Ser. A, {157}
17. 8.

Fertigstellung der Einwände gegen Riemanns Theorien, in verstärkter zweiter Fassung 1 nur mehr ein kleiner Teil erübrigt, der indessen als Konsequenz des Vorausgegangenen die Sache Riemanns sicher nicht mehr retten kann. —

Der Einschnitt in der Arbeit gestattet eine Bergtour; der Entschluß ist sehr rasch gefaßt, unser Ziel Tschenglser Hochwand (3378m). 2 Etwas nach 3h des 16. wandern wir zur Düsseldorfer Hütte empor; 3 wir treffen auf dem Wege, von dort bereits zurückkommend Frau Deutsch samt Gesellschaft. Der Weg bietet unerwartet viele besondere Reize: der Zaybach besonders schön, wenn er mit der Heftigkeit der Jugend über Steine, Geröll u. Böden hinwegeilend, einfach keine Zeit findet, sein Bett tiefer zu graben; es ist dann, als hätte er überhaupt keine Ufer u. läge nur so obenauf, wie etwa Butter auf einer Semmel. Die Zayböden voll grünbemooster, gewaltiger Steine: durch die Kälte u. Farbe des Gesteins gedämpft ‒ wie sonderbar anders wirkt das Grün des Mooses als das Grün des Bodens, das auf der Wärme u. dunkeln Farbe des Humus ruht. Ein Talschluß gibt das Rätsel auf, woher der Zaybach seinen Ursprung nähme, da von den umgebenden Wänden kein Gletscherwasser hernieder fließt; wir nehmen ein Fließen unter den Steinen an.

Inzwischen langen wir in der Düsseldorfer Hütte an, 4 die {158} uns nun auch ihrerseits die schönste Ueberraschung bietet; geräumig, die Hallen unten, wie die Zimmer oben nett u. zierlich, bietet sie einen schönen Rundblick. Nach mehr durchwachter, als durchschlafener Nacht steigen wir mit Führer zum erwähnten Gipfel empor. Im Vergleich zu anderen Wegen ist dieser sicher ein ziemlich bequemer zu nennen u. eigentlich sind es nur die außerordentliche Kälter u. eine gewisse kleine Nervosität, die uns den Aufstieg unbehaglich machen; besonders auf dem Gipfel biß die Kälte ordentlich in Wangen u. Körper. Da die Aussicht durch Nebel vielfach behindert war, treten wir bald den Abstieg an; er gestaltet sich entgegen der Erwartung recht bequem u. angenehm u. nach einem in der Hütte eingenommenen Thee, giengen wir zur Tal, wo wir um 1h mittags eintrafen.

Noch erwähnenswert der junge Führer, der trotz Jugend schon alle schlimmen Charaktereigenschaften aufweist, die auf Rechnung des Bauernstandes im allgemeinen u. dazu des Führerstandes im Besonderen gehen; so weiß er dem Beispiel seiner Väter nachfolgend, meine Einladung zu einem Wein des Abends, wie zum 2. Frühstück derart wirksam zu überschreiten daß uns seine Zeche beinahe mehr, als die eigene kostet. Sonst zeigt er ein bäuerlich verschlagenes Wesen u. sucht ohne rechtes Wissen aus Gründen des Berufs Erfahrung u. Leistungsfähigkeit vorzutäuschen.

Ein „dolce far niente“ 5 nach Tisch, soweit es die dröhnenden Knieschmerzen zu lassen.

*

© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {157}
August 17

Completion of my objections to Riemann's theories, in a second, strengthened formulation. 1 Only one more short section not dealt with; but, as a consequence of what precedes it, there is no chance at all that it can rescue Riemann's cause. —

The break in my work makes room for a mountain tour. It is a snap decision, our goal being the Tschenglser Hochwand (3,378m). 2 A little after 3 o'clock on the 16th we hike up to the Düsseldorf Hut. 3 On our way up we encounter Mrs. Deutsch, already returning from there in company. The route offers unexpectedly many special attractions: the Zay Brook is particularly beautiful if, rushing along with youthful vigor over stones, scree, and earth, it simply does not have time to carve its bed deeper. It is as if it has no bank whatsoever, and merely lies on the surface, like butter on a bread roll. The Zay soils full of mighty rocks covered with green moss: muted by the cold and the color of the rock ‒ how remarkably differently does the green of the moss appear from the green of the earth, which rests on the warmth and dark color of the humus. A valley head poses the riddle as to where the Zay Brook has its source, since there is no glacial water flowing down the surrounding cliff faces. We surmise a stream beneath the rocks.

Meantime we arrive at the Düsseldorf Hut, 4 which {158} in its turn now offers the most delightful surprise. Spacious ‒ the lounge downstairs like the rooms upstairs neat and dainty ‒ it offers a splendid panorama. After a night more sleepless than sleep-filled, we climb the aforementioned peak with a guide. By comparison with other paths, this one can definitely be described as somewhat smoother, and it is really only the extraordinary cold and a certain slight nervousness that makes the ascent uncomfortable for us. Especially at the summit, the cold chilled our cheeks and bodies through and though. Since the view was often obscured by fog we soon began our descent. It proved altogether unexpectedly smooth and pleasant, and after tea taken in the hut we descended into the valley where we arrived at 1 o'clock mid-day.

Most notable is the young guide who, despite his youth, already displays all the character flaws that can be attributed in general to his peasant status and also in particular to his status as a guide. So, following the example of his forebears, he knows how to exceed my invitation to a glass of wine in the evening, as also to second breakfast, so effectively that his bill comes to almost more than mine. Otherwise he exhibits a peasant's crafty nature and seeks on grounds of his calling to feign experience and capability, without true knowledge.

A " dolce far niente" 5 after the meal, insofar as the throbbing knee pains permit.

*

© Translation Ian Bent, 2019

Ser. A, {157}
17. 8.

Fertigstellung der Einwände gegen Riemanns Theorien, in verstärkter zweiter Fassung 1 nur mehr ein kleiner Teil erübrigt, der indessen als Konsequenz des Vorausgegangenen die Sache Riemanns sicher nicht mehr retten kann. —

Der Einschnitt in der Arbeit gestattet eine Bergtour; der Entschluß ist sehr rasch gefaßt, unser Ziel Tschenglser Hochwand (3378m). 2 Etwas nach 3h des 16. wandern wir zur Düsseldorfer Hütte empor; 3 wir treffen auf dem Wege, von dort bereits zurückkommend Frau Deutsch samt Gesellschaft. Der Weg bietet unerwartet viele besondere Reize: der Zaybach besonders schön, wenn er mit der Heftigkeit der Jugend über Steine, Geröll u. Böden hinwegeilend, einfach keine Zeit findet, sein Bett tiefer zu graben; es ist dann, als hätte er überhaupt keine Ufer u. läge nur so obenauf, wie etwa Butter auf einer Semmel. Die Zayböden voll grünbemooster, gewaltiger Steine: durch die Kälte u. Farbe des Gesteins gedämpft ‒ wie sonderbar anders wirkt das Grün des Mooses als das Grün des Bodens, das auf der Wärme u. dunkeln Farbe des Humus ruht. Ein Talschluß gibt das Rätsel auf, woher der Zaybach seinen Ursprung nähme, da von den umgebenden Wänden kein Gletscherwasser hernieder fließt; wir nehmen ein Fließen unter den Steinen an.

Inzwischen langen wir in der Düsseldorfer Hütte an, 4 die {158} uns nun auch ihrerseits die schönste Ueberraschung bietet; geräumig, die Hallen unten, wie die Zimmer oben nett u. zierlich, bietet sie einen schönen Rundblick. Nach mehr durchwachter, als durchschlafener Nacht steigen wir mit Führer zum erwähnten Gipfel empor. Im Vergleich zu anderen Wegen ist dieser sicher ein ziemlich bequemer zu nennen u. eigentlich sind es nur die außerordentliche Kälter u. eine gewisse kleine Nervosität, die uns den Aufstieg unbehaglich machen; besonders auf dem Gipfel biß die Kälte ordentlich in Wangen u. Körper. Da die Aussicht durch Nebel vielfach behindert war, treten wir bald den Abstieg an; er gestaltet sich entgegen der Erwartung recht bequem u. angenehm u. nach einem in der Hütte eingenommenen Thee, giengen wir zur Tal, wo wir um 1h mittags eintrafen.

Noch erwähnenswert der junge Führer, der trotz Jugend schon alle schlimmen Charaktereigenschaften aufweist, die auf Rechnung des Bauernstandes im allgemeinen u. dazu des Führerstandes im Besonderen gehen; so weiß er dem Beispiel seiner Väter nachfolgend, meine Einladung zu einem Wein des Abends, wie zum 2. Frühstück derart wirksam zu überschreiten daß uns seine Zeche beinahe mehr, als die eigene kostet. Sonst zeigt er ein bäuerlich verschlagenes Wesen u. sucht ohne rechtes Wissen aus Gründen des Berufs Erfahrung u. Leistungsfähigkeit vorzutäuschen.

Ein „dolce far niente“ 5 nach Tisch, soweit es die dröhnenden Knieschmerzen zu lassen.

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© Transcription Ian Bent, 2019

Ser. A, {157}
August 17

Completion of my objections to Riemann's theories, in a second, strengthened formulation. 1 Only one more short section not dealt with; but, as a consequence of what precedes it, there is no chance at all that it can rescue Riemann's cause. —

The break in my work makes room for a mountain tour. It is a snap decision, our goal being the Tschenglser Hochwand (3,378m). 2 A little after 3 o'clock on the 16th we hike up to the Düsseldorf Hut. 3 On our way up we encounter Mrs. Deutsch, already returning from there in company. The route offers unexpectedly many special attractions: the Zay Brook is particularly beautiful if, rushing along with youthful vigor over stones, scree, and earth, it simply does not have time to carve its bed deeper. It is as if it has no bank whatsoever, and merely lies on the surface, like butter on a bread roll. The Zay soils full of mighty rocks covered with green moss: muted by the cold and the color of the rock ‒ how remarkably differently does the green of the moss appear from the green of the earth, which rests on the warmth and dark color of the humus. A valley head poses the riddle as to where the Zay Brook has its source, since there is no glacial water flowing down the surrounding cliff faces. We surmise a stream beneath the rocks.

Meantime we arrive at the Düsseldorf Hut, 4 which {158} in its turn now offers the most delightful surprise. Spacious ‒ the lounge downstairs like the rooms upstairs neat and dainty ‒ it offers a splendid panorama. After a night more sleepless than sleep-filled, we climb the aforementioned peak with a guide. By comparison with other paths, this one can definitely be described as somewhat smoother, and it is really only the extraordinary cold and a certain slight nervousness that makes the ascent uncomfortable for us. Especially at the summit, the cold chilled our cheeks and bodies through and though. Since the view was often obscured by fog we soon began our descent. It proved altogether unexpectedly smooth and pleasant, and after tea taken in the hut we descended into the valley where we arrived at 1 o'clock mid-day.

Most notable is the young guide who, despite his youth, already displays all the character flaws that can be attributed in general to his peasant status and also in particular to his status as a guide. So, following the example of his forebears, he knows how to exceed my invitation to a glass of wine in the evening, as also to second breakfast, so effectively that his bill comes to almost more than mine. Otherwise he exhibits a peasant's crafty nature and seeks on grounds of his calling to feign experience and capability, without true knowledge.

A " dolce far niente" 5 after the meal, insofar as the throbbing knee pains permit.

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© Translation Ian Bent, 2019

Footnotes

1 Schenker's diary entry for July 30, 1911 states that he was reading Riemann's [Handbuch der] Harmonielehre (1898) with a view to refuting the latter's theories, and embarking on a "renewed onslaught, with refining the counterarguments." On August 4, Schenker wrote to Moriz Violin (OJ 8/1, [7]): "I am battling on with Riemann here, since I have come to the conviction that I must pursue this meddlesome man in Counterpoint 2 if I am to make a mark for myself."On August 18 he wrote to Moriz Violin that he had "sat for three weeks poring over Riemann" (OJ 6/5, [1]). This letter makes clear that the work was in preparation for Kontrapunkt II, although there Schenker identifies Riemann's Lehrbuch des einfachen, doppelten und imitierenden Kontrapunkts (1888) as the main work critiqued. At his death, both works were in Schenker's private library, as well as the Katechismus der Fugen-Komposition (1890‒91) (see Musik und Theater enthaltend die Bibliothek des Herrn †Dr. Heinrich Schenker, Wien (Vienna: Heinrich Hinterberger, [1936]).

2 :"The Tschenglser Hochwand (Italian: Croda di Cengles) situated in the Italian South Tyrol [...] belongs to the Ortles Group. [...] it is one of the best viewpoints toward Ortles, Gran Zebrù and the neighboring mountains. The mountain lies on the northern end of the valley called Zay Valley [...] and to the Northeast has its "own" glacier: the small Tschenglser Ferner."

3 From Sulden (1,850m) 3.6km northward to the Düsseldorf hut (2,721m) in the Zay Valley, then 13.5km northward to the Tschenglser Hochwand (3,378m).

4 Düsseldorf hut: while there, Heinrich and Jeanette wrote a postcard to Moriz Violin, which is not known to survive, but which is referred to in OJ 6/5, [1], August 18, written after they had completed the ascent and descended into the valley.

5 "dolce far niente," lit: sweetly to do nothing.