6. IX. 14
Nach Tisch gemäß Verabredung zu Floriz. Indessen mußten wir einschließlich der Frau Hauser sofort zurückkehren, da Fl. ins Spital berufen wurde. Wir fuhren also mit ihm, Frau Wally, Frau Hauser in die Stiftskaserne, wo das Rote-Kreuz-Spital internirt ist. Wir nahmen in einem im Hoftrakt der Kaserne gelegenen Caféhaus Platz u. konnten so von hier aus alle Bilder beobachten. Gerade rollten Wagen um Wagen vorbei, die Verwundete brachten, (schwer u. leicht Verwundete,) u. im Hof konnte man auch sonst noch russische Gefangene , (darunter auch Un vVerwundete) sehen. 1 Der Anblick der Verwundeten hatte etwas unendlich Beklemmendes in sich. Der jähe, unvermittelte Uebergang von vom dem vorzüglichen Gesundheits zZustand eines jungen blühenden Kriegers zur körperlichen Hilflosigkeit, die aber nicht durch eine sozusagen methodisch fortschreitende Krankheit, sondern durch plötzlichen menschlich-feindseligen Akt hervorgerufen, – dieser Widerspruch läßt unsere Teilnahme umso nur noch stärker mitschwingen. Es ist ja, wie gesagt, eben nicht die eine Krankheit im Spiele, vor der, als einem Vorbot ein des Todes, der Mensch sich nur demütig, weil ratlos, beugen kann muß. Es bBraucht nicht man da erst nach einem Krankheitsbazillus zu gesuch ten zu werden, ? wWir kennen diesen nur zu gut: die feindliche Kugel eines anderen Menschen! 2 Seitdem die Menschheit sich ihrer selbst bewußt ist, starrt sie in das Rätsel des beschämenden u. erniedrigenden Brudermordes. In glücklicherer Stunde glaubt man, man könnte je mit dieser das Menschengeschlecht erniedrigenden Erscheinung fertig werden u. doch, kaum zurückgedrängt, stürmen die Kriegstriebe immer wieder neu hervor. 3 Grausam ist dabei der Umstand, daß über die Ursache des Krieges, sowie dessen Folgen wohl in nNiemandes Kopfe deutliche Vorstellungen herrschen, auch nicht herrschen können. Dasselbe Das selbe chaotische Ungefähr, das den einzelnen Durchschnittsmenschen all’ alle die Tage seines Lebens vorwärts treibt u. peitscht, zeigt sich während des Krieges noch viel verworrener verhängnisvoller: Millionen gegen Millionen kämpfen ohne zu wissen wofür u. warum! Auch die Regierungen, die die Heere {688} aufbieten, sind sich ihrer Ziele nicht bewußt, mindestens nicht so, wie z. B. ein Künstler sich eines Entwurfes bewußt bleib ent muß. Wissen denn, frage ich, die oesterreichischen Diplomaten, wofür sie ihre Heere hinausgeschickt haben? Wüßten sie es, so hätten sie ja all’ die Jahrzehnte hindurch das Volk Oesterreichs besser zur oesterreichischen Staatsidee erzogen. Freilich, heute in der Abwehr verdichtet sich auch die oesterreichische Einheit, doch ist das mehr eine natürliche Reflexbewegung in der Abwehr als bewußte Einsicht. Und doch wäre nichts leichter, als dieses, Oesterreichs Völkerschaften die Existenzberechtigung der ihrer Monarchie nachzuweisen. 4 Von dieser Irrationalität in der Leitung der politischen Geschäfte, in der Ausführung des Kriegsauftrags seitens des Heeres u. s. w., strahlt nun auf weiter nicht zu verfolgenden Nervenbahnen ein gewisses Etwas aus, das uns zu sagen scheint: Dieser Mann, der auf der Bahre liegt, müßte eben nicht auf der Bahre liegen! Es müßte kein Mensch Ursache des Todes eines anderen Menschen sein, wenn es mit rechten richtigen Dingen zuginge! Die Haltung der Verwundeten war bewunderungswürdig; schwerste Fälle ausgenommen grüßten haben die Verwundeten die Umstehenden gegrüßt! Indessen wäre es angezeigt, die Bevölkerung vom Anblick der Verwundeten fernzuhalten. Ist es Neugier, die sie dazu treibt, so sollte sie sicher ge ertötet werden; ist es Teilnahme, so müßte sie sich ja in würdig stere Form kleiden, bei der Zudringlichkeit, lautes u. dröhnendes Hurrageschrei ausgeschlossen wäre. Bei der Unreife der tieferen Schichten nehme ich an, daß Teilnahme mit Neugier gemischt sie zu Hunderten vor die Tore der Spitäler treibt, u. so wäre denn doch eine Absperrung von großem erziehlichen Wert, zumal der Bevölkerung der Müßiggang auch in dieser scheinbar echt patriotischen Form Verkleidung aus der Hand gewunden würde. In unserer Gesellschaft hörten wir unendlich viel Schönes von der Haltung unserer Truppen, die glücklicherweise auch die Berichte aus dem Pressequartier sowie die Mitteilungen bestätigen, die wir auch aus dieser oder jener anderer Quelle auch früher bereits gehört haben u.. O, könnte es nur sein Bewenden haben bei diesen Berichten; die eigenen Zutaten der an den Wiener Schreibtischen deutelnden Journalisten bringen nur Verwirrung in das {689} Gefühl der Bevölkerung; während die Berichterstatter aus dem Pressequartier natürlicherweise von ihrer Umgebung mindestens soweit influenziert sind, daß sie militärische Ereignisse auch nach ihrem inneren Wert zu würdigen genötigt werden, hat der draußenstehende Journalist als Laie nur Sinn für Erfolg. Es kümmert ihn die Leistung der Soldaten nicht, er wünscht nur einfach den Erfolg; was nicht Erfolg zeitigt, erscheint ihm schon verfehlt in der Anlage, in der Ausführung gewesen zu sein, . ( eEin Standpunkt, den die Spießer bekanntlich auch gegenüber der Kunst so lange anwenden, bis der Erfolg einer lange zunächst erfolglosen [recte erfolglos] gebliebenen Sache ihm danach endlich über den Kopf wächst u. ihn schließlich zu den sicher leeren Worten drängt: „das Genie eilt immer voraus.“) Wer von gehört hat, unter welchen Schwierigkeiten unseren Soldaten sie ihre Pflicht Ver erfüllen, hat einfach schon für diese Pflichterfüllung allein, als das höchste Maß menschlicher Hingabe, Ausdauer u. Idealität, uneingeschränkteste Bewunderung aufzubringen, auch ohne weitere Rücksicht auf irgendwelchen Erfolg! ist doch diese eine solche Hingabe schon allein der größte Erfolg, den d ieer Menschheit erzielen kann u. ! sSelbst bei Verlust politischer Selbständigkeit erweist sich eine solche Hingabe allezeit erhaltender u. konservierender als alle jene Faktoren, die mindere Grade von Idealität zeigend, Staatengebilde dennoch mühsam eine Zeit lang aufrecht zu erhalten vermögen. Ist es denn nicht z. B. bei de rn Juden die dieselbe selbe Hingabe , auch noch heute, die sie vor so vielen Jahrtausendenhunderten in ihren Kämpfen um die politische Selbständigkeit auszeichnete. ? Gewiß, sie haben ihren Staat verloren, verloren sie aber darum etwa auch sich selbst? Und haben sie nicht vielerorts, aus der Hingabe alle erdenklichen Kraft Kräfte ziehend, alle diejenigen Staaten überlebt, die inzwischen auf scheinbar stärkerer, weil äußerlich mehr imponierender Basis ruhten? So wäre es denn Aufgabe der Presse – wenn sie nicht erst selbst noch einer Erziehung bedürfte – die Bevölkerung darüber aufzuklären, daß sie sich hüten möge, mit ihrem Laienurteil heroische Waffentaten nicht zu beschmutzen u. nicht dadurch zu erniedrigen, daß sie nach dem Ertrag fragt. Herr Brandstätter, der Schwager Fl. s, erzählt viel aus der englischen Geschäftswelt, das wieder mein schon seit Jugend auf instinktiv gewittertes Urteil bestätigt, daß einfach nur Englands Inferiorität Wurzel der neid-Giftpflanze ist. Einzelne Daten von der Ueberflügelung englischer Industrien durch deutsche waren sehr lehrreich. *{690} „Es ist nicht weit her“ – eine Wendung, deren Sinn Fulda in seinem Aufsatz „Ausländerei[“] im „Berliner Tageblatt“ 5 treffend auslegt, ohne aber uns das Letzte gesagt zu haben. Denn mit dieser Wendung will das Volk nicht etwa blos die Auslandquelle allein betonen, sondern noch mehr jenen Erfolg andeuten, der bereits so „weit“ gediehen ist, daß er sich den „weiten“ Weg vom Aus- ins Inland zu bahnen konnte. Mit anderen Worten: die Menschheit akzeptiert einen bereits erwiesenen Erfolg, indem sie das von „weither“-Kommende als siegreich anerkennt. Die lange Schleppe des Erfolges ist es also nur allein, die der urteilslosen Welt vor allem in die Augen springt; wo sie der Erfolg so drastisch zu sehen ist, will sie auch dabei sein, wo sie er aber fehlt, da urteilt sie die Sache eben wegen mangelnden Erfolges (, weil sie [recte er] eben „nicht von weit her“ kommt) ab. Man sieht, der Wendung liegt lediglich die Anbetung äußeren Erfolges zugrunde. *Abends bei Hübner; die Tische übervoll! Anwidernde [sic] die Stumpfheit u. Gleichgiltigkeit von der den Bierkrügen u. Weingläsern hingegebenen Menschen gegenüber immer neu Aankommenden Gästen, die keinen Platz finden können. Stundenlang sitzen die Spießer vor Bier oder Wein, okkupieren die Plätze u. sind einer der Rücksicht, wie sie dem Wirt u. den Ankommenden unter solchen Umständen gegenüber geboten wäre, nicht fähig. Hier sitzen sie, sie haben ihre Plätze u. weichen nicht. Bedenke ich aber, daß es meistens doch nur Kaufleute sind, die solchermaßen dem Wirt als Kaufmann Schaden zufügen, so ist darin auch wieder nur die Nemesis dankbar zu begrüßen, die den von mir so verachteten Stand in seinen eigenen Usançen (der Rücksichtslosigkeit) ersticken läßt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 6, 1914.
After lunch, to Floriz's as planned. However we – including Mrs. Hauser – were obliged to turn back, as Floriz was summoned to the hospital. We therefore rode with him, Vally, and Mrs. Hauser to the Stiftskaserne, where the Red Cross hospital was established. We all took our seats at a coffee house that was set up in the courtyard wing of the barracks, and from here we could observe the entire picture. Wagon after wagon rolled right past us, bringing the wounded (both seriously and lightly); and in the courtyard one could also see Russian captives (including also wounded ones). 1 The sight of the wounded had something interminably oppressive to it. The sudden and unexpected transformation in the condition of a young, healthy soldier into one of physical helplessness – which, however, was brought about not by a methodically progressive illness, so to speak, but rather by a sudden humanly hostile act – this contradiction, made our sympathy resonate all the more intensely. It is, as said, not in any way an illness that is at play but something like a premonition of death, before which a person can only bow humbly because he is helpless. Does one first have to search for a germ that causes the illness? We know it only too well: the hostile bullet of another person! 2 Since humanity has been conscious of itself, it has stared at the puzzle of this shameful and degrading fratricide. In happier times one believes that one could finally be rid of this phenomenon; and yet, hardly had it been pushed back than the instincts of war stormed forth once again. 3 What is terrible about this is the fact that clear concepts about the origins of war and its consequences have prevailed in the head of no one, nor can they prevail. The same chaotic uncertainty that drives and whips an ordinary individual forward every day of his life manifests itself in wartime even more fatefully: millions fight against millions, without knowing why or for what purpose! Even the governments that summon their armies {688} are not conscious of their goals, at least not in the way in which, for instance, an artist remains conscious of his draft. Do the Austrian diplomats, I ask, know why they have sent their armies out? If they knew it, then they would have educated the people of Austria better about the idea of the Austrian state throughout all those decades. Admittedly, today Austrian unity is also becoming solid in its defense, but that is more a natural reflex action of defense than conscious unity. And yet nothing would be simpler than for Austria's peoples to account for their right to exist on the basis of monarchy. 4 Out of this irrationality in the conduct of political affairs, in the execution of the war missing on the part of the army, etc., a certain something shines along neural pathways that should no longer be taken, and it seems to tell us: This man, who lies on the stretcher, ought not, in fact, to be lying on the stretcher! No human being should be the cause of the death of another, if things are as the ought to be! The demeanor of the wounded was admirable; except in the worst cases the wounded greeted the bystanders! Nonetheless the public were notified to keep out of sight of the wounded. If it is curiosity that drives them to this, then they should surely be put to death; if it is sympathy, then they ought to array themselves in the most dignified form, whereby invasiveness and loud, booming cries of "hurrah" have no place. From the immaturity of the lower orders of society, I gather that sympathy combined with curiosity is driving them in their hundreds to the gates of the hospitals; thus a cordoning-off would be of great educational value, especially as idleness on the part of the public, even in this apparently patriotic guise, ought to be prevented. In our party, we heard an infinite amount of good things concerning the behavior of our troops which, fortunately, were confirmed by both the reports from the press headquarters and the communications that we had heard even earlier from other sources. Oh, if only these reports were the end of the matter: the distinct embellishments of journalists sitting at their desks in Vienna create only confusion in the {689} sentiments of the population; while the reporters from the press headquarters are, naturally, influenced by their surroundings to the extent that they are at least obliged to evaluate military events according to their intrinsic value, the journalist – a layman, an outsider – has a feeling only for success. He is not concerned with the achievements of the soldiers, he is only wishing for success; that which does not result in success appears to him already a mistake in planning or execution. (A point of view that philistines are known to apply to art until the point that the success of something that remained an essentially unsuccessful thing matter finally becomes too much and results in the undoubtedly empty words: "Genius always runs ahead.") Anyone who has heard of the difficult circumstances under which our soldiers are fulfilling their duties must also summon his unconditional admiration just for the fulfillment of this duty, as the highest measure of human devotion, endurance, and ideality, even without further regard for some sort of success! For such dedication is itself the greatest success that a person can aim for! Even with the loss of political independence, such dedication always proves more enduring, more conserving, than all those factors which, showing lesser degrees of ideality, are nonetheless able with difficulty to uphold empires for a period of time. Is this not the same dedication, for example, among the Jews, even today, which distinguished them so many centuries ago in their struggles for political independence? Of course, they lost their state; but have they in fact lost themselves as a result? And have they not, in many places, drawing from the dedication of all their imagination, survived all those states which in the meantime seemed stronger, because they rested on an outwardly more imposing basis? Thus it would be the mission of the press – if they themselves were not still in need of an education – to explain to the public that they ought to be careful not to soil the heroic deeds of weaponry with their lay judgment, and not to lower themselves by asking about gains. Mr. Brandstätter, Floriz's brother-in-law, recounts much about the English world of commerce, which again confirms my judgment, instinctively perceived since my youth, that it is simply England's inferiority that is the root of the poisonous plant of envy. His detailed information about English industries being outstripped by German ones was very instructive. *{690} "It is not so far off" – an expression whose meaning Fulda interprets trenchantly in his article "Foreign Affairs" in the Berliner Tageblatt , 5 without however having given us the last word. For with this expression the people do not wish to emphasize merely the foreign source [of information], but even more indicate that success that has already progressed so "far" that it could blaze a trail from foreign lands to the homeland. In other words, the people are accepting a success already proven by recognizing that which comes from "afar" as victorious. The long trail of success is thus the only thing that is obvious to the eye of a world incapable of making a judgment; where the success can be seen so starkly, they want to be there, and where it is absent they judge the matter precisely on account of insufficient success (precisely because it does "not come from "afar"). One can see that the expression is based simply on the worship of external success. *In the evening, at Hübner's; the tables overflowing! Disgusting stupor and indifference of people devoted to their beer mugs and wine glasses with respect to the constant influx of guests who are unable to find a seat. These louts sit in front of their beer and wine for hours on end, occupying their seats, incapable of showing such respect to the landlord and the new arrivals as would be fitting in such circumstances. Here they sit, holding on to their places and not budging. When I consider, however, that most of them are only business people who in this way inflict damage on the landlord, as a businessman, then in this respect the nemesis should only be welcomed with open arms, since it causes that class of people so despised by me to choke in its own practice (that of thoughtlessness). *
© Translation William Drabkin. |
6. IX. 14
Nach Tisch gemäß Verabredung zu Floriz. Indessen mußten wir einschließlich der Frau Hauser sofort zurückkehren, da Fl. ins Spital berufen wurde. Wir fuhren also mit ihm, Frau Wally, Frau Hauser in die Stiftskaserne, wo das Rote-Kreuz-Spital internirt ist. Wir nahmen in einem im Hoftrakt der Kaserne gelegenen Caféhaus Platz u. konnten so von hier aus alle Bilder beobachten. Gerade rollten Wagen um Wagen vorbei, die Verwundete brachten, (schwer u. leicht Verwundete,) u. im Hof konnte man auch sonst noch russische Gefangene , (darunter auch Un vVerwundete) sehen. 1 Der Anblick der Verwundeten hatte etwas unendlich Beklemmendes in sich. Der jähe, unvermittelte Uebergang von vom dem vorzüglichen Gesundheits zZustand eines jungen blühenden Kriegers zur körperlichen Hilflosigkeit, die aber nicht durch eine sozusagen methodisch fortschreitende Krankheit, sondern durch plötzlichen menschlich-feindseligen Akt hervorgerufen, – dieser Widerspruch läßt unsere Teilnahme umso nur noch stärker mitschwingen. Es ist ja, wie gesagt, eben nicht die eine Krankheit im Spiele, vor der, als einem Vorbot ein des Todes, der Mensch sich nur demütig, weil ratlos, beugen kann muß. Es bBraucht nicht man da erst nach einem Krankheitsbazillus zu gesuch ten zu werden, ? wWir kennen diesen nur zu gut: die feindliche Kugel eines anderen Menschen! 2 Seitdem die Menschheit sich ihrer selbst bewußt ist, starrt sie in das Rätsel des beschämenden u. erniedrigenden Brudermordes. In glücklicherer Stunde glaubt man, man könnte je mit dieser das Menschengeschlecht erniedrigenden Erscheinung fertig werden u. doch, kaum zurückgedrängt, stürmen die Kriegstriebe immer wieder neu hervor. 3 Grausam ist dabei der Umstand, daß über die Ursache des Krieges, sowie dessen Folgen wohl in nNiemandes Kopfe deutliche Vorstellungen herrschen, auch nicht herrschen können. Dasselbe Das selbe chaotische Ungefähr, das den einzelnen Durchschnittsmenschen all’ alle die Tage seines Lebens vorwärts treibt u. peitscht, zeigt sich während des Krieges noch viel verworrener verhängnisvoller: Millionen gegen Millionen kämpfen ohne zu wissen wofür u. warum! Auch die Regierungen, die die Heere {688} aufbieten, sind sich ihrer Ziele nicht bewußt, mindestens nicht so, wie z. B. ein Künstler sich eines Entwurfes bewußt bleib ent muß. Wissen denn, frage ich, die oesterreichischen Diplomaten, wofür sie ihre Heere hinausgeschickt haben? Wüßten sie es, so hätten sie ja all’ die Jahrzehnte hindurch das Volk Oesterreichs besser zur oesterreichischen Staatsidee erzogen. Freilich, heute in der Abwehr verdichtet sich auch die oesterreichische Einheit, doch ist das mehr eine natürliche Reflexbewegung in der Abwehr als bewußte Einsicht. Und doch wäre nichts leichter, als dieses, Oesterreichs Völkerschaften die Existenzberechtigung der ihrer Monarchie nachzuweisen. 4 Von dieser Irrationalität in der Leitung der politischen Geschäfte, in der Ausführung des Kriegsauftrags seitens des Heeres u. s. w., strahlt nun auf weiter nicht zu verfolgenden Nervenbahnen ein gewisses Etwas aus, das uns zu sagen scheint: Dieser Mann, der auf der Bahre liegt, müßte eben nicht auf der Bahre liegen! Es müßte kein Mensch Ursache des Todes eines anderen Menschen sein, wenn es mit rechten richtigen Dingen zuginge! Die Haltung der Verwundeten war bewunderungswürdig; schwerste Fälle ausgenommen grüßten haben die Verwundeten die Umstehenden gegrüßt! Indessen wäre es angezeigt, die Bevölkerung vom Anblick der Verwundeten fernzuhalten. Ist es Neugier, die sie dazu treibt, so sollte sie sicher ge ertötet werden; ist es Teilnahme, so müßte sie sich ja in würdig stere Form kleiden, bei der Zudringlichkeit, lautes u. dröhnendes Hurrageschrei ausgeschlossen wäre. Bei der Unreife der tieferen Schichten nehme ich an, daß Teilnahme mit Neugier gemischt sie zu Hunderten vor die Tore der Spitäler treibt, u. so wäre denn doch eine Absperrung von großem erziehlichen Wert, zumal der Bevölkerung der Müßiggang auch in dieser scheinbar echt patriotischen Form Verkleidung aus der Hand gewunden würde. In unserer Gesellschaft hörten wir unendlich viel Schönes von der Haltung unserer Truppen, die glücklicherweise auch die Berichte aus dem Pressequartier sowie die Mitteilungen bestätigen, die wir auch aus dieser oder jener anderer Quelle auch früher bereits gehört haben u.. O, könnte es nur sein Bewenden haben bei diesen Berichten; die eigenen Zutaten der an den Wiener Schreibtischen deutelnden Journalisten bringen nur Verwirrung in das {689} Gefühl der Bevölkerung; während die Berichterstatter aus dem Pressequartier natürlicherweise von ihrer Umgebung mindestens soweit influenziert sind, daß sie militärische Ereignisse auch nach ihrem inneren Wert zu würdigen genötigt werden, hat der draußenstehende Journalist als Laie nur Sinn für Erfolg. Es kümmert ihn die Leistung der Soldaten nicht, er wünscht nur einfach den Erfolg; was nicht Erfolg zeitigt, erscheint ihm schon verfehlt in der Anlage, in der Ausführung gewesen zu sein, . ( eEin Standpunkt, den die Spießer bekanntlich auch gegenüber der Kunst so lange anwenden, bis der Erfolg einer lange zunächst erfolglosen [recte erfolglos] gebliebenen Sache ihm danach endlich über den Kopf wächst u. ihn schließlich zu den sicher leeren Worten drängt: „das Genie eilt immer voraus.“) Wer von gehört hat, unter welchen Schwierigkeiten unseren Soldaten sie ihre Pflicht Ver erfüllen, hat einfach schon für diese Pflichterfüllung allein, als das höchste Maß menschlicher Hingabe, Ausdauer u. Idealität, uneingeschränkteste Bewunderung aufzubringen, auch ohne weitere Rücksicht auf irgendwelchen Erfolg! ist doch diese eine solche Hingabe schon allein der größte Erfolg, den d ieer Menschheit erzielen kann u. ! sSelbst bei Verlust politischer Selbständigkeit erweist sich eine solche Hingabe allezeit erhaltender u. konservierender als alle jene Faktoren, die mindere Grade von Idealität zeigend, Staatengebilde dennoch mühsam eine Zeit lang aufrecht zu erhalten vermögen. Ist es denn nicht z. B. bei de rn Juden die dieselbe selbe Hingabe , auch noch heute, die sie vor so vielen Jahrtausendenhunderten in ihren Kämpfen um die politische Selbständigkeit auszeichnete. ? Gewiß, sie haben ihren Staat verloren, verloren sie aber darum etwa auch sich selbst? Und haben sie nicht vielerorts, aus der Hingabe alle erdenklichen Kraft Kräfte ziehend, alle diejenigen Staaten überlebt, die inzwischen auf scheinbar stärkerer, weil äußerlich mehr imponierender Basis ruhten? So wäre es denn Aufgabe der Presse – wenn sie nicht erst selbst noch einer Erziehung bedürfte – die Bevölkerung darüber aufzuklären, daß sie sich hüten möge, mit ihrem Laienurteil heroische Waffentaten nicht zu beschmutzen u. nicht dadurch zu erniedrigen, daß sie nach dem Ertrag fragt. Herr Brandstätter, der Schwager Fl. s, erzählt viel aus der englischen Geschäftswelt, das wieder mein schon seit Jugend auf instinktiv gewittertes Urteil bestätigt, daß einfach nur Englands Inferiorität Wurzel der neid-Giftpflanze ist. Einzelne Daten von der Ueberflügelung englischer Industrien durch deutsche waren sehr lehrreich. *{690} „Es ist nicht weit her“ – eine Wendung, deren Sinn Fulda in seinem Aufsatz „Ausländerei[“] im „Berliner Tageblatt“ 5 treffend auslegt, ohne aber uns das Letzte gesagt zu haben. Denn mit dieser Wendung will das Volk nicht etwa blos die Auslandquelle allein betonen, sondern noch mehr jenen Erfolg andeuten, der bereits so „weit“ gediehen ist, daß er sich den „weiten“ Weg vom Aus- ins Inland zu bahnen konnte. Mit anderen Worten: die Menschheit akzeptiert einen bereits erwiesenen Erfolg, indem sie das von „weither“-Kommende als siegreich anerkennt. Die lange Schleppe des Erfolges ist es also nur allein, die der urteilslosen Welt vor allem in die Augen springt; wo sie der Erfolg so drastisch zu sehen ist, will sie auch dabei sein, wo sie er aber fehlt, da urteilt sie die Sache eben wegen mangelnden Erfolges (, weil sie [recte er] eben „nicht von weit her“ kommt) ab. Man sieht, der Wendung liegt lediglich die Anbetung äußeren Erfolges zugrunde. *Abends bei Hübner; die Tische übervoll! Anwidernde [sic] die Stumpfheit u. Gleichgiltigkeit von der den Bierkrügen u. Weingläsern hingegebenen Menschen gegenüber immer neu Aankommenden Gästen, die keinen Platz finden können. Stundenlang sitzen die Spießer vor Bier oder Wein, okkupieren die Plätze u. sind einer der Rücksicht, wie sie dem Wirt u. den Ankommenden unter solchen Umständen gegenüber geboten wäre, nicht fähig. Hier sitzen sie, sie haben ihre Plätze u. weichen nicht. Bedenke ich aber, daß es meistens doch nur Kaufleute sind, die solchermaßen dem Wirt als Kaufmann Schaden zufügen, so ist darin auch wieder nur die Nemesis dankbar zu begrüßen, die den von mir so verachteten Stand in seinen eigenen Usançen (der Rücksichtslosigkeit) ersticken läßt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 6, 1914.
After lunch, to Floriz's as planned. However we – including Mrs. Hauser – were obliged to turn back, as Floriz was summoned to the hospital. We therefore rode with him, Vally, and Mrs. Hauser to the Stiftskaserne, where the Red Cross hospital was established. We all took our seats at a coffee house that was set up in the courtyard wing of the barracks, and from here we could observe the entire picture. Wagon after wagon rolled right past us, bringing the wounded (both seriously and lightly); and in the courtyard one could also see Russian captives (including also wounded ones). 1 The sight of the wounded had something interminably oppressive to it. The sudden and unexpected transformation in the condition of a young, healthy soldier into one of physical helplessness – which, however, was brought about not by a methodically progressive illness, so to speak, but rather by a sudden humanly hostile act – this contradiction, made our sympathy resonate all the more intensely. It is, as said, not in any way an illness that is at play but something like a premonition of death, before which a person can only bow humbly because he is helpless. Does one first have to search for a germ that causes the illness? We know it only too well: the hostile bullet of another person! 2 Since humanity has been conscious of itself, it has stared at the puzzle of this shameful and degrading fratricide. In happier times one believes that one could finally be rid of this phenomenon; and yet, hardly had it been pushed back than the instincts of war stormed forth once again. 3 What is terrible about this is the fact that clear concepts about the origins of war and its consequences have prevailed in the head of no one, nor can they prevail. The same chaotic uncertainty that drives and whips an ordinary individual forward every day of his life manifests itself in wartime even more fatefully: millions fight against millions, without knowing why or for what purpose! Even the governments that summon their armies {688} are not conscious of their goals, at least not in the way in which, for instance, an artist remains conscious of his draft. Do the Austrian diplomats, I ask, know why they have sent their armies out? If they knew it, then they would have educated the people of Austria better about the idea of the Austrian state throughout all those decades. Admittedly, today Austrian unity is also becoming solid in its defense, but that is more a natural reflex action of defense than conscious unity. And yet nothing would be simpler than for Austria's peoples to account for their right to exist on the basis of monarchy. 4 Out of this irrationality in the conduct of political affairs, in the execution of the war missing on the part of the army, etc., a certain something shines along neural pathways that should no longer be taken, and it seems to tell us: This man, who lies on the stretcher, ought not, in fact, to be lying on the stretcher! No human being should be the cause of the death of another, if things are as the ought to be! The demeanor of the wounded was admirable; except in the worst cases the wounded greeted the bystanders! Nonetheless the public were notified to keep out of sight of the wounded. If it is curiosity that drives them to this, then they should surely be put to death; if it is sympathy, then they ought to array themselves in the most dignified form, whereby invasiveness and loud, booming cries of "hurrah" have no place. From the immaturity of the lower orders of society, I gather that sympathy combined with curiosity is driving them in their hundreds to the gates of the hospitals; thus a cordoning-off would be of great educational value, especially as idleness on the part of the public, even in this apparently patriotic guise, ought to be prevented. In our party, we heard an infinite amount of good things concerning the behavior of our troops which, fortunately, were confirmed by both the reports from the press headquarters and the communications that we had heard even earlier from other sources. Oh, if only these reports were the end of the matter: the distinct embellishments of journalists sitting at their desks in Vienna create only confusion in the {689} sentiments of the population; while the reporters from the press headquarters are, naturally, influenced by their surroundings to the extent that they are at least obliged to evaluate military events according to their intrinsic value, the journalist – a layman, an outsider – has a feeling only for success. He is not concerned with the achievements of the soldiers, he is only wishing for success; that which does not result in success appears to him already a mistake in planning or execution. (A point of view that philistines are known to apply to art until the point that the success of something that remained an essentially unsuccessful thing matter finally becomes too much and results in the undoubtedly empty words: "Genius always runs ahead.") Anyone who has heard of the difficult circumstances under which our soldiers are fulfilling their duties must also summon his unconditional admiration just for the fulfillment of this duty, as the highest measure of human devotion, endurance, and ideality, even without further regard for some sort of success! For such dedication is itself the greatest success that a person can aim for! Even with the loss of political independence, such dedication always proves more enduring, more conserving, than all those factors which, showing lesser degrees of ideality, are nonetheless able with difficulty to uphold empires for a period of time. Is this not the same dedication, for example, among the Jews, even today, which distinguished them so many centuries ago in their struggles for political independence? Of course, they lost their state; but have they in fact lost themselves as a result? And have they not, in many places, drawing from the dedication of all their imagination, survived all those states which in the meantime seemed stronger, because they rested on an outwardly more imposing basis? Thus it would be the mission of the press – if they themselves were not still in need of an education – to explain to the public that they ought to be careful not to soil the heroic deeds of weaponry with their lay judgment, and not to lower themselves by asking about gains. Mr. Brandstätter, Floriz's brother-in-law, recounts much about the English world of commerce, which again confirms my judgment, instinctively perceived since my youth, that it is simply England's inferiority that is the root of the poisonous plant of envy. His detailed information about English industries being outstripped by German ones was very instructive. *{690} "It is not so far off" – an expression whose meaning Fulda interprets trenchantly in his article "Foreign Affairs" in the Berliner Tageblatt , 5 without however having given us the last word. For with this expression the people do not wish to emphasize merely the foreign source [of information], but even more indicate that success that has already progressed so "far" that it could blaze a trail from foreign lands to the homeland. In other words, the people are accepting a success already proven by recognizing that which comes from "afar" as victorious. The long trail of success is thus the only thing that is obvious to the eye of a world incapable of making a judgment; where the success can be seen so starkly, they want to be there, and where it is absent they judge the matter precisely on account of insufficient success (precisely because it does "not come from "afar"). One can see that the expression is based simply on the worship of external success. *In the evening, at Hübner's; the tables overflowing! Disgusting stupor and indifference of people devoted to their beer mugs and wine glasses with respect to the constant influx of guests who are unable to find a seat. These louts sit in front of their beer and wine for hours on end, occupying their seats, incapable of showing such respect to the landlord and the new arrivals as would be fitting in such circumstances. Here they sit, holding on to their places and not budging. When I consider, however, that most of them are only business people who in this way inflict damage on the landlord, as a businessman, then in this respect the nemesis should only be welcomed with open arms, since it causes that class of people so despised by me to choke in its own practice (that of thoughtlessness). *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Schenker inserts a sign for a paragraph break here. 2 Schenker inserts a sign for a paragraph break here. 3 Schenker inserts a sign for a paragraph break here. 4 Schenker inserts a sign for a paragraph break here. 5 Ludwig Fulda, "Ausländerei," Berliner Tageblatt, No. 447, 42nd year, September 3, 1914, evening edition, pp. [2–3]. |