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23. I. 16 +8°; schöner Tag.

— Entwurf des Steuerbekenntnisses für 1916, blos bis Oktober. —

*

Populäres Konzert; 1 Floriz u. Wally kommen zu spät, so daß wir ohne sie in den Saal treten; indessen kommen sie nach u. Fl. macht den Versuch, seine Verspätung umzulügen, ich wehre aber entschieden ab. Erste Leonoren-Ouverture: Wären nicht die kunstvollen Steigerungen u. Synkopen, man müßte die Technik Thematik für italienisch, bestenfalls cherubinisch halten u. die Technik für geradezu läppisch, an der der beiden anderen Ouvertüren[, No. 2 u. No. 3] gemessen. Brahms: 1. Symphonie; Vortrag ohne Vortrag! Die Orchestermasse ist eben schwer dahin zu bringen, wie etwa ein einzelner Schauspieler zu sprechen u. sich zu gebärden; dennoch glaube ich, daß einem sehr überragenden, auf der Höhe des Kunstwerkes stehenden Dirigierten die Erziehung des Orchesters zu einem beredt deklamierenden Schauspieler gelingen müßte. Liszt: Ungarische Fantasie von Szanto. Sehr gut vorgetragen; ob aber die Technik des Künstlers für die Kantabilität der Meister ausreichen würde, möchte ich bezweifeln. Bei Wagners Ouverture zum „Fliegenden Holländer“ fällt mir eben knapp nach Brahms zum erstenmal in so akutem Maße der Mangel an Synkopen auf. So behende die Harmonien auch wechseln, so scheint es doch bei aller Man[n]igfaltigkeit derselben einen wesentlichen Unterschied auszumachen, ob sie mit oder ohne Synkopen aufeinander folgen.

*

Zuhause finde ich abends eine Karte von Paul de Conne, der bei mir gewesen u. sie eben geschrieben, da er mich nicht angetroffen hat. Es handelt sich um ein Mädchen, das er mir zum Unterricht warm empfiehlt. —

*

Internationalität des Handels wird als selbstverständlich u. vom Handel un- {106} zertrennlich befunden, aber den großen Dichtern in Deutschland nahm man den Kosmopolitismus übel, obgleich dabei das nationale Moment erst recht besondere Betonung erfuhr, jedenfalls mehr, als es bei internationalem Handel u. bei international zu handelnden Waren anzutreffen ist. In jedem Wort ist Goethe trotz seiner Betonung des Allmenschlichen deutscher, als es der deutsche Kaufmann ist, der Exportgeschäfte betreibt. —

*

Da für den menschlichen Organismus die Stunde der gesellschaftlichen Reife schlägt, fühlt sich Mann wie Weib zum Gegensatz hingezogen u. lernt bei dieser Gelegenheit die wunderbare Wirkung der Hingabe an ein zweites Wesen. Mit diesem Wunder verbürgt die Natur dem Individuum die völlige Erlösung von sich selbst, eine Entrücktheit, die außerhalb der erotischen Sphäre sonst nur begnadete Menschen in ihren Schöpfungsstunden empfinden. Im Grunde gilt es ja auch einen Schöpfungsakt zu vollziehen, u. wenn auch dieser im strengsten Rahmen der Natur zunächst nur zu Zwecken der Fortpflanzung geschieht, so enthält er immerhin deutlich den Zwang Wink der Natur, daß die höchste Wonne dem Menschen beschieden ist, wenn er schafft, d. h. außer sich tritt, um in ein anderes Medium zu treten. Man muss sich billig wundern, daß die Menschheit nicht schon lange den Wink sich fruchtbar gemacht u. ihn auf außerhalb der Erotik liegende Verhältnisse transponiert hat. Es Sie wäre leicht dahin gekommen zu begreifen, daß eine solche Erlösung von den Mühen des eigenen Organismus, von den Qualen u. Bedürfnissen desselben, kurz von allen Schmerzen, die von seiner Seite kommen, in jeder Hingabe beschlossen ist, also auch in der Hingabe an irgend eine Sache, d. h. einen Gegenstand, eine Pflicht u. s. f. Offenbar ist als Grund, weshalb die Menschen die Hingabe an den Geliebten allezeit der an eine Sache vorziehen[,] nur die- {107} ses anzusehen, daß die Sache nicht über die Aaugenfälligen Mittel des Dankes oder der Schmeichelei verfügt, wie der geliebte Mensch. Nur der Umstand allein, daß der Mensch sofort die Hingabe vergelten kann, schmeichelt dem Menschen u. macht ihm die Hingabe an den Menschen willkommener, als an eine Sache. Die Zinsen, die die Sache trägt, sind weitfristiger; kein Wunder daher, wenn die Menschen die kurzfristigen der Erotik vorziehen, wobei sie mindestens für kurze Zeit die Seeligkeit [sic] der Entrücktheit genießen dürfen. Nur gebe man diesem Prozess nicht den Namen der Liebe noch. —

*

(Ueber Anregung der Feuilletons über Strindberg von Prof. Schleich in der „Voss. Ztg“) 2

Der Darstellung seines Freundes ist jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen, daß Strindberg von den besten Wünschen für die Frau beseelt war. Schon als schöpferische Natur mußte er dasjenige wünschen, was er auch für sich selbst als das Höchste empfand, nämlich die tiefe Erkenntnis aller Zusammenhänge, die zur Meisterung der Lebenssituationen erforderlich ist. Leider war er selbst, sofern man Schleich's Erzählungen volles Verständnis zutrauen darf, noch nicht in der glücklichen Lage, des schwierigen Problems eigentlichen Kern ganz zu erfassen; er hätte sich denn sonst gehütet, von einer Frauenseele anders zu sprechen, als von einer Seele, die durch Schule, Erziehung, Disziplin ein der Entwicklung erst zugeführt werden soll, statt der Natur allein überlassen zu bleiben. Wie ein Kind in die Schule geschickt wird, ähnlich müßte auch die Frau selbst noch dann geführt werden, nachdem sie die übliche Schulbildung längst hinter sich hat. Man müßte ihr zwangsweise eine Kritik auch im häuslichen Kreise angewöhnen, u. sie stets daran erinnern, daß der Mann, wo u. wie immer wirkte, allezeit der heftigsten Kritik ausgesetzt ist. Durch alle Eitelkeit, Empfindlichkeit, Weh- {108} leidigkeit hindurch müßte sich der Mann den Weg zu ihrer Seele bahnen, um sie aus dem unkritischen Zustand in einen kritisierten hineinzustoßen, damit sie endlich ihre ungeprüften, unkontrollierten u. lediglich dem eigenen Egoismus zugewandten Nerven gewissermaßen als Waffe der Erkenntnis schärfe, wo es sich um Dinge handelt, die nicht nur ihre würzige Person allein betreffen. Erst durch Kritik müßte der Mann sie befähigen, den Wert der Wirkungskreise überhaupt zu unterscheiden u. von der höchsten Warte den kleinen für ebenso groß zu halten, wie den größten. Nur so würde es gelingen, die Frau aus dem gegenwärtigen unwürdigen Zustand einer Wilden zu erlösen, einer Wilden, die von der durch große Männer erzeugten Kultur erst nur so wenig sich angeeignet hat, wie unter den Männern sonst die Krämer. So wie die Krämer den Staaten ihre Physiognomie aufzuprägen wußten, so haben sie all ihre niedrigste Gesinnung auch in das Frauengeschlecht hineinzutragen gewußt. Selbst auf den kurzfristigsten Nutzen eingerichtet, u. nach ihm mit all den rapiden Mitteln strebend, die durch das Auge gehen u. daher im Nu die Wirkung erzeugen, übertragen sie durch Ansteckung diese billige Effekthascherei auf die Frauen, die nun gewissermaßen zur Krämerin ihres Geschlechtes wurde. Mit nur raschesten Erfolg verbürgenden Mitteln sucht sie ihren Geschlechtsteil sofort rentabel zu machen, rentabel in physiologischer als auch materieller Hinsicht. Sie will für ihre Fraulichkeit sofort ihr eEntgelt, u. kann in der Schule der Krämer sich jene Hingabe an idealere Ziele nicht erwerben, die ein größeres Glück, allerdings in späterer Zeit erreichen helfen. —

*

© Transcription Marko Deisinger.

January 23, 1916, +8°; a fine day.

— Draft of tax declaration for 1916, only as far as October. —

*

Popular Concert; 1 Floriz and Vally arrive too late, so we go into the concert hall without them; in the meantime they join us and Floriz tries to explain his lateness with lies, but I stave them off decisively. First Leonore Overture: were it not for the artful climaxes and syncopations, one would have to regard the thematic materials as Italian, at best in the manner of Cherubini and the technique as downright laughable, measured against the other two Leonore overtures[, no. 2 and no. 3]. Brahms's First Symphony; performance without declamation! The orchestral mass is indeed difficult to put across, rather like a single actor speaking and deporting himself; nonetheless, I believe that for a conductor who is in full command of the artwork, training the orchestra to be an eloquently declaiming actor would have to succeed. Liszt's Hungarian Fantasy, with Szanto [as soloist]. Performed very well; but whether the artist's technique would be sufficient for the singing style of the masters is something I would doubt. Listening to Wagner's overture to The Flying Dutchman so soon after Brahms, I am struck by such an acute shortage of syncopations. As the harmonies also change, in spite of all variety in this, it seems to me that there would be a significant difference between their following one another with or without syncopations.

*

At home in the evening, I find a card from Paul de Conne, who has been to my place and written it me only because he did not see me. It concerns a girl whom he warmly recommends to me for tuition. —

*

Internationalism of trade is regarded as self-evident, and inseparable from trade itself, {106} but cosmopolitanism among Germany's great poets was regarded as bad, although it was only then that national consciousness experience a specially emphasis, at any rate more than is found in international trade or in goods to be traded internationally. In every word he writes, Goethe, in spite of stressing his all-human character, is more German than the German trader who works in the export business. —

*

When the hour of social maturity strikes, man and woman feel themselves attracted to their opposite, and learn on this occasion the wonderful effect of dedication to another being. With this wonder, nature guarantees the individual the complete release from himself, an other-worldliness that, standing outside the erotic sphere, is something that only exceptionally gifted people feel during their moments of creativity. Basically, it too amounts to the fulfillment of a creative act; and if this act, in the strictest framework of nature, occurs initially just for purposes of procreation, it nonetheless still clearly contains nature's cue that a person may be granted the greatest joy if he creates, that is, if he steps outside himself in order to enter another medium. One has every reason to wonder why humanity has not taken advantage of this cue long ago, and transposed it to a relationship lying outside the erotic domain. It would then have been easy to come to understand that such a release from the cares of one's own organism, from its troubles and needs, in short from all the pains that come from within him, will be achieved in every act of devotion, and thus also in the devotion to any sort of thing, for instance an object, an obligation, and so forth. Apparently the reason people prefer to devote themselves to their beloved than to a thing can only be because {107} the thing – unlike the person who is loved – is not disposed to making a clear display of its gratitude, or of flattery. Only the circumstance alone that a person can reciprocate the act of devotion immediately is flattering to a person and makes him more willing to devote himself to a person than to a thing. The dividends that a thing will pay out are longer lasting; no wonder, then, if people prefer the short-term gains of the erotic, whereby they can at least enjoy the other-worldliness of blessedness for a brief moment. One should just not yet give this process the name of love. —

*

(Stimulated by a feuilleton about Strindberg, by Prof. Schleich, in the Vossische Zeitung ) 2

From the portrayal of his friend, one can in any event understand that Strindberg was inspirited with the best wishes for women. Merely as a creative figure, he must have wished for that which he felt to be the highest for himself, too, namely the deep understanding of all connections that is necessary for the mastery of life's situations. Unfortunately he himself, insofar as Schleich's stories may be credited with a complete interpretation, that he was not in the fortunate position of completely grasping the actual nub of this difficult problem; he would otherwise have guarded against speaking about a women's soul as a soul which should first be led through schooling, upbringing, and the discipline of development than be left alone to nature. As a child is sent to school, so a woman, even after she has long passed the stage of school upbringing, must similarly be guided. One would necessarily have to accustom her to criticism, even in her domestic circle, and constantly remind her that her husband, no matter his place or nature of work, is at all times exposed to the most severe criticism. In spite of all vanity, sensitivity, and fretfulness, {108} the husband ought to create the path to her soul in order to push her out of an uncritical condition and into a criticized one, so that she will finally sharpen her nerves – which are untested, uncontrolled and simply inclined towards her own self – as a weapon of recognition, and this concerns things that concern more than her own, piquant personality. Only through criticism can the man make her capable of distinguishing the value of [different] spheres of activity and, from the highest vantage-point, to regard the small ones as just as important as the greatest ones. Only in this way will the woman succeed in releasing herself from her present, unworthy state of an uncivilized person, who has only acquired a very limited amount of the culture produced by great men – as is the case with businessmen among men. As the businessmen were able to mark their physiognomy upon the states, thus they have been able to carry their basest mentality even into the female sex. Adapted as they are to the profiting by the quickest route, and striving for this with the most rapid means they can see and thus achieve in the shortest possible time, they infect their wives with this cheap effect-grabbing, who have now become, in a certain sense, the entrepreneurs of their sex. With only the quickest success with the means at her disposal, she seeks to make her sexual organ immediately profitable, profitable in the psychological as well as the material sense. She wants her immediate reward for her womanliness and is unable to acquire that devotion to more ideal goals in the businessmen's school, which would help her to reach a greater happiness, at any rate in later life. —

*

© Translation William Drabkin.

23. I. 16 +8°; schöner Tag.

— Entwurf des Steuerbekenntnisses für 1916, blos bis Oktober. —

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Populäres Konzert; 1 Floriz u. Wally kommen zu spät, so daß wir ohne sie in den Saal treten; indessen kommen sie nach u. Fl. macht den Versuch, seine Verspätung umzulügen, ich wehre aber entschieden ab. Erste Leonoren-Ouverture: Wären nicht die kunstvollen Steigerungen u. Synkopen, man müßte die Technik Thematik für italienisch, bestenfalls cherubinisch halten u. die Technik für geradezu läppisch, an der der beiden anderen Ouvertüren[, No. 2 u. No. 3] gemessen. Brahms: 1. Symphonie; Vortrag ohne Vortrag! Die Orchestermasse ist eben schwer dahin zu bringen, wie etwa ein einzelner Schauspieler zu sprechen u. sich zu gebärden; dennoch glaube ich, daß einem sehr überragenden, auf der Höhe des Kunstwerkes stehenden Dirigierten die Erziehung des Orchesters zu einem beredt deklamierenden Schauspieler gelingen müßte. Liszt: Ungarische Fantasie von Szanto. Sehr gut vorgetragen; ob aber die Technik des Künstlers für die Kantabilität der Meister ausreichen würde, möchte ich bezweifeln. Bei Wagners Ouverture zum „Fliegenden Holländer“ fällt mir eben knapp nach Brahms zum erstenmal in so akutem Maße der Mangel an Synkopen auf. So behende die Harmonien auch wechseln, so scheint es doch bei aller Man[n]igfaltigkeit derselben einen wesentlichen Unterschied auszumachen, ob sie mit oder ohne Synkopen aufeinander folgen.

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Zuhause finde ich abends eine Karte von Paul de Conne, der bei mir gewesen u. sie eben geschrieben, da er mich nicht angetroffen hat. Es handelt sich um ein Mädchen, das er mir zum Unterricht warm empfiehlt. —

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Internationalität des Handels wird als selbstverständlich u. vom Handel un- {106} zertrennlich befunden, aber den großen Dichtern in Deutschland nahm man den Kosmopolitismus übel, obgleich dabei das nationale Moment erst recht besondere Betonung erfuhr, jedenfalls mehr, als es bei internationalem Handel u. bei international zu handelnden Waren anzutreffen ist. In jedem Wort ist Goethe trotz seiner Betonung des Allmenschlichen deutscher, als es der deutsche Kaufmann ist, der Exportgeschäfte betreibt. —

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Da für den menschlichen Organismus die Stunde der gesellschaftlichen Reife schlägt, fühlt sich Mann wie Weib zum Gegensatz hingezogen u. lernt bei dieser Gelegenheit die wunderbare Wirkung der Hingabe an ein zweites Wesen. Mit diesem Wunder verbürgt die Natur dem Individuum die völlige Erlösung von sich selbst, eine Entrücktheit, die außerhalb der erotischen Sphäre sonst nur begnadete Menschen in ihren Schöpfungsstunden empfinden. Im Grunde gilt es ja auch einen Schöpfungsakt zu vollziehen, u. wenn auch dieser im strengsten Rahmen der Natur zunächst nur zu Zwecken der Fortpflanzung geschieht, so enthält er immerhin deutlich den Zwang Wink der Natur, daß die höchste Wonne dem Menschen beschieden ist, wenn er schafft, d. h. außer sich tritt, um in ein anderes Medium zu treten. Man muss sich billig wundern, daß die Menschheit nicht schon lange den Wink sich fruchtbar gemacht u. ihn auf außerhalb der Erotik liegende Verhältnisse transponiert hat. Es Sie wäre leicht dahin gekommen zu begreifen, daß eine solche Erlösung von den Mühen des eigenen Organismus, von den Qualen u. Bedürfnissen desselben, kurz von allen Schmerzen, die von seiner Seite kommen, in jeder Hingabe beschlossen ist, also auch in der Hingabe an irgend eine Sache, d. h. einen Gegenstand, eine Pflicht u. s. f. Offenbar ist als Grund, weshalb die Menschen die Hingabe an den Geliebten allezeit der an eine Sache vorziehen[,] nur die- {107} ses anzusehen, daß die Sache nicht über die Aaugenfälligen Mittel des Dankes oder der Schmeichelei verfügt, wie der geliebte Mensch. Nur der Umstand allein, daß der Mensch sofort die Hingabe vergelten kann, schmeichelt dem Menschen u. macht ihm die Hingabe an den Menschen willkommener, als an eine Sache. Die Zinsen, die die Sache trägt, sind weitfristiger; kein Wunder daher, wenn die Menschen die kurzfristigen der Erotik vorziehen, wobei sie mindestens für kurze Zeit die Seeligkeit [sic] der Entrücktheit genießen dürfen. Nur gebe man diesem Prozess nicht den Namen der Liebe noch. —

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(Ueber Anregung der Feuilletons über Strindberg von Prof. Schleich in der „Voss. Ztg“) 2

Der Darstellung seines Freundes ist jedenfalls mit Sicherheit zu entnehmen, daß Strindberg von den besten Wünschen für die Frau beseelt war. Schon als schöpferische Natur mußte er dasjenige wünschen, was er auch für sich selbst als das Höchste empfand, nämlich die tiefe Erkenntnis aller Zusammenhänge, die zur Meisterung der Lebenssituationen erforderlich ist. Leider war er selbst, sofern man Schleich's Erzählungen volles Verständnis zutrauen darf, noch nicht in der glücklichen Lage, des schwierigen Problems eigentlichen Kern ganz zu erfassen; er hätte sich denn sonst gehütet, von einer Frauenseele anders zu sprechen, als von einer Seele, die durch Schule, Erziehung, Disziplin ein der Entwicklung erst zugeführt werden soll, statt der Natur allein überlassen zu bleiben. Wie ein Kind in die Schule geschickt wird, ähnlich müßte auch die Frau selbst noch dann geführt werden, nachdem sie die übliche Schulbildung längst hinter sich hat. Man müßte ihr zwangsweise eine Kritik auch im häuslichen Kreise angewöhnen, u. sie stets daran erinnern, daß der Mann, wo u. wie immer wirkte, allezeit der heftigsten Kritik ausgesetzt ist. Durch alle Eitelkeit, Empfindlichkeit, Weh- {108} leidigkeit hindurch müßte sich der Mann den Weg zu ihrer Seele bahnen, um sie aus dem unkritischen Zustand in einen kritisierten hineinzustoßen, damit sie endlich ihre ungeprüften, unkontrollierten u. lediglich dem eigenen Egoismus zugewandten Nerven gewissermaßen als Waffe der Erkenntnis schärfe, wo es sich um Dinge handelt, die nicht nur ihre würzige Person allein betreffen. Erst durch Kritik müßte der Mann sie befähigen, den Wert der Wirkungskreise überhaupt zu unterscheiden u. von der höchsten Warte den kleinen für ebenso groß zu halten, wie den größten. Nur so würde es gelingen, die Frau aus dem gegenwärtigen unwürdigen Zustand einer Wilden zu erlösen, einer Wilden, die von der durch große Männer erzeugten Kultur erst nur so wenig sich angeeignet hat, wie unter den Männern sonst die Krämer. So wie die Krämer den Staaten ihre Physiognomie aufzuprägen wußten, so haben sie all ihre niedrigste Gesinnung auch in das Frauengeschlecht hineinzutragen gewußt. Selbst auf den kurzfristigsten Nutzen eingerichtet, u. nach ihm mit all den rapiden Mitteln strebend, die durch das Auge gehen u. daher im Nu die Wirkung erzeugen, übertragen sie durch Ansteckung diese billige Effekthascherei auf die Frauen, die nun gewissermaßen zur Krämerin ihres Geschlechtes wurde. Mit nur raschesten Erfolg verbürgenden Mitteln sucht sie ihren Geschlechtsteil sofort rentabel zu machen, rentabel in physiologischer als auch materieller Hinsicht. Sie will für ihre Fraulichkeit sofort ihr eEntgelt, u. kann in der Schule der Krämer sich jene Hingabe an idealere Ziele nicht erwerben, die ein größeres Glück, allerdings in späterer Zeit erreichen helfen. —

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© Transcription Marko Deisinger.

January 23, 1916, +8°; a fine day.

— Draft of tax declaration for 1916, only as far as October. —

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Popular Concert; 1 Floriz and Vally arrive too late, so we go into the concert hall without them; in the meantime they join us and Floriz tries to explain his lateness with lies, but I stave them off decisively. First Leonore Overture: were it not for the artful climaxes and syncopations, one would have to regard the thematic materials as Italian, at best in the manner of Cherubini and the technique as downright laughable, measured against the other two Leonore overtures[, no. 2 and no. 3]. Brahms's First Symphony; performance without declamation! The orchestral mass is indeed difficult to put across, rather like a single actor speaking and deporting himself; nonetheless, I believe that for a conductor who is in full command of the artwork, training the orchestra to be an eloquently declaiming actor would have to succeed. Liszt's Hungarian Fantasy, with Szanto [as soloist]. Performed very well; but whether the artist's technique would be sufficient for the singing style of the masters is something I would doubt. Listening to Wagner's overture to The Flying Dutchman so soon after Brahms, I am struck by such an acute shortage of syncopations. As the harmonies also change, in spite of all variety in this, it seems to me that there would be a significant difference between their following one another with or without syncopations.

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At home in the evening, I find a card from Paul de Conne, who has been to my place and written it me only because he did not see me. It concerns a girl whom he warmly recommends to me for tuition. —

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Internationalism of trade is regarded as self-evident, and inseparable from trade itself, {106} but cosmopolitanism among Germany's great poets was regarded as bad, although it was only then that national consciousness experience a specially emphasis, at any rate more than is found in international trade or in goods to be traded internationally. In every word he writes, Goethe, in spite of stressing his all-human character, is more German than the German trader who works in the export business. —

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When the hour of social maturity strikes, man and woman feel themselves attracted to their opposite, and learn on this occasion the wonderful effect of dedication to another being. With this wonder, nature guarantees the individual the complete release from himself, an other-worldliness that, standing outside the erotic sphere, is something that only exceptionally gifted people feel during their moments of creativity. Basically, it too amounts to the fulfillment of a creative act; and if this act, in the strictest framework of nature, occurs initially just for purposes of procreation, it nonetheless still clearly contains nature's cue that a person may be granted the greatest joy if he creates, that is, if he steps outside himself in order to enter another medium. One has every reason to wonder why humanity has not taken advantage of this cue long ago, and transposed it to a relationship lying outside the erotic domain. It would then have been easy to come to understand that such a release from the cares of one's own organism, from its troubles and needs, in short from all the pains that come from within him, will be achieved in every act of devotion, and thus also in the devotion to any sort of thing, for instance an object, an obligation, and so forth. Apparently the reason people prefer to devote themselves to their beloved than to a thing can only be because {107} the thing – unlike the person who is loved – is not disposed to making a clear display of its gratitude, or of flattery. Only the circumstance alone that a person can reciprocate the act of devotion immediately is flattering to a person and makes him more willing to devote himself to a person than to a thing. The dividends that a thing will pay out are longer lasting; no wonder, then, if people prefer the short-term gains of the erotic, whereby they can at least enjoy the other-worldliness of blessedness for a brief moment. One should just not yet give this process the name of love. —

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(Stimulated by a feuilleton about Strindberg, by Prof. Schleich, in the Vossische Zeitung ) 2

From the portrayal of his friend, one can in any event understand that Strindberg was inspirited with the best wishes for women. Merely as a creative figure, he must have wished for that which he felt to be the highest for himself, too, namely the deep understanding of all connections that is necessary for the mastery of life's situations. Unfortunately he himself, insofar as Schleich's stories may be credited with a complete interpretation, that he was not in the fortunate position of completely grasping the actual nub of this difficult problem; he would otherwise have guarded against speaking about a women's soul as a soul which should first be led through schooling, upbringing, and the discipline of development than be left alone to nature. As a child is sent to school, so a woman, even after she has long passed the stage of school upbringing, must similarly be guided. One would necessarily have to accustom her to criticism, even in her domestic circle, and constantly remind her that her husband, no matter his place or nature of work, is at all times exposed to the most severe criticism. In spite of all vanity, sensitivity, and fretfulness, {108} the husband ought to create the path to her soul in order to push her out of an uncritical condition and into a criticized one, so that she will finally sharpen her nerves – which are untested, uncontrolled and simply inclined towards her own self – as a weapon of recognition, and this concerns things that concern more than her own, piquant personality. Only through criticism can the man make her capable of distinguishing the value of [different] spheres of activity and, from the highest vantage-point, to regard the small ones as just as important as the greatest ones. Only in this way will the woman succeed in releasing herself from her present, unworthy state of an uncivilized person, who has only acquired a very limited amount of the culture produced by great men – as is the case with businessmen among men. As the businessmen were able to mark their physiognomy upon the states, thus they have been able to carry their basest mentality even into the female sex. Adapted as they are to the profiting by the quickest route, and striving for this with the most rapid means they can see and thus achieve in the shortest possible time, they infect their wives with this cheap effect-grabbing, who have now become, in a certain sense, the entrepreneurs of their sex. With only the quickest success with the means at her disposal, she seeks to make her sexual organ immediately profitable, profitable in the psychological as well as the material sense. She wants her immediate reward for her womanliness and is unable to acquire that devotion to more ideal goals in the businessmen's school, which would help her to reach a greater happiness, at any rate in later life. —

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The orchestra of the Vienna Concert Society, conducted by Martin Spörr, performed at the Konzerthaus in Vienna. ("Theater- und Kunstnachrichten," Neue Freie Presse, No. 18470, January 23, 1916, p. 19).

2 Carl Ludwig Schleich, "Strindberg-Erinnerungen," Vossische Zeitung, No. 1, January 1, 1916, morning edition, 4th supplement, pp. [1-2]; "Strindberg-Erinnerungen," Vossische Zeitung, No. 12, January 7, 1916, evening edition, pp. [2-3]; "Strindbergs Frauenerlebnis. Erinnerungen und Erklärungen," Vossische Zeitung, No. 27, January 15, 1916, evening edition, p. [2-3]; "Strindberg, der Freund," Vossische Zeitung, No. 40, January 22, 1916, evening edition, p. [2-3].