7. IX. 15
Die Engländer u. Franzosen wurden an ihren Kolonien reich. Und nun, als Nation der Reichen, imponierten sie den Deutschen. Aber was hatte der Deutsche davon, daß jene reich waren außer dem Schaden überflüssiger Devotion! Nun hat Deutschland die Uneinträglichkeit der letzteren eingesehen u. geht daran, sich dem Nimbus der reichen Engländer u. Franzosen zu entziehen. Möge ihm bei dieser psychischen Operation besonders der Gedanke behilflich sein, daß der Reichtum Englands u. Frankreichs hauptsächlich durch Plünderung schwacher Völker zustande gekommen, was durchaus noch keine besondere kaufmännische Tüchtigkeit verrät. Viel eher als Gradmesser der Tüchtigkeit mag der Gegensatz gelten: Bei Ausbruch des Weltkrieges ist das sonst friedfertige Deutschland gründlich vorbereitet, das eroberungssüchtige England dagegen völlig unvorbereitet. *In einem Aufsatz („Berl. Tgbl.“) unter dem Titel „Kulturideale“ (s. Beilage) sucht der berühmte Schachspieler Dr. Em. Lasker für folgende Definition zu plaidieren: England, meinte er, sei politisch, Frankreich aesthetisch, Deutschland sozial zu nennen. 1 Weit gefehlt! Kaufmännische Oligarchie, wie sie in England herrscht, ist überhaupt kein politisches System im strengen Sinne des Wortes; dazu gehört auch volle Teilnahme des ganzen Volkes. Ferner: Der Glanz, mit dem der Franzose seine Unternehmungen auf welchem Gebiete im[m]er, also sowohl auf wirtschaftlichem wie geistigem, in den ersten Stadien zu umgeben pflegt, ist noch lange kein Beweis für aesthetische Veranlagung, vielmehr nur für eine mindere {1020} Tüchtigkeit, sozusagen für einen kurzathmigen Geist. Denn in der Regel pflegt mit minder durchgreifendem Geist sich der Elan der ersten Arbeitsstunde zu verbinden. Am ehesten politisch wäre dennoch gerade das als so unpolitisch verschrieene [sic] Deutschland zu bezeichnen, das Zusammenleben der Bürger unter sozialen Gesichtspunkten, die kein anderer Staat vor u. neben ihm regelt. Es ist der Wahrheit wenig damit gedient, wenn man drei Begriffe aufs Geratewohl festlegt, um dann die Welt der Tatsachen gewaltsam in sie zu zwingen. — *Abends mit Fr. Deutsch beim Weingartl u. hernach im Caféhaus. Sie erzählt von ihren außerordentlichen Erfolgen in Oberstdorf, die sie uns auch in Briefen u. Karten bestätigt zeigt. Sie hat einer Lehrerin, die Schülerin von Quast gewesen, 10 Stunden gegeben u. sie in meine Methode eingeführt u. s. w. Ich ergehe mich ihr gegenüber in Klagen darüber, daß die Arbeit nun durch den Verleger selbst gefährdet sei. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 7, 1915.
The English and French grew rich from their colonies. And now, as a nation of wealthy people, they impress the Germans. But what did the German get from those people being wealthy, apart from the damage of superfluous devotion! Now Germany has seen the unprofitability of the latter and is taking steps to escape from the mystique of the wealth Englishmen and Frenchmen. In this psychic operation, may it be helped by the thought that the wealth of England and France has come about mainly by the exploitation of weaker peoples, something that by no means betrays any business proficiency. A much better measure of proficiency is the opposite: at the outbreak of the world war, the otherwise peaceable Germany was thoroughly prepared, whereas conquering-crazed England was completely unprepared. *In an article (in the Berliner Tageblatt ) entitled "Cultural Ideals"(see my collection of clippings), the famous chess player Dr. Emanuel Lasker appeals for the following definition: England, he says, should be called political, France aesthetic, Germany social. 1 Way off the mark! A mercantile oligarchy, as it prevails in England, is in no way a political system in the strict sense of the word; for this one needs the complete participation of the entire people. Furthermore: the luster with which the Frenchman surrounds the activities he undertakes – whatever the field, commercial or intellectual – in their earliest stage is in no ways a proof of aesthetic character, but rather of a lower level of {1020} competence, one could call it a short-breathed intellect. For, as a general rule, the excitement of the first hours of work are associated with an intellect of less radical intellect. The Germany that is thus being decried as unpolitical should, on the other hand, be designated as political, when one considers the coexistence of its citizens under social points of view, which no other state controls ahead of or alongside it. The truth is little served by coming up with three concepts at random and then squeezing the world of facts into them by force. — *In the evening with Mrs. Deutsch at the Weingartl and afterwards at the coffee house. She tells of her extraordinary successes in Oberstdorf, which she also shows to us as confirmed in letters and postcards. She gave a teacher, formerly a pupil of Quast, ten lessons and introduced her to my method, etc. In her presence, I indulge in complaints about my work being imperiled by the publisher himself. **
© Translation William Drabkin. |
7. IX. 15
Die Engländer u. Franzosen wurden an ihren Kolonien reich. Und nun, als Nation der Reichen, imponierten sie den Deutschen. Aber was hatte der Deutsche davon, daß jene reich waren außer dem Schaden überflüssiger Devotion! Nun hat Deutschland die Uneinträglichkeit der letzteren eingesehen u. geht daran, sich dem Nimbus der reichen Engländer u. Franzosen zu entziehen. Möge ihm bei dieser psychischen Operation besonders der Gedanke behilflich sein, daß der Reichtum Englands u. Frankreichs hauptsächlich durch Plünderung schwacher Völker zustande gekommen, was durchaus noch keine besondere kaufmännische Tüchtigkeit verrät. Viel eher als Gradmesser der Tüchtigkeit mag der Gegensatz gelten: Bei Ausbruch des Weltkrieges ist das sonst friedfertige Deutschland gründlich vorbereitet, das eroberungssüchtige England dagegen völlig unvorbereitet. *In einem Aufsatz („Berl. Tgbl.“) unter dem Titel „Kulturideale“ (s. Beilage) sucht der berühmte Schachspieler Dr. Em. Lasker für folgende Definition zu plaidieren: England, meinte er, sei politisch, Frankreich aesthetisch, Deutschland sozial zu nennen. 1 Weit gefehlt! Kaufmännische Oligarchie, wie sie in England herrscht, ist überhaupt kein politisches System im strengen Sinne des Wortes; dazu gehört auch volle Teilnahme des ganzen Volkes. Ferner: Der Glanz, mit dem der Franzose seine Unternehmungen auf welchem Gebiete im[m]er, also sowohl auf wirtschaftlichem wie geistigem, in den ersten Stadien zu umgeben pflegt, ist noch lange kein Beweis für aesthetische Veranlagung, vielmehr nur für eine mindere {1020} Tüchtigkeit, sozusagen für einen kurzathmigen Geist. Denn in der Regel pflegt mit minder durchgreifendem Geist sich der Elan der ersten Arbeitsstunde zu verbinden. Am ehesten politisch wäre dennoch gerade das als so unpolitisch verschrieene [sic] Deutschland zu bezeichnen, das Zusammenleben der Bürger unter sozialen Gesichtspunkten, die kein anderer Staat vor u. neben ihm regelt. Es ist der Wahrheit wenig damit gedient, wenn man drei Begriffe aufs Geratewohl festlegt, um dann die Welt der Tatsachen gewaltsam in sie zu zwingen. — *Abends mit Fr. Deutsch beim Weingartl u. hernach im Caféhaus. Sie erzählt von ihren außerordentlichen Erfolgen in Oberstdorf, die sie uns auch in Briefen u. Karten bestätigt zeigt. Sie hat einer Lehrerin, die Schülerin von Quast gewesen, 10 Stunden gegeben u. sie in meine Methode eingeführt u. s. w. Ich ergehe mich ihr gegenüber in Klagen darüber, daß die Arbeit nun durch den Verleger selbst gefährdet sei. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 7, 1915.
The English and French grew rich from their colonies. And now, as a nation of wealthy people, they impress the Germans. But what did the German get from those people being wealthy, apart from the damage of superfluous devotion! Now Germany has seen the unprofitability of the latter and is taking steps to escape from the mystique of the wealth Englishmen and Frenchmen. In this psychic operation, may it be helped by the thought that the wealth of England and France has come about mainly by the exploitation of weaker peoples, something that by no means betrays any business proficiency. A much better measure of proficiency is the opposite: at the outbreak of the world war, the otherwise peaceable Germany was thoroughly prepared, whereas conquering-crazed England was completely unprepared. *In an article (in the Berliner Tageblatt ) entitled "Cultural Ideals"(see my collection of clippings), the famous chess player Dr. Emanuel Lasker appeals for the following definition: England, he says, should be called political, France aesthetic, Germany social. 1 Way off the mark! A mercantile oligarchy, as it prevails in England, is in no way a political system in the strict sense of the word; for this one needs the complete participation of the entire people. Furthermore: the luster with which the Frenchman surrounds the activities he undertakes – whatever the field, commercial or intellectual – in their earliest stage is in no ways a proof of aesthetic character, but rather of a lower level of {1020} competence, one could call it a short-breathed intellect. For, as a general rule, the excitement of the first hours of work are associated with an intellect of less radical intellect. The Germany that is thus being decried as unpolitical should, on the other hand, be designated as political, when one considers the coexistence of its citizens under social points of view, which no other state controls ahead of or alongside it. The truth is little served by coming up with three concepts at random and then squeezing the world of facts into them by force. — *In the evening with Mrs. Deutsch at the Weingartl and afterwards at the coffee house. She tells of her extraordinary successes in Oberstdorf, which she also shows to us as confirmed in letters and postcards. She gave a teacher, formerly a pupil of Quast, ten lessons and introduced her to my method, etc. In her presence, I indulge in complaints about my work being imperiled by the publisher himself. **
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Emanuel Lasker, "Volksideale," Berliner Tageblatt, No. 455, 44th year, September 6, 1915, evening edition, pp. [2-3]. |