ungeduld, die mich nicht einen Augenblick zu mi[r] kommen – was noch schlimmer war – zur Sache kommen ließ. Wie hätte das geendet!!! – Ich habe unlängst für die hiesigen {3} Kapellmeister die Harmonielehre (alle Bände je 3 Exemplare 3 ) bei der U.-E. bestellt und ebenso 3 mal alle Hefte „Tonwille“. 4 Das letzte Heft bekam ich bereits; Koller, der zweite Kapellmeister las das Stück über die Appassionata, sagte mir nächsten Tag: „Das tut so wohl, endlich einmal Musik so analysiert zu sehen, wie es nicht jeder verstehen kann. Wenn nur endlich die Leute einsehen würden, daß gerade Musik die Kunst ist, deren Verständnis nur ganz wenigen zuteil werden kann.“ Ich dachte an Ihre Worte: „Geben Sie den Tonwillen dem X, X,; er soll wissen, daß es etwas gibt, was er nicht versteht.“ — Übrigens scheint Koller, 5 der ein ehrlicher Mensch ist, die Sache sehr ernst zu nehmen, fragt mich vieles darüber, ist auf die Harmonielehre sehr neugierig; {4} zu mindest einer, der am Wege – wenn auch noch weit – ist. Schon das ist für mich erfreulich, wo lauter „Stimmbandträger“, wie Rindriecher um einen herumlaufen, deren einzige Sorge ist, ob Sie nicht zu viel Proben haben. Ich bin auch schon recht „gefürchtet“, da ich gerne Solo-Proben ansetze. – Ja, es hat sich herausgestellt, daß die Gattin des ersten Kapellmeisters (Otto Selberg 6 ) eine Cousine vom Fräulein Antschi Elias ist, die mich neulich nach ihr fragte. – Die Stadt ist ganz mittelalterlich, wunderbare Bauten und malerische Kanäle und winkelige Gässchen. Ich wandere viel allein durch die Straßen und habe Zeit und Muße und Geduld, alles zu [?besehen] und – was das wichtigste ist – es {5} auszukosten † . Das Wort allein weckt in mir alle schönen Erinnerungen an die vergangene Zeit bei Ihnen. – Wie Ihnen wohl geht? Gut, nicht? Sie sind doch immer „Leiter“, wie Sie ja selbst sagen, und tief in der anstrengenden Arbeit. Haben Sie vielleicht gar ‘ einen Kapellmeister Säugling wieder einmal ins Haus bekommen? – Oder ist der Kube-Bube noch der einzige geblieben? Sind Sie von der Furtwängler- Verfolgerin erlöst?! 7 Ich hoffe es für Sie aus tiefstem Herzen! Für heute schließe ich – es ist Mitternacht – und grüße Sie und Ihre Frau Gemahlin sehr herzlich als Ihr © Transcription Ian Bent, 2022 |
I have been in beloved Danzig for more than a month now. That for which I have long yearned – to be [working] in a theater – has also now been granted me! For now, just repetiteur work; at Christmas some conducting may come my way, but unlikely before then. I have to be content with that. I am gradually realizing how superficial my concerns for my piano playing for the theater were. You know, dear Master, that I never praise myself. But I am still a “princely” virtuoso by comparison with our team of conductors. You know it well: all the notes they play are at the same dynamic level (most of them, of course, they leave out!). – Thank God, I have enough free time to do a little of my own work. {2} Now I am – at long last! – taking a closer look at the Beethoven sonatas. I have your edition. That is so refreshing for me! The figures of your fingerings alone tell me more than all the theory works of our impoverished age! Who needs words?! I feel more strongly now than ever my deep and undying gratitude for the fact that I could, and did, spend four years of my life [studying] with you. 2 Be assured of that! How pitiful I was five years ago, in my impetuosity and lack of patience, which did not save me a single moment – and what is even worse – did not advance me one jot. How would that have ended!!! – Recently I ordered your Theory of Harmony from Universal Edition for our local {3} conductors (all volumes, three copies of each 3 ), and likewise three copies of all issues of Der Tonwille . 4 I have already received the last [available] issue. Koller, the second conductor, read your piece about the “Appassionata,” and said to me the next day: “It is so good at long last to see music analyzed in such a way as not everybody can understand. If only people would finally realize that music is the one art of which understanding can be granted to only a few.” I recalled your words: “Give Der Tonwille to X, X”; he should know it gives something that he does not understand.” — Anyway, Koller, 5 who is an honorable person, seems to be taking the matter very seriously, asks me lots of questions on the subject, and is very curious to know about your Theory of Harmony ; {4} he is at least someone who is on his way – even if not yet far along. Already that is a joy for me, in a world where you’ll find nothing but “loudmouths” with their precious vocal chords, running around you, whose only concern is that you do not call too many rehearsals. I am already “feared,” since I like to hold individual rehearsals. – Yes, it has transpired that the wife of the first conductor (Otto Selberg 6 ) is a cousin of Miss Antschi Elias, and he asked after her recently. — The city is entirely medieval, wonderful buildings and picturesque canals and tiny, twisting lanes. I often roam through the streets alone, and have the time, the leisure, and the patience to observe and – most importantly – {5} to savor † it all. The very word awakes in me a host of treasured memories of past times spent with you. – How are you keeping? In good health, I hope. You will always be the “leader,” as you yourself say, and plunged deep into exacting work. Have you perhaps acquired another budding conductor in your studio? – Or is the youngster Cube the only one left? Are you relieved of the woman who pursued Furtwängler? 7 I hope so from the bottom of my heart, for your sake! I must close for today. It is midnight, and I send you and your wife most cordial greetings, as your © Translation Ian Bent, 2022 |
Nun sitze ich über ein Monat bereits im lieben Danzig. Das lang ersehnte – an einem Theater zu sein — ist mir nun auch beschieden! Vorläufig bloß korrepetierarbeit, zu Weihnachten kanns etwas zu dirigieren geben, früher schwerlich. Ich muss damit schon zufrieden sein. Jetzt erkenne ich allmählich, wie überflüssig meine Sorgen für mein Klavier-Spiel fürs Theater waren. Sie wissen, lieber Meister, ich lobe mich niemals. Aber da bin ich immer noch ein „edler“ Virtuose gegen das Kapellmeisterkollegium. Sie wissens ja: alle Töne gleich stark (von denen, die sie spielen, die meißten lassen sie ja wohl!) – Gott sei Dank habe ich genügend freie Zeit, um für mich ein wenig zu arbeiten. {2} Jetzt sehe ich mir gerade die Beethoven-Sonaten – endlich! endlich! – genauer an. Ich habe Ihre Ausgabe. Ist das eine Erquickung für mich! Die Ziffern der Fingersätze sprechen doch allein schon mehr, als sämtliche Theoriewerke unserer armseligen Zeit! Was ist ja zu lesen! Jetzt empfinde ich stärker als je meine tiefe, aufrichtige Dankbarkeit für die Tatsache, daß ich 4 Jahre meines Lebens bei Ihnen sein durfte und konnte. 2 Seien Sie dessen versichert! Wie war ich vor 5 Jahren erbärmlich durch meine Hast und Ungeduld, die mich nicht einen Augenblick zu mi[r] kommen – was noch schlimmer war – zur Sache kommen ließ. Wie hätte das geendet!!! – Ich habe unlängst für die hiesigen {3} Kapellmeister die Harmonielehre (alle Bände je 3 Exemplare 3 ) bei der U.-E. bestellt und ebenso 3 mal alle Hefte „Tonwille“. 4 Das letzte Heft bekam ich bereits; Koller, der zweite Kapellmeister las das Stück über die Appassionata, sagte mir nächsten Tag: „Das tut so wohl, endlich einmal Musik so analysiert zu sehen, wie es nicht jeder verstehen kann. Wenn nur endlich die Leute einsehen würden, daß gerade Musik die Kunst ist, deren Verständnis nur ganz wenigen zuteil werden kann.“ Ich dachte an Ihre Worte: „Geben Sie den Tonwillen dem X, X,; er soll wissen, daß es etwas gibt, was er nicht versteht.“ — Übrigens scheint Koller, 5 der ein ehrlicher Mensch ist, die Sache sehr ernst zu nehmen, fragt mich vieles darüber, ist auf die Harmonielehre sehr neugierig; {4} zu mindest einer, der am Wege – wenn auch noch weit – ist. Schon das ist für mich erfreulich, wo lauter „Stimmbandträger“, wie Rindriecher um einen herumlaufen, deren einzige Sorge ist, ob Sie nicht zu viel Proben haben. Ich bin auch schon recht „gefürchtet“, da ich gerne Solo-Proben ansetze. – Ja, es hat sich herausgestellt, daß die Gattin des ersten Kapellmeisters (Otto Selberg 6 ) eine Cousine vom Fräulein Antschi Elias ist, die mich neulich nach ihr fragte. – Die Stadt ist ganz mittelalterlich, wunderbare Bauten und malerische Kanäle und winkelige Gässchen. Ich wandere viel allein durch die Straßen und habe Zeit und Muße und Geduld, alles zu [?besehen] und – was das wichtigste ist – es {5} auszukosten † . Das Wort allein weckt in mir alle schönen Erinnerungen an die vergangene Zeit bei Ihnen. – Wie Ihnen wohl geht? Gut, nicht? Sie sind doch immer „Leiter“, wie Sie ja selbst sagen, und tief in der anstrengenden Arbeit. Haben Sie vielleicht gar ‘ einen Kapellmeister Säugling wieder einmal ins Haus bekommen? – Oder ist der Kube-Bube noch der einzige geblieben? Sind Sie von der Furtwängler- Verfolgerin erlöst?! 7 Ich hoffe es für Sie aus tiefstem Herzen! Für heute schließe ich – es ist Mitternacht – und grüße Sie und Ihre Frau Gemahlin sehr herzlich als Ihr © Transcription Ian Bent, 2022 |
I have been in beloved Danzig for more than a month now. That for which I have long yearned – to be [working] in a theater – has also now been granted me! For now, just repetiteur work; at Christmas some conducting may come my way, but unlikely before then. I have to be content with that. I am gradually realizing how superficial my concerns for my piano playing for the theater were. You know, dear Master, that I never praise myself. But I am still a “princely” virtuoso by comparison with our team of conductors. You know it well: all the notes they play are at the same dynamic level (most of them, of course, they leave out!). – Thank God, I have enough free time to do a little of my own work. {2} Now I am – at long last! – taking a closer look at the Beethoven sonatas. I have your edition. That is so refreshing for me! The figures of your fingerings alone tell me more than all the theory works of our impoverished age! Who needs words?! I feel more strongly now than ever my deep and undying gratitude for the fact that I could, and did, spend four years of my life [studying] with you. 2 Be assured of that! How pitiful I was five years ago, in my impetuosity and lack of patience, which did not save me a single moment – and what is even worse – did not advance me one jot. How would that have ended!!! – Recently I ordered your Theory of Harmony from Universal Edition for our local {3} conductors (all volumes, three copies of each 3 ), and likewise three copies of all issues of Der Tonwille . 4 I have already received the last [available] issue. Koller, the second conductor, read your piece about the “Appassionata,” and said to me the next day: “It is so good at long last to see music analyzed in such a way as not everybody can understand. If only people would finally realize that music is the one art of which understanding can be granted to only a few.” I recalled your words: “Give Der Tonwille to X, X”; he should know it gives something that he does not understand.” — Anyway, Koller, 5 who is an honorable person, seems to be taking the matter very seriously, asks me lots of questions on the subject, and is very curious to know about your Theory of Harmony ; {4} he is at least someone who is on his way – even if not yet far along. Already that is a joy for me, in a world where you’ll find nothing but “loudmouths” with their precious vocal chords, running around you, whose only concern is that you do not call too many rehearsals. I am already “feared,” since I like to hold individual rehearsals. – Yes, it has transpired that the wife of the first conductor (Otto Selberg 6 ) is a cousin of Miss Antschi Elias, and he asked after her recently. — The city is entirely medieval, wonderful buildings and picturesque canals and tiny, twisting lanes. I often roam through the streets alone, and have the time, the leisure, and the patience to observe and – most importantly – {5} to savor † it all. The very word awakes in me a host of treasured memories of past times spent with you. – How are you keeping? In good health, I hope. You will always be the “leader,” as you yourself say, and plunged deep into exacting work. Have you perhaps acquired another budding conductor in your studio? – Or is the youngster Cube the only one left? Are you relieved of the woman who pursued Furtwängler? 7 I hope so from the bottom of my heart, for your sake! I must close for today. It is midnight, and I send you and your wife most cordial greetings, as your © Translation Ian Bent, 2022 |
Footnotes1 Receipt of this letter is implied by the entry in Schenker’s diary for October 9, 1924: “B. dankt herzlich für das bei mir Genossene.” (“Bamberger thanks [me] very kindly for what he enjoyed [while studying] with me.”). 2 Bamberger was a Schenker pupil from October 1920 to June 19, 1924. 3 This puzzling parenthesis perhaps means that he had ordered Harmonielehre (1906), Kontrapunkt 1 (1910), and Kontrapunkt 2 (1922), each in three copies. 4 By October 1924, all but one of the ten issues (1–8/9) had been published. The tenth issue was published by mid-January 1925. The three local Kapellmeister that Bamberger cites next were (1) Otto Selberg , (2) Oswald Koller , (3) one other unidentified here but identified in OJ 9/12, [3] as Werner Gossling. 5 Schenker’s diary for October 20, 1924 reports: An Rothberger (Br.): […] Der ernsten Zustimmung des Kapellmeisters Koller freue ich mich.” (“To Rothberger (letter): […] I am pleased by the serious approval by conductor Koller.”). 6 Otto Selberg conducted at the Hamburg Opera in 1911 and 1912. 7 A remark in OJ 9/12, [5], September 27, 1927, offers a hint – but not proof – that the person might be Mrs. Maria Komorn. |
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Format† Double underlined |
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Commentary
Digital version created: 2022-04-08 |