27. IX. 14

Nach Tisch zu Fl. ins Caféhaus, wo wir vom Kellner die Nachricht empfiengen [sic], daß „der Herr Professor heute dienstfrei u. schon nach hause gegangen sei.“ Auch ein nettes Husarenstückchen! Statt aus dienstfreiem Zustand erst recht die Konsequenz zu ziehen, uns abzuwarten, um mit uns desto ungestörter zusammenbleiben zu können, benützt ihn der Biedermann dazu, sich aus dem Staub zu machen. Da sieht man nun, wie Borniertheit, Lügenhaftigkeit u. Taktlosigkeit eng beisammen liegen. Nicht einmal die Ahnung brachte er auf, daß wir notwendigerweise aus seiner Dienstfreiheit Schlüsse gegen ihn u. nicht für ihn ziehen müssen; nicht einmal auch die Artigkeit brachte er auf, um unter einem beliebig erlogenen Vorwand (wo gäbe es da eine Grenze?) sich zu entschuldigen u. zu entfernen. Die Lösung des Rätsels dürfte einfach sein: Er hatte eine Kartenpartie, u. um an ihr durchaus nicht gehindert zu sein, griff er zu jenem kindlichen Mittel. Freilich würden wir es kaum wagen, ihm ein solches Betragen zu vergelten; denn dem Schwächeren u. Fehlenden bleibt, nachdem er eines Fehlers überwiesen, nur ein Ausweg offen, nämlich der einer ungehemmten, ungebildeten Rohheit, während der Stärkere nur zu allerletzt zu diesem Mittel greift , u. er selbst dann noch so vergeistigt u. durchbildet, daß es leider nicht einmal als Rohheit mehr wirkt. Fl. weiß eben, daß wir Büberei wenn auch nicht nachsehen, so doch annehmen, wogegen wir wissen, daß wir ihm Aehnliches schon darum nicht zuzumuten haben, weil wir von ihm dann nur mehr den Ausbruch niederer Triebe zu erwarten hätten. Glücklicherweise neigt sich die freie Zeit ihrem Ende zu u. so ist uns dann mit Berufung auf Arbeit, Stunden u. sonstiger Pflichten zur Ersparnis sehr gut möglich, nicht so bald wieder aufzusitzen. Auch ist die Bereitschaft, mir in sSachen des Schwagers beizustehen, wieder ins Leere gegangen; ein billiger Empfehlungsbrief an Prof. Fränkel, der obendrein ihm selbst den stärksten Vorteil brachte, sofern er mich darin als seinen „besten Freund“ begönnert – dies war alles! Die Zusage seines Bruders in 2–3 Tagen eine seiner Stellen dem Schwager zu überlassen ging ebensowenig in Erfüllung, als die Zusage von Besprechungen mit Braun u. s. w., die Fl. vermutlich nicht einmal gesehen hat. Alles eben erlogen, nur gerade das Allerbilligste hingeschleudert, das ist der Inhalt der „Freund- {726} schaft“, die so leicht über Verrat klagt, auch wenn sie mit Taten überfüttert wird, deren Wohltat der Empfänger nicht einmal noch gewachsen ist. Wollte Gott, daß der Schwager bald von Dr. Hofmokls Seite Förderung erfährt, so wäre nun schon wohl zum tausendsten mal erwiesen, daß der arme Mensch zu gar nichts Anderem taugt, als nur beschenkt zu werden. – Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß uns das Versäumnis einer Orientierung größere Kosten u. sonstige Unannehmlichkeiten verursacht hat, auf die wir Fl. heute aufmerksam gemacht haben, doch wie ersichtlich leider vergebens.

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© Transcription Marko Deisinger.

September 27, 1914.

After lunch, to see Floriz at the coffee house, where we learn from the waiter that "the professor is free of obligations this afternoon and has already gone home." Another fine little trick! Instead of drawing the even more obvious consequence of using his free day to wait for us, in order to be able to remain with us all the more undisturbed, this middle-class gentleman uses it to make his escape. Now one sees how narrow-mindedness, mendacity and tactlessness are closely related. It did not even occur to him that we would necessarily have to draw inferences against him, and not for him, from his freedom from obligation; he did not even muster the decency to excuse himself and disappear under the cover of some sort of false pretense (where would there be a limit to this?) The solution to the problem is perhaps simple: he probably had a card party; and so as not to be prevented in any way from attending it, he resorted to that childish means. Of course, we would have hardly dared to retaliate against such behavior on his part; for there is only one way out for a weaker or absent person after having been found out: that of unbound, unfettered crudeness, whereas the stronger person will avail himself of this means only as a last resort and, being so refined and grown up, without it unfortunately even having the effect of crudeness. Floriz well knows that we assume knavishness, even when we may not condone it; whereas we know that we could not expect something similar from him because we could then only expect of him the outbreak of more lowly impulses. Fortunately, our free time is drawing to a close; and so with regard to work, lessons and other obligations of saving, it is easy for us not to be taken in again so quickly. Also his willingness to stand by me in matters concerning my brother-in-law have come to naught; a simple letter of recommendation to Prof. Fraenkel, which moreover brought him the strongest advantage himself, insofar as he refers to me in it as his "best friend" – that was all! The consent of his brother, to surrender one of his positions to my brother-in-law in two or three days, was fulfilled just as little as the agreement to have conversations with Braun and others, whom Floriz probably did not even see. Everything just a pack of lies, only the easiest thing of all dashed off: that is the content of his "friendship," {726} which complains so easily about betrayal, even if this friendship is overfed with deeds whose benefit the recipient cannot even measure up to. Would to God that my brother-in-law receives some assistance on the part of Dr. Hofmokl soon,[otherwise] it would be demonstrated for the thousandth time that the poor fellow is not good for anything except merely to be provided with gifts. – I should not wish to leave unmentioned that the absence of a prospect has caused us considerable expense and other inconvenience, which we [wanted to] make Floriz aware of today – though, it seems evident, unfortunately in vain.

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© Translation William Drabkin.

27. IX. 14

Nach Tisch zu Fl. ins Caféhaus, wo wir vom Kellner die Nachricht empfiengen [sic], daß „der Herr Professor heute dienstfrei u. schon nach hause gegangen sei.“ Auch ein nettes Husarenstückchen! Statt aus dienstfreiem Zustand erst recht die Konsequenz zu ziehen, uns abzuwarten, um mit uns desto ungestörter zusammenbleiben zu können, benützt ihn der Biedermann dazu, sich aus dem Staub zu machen. Da sieht man nun, wie Borniertheit, Lügenhaftigkeit u. Taktlosigkeit eng beisammen liegen. Nicht einmal die Ahnung brachte er auf, daß wir notwendigerweise aus seiner Dienstfreiheit Schlüsse gegen ihn u. nicht für ihn ziehen müssen; nicht einmal auch die Artigkeit brachte er auf, um unter einem beliebig erlogenen Vorwand (wo gäbe es da eine Grenze?) sich zu entschuldigen u. zu entfernen. Die Lösung des Rätsels dürfte einfach sein: Er hatte eine Kartenpartie, u. um an ihr durchaus nicht gehindert zu sein, griff er zu jenem kindlichen Mittel. Freilich würden wir es kaum wagen, ihm ein solches Betragen zu vergelten; denn dem Schwächeren u. Fehlenden bleibt, nachdem er eines Fehlers überwiesen, nur ein Ausweg offen, nämlich der einer ungehemmten, ungebildeten Rohheit, während der Stärkere nur zu allerletzt zu diesem Mittel greift , u. er selbst dann noch so vergeistigt u. durchbildet, daß es leider nicht einmal als Rohheit mehr wirkt. Fl. weiß eben, daß wir Büberei wenn auch nicht nachsehen, so doch annehmen, wogegen wir wissen, daß wir ihm Aehnliches schon darum nicht zuzumuten haben, weil wir von ihm dann nur mehr den Ausbruch niederer Triebe zu erwarten hätten. Glücklicherweise neigt sich die freie Zeit ihrem Ende zu u. so ist uns dann mit Berufung auf Arbeit, Stunden u. sonstiger Pflichten zur Ersparnis sehr gut möglich, nicht so bald wieder aufzusitzen. Auch ist die Bereitschaft, mir in sSachen des Schwagers beizustehen, wieder ins Leere gegangen; ein billiger Empfehlungsbrief an Prof. Fränkel, der obendrein ihm selbst den stärksten Vorteil brachte, sofern er mich darin als seinen „besten Freund“ begönnert – dies war alles! Die Zusage seines Bruders in 2–3 Tagen eine seiner Stellen dem Schwager zu überlassen ging ebensowenig in Erfüllung, als die Zusage von Besprechungen mit Braun u. s. w., die Fl. vermutlich nicht einmal gesehen hat. Alles eben erlogen, nur gerade das Allerbilligste hingeschleudert, das ist der Inhalt der „Freund- {726} schaft“, die so leicht über Verrat klagt, auch wenn sie mit Taten überfüttert wird, deren Wohltat der Empfänger nicht einmal noch gewachsen ist. Wollte Gott, daß der Schwager bald von Dr. Hofmokls Seite Förderung erfährt, so wäre nun schon wohl zum tausendsten mal erwiesen, daß der arme Mensch zu gar nichts Anderem taugt, als nur beschenkt zu werden. – Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß uns das Versäumnis einer Orientierung größere Kosten u. sonstige Unannehmlichkeiten verursacht hat, auf die wir Fl. heute aufmerksam gemacht haben, doch wie ersichtlich leider vergebens.

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© Transcription Marko Deisinger.

September 27, 1914.

After lunch, to see Floriz at the coffee house, where we learn from the waiter that "the professor is free of obligations this afternoon and has already gone home." Another fine little trick! Instead of drawing the even more obvious consequence of using his free day to wait for us, in order to be able to remain with us all the more undisturbed, this middle-class gentleman uses it to make his escape. Now one sees how narrow-mindedness, mendacity and tactlessness are closely related. It did not even occur to him that we would necessarily have to draw inferences against him, and not for him, from his freedom from obligation; he did not even muster the decency to excuse himself and disappear under the cover of some sort of false pretense (where would there be a limit to this?) The solution to the problem is perhaps simple: he probably had a card party; and so as not to be prevented in any way from attending it, he resorted to that childish means. Of course, we would have hardly dared to retaliate against such behavior on his part; for there is only one way out for a weaker or absent person after having been found out: that of unbound, unfettered crudeness, whereas the stronger person will avail himself of this means only as a last resort and, being so refined and grown up, without it unfortunately even having the effect of crudeness. Floriz well knows that we assume knavishness, even when we may not condone it; whereas we know that we could not expect something similar from him because we could then only expect of him the outbreak of more lowly impulses. Fortunately, our free time is drawing to a close; and so with regard to work, lessons and other obligations of saving, it is easy for us not to be taken in again so quickly. Also his willingness to stand by me in matters concerning my brother-in-law have come to naught; a simple letter of recommendation to Prof. Fraenkel, which moreover brought him the strongest advantage himself, insofar as he refers to me in it as his "best friend" – that was all! The consent of his brother, to surrender one of his positions to my brother-in-law in two or three days, was fulfilled just as little as the agreement to have conversations with Braun and others, whom Floriz probably did not even see. Everything just a pack of lies, only the easiest thing of all dashed off: that is the content of his "friendship," {726} which complains so easily about betrayal, even if this friendship is overfed with deeds whose benefit the recipient cannot even measure up to. Would to God that my brother-in-law receives some assistance on the part of Dr. Hofmokl soon,[otherwise] it would be demonstrated for the thousandth time that the poor fellow is not good for anything except merely to be provided with gifts. – I should not wish to leave unmentioned that the absence of a prospect has caused us considerable expense and other inconvenience, which we [wanted to] make Floriz aware of today – though, it seems evident, unfortunately in vain.

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© Translation William Drabkin.