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27. X. 1915

An Fl. (K.), Erinnerung wegen des Donnerstags. — Lie-Liechen an Mama (K.). —

*

In der „Arbeiter Ztg.;“ ein in jeder Beziehung vollendeter Aufsatz eines Anonymus über den Fall des Lehrers Matoušek (s. Schrift!). 1 Der Aufsatz belehrt die Juristen des Ministeriums sowie des Reichsgerichtes in einer unwiderlegbaren Weise, daß sie den Sinn des Paragraphen, den sie bei der Pensionierung des Lehrers wider ihn anzogen, überhaupt gar nicht begriffen haben, da er nichts weniger als ein Disziplinar-Paragraph, vielmehr ein Benefiz-Paragraph ist! Nebenbei ein vortreffliches Beispiel für genaue Nachweisbarkeit von Talentunterschieden: Wie gerne hätte doch die „N. Fr. Pr.“, , all die Feuilletonisten des Blattes, wie auch der eigens herbeicitierte Prof. Brokhausen 2 den in Wirklichkeit eben nur einzigen vorhandenen Einwand vorgebracht, den der Anonymus entdeckt hat! Man sieht, auch das Entdecken hat seine Schwierigkeiten wie das Erfinden, u. nicht nur aber in der Natur, sondern im einfachen Gesetzes-Paragraphen! —

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Englands Seeräuberei: Im Grunde nur die übliche Form der aller kaufmännischen Praxis überhaupt. Possierlich daher zu sehen, wie unsere Binnenräuber wider die Seeräuber maulen!

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Den Reichen: Gibt das Geld nicht ab u. drückt damit zugleich nur das Mißtrauen in seine eigene Fähigkeit aus; ihn bangt es vor der Aufgabe, sich das Leben je verdienen zu müssen, ja er weiß es offenbar, daß er die Aufgabe nicht bewältigen könnte u. daher behält er auch den einzigen wahren Arbeiter, das Geld, für sich, u. s. w. —

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Ueber die Unveränderlichkeit des Gesichtes sind sich die Menschen einig; nur von der Unveränderlichkeit der Seele wollen sie nichts wissen, weil sie sich noch lieber in dem Entwicklungswahn wiegen, der ihrer Eitelkeit zusagt u. so oft hilft, den Betrug des {26} Lebens fortzusetzen. Was würde man zu einer Person sagen, die, von Geburt häßlich, im Stillen für sich hofft oder auch in Worten vor Menschen ausdrückt, daß auch für sie der Tag der Schönheit kommen werde? Allerdings ist der Selbstzucht der Menschen ein großer Spielraum auch in dieser Frage gegeben; u. da mag nun jeder Person nachsehen, mit welchen Mitteln sieer die Schönheit ihrer seiner Seele fördert! —

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Menschenstreit geht wirklich nur um Worte, ja fast um Silben. Beinahe ist es so, als würden die einen z. B. für Wasser „streiten“, die anderen für die Umkehrung der Silben, also Serwa. Durch die beide Wortbildungen wird aber die Sache selbst überhaupt nicht berührt.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 27, 1915.

To Floriz (postcard), a reminder about Thursday. — Lie-Liechen to Mama (postcard). —

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In the Arbeiter Zeitung an anonymously written essay, consummate in every respect, about the case of the teacher Matoušek (see the writing!). 1 The essay is instructive to the lawyers of the ministry as well as the Supreme Court in an irrefutable way, to the effect that that they did not understand the meaning of the clause that that they cited against the teacher in retiring him from service, as it is nothing less than a disciplinary clause, and is rather a benefit clause! Moreover, an excellent example of precise demonstration differences in talent: how the Neue Freie Presse and all its feuilletonists, and also specifically Prof. Brockhausen 2 quoted here, would in actual fact have liked to have presented a single objection from among those that the anonymous writer discovered! As one can see, discovery, too, has its difficulties, like invention, but not only in Nature but in the simplest legal clause! —

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England's piracy: basically the usual form of business practice in general. It is amusing, then, to see how our internal bandits grumble about the pirates!

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About the wealthy: they do not part with their money and thus at the same time only express their distrust of their own capability; they worry about the task of ever having to earn a living, indeed they evidently know that they cannot take command of this task, and therefore they also hang on to the real works, keeping the money for themselves, and so on. —

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Of the immutability of the face, people are in agreement; but they don't want to know anything about the immutability of the soul, for they would rather rock themselves in the delusion of development, that accords with their vanity and so often helps them to continue the deception of their life. {26} What one would say to a person who, ugly from birth, hopes silently for himself or even expresses to people in words that his beauty will come one day? At any rate, the self-denial of people is a large playing field even in this matter; and anyone can see with which measure he can promote the beauty of his soul! —

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Conflicts between people are really concerned only with words, practically with syllables. It is almost as if some, for example, are "fighting" over wa[-]ter, the other for the inversion of the syllables, thus ter[-]wa. By neither word construction, however, is the matter itself touched on at all.

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© Translation William Drabkin.

27. X. 1915

An Fl. (K.), Erinnerung wegen des Donnerstags. — Lie-Liechen an Mama (K.). —

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In der „Arbeiter Ztg.;“ ein in jeder Beziehung vollendeter Aufsatz eines Anonymus über den Fall des Lehrers Matoušek (s. Schrift!). 1 Der Aufsatz belehrt die Juristen des Ministeriums sowie des Reichsgerichtes in einer unwiderlegbaren Weise, daß sie den Sinn des Paragraphen, den sie bei der Pensionierung des Lehrers wider ihn anzogen, überhaupt gar nicht begriffen haben, da er nichts weniger als ein Disziplinar-Paragraph, vielmehr ein Benefiz-Paragraph ist! Nebenbei ein vortreffliches Beispiel für genaue Nachweisbarkeit von Talentunterschieden: Wie gerne hätte doch die „N. Fr. Pr.“, , all die Feuilletonisten des Blattes, wie auch der eigens herbeicitierte Prof. Brokhausen 2 den in Wirklichkeit eben nur einzigen vorhandenen Einwand vorgebracht, den der Anonymus entdeckt hat! Man sieht, auch das Entdecken hat seine Schwierigkeiten wie das Erfinden, u. nicht nur aber in der Natur, sondern im einfachen Gesetzes-Paragraphen! —

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Englands Seeräuberei: Im Grunde nur die übliche Form der aller kaufmännischen Praxis überhaupt. Possierlich daher zu sehen, wie unsere Binnenräuber wider die Seeräuber maulen!

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Den Reichen: Gibt das Geld nicht ab u. drückt damit zugleich nur das Mißtrauen in seine eigene Fähigkeit aus; ihn bangt es vor der Aufgabe, sich das Leben je verdienen zu müssen, ja er weiß es offenbar, daß er die Aufgabe nicht bewältigen könnte u. daher behält er auch den einzigen wahren Arbeiter, das Geld, für sich, u. s. w. —

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Ueber die Unveränderlichkeit des Gesichtes sind sich die Menschen einig; nur von der Unveränderlichkeit der Seele wollen sie nichts wissen, weil sie sich noch lieber in dem Entwicklungswahn wiegen, der ihrer Eitelkeit zusagt u. so oft hilft, den Betrug des {26} Lebens fortzusetzen. Was würde man zu einer Person sagen, die, von Geburt häßlich, im Stillen für sich hofft oder auch in Worten vor Menschen ausdrückt, daß auch für sie der Tag der Schönheit kommen werde? Allerdings ist der Selbstzucht der Menschen ein großer Spielraum auch in dieser Frage gegeben; u. da mag nun jeder Person nachsehen, mit welchen Mitteln sieer die Schönheit ihrer seiner Seele fördert! —

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Menschenstreit geht wirklich nur um Worte, ja fast um Silben. Beinahe ist es so, als würden die einen z. B. für Wasser „streiten“, die anderen für die Umkehrung der Silben, also Serwa. Durch die beide Wortbildungen wird aber die Sache selbst überhaupt nicht berührt.

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© Transcription Marko Deisinger.

October 27, 1915.

To Floriz (postcard), a reminder about Thursday. — Lie-Liechen to Mama (postcard). —

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In the Arbeiter Zeitung an anonymously written essay, consummate in every respect, about the case of the teacher Matoušek (see the writing!). 1 The essay is instructive to the lawyers of the ministry as well as the Supreme Court in an irrefutable way, to the effect that that they did not understand the meaning of the clause that that they cited against the teacher in retiring him from service, as it is nothing less than a disciplinary clause, and is rather a benefit clause! Moreover, an excellent example of precise demonstration differences in talent: how the Neue Freie Presse and all its feuilletonists, and also specifically Prof. Brockhausen 2 quoted here, would in actual fact have liked to have presented a single objection from among those that the anonymous writer discovered! As one can see, discovery, too, has its difficulties, like invention, but not only in Nature but in the simplest legal clause! —

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England's piracy: basically the usual form of business practice in general. It is amusing, then, to see how our internal bandits grumble about the pirates!

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About the wealthy: they do not part with their money and thus at the same time only express their distrust of their own capability; they worry about the task of ever having to earn a living, indeed they evidently know that they cannot take command of this task, and therefore they also hang on to the real works, keeping the money for themselves, and so on. —

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Of the immutability of the face, people are in agreement; but they don't want to know anything about the immutability of the soul, for they would rather rock themselves in the delusion of development, that accords with their vanity and so often helps them to continue the deception of their life. {26} What one would say to a person who, ugly from birth, hopes silently for himself or even expresses to people in words that his beauty will come one day? At any rate, the self-denial of people is a large playing field even in this matter; and anyone can see with which measure he can promote the beauty of his soul! —

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Conflicts between people are really concerned only with words, practically with syllables. It is almost as if some, for example, are "fighting" over wa[-]ter, the other for the inversion of the syllables, thus ter[-]wa. By neither word construction, however, is the matter itself touched on at all.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "'Die 'berücksichtigenswerten Verhältnisse'. Die Entscheidung des Reichsgerichtes wegen des konfessionslosen Lehrers," in: Arbeiter-Zeitung, No. 298, October 27, 1915, 27th year, pp. 1-2.

2 Karl Brockhausen, "Die Glaubensfreiheit der Lehrer," Neue Freie Presse, No. 18382, October 24, 1915, pp. 4-5.