26. IX. 14
Wir lassen uns beide bei Dr. Frühmann neuerdings impfen. *Brief von Fr. Pairamall, worin sie um ein Viertelstündchen der Unterredung bittet. Diese lehne ich ab u. bitte wieder um Geschriebenes. *Die Abendblätter bringen die Meldung von der Einnahme eines Sperrforts südlich [von] Verdun. 1 Amtlich geleugnet wird aber die von London aus verbreitete Nachricht vom Fall zweier Forts von [illeg]Przemysl . 2 *Karte an Breisach mit Einladung für Dienstag ½12h. *Die Unruhe, die mir während der letzten 3 Tage viel zu schaffen machte, war weniger Besorgnis wegen glatten Fortkommens, als grausiger Ekel von Verrat innerhalb des eigenen Schülerkreises. Die Brutalität, in der sich diese eine niedrige Menschenkategorie eben mangels wirklicher Bildung äußert, verletzt mich tief u. zw. nur dadurch, weil es die Brutalität einer Schwäche ist. Der egoistische Drang nach einer Erleichterung der eigenen Lage tritt wie bei Wilden u. Kindern gänzlich ungehemmt zutage {724} u. keinerlei Dank, keinerlei Respekt vermögen ihn einzudämmen. Der Egoismus ist eben ihr Urlaut, den sie bei erster Gelegenheit unbewußt äußern. Erst durch meine retardirenden Gegenstöße bringe ich einiges Bewußtsein ihnen bei in sie, das denn aber freilich gleich in ein Raffinement ausartet u. noch wiederlicher [sic] wirkt. So ringe ich z.B. augenblicklich mit Brünauer u. lasse ihn durch meine Karten merken, daß ich sein Vorhaben ahne. Indem er nun genötigt ist, meine Ahnung zur Kenntnis zu nehmen muß er, um sein Vorhaben zu realisieren, im selben Maße Mittel anwenden, die ihn noch krasser kompromittieren als der ursprüngliche häßliche Instinkt selbst. Ich will ihn dazu bringen, daß er aufs Papier setzt, was er gar so gerne lieber mündlich u. daher unschädlich äußern möchte. Die Sorge um die primitivste Stufe ist ja im Grunde heute so ziemlich abgetan u. das gibt mir nun die Kraft u. auch die Lust, alle übrigen schändlichen Versuche nach Gebühr zu bestrafen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 26, 1914.
The two of us get immunized again by Dr. Frühmann. *Letter from Mrs. Pairamall, in which she requests a meeting of a quarter of an hour. I decline this and ask her again for something in writing. *The evening papers report the seizure of a fortification south of Verdun. 1 The news reported from London of the fall of two forts in [illeg]Przemyśl is officially denied. 2 *Postcard to Breisach with invitation for Tuesday at 11:30. *The unrest that made me do a great deal during the last three days was less anxiety about the smooth progress [in my work] than grim disgust over the betrayal within my own circle of pupils. The brutality with which a lower category of persons expresses itself, verily for lack of true education, injures me deeply and indeed only because it is the brutality of a weakness. The egoistic impulse towards relief from one's own situation comes to the fore without any restraint whatever, as one finds among savages and among children; {724} and no gratitude at all, no respect at all is capable of curbing it. Egoism is their very primeval cry, which they utter unconsciously at the first opportunity. Only by my restraining counterstrokes am I able to bring a certain awareness to them, which then of course degenerates into a cunning and has an even more pernicious effect. Thus, for example, I am at the moment grappling with Brünauer and make him see from my postcards that I understand his intention. Insofar as he is now obliged to take my understanding into consideration, he must, in order to realize his intention, employ equal measures that compromise him even more crassly than the original ugly instinct itself. I shall make him put in writing that which he would so much rather express orally, and thus harmlessly. My concerns over maintaining the most basic standards have today thus been basically resolved; and that now gives me the strength, and also the desire, to punish all further shameful attempts accordingly. *
© Translation William Drabkin. |
26. IX. 14
Wir lassen uns beide bei Dr. Frühmann neuerdings impfen. *Brief von Fr. Pairamall, worin sie um ein Viertelstündchen der Unterredung bittet. Diese lehne ich ab u. bitte wieder um Geschriebenes. *Die Abendblätter bringen die Meldung von der Einnahme eines Sperrforts südlich [von] Verdun. 1 Amtlich geleugnet wird aber die von London aus verbreitete Nachricht vom Fall zweier Forts von [illeg]Przemysl . 2 *Karte an Breisach mit Einladung für Dienstag ½12h. *Die Unruhe, die mir während der letzten 3 Tage viel zu schaffen machte, war weniger Besorgnis wegen glatten Fortkommens, als grausiger Ekel von Verrat innerhalb des eigenen Schülerkreises. Die Brutalität, in der sich diese eine niedrige Menschenkategorie eben mangels wirklicher Bildung äußert, verletzt mich tief u. zw. nur dadurch, weil es die Brutalität einer Schwäche ist. Der egoistische Drang nach einer Erleichterung der eigenen Lage tritt wie bei Wilden u. Kindern gänzlich ungehemmt zutage {724} u. keinerlei Dank, keinerlei Respekt vermögen ihn einzudämmen. Der Egoismus ist eben ihr Urlaut, den sie bei erster Gelegenheit unbewußt äußern. Erst durch meine retardirenden Gegenstöße bringe ich einiges Bewußtsein ihnen bei in sie, das denn aber freilich gleich in ein Raffinement ausartet u. noch wiederlicher [sic] wirkt. So ringe ich z.B. augenblicklich mit Brünauer u. lasse ihn durch meine Karten merken, daß ich sein Vorhaben ahne. Indem er nun genötigt ist, meine Ahnung zur Kenntnis zu nehmen muß er, um sein Vorhaben zu realisieren, im selben Maße Mittel anwenden, die ihn noch krasser kompromittieren als der ursprüngliche häßliche Instinkt selbst. Ich will ihn dazu bringen, daß er aufs Papier setzt, was er gar so gerne lieber mündlich u. daher unschädlich äußern möchte. Die Sorge um die primitivste Stufe ist ja im Grunde heute so ziemlich abgetan u. das gibt mir nun die Kraft u. auch die Lust, alle übrigen schändlichen Versuche nach Gebühr zu bestrafen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 26, 1914.
The two of us get immunized again by Dr. Frühmann. *Letter from Mrs. Pairamall, in which she requests a meeting of a quarter of an hour. I decline this and ask her again for something in writing. *The evening papers report the seizure of a fortification south of Verdun. 1 The news reported from London of the fall of two forts in [illeg]Przemyśl is officially denied. 2 *Postcard to Breisach with invitation for Tuesday at 11:30. *The unrest that made me do a great deal during the last three days was less anxiety about the smooth progress [in my work] than grim disgust over the betrayal within my own circle of pupils. The brutality with which a lower category of persons expresses itself, verily for lack of true education, injures me deeply and indeed only because it is the brutality of a weakness. The egoistic impulse towards relief from one's own situation comes to the fore without any restraint whatever, as one finds among savages and among children; {724} and no gratitude at all, no respect at all is capable of curbing it. Egoism is their very primeval cry, which they utter unconsciously at the first opportunity. Only by my restraining counterstrokes am I able to bring a certain awareness to them, which then of course degenerates into a cunning and has an even more pernicious effect. Thus, for example, I am at the moment grappling with Brünauer and make him see from my postcards that I understand his intention. Insofar as he is now obliged to take my understanding into consideration, he must, in order to realize his intention, employ equal measures that compromise him even more crassly than the original ugly instinct itself. I shall make him put in writing that which he would so much rather express orally, and thus harmlessly. My concerns over maintaining the most basic standards have today thus been basically resolved; and that now gives me the strength, and also the desire, to punish all further shameful attempts accordingly. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Die Kämpfe der Deutschen. Das erste Sperrfort südlich von Verdun gefallen," Neues Wiener Tagblatt, No. 266, September 26, 1914, 48th year, evening edition, p. 1. "Wesentliche Fortschritte der deutschen Armee in Frankreich. Das Sperrfort Camp des Romains bei Saint-Mihiel gefallen, Kämpfe des deutschen rechten Flügels und bisher dort keine Entscheidung," Neue Freie Presse, No. 17992, September 26, 1914, evening edition, p. 1. 2 "Zurückweisung der falschen Meldungen über unsere Armee. Keine russischen Erfolge an der Sanlinie, lügnerische Berichte aus London über den Fall von zwei Forts von Przemysl, gute Lage auf dem Balkan," Neue Freie Presse, No. 17992, September 26, 1914, evening edition, pp. 1–2. |