28.
Ausflug nach Madonna di Campiglio. Ohne uns früher Platze im Auto vorgemerkt zu haben, unternehmen wir, von glücklichstem Wetter begünstigt, den {387} langgeplanten Ausflug. Wir legen es ihn trotz der ziemlich weiten Entfernung als einen Ausflug zu Tisch an, da wir nichts als Schirm, Mantel, Baedeker, 1 Trautwein 2 u. Glas 3 mitnehmen. Ueber alles Erwarten gelingt uns der kühne Zug, so daß wir unser Ziel erreichen können. Die elektrische Bahn 4 führt uns zunächst nach Dermulo, wo wir umsteigen, um über Cles nach Malè zu kommen. Von Dermulo aus sehen wir mit Entzücken Schlösser, Castelle an den Abhängen der Brenta. Leider geben uns die Reisebücher keine Auskunft darüber, doch gewinnen wir nachgerade den Eindruck, als wäre das ganze Hochland u. Umgebung von uralters her als stolzer Villegiatur [sic] großer römischer, später italienischer Herren angebaut worden; u. noch bis zum heutigen Tage merkt man, den großen Herren nach, den Zug auch der Geringen aus Italien nach eben demselben dem selben Hochland , das trotz respektabler Höhe ihnen dennoch zugleich auch mildes Klima gewährt. Hinter Dermulo fahren wir über die Giustina-Brücke u. erheben uns zu Cles. Soweit die rasche Fahrt durch einige Gassen der Stadt zu einem Eindruck berechtigt, ist der Kontrast zwischen den alten Bauformen, die auch auf einen anderen Lebensinhalt schließen lassen, u. den modernen Bauten, Geschäftshäusern u. Auslagen peinlich. Schließlich lügen ja auch die aufgeputzten Geschäftshäuser, indem sie gar nicht vorhandene Bedürfnisse vortäuschen u. so daher ist im Grunde ein so rapider Wechsel noch durchaus nicht angenehm notwendig. Es wäre daher höchst unangebracht, die Verwüstung des besseren Aalten mit dem angeblich vorwärtsdrängenden neuen modernen Leben zu entschuldigen. – Unterhalb Cles liegt das Schloß Thun, dessen Schönheit noch heute triumpfirt triumphiert, da es so glücklich die Natur selbst zur Folie nahm. Hinter Cles tritt ein höchst romantischer Winkel entgegen: der Noce-Fluß tritt nach einer scharfen Curve ins Gebiet des Hochlands, um hier die Novella aus den Armen der Berge entgegenzunehmen u. der Noce zuzuführen. Da der Noce-Fluß in tiefer Schlucht dahinbraust, suchen die höher gelegenen Ortschaften desto leidenschaftlicher eine künstliche Verbindung der gegen- {388} überliegenden Abhänge. Eine langgeübte unfreiwillige Zurückhaltung, die sich die Dörfer des Hochlands aus dem Grunde auferlegen mußten, weil sie die Novella nicht häufig überbrücken konnten, treffen wir nun auch am Ausgang des Nocetals an, wo die Dörfer der gegenüber liegenden Abhänge wegen der Tiefe der Schlucht es unendlich schwer haben, miteinander in Verbindung zu treten. Desto ergreifender ist nun zu sehen, wie eine die einzige Brücke, die Mostizollo-Brücke, all die Zurückhaltung gleichsam zur Entladung bringt. In diesem Knotenpunkt endlich stoßen die von Fondo u. Cles kommenden Straßen zusammen, um, was im Hochland selbst noch nicht gelingen wollte, nunmehr am Eingang des Nocetales zu erreichen: die Vollendung des Kreises. Aber darüber hinaus leitet dieselbe die selbe Brücke auch noch die Straßen ab, die aus den ersten Seitentälern des Nocetales kommen. Man fühlt es der Brücke an, daß sie eine Art Brennpunkt von Straßenenergie bildet. Hinter der Mostizollo-Brücke deklarirt sich die Landschaft als ein alpines Tal. Nur ist uns als eine überraschende Besonderheit dieses Tales zutage getreten, daß die Atmosphäre die eines ungleich viel höher gelegenen Tales ist. Man glaubt sich in einer Höhe von jedenfalls über 1200 m zu befinden, während man in Wahrheit kaum 200 m über dem Meeresspiegel ist. Das macht nun offenbar die Nähe der Gletscher u. vor allem der Fluß. Zum 1. mal in diesem Sommer genießen wir jene würzige kräftige Luft, die wir so schön auf dem Karerpass, wohl auch in Sulden u. Paneveggio zu genießen das Glück hatten. Das Nocetal weist je nach der Lage bald in der Talsohle selbst, bald an den Abhängen zahlreiche Ortschaften auf u. auch hier überrascht uns der völlig unerwartete Anblick von Schlössern u. Ansitzen (besonders das Schloß hoch oben bei Caldes!) In Malè angelangt finden wir sofort Beruhigung über die Fortsetzung unserer Reise, da der Zahl der Gäste Rechnung getragen u. ein zweites Auto zur Verfügung gestellt wird; aber freilich, die Zahl der Gepäckstücke, sowie die Habgier der verschiedenen Hilfsorgane bringt Verzögerung, so daß wir mit fast ein- {389} stündiger Verspätung abreisen. Das Auto bringt uns rasch von der Hoch Hauptstraße weg u. absolvirt zahlreiche Kehren, auf denen es zur Höhe emporklimmt. Jede Kehre gibt uns Anlaß zu raten, ob die nun eingeschlagene Richtung die letzte u. bleibende sei. Der Karte nach schloß ich auf eine Richtung, die ich auch Lie-Liechen mitteilte, gerate aber bei der Energie der Kehren immer wieder in Zweifel, ob nicht doch ein anderes Seitental endlich eingeschlagen wird. Meine ursprüngliche Vermutung behält Recht u. wir fahren hinter ebendieselbe Bergkulisse, die sich uns schon von unserem Balkon aus bietet. Der Weg führt durch Wald mit hochalpinem Charakter: nirgend mehr eine Ortschaft, nur wenige einzelnstehende Holzhütten verraten allerjüngsten Ursprung u. mögen mehr für touristische Zwecke errichtet worden sein. Die Scenerien des Waldes sind immer von neuem überraschend; besonders fällt eine Wegfassung von Weidenröschen in ziemlich langer Ausdehnung auf. Der Weg ist lang, u. man ahnt, um das Sprichwort zu variiren: „des langen Weges kurzen“ aber desto – schöneren „Sinn“ – ich meine Campiglio selbst! Einen Vorgeschmack dieses Ortes gibt der Carlo magno-Paß, auf dem ein schönes Hotel errichtet wurde, zu Füßen der Brentawände selbst. Hier vermitteln nicht erst Vorgebirge, sondern von den Wiesen steigen die Wände selbs vor unseren Blicken steil auf. Nun geht es etwas tiefer u. man erblickt auf einer nicht zu großen Wiese ein modernes Hotel nebst vielen anderen kleineren. Die Wiese bildet einen Kessel u. der Blick führt nicht zu den Höhen selbst empor, ausgenommen nach in der südlichen Richtung. Ohne Zweifel dürfte es in der Nähe des Hotels mehrere Punkte geben, die uns mit den Spitzen verbinden, aber gerade dort, wo das Hotel steht, ist eine solche Gunst versagt. (Vgl. dagegen Karersee u. Martino di Castrozza.) Physiognomie des Hotels ist, wie gesagt, eine durchaus moderne u. bedeutet somit einen nur allzu gedrängten Extrakt großstädtischen Komforts, der an der unberührten Natur dieser Stelle geradezu Hohn spricht. Dazu eine Gesellschaft, die sich nur nach eben diesem Komfort bewerten lassen will u. wohl auch {390} nicht anders kann. Wir haben nur soviel Zeit zu Tisch zu essen u. einige Ansichtskarten zu verschicken u. fahren eines wundervollen Anblicks voll u. dankbar froh per Auto wieder heim. Wir sind einig, daß die Schönheit des Ortes an der Staffage der Menschen leidet u. beschließen nicht so leicht wieder je hierher zu kommen. In Malè finden wir noch Zeit den Ort näher zu betrachten u. wieder darüber zu staunen, wie sehr die Natur, trotz verhältnismäßig niedriger Lage des Ortes, Vorteile einer höheren gewährt. Nun in der elektrischen Bahn machen wir gleichsam Rechnungsprobe u. betrachten die Landschaft mit bereits eingeführten Sinnen. Gerade auf der Heimreise u. in Abendbeleuchtung sehen wir die Landschaft um die Mostizzollo-Brücke herum noch viel interessanter. Wir kehren um 8h abends heim, abgespannt, nicht so sehr durch die Fülle der Eindrücke, als durch das stundenlange Sitzen in der Bahn u. im Auto. *
© Transcription Marko Deisinger. |
28.
Excursion to Madonna di Campiglio. Without having previously booked seats in the bus, favored by the most beautiful weather, we undertook this {387} long-planned excursion. In spite of the rather great distance, we plan it as a lunch excursion, since we are bringing nothing with us except an umbrella, coats, Baedeker, 1 Trautwein, 2 and Glas 3 . Beyond all expectations, the defiant train succeeds; and so we are able to arrive at our destination. The electric train 4 takes us first to Dermulo, where we change trains to reach Malè via Cles. From Dermulo we take delight in seeing castles and towers on the slopes of the Brenta. The travel guides unfortunately give us no information about them; yet we gradually gain the impression that the entire highland and its surroundings had been built up as a network of proud settlements by great Roman, later Italian, lords; and even until this very day one observes, following the great lords, the movement even of lesser people from Italy to the same highlands, which in spite of its considerable altitude nonetheless simultaneously confers on them a mild climate, too. After Dermulo we ride over the Giustina Bridge, and make our way up to Cles. As far as the quick ride through a few of the city streets validates our impression, the contrast between the old architectural forms, which also testify to a different life style, and the modern buildings, businesses and shop windows is painful. In the end, even the decorated shops tell a falsehood in that they do not even pretend to serve the needs at hand; and thus such a rapid change is basically uncomfortable unnecessary. It would therefore be most inappropriate to use the supposedly forward-thrusting new, modern life as an excuse for the destruction of the better, old life. – Below Cles lies Castle Thun, whose beauty still triumphs today since it blended so well with nature's backdrop. Behind Cles one encounters a highly romantic corner: after making a sharp curve, the River Noce flows into the highland region, so as to receive the Novella from the arms of the mountains and lead it to the Noce. Since the Noce flows down into a deep ravine, the higher-lying settlements seek all the more passionately an artificial connection to the {388} slopes lying on the opposite side. A long-practiced, involuntary restraint, which the highland villages must have imposed on themselves since the Novella could not be bridged in many places; it is now also encountered at the end of the Noce Valley, where the villages on opposite slopes would have had an infinitely difficult time linking up with each other on account of the deepness of the ravine. It is thus all the more poignant to see how a the sole bridge – the Mostizollo Bridge – seems to unburden itself of all this restraint. At this nodal point, the roads from Fondo and Cles finally converge so as to achieve at the entrance to the Noce Valley that which could not have succeeded in the highlands itself: the completion of the circle. But in addition to this, the same bridge causes a divergence in the roads that come from the first lateral valleys of the Noce Valley. One feels that the bridge forms a kind of focal point of highway energy. Beyond the Mostizollo Bridge, the landscape declares itself to be an alpine valley. Only we have become conscious of a surprising feature of this valley: that the atmosphere is that of a valley situated incomparably much higher. One feels that one is at least more than 1,200 meters above sea level, whereas in reality one is hardly above 200 meters. That is now apparently due to the proximity of the glaciers and, above all, the river. For the first time this summer we enjoy that strong, stimulating air, the beauty of which we had the joy of experiencing on the Karer Pass, and probably also in Sulden and Paneveggio. The Noce Valley exhibits, depending upon its position, numerous settlements – presently in the foot of the valley, on the slopes; and here we are surprised by the completely unexpected view of castles and residences (especially the castle high above Caldes!). Arriving in Malè, we are immediately reassured about the continuation of our journey, due to the number of guests accounted for and a second car being placed at our disposal; admittedly, however, the number of luggage pieces, combined with the greed of the various auxiliary services, causes a delay, so that we depart with nearly an hour's {389} delay. The bus takes us quickly from the main street and navigates numerous bends in the road, by which it climbs to the top. Every turn gives us occasion to guess whether the direction now taken is the final, definitive one. Consulting the map, I worked out the direction we were taking, which I also communicated to Lie-Liechen. But with the force of the turns I am continually in doubt as to whether or not a different side valley will finally be taken. My initial suspicion proves correct and we drive behind the very mountain backdrop which was already visible to us from our balcony. The route leads through a forest with high-alpine character: no longer are there any settlements anywhere, only a few scattered wooden huts betray their most recent origin and were probably erected for the purposes of tourism. The scenery of the forest continues to astonish us with its novelty; we are particularly struck by a path formed by meadow roses extending for some length. The route is long and one imagines, to modify a saying, "the long route's short (but all the more beautiful) meaning" – I am thinking of Campiglio itself! A taste of this place is provided by the Carlo Magno Pass, on which an attractive hotel was built at the feet of the Brenta mountain face itself. Here, foothills do not provide an intermediate stage, but the cliff faces climb up steeply from the meadows before our very eyes. Now [the road] descends a little, and one sees a modern hotel together with many other smaller ones in a meadow that is not very large. The meadow forms a basin, and one's gaze does not lead upward to the heights themselves, apart from the southerly aspect. Without doubt there ought to be various points near the hotel that connect us to the peaks; but precisely there, where the hotel stands, such advantage is denied. (Compare, on the other hand, the Karersee and Martino di Castrozza.) The physiognomy of the hotel is, as said, thoroughly modern and thus signifies a not overly compressed extract of metropolitan comfort, which verily derides the unspoiled nature of this place. To which is added a society that can be judged only on the basis of this very ostentation, and could probably not be judged {390} otherwise. We have only enough time to eat at lunch and send a few postcards; and, filled with and grateful for a wonderful perspective, we cheerfully drive home by bus. We are agreed that the beauty of the place suffers from the humans that populate it, and decide to be cautious before returning to the place. In Malè we still have enough time to have a closer look at the place, and again to be amazed by how much nature, in spite of the relatively low altitude of the village, confers advantages of a higher setting. Now, in the electric railroad, we make an attempt to test [what we have experienced], and view the landscape with senses that have just been initiated. Even on the homeward journey and in the evening light, we find the view of the landscape around the Mostizzollo Bridge much more interesting. We return home at 8 o'clock in the evening, exhausted not so much by the richness of the impressions as by sitting for hours on the train and in the bus. *
© Translation William Drabkin. |
28.
Ausflug nach Madonna di Campiglio. Ohne uns früher Platze im Auto vorgemerkt zu haben, unternehmen wir, von glücklichstem Wetter begünstigt, den {387} langgeplanten Ausflug. Wir legen es ihn trotz der ziemlich weiten Entfernung als einen Ausflug zu Tisch an, da wir nichts als Schirm, Mantel, Baedeker, 1 Trautwein 2 u. Glas 3 mitnehmen. Ueber alles Erwarten gelingt uns der kühne Zug, so daß wir unser Ziel erreichen können. Die elektrische Bahn 4 führt uns zunächst nach Dermulo, wo wir umsteigen, um über Cles nach Malè zu kommen. Von Dermulo aus sehen wir mit Entzücken Schlösser, Castelle an den Abhängen der Brenta. Leider geben uns die Reisebücher keine Auskunft darüber, doch gewinnen wir nachgerade den Eindruck, als wäre das ganze Hochland u. Umgebung von uralters her als stolzer Villegiatur [sic] großer römischer, später italienischer Herren angebaut worden; u. noch bis zum heutigen Tage merkt man, den großen Herren nach, den Zug auch der Geringen aus Italien nach eben demselben dem selben Hochland , das trotz respektabler Höhe ihnen dennoch zugleich auch mildes Klima gewährt. Hinter Dermulo fahren wir über die Giustina-Brücke u. erheben uns zu Cles. Soweit die rasche Fahrt durch einige Gassen der Stadt zu einem Eindruck berechtigt, ist der Kontrast zwischen den alten Bauformen, die auch auf einen anderen Lebensinhalt schließen lassen, u. den modernen Bauten, Geschäftshäusern u. Auslagen peinlich. Schließlich lügen ja auch die aufgeputzten Geschäftshäuser, indem sie gar nicht vorhandene Bedürfnisse vortäuschen u. so daher ist im Grunde ein so rapider Wechsel noch durchaus nicht angenehm notwendig. Es wäre daher höchst unangebracht, die Verwüstung des besseren Aalten mit dem angeblich vorwärtsdrängenden neuen modernen Leben zu entschuldigen. – Unterhalb Cles liegt das Schloß Thun, dessen Schönheit noch heute triumpfirt triumphiert, da es so glücklich die Natur selbst zur Folie nahm. Hinter Cles tritt ein höchst romantischer Winkel entgegen: der Noce-Fluß tritt nach einer scharfen Curve ins Gebiet des Hochlands, um hier die Novella aus den Armen der Berge entgegenzunehmen u. der Noce zuzuführen. Da der Noce-Fluß in tiefer Schlucht dahinbraust, suchen die höher gelegenen Ortschaften desto leidenschaftlicher eine künstliche Verbindung der gegen- {388} überliegenden Abhänge. Eine langgeübte unfreiwillige Zurückhaltung, die sich die Dörfer des Hochlands aus dem Grunde auferlegen mußten, weil sie die Novella nicht häufig überbrücken konnten, treffen wir nun auch am Ausgang des Nocetals an, wo die Dörfer der gegenüber liegenden Abhänge wegen der Tiefe der Schlucht es unendlich schwer haben, miteinander in Verbindung zu treten. Desto ergreifender ist nun zu sehen, wie eine die einzige Brücke, die Mostizollo-Brücke, all die Zurückhaltung gleichsam zur Entladung bringt. In diesem Knotenpunkt endlich stoßen die von Fondo u. Cles kommenden Straßen zusammen, um, was im Hochland selbst noch nicht gelingen wollte, nunmehr am Eingang des Nocetales zu erreichen: die Vollendung des Kreises. Aber darüber hinaus leitet dieselbe die selbe Brücke auch noch die Straßen ab, die aus den ersten Seitentälern des Nocetales kommen. Man fühlt es der Brücke an, daß sie eine Art Brennpunkt von Straßenenergie bildet. Hinter der Mostizollo-Brücke deklarirt sich die Landschaft als ein alpines Tal. Nur ist uns als eine überraschende Besonderheit dieses Tales zutage getreten, daß die Atmosphäre die eines ungleich viel höher gelegenen Tales ist. Man glaubt sich in einer Höhe von jedenfalls über 1200 m zu befinden, während man in Wahrheit kaum 200 m über dem Meeresspiegel ist. Das macht nun offenbar die Nähe der Gletscher u. vor allem der Fluß. Zum 1. mal in diesem Sommer genießen wir jene würzige kräftige Luft, die wir so schön auf dem Karerpass, wohl auch in Sulden u. Paneveggio zu genießen das Glück hatten. Das Nocetal weist je nach der Lage bald in der Talsohle selbst, bald an den Abhängen zahlreiche Ortschaften auf u. auch hier überrascht uns der völlig unerwartete Anblick von Schlössern u. Ansitzen (besonders das Schloß hoch oben bei Caldes!) In Malè angelangt finden wir sofort Beruhigung über die Fortsetzung unserer Reise, da der Zahl der Gäste Rechnung getragen u. ein zweites Auto zur Verfügung gestellt wird; aber freilich, die Zahl der Gepäckstücke, sowie die Habgier der verschiedenen Hilfsorgane bringt Verzögerung, so daß wir mit fast ein- {389} stündiger Verspätung abreisen. Das Auto bringt uns rasch von der Hoch Hauptstraße weg u. absolvirt zahlreiche Kehren, auf denen es zur Höhe emporklimmt. Jede Kehre gibt uns Anlaß zu raten, ob die nun eingeschlagene Richtung die letzte u. bleibende sei. Der Karte nach schloß ich auf eine Richtung, die ich auch Lie-Liechen mitteilte, gerate aber bei der Energie der Kehren immer wieder in Zweifel, ob nicht doch ein anderes Seitental endlich eingeschlagen wird. Meine ursprüngliche Vermutung behält Recht u. wir fahren hinter ebendieselbe Bergkulisse, die sich uns schon von unserem Balkon aus bietet. Der Weg führt durch Wald mit hochalpinem Charakter: nirgend mehr eine Ortschaft, nur wenige einzelnstehende Holzhütten verraten allerjüngsten Ursprung u. mögen mehr für touristische Zwecke errichtet worden sein. Die Scenerien des Waldes sind immer von neuem überraschend; besonders fällt eine Wegfassung von Weidenröschen in ziemlich langer Ausdehnung auf. Der Weg ist lang, u. man ahnt, um das Sprichwort zu variiren: „des langen Weges kurzen“ aber desto – schöneren „Sinn“ – ich meine Campiglio selbst! Einen Vorgeschmack dieses Ortes gibt der Carlo magno-Paß, auf dem ein schönes Hotel errichtet wurde, zu Füßen der Brentawände selbst. Hier vermitteln nicht erst Vorgebirge, sondern von den Wiesen steigen die Wände selbs vor unseren Blicken steil auf. Nun geht es etwas tiefer u. man erblickt auf einer nicht zu großen Wiese ein modernes Hotel nebst vielen anderen kleineren. Die Wiese bildet einen Kessel u. der Blick führt nicht zu den Höhen selbst empor, ausgenommen nach in der südlichen Richtung. Ohne Zweifel dürfte es in der Nähe des Hotels mehrere Punkte geben, die uns mit den Spitzen verbinden, aber gerade dort, wo das Hotel steht, ist eine solche Gunst versagt. (Vgl. dagegen Karersee u. Martino di Castrozza.) Physiognomie des Hotels ist, wie gesagt, eine durchaus moderne u. bedeutet somit einen nur allzu gedrängten Extrakt großstädtischen Komforts, der an der unberührten Natur dieser Stelle geradezu Hohn spricht. Dazu eine Gesellschaft, die sich nur nach eben diesem Komfort bewerten lassen will u. wohl auch {390} nicht anders kann. Wir haben nur soviel Zeit zu Tisch zu essen u. einige Ansichtskarten zu verschicken u. fahren eines wundervollen Anblicks voll u. dankbar froh per Auto wieder heim. Wir sind einig, daß die Schönheit des Ortes an der Staffage der Menschen leidet u. beschließen nicht so leicht wieder je hierher zu kommen. In Malè finden wir noch Zeit den Ort näher zu betrachten u. wieder darüber zu staunen, wie sehr die Natur, trotz verhältnismäßig niedriger Lage des Ortes, Vorteile einer höheren gewährt. Nun in der elektrischen Bahn machen wir gleichsam Rechnungsprobe u. betrachten die Landschaft mit bereits eingeführten Sinnen. Gerade auf der Heimreise u. in Abendbeleuchtung sehen wir die Landschaft um die Mostizzollo-Brücke herum noch viel interessanter. Wir kehren um 8h abends heim, abgespannt, nicht so sehr durch die Fülle der Eindrücke, als durch das stundenlange Sitzen in der Bahn u. im Auto. *
© Transcription Marko Deisinger. |
28.
Excursion to Madonna di Campiglio. Without having previously booked seats in the bus, favored by the most beautiful weather, we undertook this {387} long-planned excursion. In spite of the rather great distance, we plan it as a lunch excursion, since we are bringing nothing with us except an umbrella, coats, Baedeker, 1 Trautwein, 2 and Glas 3 . Beyond all expectations, the defiant train succeeds; and so we are able to arrive at our destination. The electric train 4 takes us first to Dermulo, where we change trains to reach Malè via Cles. From Dermulo we take delight in seeing castles and towers on the slopes of the Brenta. The travel guides unfortunately give us no information about them; yet we gradually gain the impression that the entire highland and its surroundings had been built up as a network of proud settlements by great Roman, later Italian, lords; and even until this very day one observes, following the great lords, the movement even of lesser people from Italy to the same highlands, which in spite of its considerable altitude nonetheless simultaneously confers on them a mild climate, too. After Dermulo we ride over the Giustina Bridge, and make our way up to Cles. As far as the quick ride through a few of the city streets validates our impression, the contrast between the old architectural forms, which also testify to a different life style, and the modern buildings, businesses and shop windows is painful. In the end, even the decorated shops tell a falsehood in that they do not even pretend to serve the needs at hand; and thus such a rapid change is basically uncomfortable unnecessary. It would therefore be most inappropriate to use the supposedly forward-thrusting new, modern life as an excuse for the destruction of the better, old life. – Below Cles lies Castle Thun, whose beauty still triumphs today since it blended so well with nature's backdrop. Behind Cles one encounters a highly romantic corner: after making a sharp curve, the River Noce flows into the highland region, so as to receive the Novella from the arms of the mountains and lead it to the Noce. Since the Noce flows down into a deep ravine, the higher-lying settlements seek all the more passionately an artificial connection to the {388} slopes lying on the opposite side. A long-practiced, involuntary restraint, which the highland villages must have imposed on themselves since the Novella could not be bridged in many places; it is now also encountered at the end of the Noce Valley, where the villages on opposite slopes would have had an infinitely difficult time linking up with each other on account of the deepness of the ravine. It is thus all the more poignant to see how a the sole bridge – the Mostizollo Bridge – seems to unburden itself of all this restraint. At this nodal point, the roads from Fondo and Cles finally converge so as to achieve at the entrance to the Noce Valley that which could not have succeeded in the highlands itself: the completion of the circle. But in addition to this, the same bridge causes a divergence in the roads that come from the first lateral valleys of the Noce Valley. One feels that the bridge forms a kind of focal point of highway energy. Beyond the Mostizollo Bridge, the landscape declares itself to be an alpine valley. Only we have become conscious of a surprising feature of this valley: that the atmosphere is that of a valley situated incomparably much higher. One feels that one is at least more than 1,200 meters above sea level, whereas in reality one is hardly above 200 meters. That is now apparently due to the proximity of the glaciers and, above all, the river. For the first time this summer we enjoy that strong, stimulating air, the beauty of which we had the joy of experiencing on the Karer Pass, and probably also in Sulden and Paneveggio. The Noce Valley exhibits, depending upon its position, numerous settlements – presently in the foot of the valley, on the slopes; and here we are surprised by the completely unexpected view of castles and residences (especially the castle high above Caldes!). Arriving in Malè, we are immediately reassured about the continuation of our journey, due to the number of guests accounted for and a second car being placed at our disposal; admittedly, however, the number of luggage pieces, combined with the greed of the various auxiliary services, causes a delay, so that we depart with nearly an hour's {389} delay. The bus takes us quickly from the main street and navigates numerous bends in the road, by which it climbs to the top. Every turn gives us occasion to guess whether the direction now taken is the final, definitive one. Consulting the map, I worked out the direction we were taking, which I also communicated to Lie-Liechen. But with the force of the turns I am continually in doubt as to whether or not a different side valley will finally be taken. My initial suspicion proves correct and we drive behind the very mountain backdrop which was already visible to us from our balcony. The route leads through a forest with high-alpine character: no longer are there any settlements anywhere, only a few scattered wooden huts betray their most recent origin and were probably erected for the purposes of tourism. The scenery of the forest continues to astonish us with its novelty; we are particularly struck by a path formed by meadow roses extending for some length. The route is long and one imagines, to modify a saying, "the long route's short (but all the more beautiful) meaning" – I am thinking of Campiglio itself! A taste of this place is provided by the Carlo Magno Pass, on which an attractive hotel was built at the feet of the Brenta mountain face itself. Here, foothills do not provide an intermediate stage, but the cliff faces climb up steeply from the meadows before our very eyes. Now [the road] descends a little, and one sees a modern hotel together with many other smaller ones in a meadow that is not very large. The meadow forms a basin, and one's gaze does not lead upward to the heights themselves, apart from the southerly aspect. Without doubt there ought to be various points near the hotel that connect us to the peaks; but precisely there, where the hotel stands, such advantage is denied. (Compare, on the other hand, the Karersee and Martino di Castrozza.) The physiognomy of the hotel is, as said, thoroughly modern and thus signifies a not overly compressed extract of metropolitan comfort, which verily derides the unspoiled nature of this place. To which is added a society that can be judged only on the basis of this very ostentation, and could probably not be judged {390} otherwise. We have only enough time to eat at lunch and send a few postcards; and, filled with and grateful for a wonderful perspective, we cheerfully drive home by bus. We are agreed that the beauty of the place suffers from the humans that populate it, and decide to be cautious before returning to the place. In Malè we still have enough time to have a closer look at the place, and again to be amazed by how much nature, in spite of the relatively low altitude of the village, confers advantages of a higher setting. Now, in the electric railroad, we make an attempt to test [what we have experienced], and view the landscape with senses that have just been initiated. Even on the homeward journey and in the evening light, we find the view of the landscape around the Mostizzollo Bridge much more interesting. We return home at 8 o'clock in the evening, exhausted not so much by the richness of the impressions as by sitting for hours on the train and in the bus. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Probably Karl Baedeker, Österreich (ohne Galizien, Dalmatien, Ungarn und Bosnien). Handbuch für Reisende, 29th edn (Leipzig: Karl Baedeker 1913). 2 Probably Theodor Trautwein, Tirol und Vorarlberg: Wegweiser für Reisende, 18th edn (Vienna: Edlinger, 1913). 3 Probably Gustav Glas, Karte der Central-Alpen (München: Mey & Widmayer, s. d.) or Gustav Glas, Emil Martini and Otto Messerer, Gebirgs-, Post- und Reise-Karte von Deutsch-Tyrol und Süd-Bayern nebst den angrenzenden Länder-Theilen der Schweiz, Salzburg, Kärnthen, Illyrien und des Venezianischen (Munich: Franz, 1891). 4 The Non Mountain Railway (in Italian: Ferrovia Elettrica dell'Alta Anaunia) ran from Dermulo via Fondo to the Mendel Pass and back. It was opened in 1909 and ceased operating in 1934. In Dermulo there was a connection to the Non Valley Railway, which originally ran between Trent and Malè. |