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19. II. 15

Einladung von Hugo Heller zu Mahlers „Lied von der Erde“, womit der genannte Buchhändler seine Konzertdirektionstätigkeit eröffnet.

*

aAuf amerikanische Vorhaltungen erwidert Grey, daß er die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland deshalb nicht zugeben könne, weil dort alles zugleich „Milit airär ist sei“!! Der Staatsminister entblödet sich also nicht einen Standpunkt zu bekennen, den ihm der nächstbeste Knirps als eine Eselei ankreiden könnte; denn schließlich muß man vielleicht nicht einmal auch nur 6 Jahre alt geworden sein[,] um zu verstehen, daß Kinder, Mädchen, Frauen u. Greise noch lange nicht „Milit airär“ sind!!

*

{861} Das „N. W. Tgbl.“ bringt einen Vortrag von Fulda über die Ausländerei, 1 worin manches treffende Wort zu finden ist, wie z. B. daß Shakespeare auch formell an Deutschland abzutreten sei. Leider gibt F. keinen Wink dafür, wie Deutschland sich das Gift der Ausländerei aus dem Blute herausreißen könnte. Zwar empfiehl er hiezu das Mittel, sich des eigenen Wertes voll bewußt zu werden, aber gerade das fehlt, wie der Deutsche es beginnen sollte, sich ein solches Selbstbewußtsein zu erringen. Meines Erachtens – u. oft genug habe ich dies auch öffentlich erklärt – führt dorthin nur ein Weg u. der ist, daß der Deutsche lerne, vor allem seinen eigenen Genies nichts schuldig zu bleiben. Gewissermaßen ist d asies die letzte – freilich auch die langwierigste – Etappe auf dem Wege zur Entwicklung, aber u. so lange sie nicht gbegangen wird, wird es den Deutschen an Selbstbewußtsein fehlen müssen, da sie ein solches – wie alle ihre übrigen Tugenden – nur aus der Tiefe schöpfen können u. nicht blo sß von der Oberfläche, wie die übrigen Nationen es tun, die zu Selbstbewußtsein auf eine viel einfachere Weise u. zw. einfach nur auf dem Wege der Einbildung gelangen.

*

Von Wilhelm trifft die Antwort ein; bei aller Breitwilligkeit die Mutter aufzunehmen dennoch ausweichend u. mit Adressen für eventuelle anderweitige Unterbringungen der Mutter. Der Brief enthält so manches auch von Lebenslust, Krankheit u. dgl. m., was indessen auf mich im Augenblick keinen Eindruck mehr macht, da Gebot der gegenwärtigen Situation geworden ist, die Mutter unter allen Umständen aus den Krallen der Familie Kl. zu befreien! — Endlich trifft auch ein Brief von Herrn Kl. ein, der offenbar darauf zurückzuführen ist, daß die Mutter, durch meine Drohung nicht mehr hinaufzukommen erschreckt, einen solchen einfach erzwungen hat. — Pneumatische Karte an Sophie mit dem Auftrag, sich morgen, Sonntag, bei der Mama einzufinden, um gemeinsam mit Lie-Liechen das Einpacken der der Mama gehörigen Stücke durchzuführen.

*

Postwendende AntwortOC 52/167 von Hertzka, der, um der Sache auszuweichen, etwas vom „7. Monat des Krieges“ u. ähnlichen „Rücksichten“ mehr scribelt [sic].

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{862}

© Transcription Marko Deisinger.

February 19, 1915.

Invitation from Hugo Heller to Mahler's Lied von der Erde, with which this book dealer is inaugurating his concert agency.

*

To American reproaches, Grey replies that he cannot permit the passage of foodstuffs to Germany because, all things considered together, there are "military personnel"!! The minister of state thus has the effrontery to admit to a view which a second-rate toddler could call an idiocy; for ultimately one does not have to be a mere six years old to understand that children, girls, women and old people are in no way "military personnel"!!

*

{861} The Neues Wiener Tagblatt publishes a lecture by Fulda on foreignness, 1 in which many trenchant remarks are to be found, e.g. that "Shakespeare should formally be reassigned to Germany." Unfortunately Fulda does not give any ideas about how Germany can rid itself of the poison of foreignness from its blood. To be sure, he recommended the measure of being fully aware of its own worth; but precisely this is missing: how the Germans should begin to gain such a self-consciousness. In my view – and I have expressed this often enough in public – only one path leads in that direction: and that is that the Germans should learn above all to owe nothing to their own genius. In a certain sense this final – and, admittedly, most difficult – stage on the path to development; and so long as it is not taken, the Germans will perforce be lacking in self-consciousness. For they can create this – as with all other virtues – only from the depths and not merely from the surface, as do the other nations, which arrive at self-consciousness in a much simpler way and indeed only along the path of delusion.

*

From Wilhelm the reply arrives; in spite of all willingness to receive Mother, nevertheless evasive, with addresses of possible accommodation elsewhere for our mother. The letter contains so much also of zest for life, illness, and such like, which nonetheless no longer makes an impression on me, since the requirement of the present situation is, under all circumstances, to liberate Mother from the clutches of the Klumak family! — Finally, a letter from Mr. Klumak also arrives, which can evidently be attributed to the fact that my mother, who as a result of my threat is no longer afraid to go upstairs, has forced him to write such a letter. — Postcard to Sophie by pneumatic mail, with the instruction to be present tomorrow, Sunday, at Mama's in order to carry out the packing of her belongings with Lie-Liechen's help.

*

ReplyOC 52/167 by return of post from Hertzka who, in order to wriggle out of the matter, scribbles something about the "seventh month of the war" and similar "precautions."

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{862}

© Translation William Drabkin.

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Einladung von Hugo Heller zu Mahlers „Lied von der Erde“, womit der genannte Buchhändler seine Konzertdirektionstätigkeit eröffnet.

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aAuf amerikanische Vorhaltungen erwidert Grey, daß er die Lebensmittelzufuhr nach Deutschland deshalb nicht zugeben könne, weil dort alles zugleich „Milit airär ist sei“!! Der Staatsminister entblödet sich also nicht einen Standpunkt zu bekennen, den ihm der nächstbeste Knirps als eine Eselei ankreiden könnte; denn schließlich muß man vielleicht nicht einmal auch nur 6 Jahre alt geworden sein[,] um zu verstehen, daß Kinder, Mädchen, Frauen u. Greise noch lange nicht „Milit airär“ sind!!

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{861} Das „N. W. Tgbl.“ bringt einen Vortrag von Fulda über die Ausländerei, 1 worin manches treffende Wort zu finden ist, wie z. B. daß Shakespeare auch formell an Deutschland abzutreten sei. Leider gibt F. keinen Wink dafür, wie Deutschland sich das Gift der Ausländerei aus dem Blute herausreißen könnte. Zwar empfiehl er hiezu das Mittel, sich des eigenen Wertes voll bewußt zu werden, aber gerade das fehlt, wie der Deutsche es beginnen sollte, sich ein solches Selbstbewußtsein zu erringen. Meines Erachtens – u. oft genug habe ich dies auch öffentlich erklärt – führt dorthin nur ein Weg u. der ist, daß der Deutsche lerne, vor allem seinen eigenen Genies nichts schuldig zu bleiben. Gewissermaßen ist d asies die letzte – freilich auch die langwierigste – Etappe auf dem Wege zur Entwicklung, aber u. so lange sie nicht gbegangen wird, wird es den Deutschen an Selbstbewußtsein fehlen müssen, da sie ein solches – wie alle ihre übrigen Tugenden – nur aus der Tiefe schöpfen können u. nicht blo sß von der Oberfläche, wie die übrigen Nationen es tun, die zu Selbstbewußtsein auf eine viel einfachere Weise u. zw. einfach nur auf dem Wege der Einbildung gelangen.

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Von Wilhelm trifft die Antwort ein; bei aller Breitwilligkeit die Mutter aufzunehmen dennoch ausweichend u. mit Adressen für eventuelle anderweitige Unterbringungen der Mutter. Der Brief enthält so manches auch von Lebenslust, Krankheit u. dgl. m., was indessen auf mich im Augenblick keinen Eindruck mehr macht, da Gebot der gegenwärtigen Situation geworden ist, die Mutter unter allen Umständen aus den Krallen der Familie Kl. zu befreien! — Endlich trifft auch ein Brief von Herrn Kl. ein, der offenbar darauf zurückzuführen ist, daß die Mutter, durch meine Drohung nicht mehr hinaufzukommen erschreckt, einen solchen einfach erzwungen hat. — Pneumatische Karte an Sophie mit dem Auftrag, sich morgen, Sonntag, bei der Mama einzufinden, um gemeinsam mit Lie-Liechen das Einpacken der der Mama gehörigen Stücke durchzuführen.

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Postwendende AntwortOC 52/167 von Hertzka, der, um der Sache auszuweichen, etwas vom „7. Monat des Krieges“ u. ähnlichen „Rücksichten“ mehr scribelt [sic].

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© Transcription Marko Deisinger.

February 19, 1915.

Invitation from Hugo Heller to Mahler's Lied von der Erde, with which this book dealer is inaugurating his concert agency.

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To American reproaches, Grey replies that he cannot permit the passage of foodstuffs to Germany because, all things considered together, there are "military personnel"!! The minister of state thus has the effrontery to admit to a view which a second-rate toddler could call an idiocy; for ultimately one does not have to be a mere six years old to understand that children, girls, women and old people are in no way "military personnel"!!

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{861} The Neues Wiener Tagblatt publishes a lecture by Fulda on foreignness, 1 in which many trenchant remarks are to be found, e.g. that "Shakespeare should formally be reassigned to Germany." Unfortunately Fulda does not give any ideas about how Germany can rid itself of the poison of foreignness from its blood. To be sure, he recommended the measure of being fully aware of its own worth; but precisely this is missing: how the Germans should begin to gain such a self-consciousness. In my view – and I have expressed this often enough in public – only one path leads in that direction: and that is that the Germans should learn above all to owe nothing to their own genius. In a certain sense this final – and, admittedly, most difficult – stage on the path to development; and so long as it is not taken, the Germans will perforce be lacking in self-consciousness. For they can create this – as with all other virtues – only from the depths and not merely from the surface, as do the other nations, which arrive at self-consciousness in a much simpler way and indeed only along the path of delusion.

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From Wilhelm the reply arrives; in spite of all willingness to receive Mother, nevertheless evasive, with addresses of possible accommodation elsewhere for our mother. The letter contains so much also of zest for life, illness, and such like, which nonetheless no longer makes an impression on me, since the requirement of the present situation is, under all circumstances, to liberate Mother from the clutches of the Klumak family! — Finally, a letter from Mr. Klumak also arrives, which can evidently be attributed to the fact that my mother, who as a result of my threat is no longer afraid to go upstairs, has forced him to write such a letter. — Postcard to Sophie by pneumatic mail, with the instruction to be present tomorrow, Sunday, at Mama's in order to carry out the packing of her belongings with Lie-Liechen's help.

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ReplyOC 52/167 by return of post from Hertzka who, in order to wriggle out of the matter, scribbles something about the "seventh month of the war" and similar "precautions."

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Deutsche Kultur und Ausländerei. Vortrag von Ludwig Fulda in der Wiener Urania," Neues Wiener Tagblatt, No. 50, February 19, 1915, 49th year, pp. 12-13.