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7. Sehr schöner Tag.

— Telephonisch Karpath mitgeteilt, daß Dr. Hübsch kein Militär-Verteidiger ist u. Ludwig Gelber vorgeschlagen, worauf Karpath die Frage lieber auf später verschoben wünscht. —

— Mit Lie-Liechen in die Blindengasse zur Zeugenaussage. Eine halbe Stunde auf dem Korridor gewartet, hernach die Aussage deponiert: Der Protokollführer, in Friedenszeiten Advokat, hatte bei aller Freundlichkeit der Formen u. vielleicht auch der Gesinnung nur eine Sorge: um Kürze! Meine Absicht, aus der ganzen Vergangen- {128} heit des Angeklagten Beweise dafür beizubringen, daß über ihn doch nicht plötzlich der Wahnsinn einer oesterreich-feindlichen Gesinnung gefallen sein könnte, der ihn sogar bis zu einem Delikt geführt hätte, konnte ich angesichts obiger Tendenz nicht zur Ausführung bringen. Der Jurist wollte, wie es sonst schlechte Aerzte zu tun pflegen, nur auf das eine Symptom, das gerade zum Vorschein gekommen, eingehen u. begnügte sich für das Protokoll mit dem Ausdruck meiner Ueberzeugung, daß Mittelmann, der sich niemals zu Schimpfereien hinreißen läßt, antipatriotischer Gedanken von Haus aus gar nicht fähig ist. Und als ich bemerkte, daß schließlich der ihm zum Vorwurf gemachte Ausruf „schwarz-gelbe Hunde“ 1 doch auch wieder in dem Sinn ausgelegt werden könnte, daß M. die echte schwarz-gelbe Gesinnung eher für sich, als für jene Denunzianten in Anspruch nahm u. daß er sich in diesem Falle ja auch nicht anders hätte ausdrücken können, als er es angeblich getan haben soll, da meinte der Protokollführer, dies möge der Verteidiger vorbringen u. begnügt sich ins Protokoll zu schreiben: Ich halte die Anzeige für ein Mißverständnis. Das Schwierige in M.s Situation liegt lediglich darin, daß der Kronzeuge wider ihn unseligerweise ein Wachmann ist, dem auf Diensteid alles geglaubt wird, was er aussagt, wobei nur aber nicht einmal untersucht wird, welchen Sinn das Gehörte möchte eventuell gehabt haben könnte. Wie so oft konnte ich auch diesmal die Wahrnehmung bestätigen, daß sich die Behörden um Sprache u. Sinn nicht bekümmern wollen, auch nicht können. Es wäre auch vergebens ihnen begreiflich machen zu wollen, wie gerade die patriotischere Gesinnung es wünschen könnte müßte, dem einem niedrigen Gesindel den billigen Radau-Patriotismus abzusprechen, u. wie wenig ehrenhaft es dagegen ist, das Gesindel allein zum Pächter dieser Tugend zu machen u. gar den Staat, die Dynastie mit ihm zu identifizieren. —

Nach Deposition der Aussage zu Tisch bei Wieninger, wo wir Brünauer treffen, {129} dann ins Café Museum u. endlich allein zu Karpath. Im gewissen Sinne ist es ja dieser Herr gewesen, der die Verantwortung für die Verhaftung trägt; erst im letzten Augenblicke der Gefahr begriff er, wie wenig es der Würde der von ihm selbst redigirten Halbmonatsschrift angemessen ist, wenn das Faktotum im Männerheim logieren muss. Billig sollte der Sklave sein, aber ungerne sieht der Herr die Folgen davon hereinbrechen, die aus der mutwilligen Ersparnis sich ergeben haben. K. machte sich Luft, indem er wider M. heftige Vorwürfe erhob, sich selbst aber im Lichte desjenigen sah, der gerade im Begriffe war, in [sic] aus dem Männerheim zu befreien. Nun wurde die Frage des Verteidigers aufgeworfen u. da meinte .Kp, die Sache koste Geld, woher nehmen? Angesichts dieser Schnorrerei, die in gar zu argem Widerspruch zum gesamten Milieu stand, zog ich vor, mich allsogleich zur Deckung der Kostenhälfte bereit zu erklären. Während wir über die Wahl des Verteidigers berieten, wurde Herr Kurt v. Redlich gemeldet; nach einigem Zögern entschloss sich K., ihn in die Affaire einzuweihen, was er umso leichter tun konnte, als Redlich für M. schon einiges getan hatte. Es kam im Laufe meiner Darstellung des Falles nun wieder die Verteidigerfrage u. da erklärte sich R. bereit, die Kosten selbst tragen zu wollen. —

*

Abends BriefOJ 12/9, [18] von Karpath mit Nominierung Dr. Kammerers, zu dem ich am nächsten Morgen gehen sollte.

*

© Transcription Marko Deisinger.

7. Very fine day.

— Telephone call to Karpath in which I report that Dr. Hübsch is not a military defense lawyer and recommend Ludwig Gelber; but Karpath would prefer to delay the matter to a later time. —

— With Lie-Liechen to the Blindengasse for the testimony. After a half-hour's wait in the corridor, the witness statement deposited. The court reporter had been a lawyer in peacetime; in spite of all signs, and intentions, of friendliness, he was concerned with only one thing: to keep things brief!! My intention to offer evidence, from the defendant's past – {128} that he could not have suddenly fallen into the madness of anti-Austrian sentiment that would have led him so far as to commit a crime – was something that, on account of the above-mentioned condition, I was unable to put into writing. The jurist was hoping for something that one generally encounters among only bad doctors: to respond only to the one symptom that had just manifested itself; and, for the purposes of reporting, he was satisfied with the expression of my conviction that Mittelmann, who could never be induced to behave abusively, was by nature utterly incapable of antipatriotic sentiments. And when I noted that ultimately the cry of "black-and-yellow dogs" 1 could be levelled at him as a criticism, in the sense that Mittelmann took the genuine black-and-yellow sentiment as applying more to himself than to his accuser, and that he could not have expressed himself here in any other way than as he is said to have done, the court reporter said that this is something that the defense council could bring up; and he was content to write in his report that I regard the summons as the result of a misunderstanding. The difficulty in Mittelmann's situation lies simply in the fact that the chief witness against him is, regrettably, a policeman from whom, under oath, everything he says will be believed; so that there will not be any sort of examination of the meaning that may be attached to what had been heard. As has happened so often, even this time I could confirm my perception that the authorities did not trouble themselves about the meaning of what was said, nor were they capable of doing so. It would have also been fruitless to make them understand how precisely the more patriotic sentiment would wish to deny the common mob their cheap hooligan-like patriotism – and how less honorable it is, however, to make that riff-raff alone the tenant of this virtue and even to identify the state, the dynasty, with them. —

After depositing my statement, lunch at Wieninger's, where we meet Brünauer, {129} then to the Café Museum and finally on my own to see Karpath. In a certain sense it is this gentleman who must bear responsibility for [Mittelmann's] arrest; for it was only when the danger was imminent that he understood how little credit it would give to the dignity of a biweekly journal , of which he is the editor, if his factotum had to live in a men's lodging house. The slave should come cheap, but the gentleman does not want to know about the consequences that befall him as a result of his willful parsimony. Karpath gave vent to his anger by raising fierce objections against Mittelmann but saw himself from the point of view of the one who was actually at the point of freeing him from the men's lodging home. Now the matter of a defense council was brought up; and here Karpath said that the matter would cost money, and where would it come from? In the face of this scrounging, which stood in stark opposition to the general atmosphere, I immediately offered to cover half the costs. While we were discussing the choice of defense council, Mr. Kurt von Redlich was summed; after some hesitation, Karpath decided to induct him into the matter, something that he found all the easier to do as Redlich had already done a few things for Mittelmann. In the course of my account of the case, the question of defense council came up again; and here Redlich said he was prepared to bear the costs himself. —

*

In the evening, a letterOJ 12/9, [18] from Karpath nominating Dr. Kammerer, to whom I should go the following morning.

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© Translation William Drabkin.

7. Sehr schöner Tag.

— Telephonisch Karpath mitgeteilt, daß Dr. Hübsch kein Militär-Verteidiger ist u. Ludwig Gelber vorgeschlagen, worauf Karpath die Frage lieber auf später verschoben wünscht. —

— Mit Lie-Liechen in die Blindengasse zur Zeugenaussage. Eine halbe Stunde auf dem Korridor gewartet, hernach die Aussage deponiert: Der Protokollführer, in Friedenszeiten Advokat, hatte bei aller Freundlichkeit der Formen u. vielleicht auch der Gesinnung nur eine Sorge: um Kürze! Meine Absicht, aus der ganzen Vergangen- {128} heit des Angeklagten Beweise dafür beizubringen, daß über ihn doch nicht plötzlich der Wahnsinn einer oesterreich-feindlichen Gesinnung gefallen sein könnte, der ihn sogar bis zu einem Delikt geführt hätte, konnte ich angesichts obiger Tendenz nicht zur Ausführung bringen. Der Jurist wollte, wie es sonst schlechte Aerzte zu tun pflegen, nur auf das eine Symptom, das gerade zum Vorschein gekommen, eingehen u. begnügte sich für das Protokoll mit dem Ausdruck meiner Ueberzeugung, daß Mittelmann, der sich niemals zu Schimpfereien hinreißen läßt, antipatriotischer Gedanken von Haus aus gar nicht fähig ist. Und als ich bemerkte, daß schließlich der ihm zum Vorwurf gemachte Ausruf „schwarz-gelbe Hunde“ 1 doch auch wieder in dem Sinn ausgelegt werden könnte, daß M. die echte schwarz-gelbe Gesinnung eher für sich, als für jene Denunzianten in Anspruch nahm u. daß er sich in diesem Falle ja auch nicht anders hätte ausdrücken können, als er es angeblich getan haben soll, da meinte der Protokollführer, dies möge der Verteidiger vorbringen u. begnügt sich ins Protokoll zu schreiben: Ich halte die Anzeige für ein Mißverständnis. Das Schwierige in M.s Situation liegt lediglich darin, daß der Kronzeuge wider ihn unseligerweise ein Wachmann ist, dem auf Diensteid alles geglaubt wird, was er aussagt, wobei nur aber nicht einmal untersucht wird, welchen Sinn das Gehörte möchte eventuell gehabt haben könnte. Wie so oft konnte ich auch diesmal die Wahrnehmung bestätigen, daß sich die Behörden um Sprache u. Sinn nicht bekümmern wollen, auch nicht können. Es wäre auch vergebens ihnen begreiflich machen zu wollen, wie gerade die patriotischere Gesinnung es wünschen könnte müßte, dem einem niedrigen Gesindel den billigen Radau-Patriotismus abzusprechen, u. wie wenig ehrenhaft es dagegen ist, das Gesindel allein zum Pächter dieser Tugend zu machen u. gar den Staat, die Dynastie mit ihm zu identifizieren. —

Nach Deposition der Aussage zu Tisch bei Wieninger, wo wir Brünauer treffen, {129} dann ins Café Museum u. endlich allein zu Karpath. Im gewissen Sinne ist es ja dieser Herr gewesen, der die Verantwortung für die Verhaftung trägt; erst im letzten Augenblicke der Gefahr begriff er, wie wenig es der Würde der von ihm selbst redigirten Halbmonatsschrift angemessen ist, wenn das Faktotum im Männerheim logieren muss. Billig sollte der Sklave sein, aber ungerne sieht der Herr die Folgen davon hereinbrechen, die aus der mutwilligen Ersparnis sich ergeben haben. K. machte sich Luft, indem er wider M. heftige Vorwürfe erhob, sich selbst aber im Lichte desjenigen sah, der gerade im Begriffe war, in [sic] aus dem Männerheim zu befreien. Nun wurde die Frage des Verteidigers aufgeworfen u. da meinte .Kp, die Sache koste Geld, woher nehmen? Angesichts dieser Schnorrerei, die in gar zu argem Widerspruch zum gesamten Milieu stand, zog ich vor, mich allsogleich zur Deckung der Kostenhälfte bereit zu erklären. Während wir über die Wahl des Verteidigers berieten, wurde Herr Kurt v. Redlich gemeldet; nach einigem Zögern entschloss sich K., ihn in die Affaire einzuweihen, was er umso leichter tun konnte, als Redlich für M. schon einiges getan hatte. Es kam im Laufe meiner Darstellung des Falles nun wieder die Verteidigerfrage u. da erklärte sich R. bereit, die Kosten selbst tragen zu wollen. —

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Abends BriefOJ 12/9, [18] von Karpath mit Nominierung Dr. Kammerers, zu dem ich am nächsten Morgen gehen sollte.

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© Transcription Marko Deisinger.

7. Very fine day.

— Telephone call to Karpath in which I report that Dr. Hübsch is not a military defense lawyer and recommend Ludwig Gelber; but Karpath would prefer to delay the matter to a later time. —

— With Lie-Liechen to the Blindengasse for the testimony. After a half-hour's wait in the corridor, the witness statement deposited. The court reporter had been a lawyer in peacetime; in spite of all signs, and intentions, of friendliness, he was concerned with only one thing: to keep things brief!! My intention to offer evidence, from the defendant's past – {128} that he could not have suddenly fallen into the madness of anti-Austrian sentiment that would have led him so far as to commit a crime – was something that, on account of the above-mentioned condition, I was unable to put into writing. The jurist was hoping for something that one generally encounters among only bad doctors: to respond only to the one symptom that had just manifested itself; and, for the purposes of reporting, he was satisfied with the expression of my conviction that Mittelmann, who could never be induced to behave abusively, was by nature utterly incapable of antipatriotic sentiments. And when I noted that ultimately the cry of "black-and-yellow dogs" 1 could be levelled at him as a criticism, in the sense that Mittelmann took the genuine black-and-yellow sentiment as applying more to himself than to his accuser, and that he could not have expressed himself here in any other way than as he is said to have done, the court reporter said that this is something that the defense council could bring up; and he was content to write in his report that I regard the summons as the result of a misunderstanding. The difficulty in Mittelmann's situation lies simply in the fact that the chief witness against him is, regrettably, a policeman from whom, under oath, everything he says will be believed; so that there will not be any sort of examination of the meaning that may be attached to what had been heard. As has happened so often, even this time I could confirm my perception that the authorities did not trouble themselves about the meaning of what was said, nor were they capable of doing so. It would have also been fruitless to make them understand how precisely the more patriotic sentiment would wish to deny the common mob their cheap hooligan-like patriotism – and how less honorable it is, however, to make that riff-raff alone the tenant of this virtue and even to identify the state, the dynasty, with them. —

After depositing my statement, lunch at Wieninger's, where we meet Brünauer, {129} then to the Café Museum and finally on my own to see Karpath. In a certain sense it is this gentleman who must bear responsibility for [Mittelmann's] arrest; for it was only when the danger was imminent that he understood how little credit it would give to the dignity of a biweekly journal , of which he is the editor, if his factotum had to live in a men's lodging house. The slave should come cheap, but the gentleman does not want to know about the consequences that befall him as a result of his willful parsimony. Karpath gave vent to his anger by raising fierce objections against Mittelmann but saw himself from the point of view of the one who was actually at the point of freeing him from the men's lodging home. Now the matter of a defense council was brought up; and here Karpath said that the matter would cost money, and where would it come from? In the face of this scrounging, which stood in stark opposition to the general atmosphere, I immediately offered to cover half the costs. While we were discussing the choice of defense council, Mr. Kurt von Redlich was summed; after some hesitation, Karpath decided to induct him into the matter, something that he found all the easier to do as Redlich had already done a few things for Mittelmann. In the course of my account of the case, the question of defense council came up again; and here Redlich said he was prepared to bear the costs himself. —

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In the evening, a letterOJ 12/9, [18] from Karpath nominating Dr. Kammerer, to whom I should go the following morning.

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The colors black and yellow, derived from the old imperial coat-of-arms, were the colors of the Austro-Hungarian double monarchy. They were the also the colors of the empire and thus hung from the flagpoles in front of the Parliament building.