19. VIII. 15
Die Kaiser-Geburtstagkneipe Kaisergeburtstag-Kneipe 1 dauerte von ½9–¼2h u. war für uns, die zu Ruhe gehen wollten, mit unendlichen psychischen u. schließlich auch physischen Qualen verbunden. Bei aller Liberalität unserer Gesinnung, wie wir sie d ieen jungen Leuten geschuldet haben, die knapp so kurze Zeit vor dem Ausrücken ins Feld standen u. sich obendrein aus eines solchem solchen Anlaßes zur Freude bedienten verdient haben mögen, konnten wir leider unseren Nerven eine ähnlich weitgehende Liberalität nicht abringen. Es ist das eben keine Kleinigkeit, an 40mal je eine u. dieselbe Melodie des Abends zu hören! Da fallen ins Wasser selbst die stolzesten Gedankengänge, Was nutzen da alles Denken, das ich zur Besänftigung der physischen Qualen zur Hilfe zog: wie etwa, daß es ein Fluch der kleinen Musik ist, eben so vielemal wiederholt werden zu müssen, daß solches Wiederkäuehrtum wohl organische Begleiterscheinung der kleinen Musik ist, die der großen nur deshalb erspart bleibt, weil sie ihre Wiederholungen in viel edlerer Art mit viel edlerem Material betreibt. Freilich, die populäre Eindringlichkeit verlangt absolut die nach Kürze, doch rächt sich diese wiederum in ihrer Art so [illeg]dadurch , daß sie wiederum nach ihrem Gegenteil, der Länge schreit. ; Uund so büßt, wer erst blos der kleinen Musik zugetan ist, seinen Freuden nun damit, daß er sie in unaufhörlich rotierender blanker Wiederholung zu sich nehmen muß, ein circulus , [illeg]vitiosus, aus dem es auf solchen Niveau für ihn in solcher Lage kein Entrinnen gibt. – Es hat uns auch wenig genutzt, daß wir uns am schönen Bau so mancher Melodien erfreuen konnten, denn kaum wurde die schöne Melodie eben wiederholt, so protestierten unsere Nerven aufs heftigste. Wohl hätte sich, was so in der Natur der Dinge liegt, auch in den jungen Leuten bitter gerächt, aber eine gewisse Forçiertheit, die im Moment des Anlasses der Kneipe selbst begründet war u. sich nun im äußersten tToben, sSchreien, tTrinken u. s. w. entlud, half darüber zur Not hinweg . nur aber zur Not, denn Wwer gut hören konnte, mußte indessen auch die Nemesis de sr Kkleinen Melodie am Kkleinen Menschen mithören. – Mit ganz zerrütteten Nerven standen wir schon um 7h früh auf, waren aber wegen Uebermüdung selbst dazu unfähig, einen Spaziergang zu machen. So Unter diesen Umständen wirkte auch die Temperatur von nur 8° doppelt kalt auf uns u. wir begnügten uns Korrespondenz zu erledigen: — Karte an Kahn, Breisach, Weisse, Brünauer (mit Anfrage wegen Zuckerkandl) u. re- {1002} tourniertenWSLB 250 außerdem die Fahnen 13–28 an Hertzka. — — Des abends gerieten wir beide leider in ein Gespräch mit Dr. Tietze, der uns sein Buch 2 zur Lektüre anträgt. Ein uUnseliger Typus eines Menschen, der sich, im Begriffe Augenblicke, da er im Begriffe ist, die denkbar größte Rücksichtslosigkeit zu begehen, sich für einen Ausbund von Bescheidenheit hält! Wiewohl Obgleich wir ihn stets wahrheitsgemäß im Laufenden über unsere harte Arbeit hielten, wiewohl wir ihm gegenüber ferner auch davon erwähnten sprachen, daß wir nun endlich ein paar Tage Rast uns gönnen wollten, u. wiewohl er endlich aus all diesen Gründen dem Mitgeteilten nun selbst wissen entnehmen mußte, daß wir bis dahin des Sachverhaltes Kommandos unkundig uns gar nicht gegen ihn zu wehren vorhatten, wagte er es, mit eben dem Sturm u. Drang eines unechten Lyrikers, der seine Gedichte am liebsten auf Sonne, Mond u. Sternen plakatieren möchte, wagte er es, unsere Ferialtage mit einer solchen Lektüre zu belasten. Und dies alles obendrein unter Zeichen tiefster Bescheidenheit, die aber freilich nur Zeichen waren. ! Doch machte ich mit den vielen Blättern kurzen Prozess, übersah sofort bemächtigte sich [recte mich] vor allem die Pointe, die auf allen Blättern pünktlich wiederkehrte, so daß es uns nur eine Art Hinhaltung Hinhaltens kostete, wenn wir dem Wunsch des Autors entspr eachen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 19, 1915.
The Emperor's birthday drinking party 1 lasted from 8:30 until 1:15 in the morning and was linked for us, who wanted to get some peace and quiet, with unending psychological and later also physical pains. In spite of our liberal sentiments, which we owed to the young people who were at the point of going out into the battlefield and, moreover took the opportunity of such an occasion to have fun, we could not wrest from our nerves a similarly generous liberality. It is certainly no small matter to hear one and the same melody 40 times of an evening! Then the proudest thought processes fall into the water, Of what use were all the thoughts that I summoned to help soften the physical pains, such as: that it is a curse of slight music to have to be repeated so many times, that such rehashing is probably an organic concomitant of slight music which great music is spared only because its repetitions operate in a much nobler way with much nobler material. Admittedly, popular forcefulness must absolutely insist upon brevity; but this avenges itself in its own way, by crying out again for its opposite, namely length: and thus anyone who is attracted to slight music must pay for his pleasure by receiving it in interminably rotating, unvarying repetition, a vicious circle from which there is no means of escape for someone in this situation. It also did not help much that we were able to take pleasure in the beautiful construction of so many melodies; for hardly had the beautiful melody been repeated than our nerves protested in the most violent way. That which so lies in the nature of things would probably have avenged itself bitterly on the young people; but a certain artificiality, which was itself built into the circumstances of the occasion and discharged itself in the most extremely boisterousness screaming, and drinking etc., helped them get through it – but only up to a certain point: for anyone who could hear well would also have had to listen also to the nemesis of the slight melody in terms of a slight person. – We awoke at 7 o'clock in the morning, our nerves totally shattered; and we were actually incapable, from overtiredness, of going for a walk. Under these circumstances, even the temperature of only 8° seemed twice as cold for us; and we contented ourselves to catch up on correspondence: — Postcards to Kahn, Breisach, Weisse, Brünauer (with a question about Zuckerkandl), {1002} and we also returnedWSLB 250 the galley proofs 13–28 to Hertzka. — — In the evening, the two of us unfortunately fall into conversation with Dr. Tietze, who proposes that we read his book. 2 A wretched type of person who, when he as just at the point of committing the greatest indiscretion imaginable, fancies himself as the epitome of modesty! Although we kept him at all times truthfully informed about the progress of our difficult work, and although we explained moreover that we wanted to enjoy a few days of rest, and although he must have gathered from all that we said that we were hitherto unable to defend ourselves against him, not knowing what he was asking of us, he dared – with the very excitement of a false poet who would have most liked to display his work across the sun, moon and stars – to burden our holidays with such reading material. And this, moreover, under the sign of the deepest modesty! Yet I made short shrift of his many pages, grasped the issue that returned punctually on every page, so that it cost us only a kind of delaying tactic to acquiesce in the author's wish. *
© Translation William Drabkin. |
19. VIII. 15
Die Kaiser-Geburtstagkneipe Kaisergeburtstag-Kneipe 1 dauerte von ½9–¼2h u. war für uns, die zu Ruhe gehen wollten, mit unendlichen psychischen u. schließlich auch physischen Qualen verbunden. Bei aller Liberalität unserer Gesinnung, wie wir sie d ieen jungen Leuten geschuldet haben, die knapp so kurze Zeit vor dem Ausrücken ins Feld standen u. sich obendrein aus eines solchem solchen Anlaßes zur Freude bedienten verdient haben mögen, konnten wir leider unseren Nerven eine ähnlich weitgehende Liberalität nicht abringen. Es ist das eben keine Kleinigkeit, an 40mal je eine u. dieselbe Melodie des Abends zu hören! Da fallen ins Wasser selbst die stolzesten Gedankengänge, Was nutzen da alles Denken, das ich zur Besänftigung der physischen Qualen zur Hilfe zog: wie etwa, daß es ein Fluch der kleinen Musik ist, eben so vielemal wiederholt werden zu müssen, daß solches Wiederkäuehrtum wohl organische Begleiterscheinung der kleinen Musik ist, die der großen nur deshalb erspart bleibt, weil sie ihre Wiederholungen in viel edlerer Art mit viel edlerem Material betreibt. Freilich, die populäre Eindringlichkeit verlangt absolut die nach Kürze, doch rächt sich diese wiederum in ihrer Art so [illeg]dadurch , daß sie wiederum nach ihrem Gegenteil, der Länge schreit. ; Uund so büßt, wer erst blos der kleinen Musik zugetan ist, seinen Freuden nun damit, daß er sie in unaufhörlich rotierender blanker Wiederholung zu sich nehmen muß, ein circulus , [illeg]vitiosus, aus dem es auf solchen Niveau für ihn in solcher Lage kein Entrinnen gibt. – Es hat uns auch wenig genutzt, daß wir uns am schönen Bau so mancher Melodien erfreuen konnten, denn kaum wurde die schöne Melodie eben wiederholt, so protestierten unsere Nerven aufs heftigste. Wohl hätte sich, was so in der Natur der Dinge liegt, auch in den jungen Leuten bitter gerächt, aber eine gewisse Forçiertheit, die im Moment des Anlasses der Kneipe selbst begründet war u. sich nun im äußersten tToben, sSchreien, tTrinken u. s. w. entlud, half darüber zur Not hinweg . nur aber zur Not, denn Wwer gut hören konnte, mußte indessen auch die Nemesis de sr Kkleinen Melodie am Kkleinen Menschen mithören. – Mit ganz zerrütteten Nerven standen wir schon um 7h früh auf, waren aber wegen Uebermüdung selbst dazu unfähig, einen Spaziergang zu machen. So Unter diesen Umständen wirkte auch die Temperatur von nur 8° doppelt kalt auf uns u. wir begnügten uns Korrespondenz zu erledigen: — Karte an Kahn, Breisach, Weisse, Brünauer (mit Anfrage wegen Zuckerkandl) u. re- {1002} tourniertenWSLB 250 außerdem die Fahnen 13–28 an Hertzka. — — Des abends gerieten wir beide leider in ein Gespräch mit Dr. Tietze, der uns sein Buch 2 zur Lektüre anträgt. Ein uUnseliger Typus eines Menschen, der sich, im Begriffe Augenblicke, da er im Begriffe ist, die denkbar größte Rücksichtslosigkeit zu begehen, sich für einen Ausbund von Bescheidenheit hält! Wiewohl Obgleich wir ihn stets wahrheitsgemäß im Laufenden über unsere harte Arbeit hielten, wiewohl wir ihm gegenüber ferner auch davon erwähnten sprachen, daß wir nun endlich ein paar Tage Rast uns gönnen wollten, u. wiewohl er endlich aus all diesen Gründen dem Mitgeteilten nun selbst wissen entnehmen mußte, daß wir bis dahin des Sachverhaltes Kommandos unkundig uns gar nicht gegen ihn zu wehren vorhatten, wagte er es, mit eben dem Sturm u. Drang eines unechten Lyrikers, der seine Gedichte am liebsten auf Sonne, Mond u. Sternen plakatieren möchte, wagte er es, unsere Ferialtage mit einer solchen Lektüre zu belasten. Und dies alles obendrein unter Zeichen tiefster Bescheidenheit, die aber freilich nur Zeichen waren. ! Doch machte ich mit den vielen Blättern kurzen Prozess, übersah sofort bemächtigte sich [recte mich] vor allem die Pointe, die auf allen Blättern pünktlich wiederkehrte, so daß es uns nur eine Art Hinhaltung Hinhaltens kostete, wenn wir dem Wunsch des Autors entspr eachen. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 19, 1915.
The Emperor's birthday drinking party 1 lasted from 8:30 until 1:15 in the morning and was linked for us, who wanted to get some peace and quiet, with unending psychological and later also physical pains. In spite of our liberal sentiments, which we owed to the young people who were at the point of going out into the battlefield and, moreover took the opportunity of such an occasion to have fun, we could not wrest from our nerves a similarly generous liberality. It is certainly no small matter to hear one and the same melody 40 times of an evening! Then the proudest thought processes fall into the water, Of what use were all the thoughts that I summoned to help soften the physical pains, such as: that it is a curse of slight music to have to be repeated so many times, that such rehashing is probably an organic concomitant of slight music which great music is spared only because its repetitions operate in a much nobler way with much nobler material. Admittedly, popular forcefulness must absolutely insist upon brevity; but this avenges itself in its own way, by crying out again for its opposite, namely length: and thus anyone who is attracted to slight music must pay for his pleasure by receiving it in interminably rotating, unvarying repetition, a vicious circle from which there is no means of escape for someone in this situation. It also did not help much that we were able to take pleasure in the beautiful construction of so many melodies; for hardly had the beautiful melody been repeated than our nerves protested in the most violent way. That which so lies in the nature of things would probably have avenged itself bitterly on the young people; but a certain artificiality, which was itself built into the circumstances of the occasion and discharged itself in the most extremely boisterousness screaming, and drinking etc., helped them get through it – but only up to a certain point: for anyone who could hear well would also have had to listen also to the nemesis of the slight melody in terms of a slight person. – We awoke at 7 o'clock in the morning, our nerves totally shattered; and we were actually incapable, from overtiredness, of going for a walk. Under these circumstances, even the temperature of only 8° seemed twice as cold for us; and we contented ourselves to catch up on correspondence: — Postcards to Kahn, Breisach, Weisse, Brünauer (with a question about Zuckerkandl), {1002} and we also returnedWSLB 250 the galley proofs 13–28 to Hertzka. — — In the evening, the two of us unfortunately fall into conversation with Dr. Tietze, who proposes that we read his book. 2 A wretched type of person who, when he as just at the point of committing the greatest indiscretion imaginable, fancies himself as the epitome of modesty! Although we kept him at all times truthfully informed about the progress of our difficult work, and although we explained moreover that we wanted to enjoy a few days of rest, and although he must have gathered from all that we said that we were hitherto unable to defend ourselves against him, not knowing what he was asking of us, he dared – with the very excitement of a false poet who would have most liked to display his work across the sun, moon and stars – to burden our holidays with such reading material. And this, moreover, under the sign of the deepest modesty! Yet I made short shrift of his many pages, grasped the issue that returned punctually on every page, so that it cost us only a kind of delaying tactic to acquiesce in the author's wish. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Emperor Franz Joseph I celebrated his birthday on 18th, a day traditionally devoted to public ovations and celebrations throughout the country. 2 Possibly Heinrich Dietze's Mein Vaterland: Gedichte (Klotzsche, near Dresden: Hänsel, 1915). |