24. I. 16
Im „Morgen“ reklamirt ein bescheidenes Notizchen „Säulen des Staates“ 1 diesen Ehrentitel für diejenigen, denen eben dieser Charakter auch wirklich eigen ist, verweigert ihn jedenfalls aber den gegenwärtigen als „Säulen“ geltenden Berufen, so vor allem dem Kaufmann. Zur Kennzeichnung des moralischen Tiefstandes innerhalb der heutigen menschlichen Gesellschaft u. Staatsordnung dient wohl am besten nun zu sehen, wie eine solche Wahrheit, die ja grundlegend sein müßte, nur erst als eine Zeitungsnotiz, mehr etwa als ein Journalisten-Aperçu in Erscheinung tritt. *Den Umsatz allein hält der Kaufmann noch immer nicht für eine genügende Erwerbs- {113} quelle, er reklamirt daher selbst bei noch so gesteigertem Umsatz eine ewige Rente als Entlohnung für die erste Grundidee seines Geschäftes u. das mit ihr seinerzeit verbunden gewesene Risiko, so daß er, schon längst außerhalb der Risikogefahren stehend, noch immer unter diesem Titel Einkünfte beansprucht. Man sage aber dem Kaufmann, daß es dann mindestens ebenso gerecht wäre, wenn sich der Erfinder einer wissenschaftlich praktischen Idee in analoger Weise für alle Zeiten seiner künftigen Geschlechter bezahlt machen dürfte, so ist er der Erste, der die Berechtigung einer solchen Entlohnung anzweifelt u. verweigert. Im letzten Grunde ist diese Differenz in der Betrachtung ähnlicher Verhältnisse dadurch zu erklären, daß dem Kaufmann nur seine erste Gründung, nur seine kaufmännische Führung als eine Leistung überhaupt erscheint, während er eben wegen der überspannten Selbsteinschätzung die Leistung des Erfinders für weiter nichts Besonderes ansieht. Die Wurzel daher wieder: Eitelkeit, Ueberhebung, Egoismus. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
January 24, 1916.
In Der Morgen , a modest piece, "Pillars of the State, 1 claims this honorary title for those who actually possess this very characteristic, but denies it in any event to the professions that are currently accepted as "pillar," above all that of the businessman. For an indication of the moral low point of today's human society and political order, one is well served by observing how such a truth, which must indeed be fundamental, has come into being only as a newspaper article, rather like a journalistic observation. *Profits alone are not regarded by the businessman as nearly enough of a source of income; {113} he thus claims, even when his profits are much increased, an indefinite pension as reword for the principal underlying idea of his business, and the risk that was attached to it at the time; now, for such a long time standing outside the dangers of risk, still claims income under this rubric. But if one were to say to the businessman that it would be at least just as fair if the inventor of a scientifically practical idea ought to be paid analogously for all the times of his future generations, then he would be the first to doubt and deny the justification for such a payment. In the last analysis, this difference in how one looks at similar situations may be explained as follows: that for the businessman, only his initial foundation, only his business leadership may be regarded as an achievement at all, whereas his overstretched self-assessment prevents him from regarding the accomplishment of the inventor as anything special. The roots [of this attitude] are thus, once again: vanity, arrogance, egoism. — *
© Translation William Drabkin. |
24. I. 16
Im „Morgen“ reklamirt ein bescheidenes Notizchen „Säulen des Staates“ 1 diesen Ehrentitel für diejenigen, denen eben dieser Charakter auch wirklich eigen ist, verweigert ihn jedenfalls aber den gegenwärtigen als „Säulen“ geltenden Berufen, so vor allem dem Kaufmann. Zur Kennzeichnung des moralischen Tiefstandes innerhalb der heutigen menschlichen Gesellschaft u. Staatsordnung dient wohl am besten nun zu sehen, wie eine solche Wahrheit, die ja grundlegend sein müßte, nur erst als eine Zeitungsnotiz, mehr etwa als ein Journalisten-Aperçu in Erscheinung tritt. *Den Umsatz allein hält der Kaufmann noch immer nicht für eine genügende Erwerbs- {113} quelle, er reklamirt daher selbst bei noch so gesteigertem Umsatz eine ewige Rente als Entlohnung für die erste Grundidee seines Geschäftes u. das mit ihr seinerzeit verbunden gewesene Risiko, so daß er, schon längst außerhalb der Risikogefahren stehend, noch immer unter diesem Titel Einkünfte beansprucht. Man sage aber dem Kaufmann, daß es dann mindestens ebenso gerecht wäre, wenn sich der Erfinder einer wissenschaftlich praktischen Idee in analoger Weise für alle Zeiten seiner künftigen Geschlechter bezahlt machen dürfte, so ist er der Erste, der die Berechtigung einer solchen Entlohnung anzweifelt u. verweigert. Im letzten Grunde ist diese Differenz in der Betrachtung ähnlicher Verhältnisse dadurch zu erklären, daß dem Kaufmann nur seine erste Gründung, nur seine kaufmännische Führung als eine Leistung überhaupt erscheint, während er eben wegen der überspannten Selbsteinschätzung die Leistung des Erfinders für weiter nichts Besonderes ansieht. Die Wurzel daher wieder: Eitelkeit, Ueberhebung, Egoismus. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
January 24, 1916.
In Der Morgen , a modest piece, "Pillars of the State, 1 claims this honorary title for those who actually possess this very characteristic, but denies it in any event to the professions that are currently accepted as "pillar," above all that of the businessman. For an indication of the moral low point of today's human society and political order, one is well served by observing how such a truth, which must indeed be fundamental, has come into being only as a newspaper article, rather like a journalistic observation. *Profits alone are not regarded by the businessman as nearly enough of a source of income; {113} he thus claims, even when his profits are much increased, an indefinite pension as reword for the principal underlying idea of his business, and the risk that was attached to it at the time; now, for such a long time standing outside the dangers of risk, still claims income under this rubric. But if one were to say to the businessman that it would be at least just as fair if the inventor of a scientifically practical idea ought to be paid analogously for all the times of his future generations, then he would be the first to doubt and deny the justification for such a payment. In the last analysis, this difference in how one looks at similar situations may be explained as follows: that for the businessman, only his initial foundation, only his business leadership may be regarded as an achievement at all, whereas his overstretched self-assessment prevents him from regarding the accomplishment of the inventor as anything special. The roots [of this attitude] are thus, once again: vanity, arrogance, egoism. — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 K., "Die Säulen des Staates," Der Morgen, No. 4, January 24, 1916, 7th year, pp. 5-6. |