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11. +4°, wunderschöner Frühlingstag.

— An Vrieslander (Br.); mache Mitteilung, die revidierte Abschrift der Eroica gesehen zu haben; über das b1 der Trompete; 1 empfehle ihm Em. Bachs Litaneyen [sic] u. erzähle über Bruno Walter, was ich kürzlich von Floriz hörte. —

Hupka sucht mich gegen Abend, trifft mich aber nicht zuhause; bittet, mich morgen um 9h sehen zu dürfen. — Lie-Liechen schönes neues Kleidchen kommt. —

— Im [illeg]Frisierladen macht die „Frau Chefin“ durch ihre Unarten u. Geschäftigkeiten, mit denen sie schon so viele Gäste vertrieben, den Gehilfen nervös u. da er [illeg]die {158} Stücke, die er braucht, nicht an ihrem Platze findet, gibt er dem Unmut Ausdruck, erhält aber von der Chefin die Zurechtweisung „nur nicht nervös, alles in Ruhe.“ Diese Worte spricht sie mit einer so überirdischen Ruhe, daß man über dem Eindruck dieser Ruhe niemals auf den Gedanken kommen könnte, die Person, die sie spricht, sei ja die eigentliche Urheberin der Unruhe im Laden von früh bis abend.

*

Die medizinische Wissenschaft scheint bei Beurteilung von Nervositäten zu übersehen, daß diese Krankheiten wohl zum größten Teil von Egoismus suteniert souteniert werden. Es macht den Nervösen Freude, die eigene Nervosität auszutoben, u. um sich diese Freude nicht verkümmern zu lassen, bilden sie sich nicht nur ein niemand zur Last zu fallen, sondern viel eher den erfreulichen Eindruck von Lebhaftigkeit hervorzubringen. Sie selbst reagiren aber schmerzlich auf die Nervosität des anderen u. schützen sich in ihrem Egoismus damit, daß sie gar nicht erst sehen wollen, wie die Nervosität in ursächlichem Zusammenhang mit der eigenen steht. Mit einem Wort: Einbildung u. Egoismus sind die hauptsächlichsten 2 Triebfedern einer solchen Nervosität, wobei Eitelkeit das betreffende Individuum von der anderen Seite schützt. —

*

Naturam non expellas furca. 3 Eitelkeit bildet sich ein, immer in Notwehr zu sein, auch ohne jede Veranlassung. Das Kennzeichen der Notwehr ist das Gefühl des Beleidigtseins. Kennzeichnend für das grundlegende Wesen der Eitelkeit u. des daraus entspringenden Gefühls des Beleidigtseins ist, daß sie beide meist ohne jede Veranlassung hervortreten u. bei wirklich vorhandenen, selbst gravierendsten Anlässen gänzlich schweigen. Die unreelle Basis, auf der die Eitelkeit ruht, rächt sich auch darin, daß sie niemals einen Einklang zwischen Wort u. Tat aufkommen {159} läßt. Sie bildet sich den Einklang ein, führt aber getrennte Bücher, in deren einem die Worte laufen, während das andere divergirende Taten führt. Gleich einer tausendköpfigen Hydra weiß die Eitelkeit, weil sie eben unreell fundirt ist, immer wieder einen neuen Kopf hervorzutreiben. Und da kann es sich begeben, daß, wenn man sie noch so arg bedrängt , u. auf den Widerspruch von Wort u. Tat hinweist, sie schließlich auch in Worten sich verfehlt, indem sie ausspricht, was sie laut der Buchführung der Worte nicht ausgesprochen haben wollte. Bekämpfe ich z. B. täglich u. stündlich das Gefühl des Beleidigtseins ohne Veranlassung u. reclamiere ich für harmlose oder auch einen Tatbestand korrigierende Bemerkungen das Recht auf Bemerkungen überhaupt, ein Recht, das ich dem zum Beleidigtsein neigenden Wesen auch meinerseits immer zugebe, so kann es vorkommen, daß der Gegenpartner plötzlich das Recht reclamirt, die Wirkung auslösen zu lassen; also gerade die Wirkung, die abzustellen ist, wird als eine Notwendigkeit hingestellt, die gleichsam aus der Natur nicht zu streichen wäre. So wenig vermögen Vernunftgründe u. Betragen des Lebens gegen Eitelkeit auszurichten. Ehe die Eitelkeit sich dazu entschließt Vertrauen zu bezeugen u. im Sinne des Vertrauens Harmlosigkeit mit Harmlosigkeit zu erwidern (, daß dies möglich ist, wird ja an zahllosen anderen Menschenexemplaren klar), beruft sie sich lieber auf die Natur, als wäre sie der Natur gegenüber gebunden u. daher verurteilt, innerhalb dieses Kreises zu bleiben, was sie aber anderseits nicht hindert , zu behaupten, was der Eitelkeit eben zusagt, daß sie ja Vertrauen habe, usf. —

*

Die Menschenkinder sammeln von Jugend auf; Knaben u. Mädchen sammeln Briefmarken, Münzen usw. Später sammeln sie Menschen, Frauen u. Männer, nur niemals sammeln sie sich selbst in einer Sache, ganz in einer Freundschaft oder Liebe. —

*

Nach Tisch Café, Spaziergang. —

*

{160}

© Transcription Marko Deisinger.

11, +4°, a very beautiful spring day.

— To Vrieslander (letter): I inform him that I have seen the revised copy of the Eroica; about the B-flat above middle C in the trumpet; 1 I recommend C. P. E. Bach's Litanies and tell him about what I recently heard about Bruno Walter from Floriz. —

Hupka looks for me towards evening, but does not find me at home; he requests to see me tomorrow at 9 o'clock. — Lie-Liechen's pretty new skirt arrives —

— At the hairdresser's, the "proprietress" makes her assistant nervous as a result of her bad manners and busyness, which has already driven away so many clients. And as he does not find the {158} things that he needs in their right place, he expresses his discontent; but receives the rebuke from the proprietress ,"Just don't be nervous; do everything calmly," She speaks these words as such an unearthly calmness that no one who was under the impression of this calmness would never imagine that the person who uttered them was actually the cause of the disquiet in the shop from morning to evening.

*

The medical world, when assessing neuroses, seems to overlook that these illnesses are, for the most part, largely supported by egoism. Neurotic people take pleasure in giving their own neuroses free play; and in order not to let this pleasure dwindle, they imagine themselves not only as being a burden to no one but much rather creating the delightful impression of liveliness. They themselves, however, react painfully to the neuroses of others and protect themselves in their egoism by refusing altogether to see how that neurosis stands in a causal relationship to their own. In other words: delusion and egoism are the principal 2 factors that drive such neurosis, with vanity protecting the individual concerned from the other side. —

*

Naturam non expellas furca. 3 Vanity always imagines itself to go on the defensive, even where there is no cause for it to do so. The hallmark of self-defense is the feeling of being aggrieved. Characteristic of the basic nature of vanity and the resultant aggrieved feeling is that both usually arise without any cause, and vanish entirely when reasons, even the most sensible ones, actually do come to the fore. The unreal basis upon which vanity is founded avenges itself also by never allowing an agreement between word and deed. {159} It imagines agreement but keeps separate account-books: the words go into one, whereas the divergent deeds go into the other. Like a thousand-headed Hydra, vanity is always able to grow a new head, precisely because of its unreal foundation. And so it can happen that when one severely challenges it and points out the contradiction between word and deed, it is ultimately at a loss even in words, insofar as it expresses that which it did not want to have expressed in accordance with the account-book of words. If, for example, I struggle daily and hourly against feeling aggrieved without cause, and I claim the right at all to make observations about inoffensive remarks, or those that correct a statement of facts – a right that I can, for my part, always concede to someone who is inclined to feel aggrieved – then it can happen that my opponent will suddenly claim the right for the effect to be triggered: thus precisely that effect that should be suppressed will be held up as a necessity that should, so to speak, not be expelled from nature. Cogent arguments and behavior in life are capable of doing little against vanity. Before vanity is determined to create trust and, from the viewpoint of trust, to reply to inoffensiveness with inoffensiveness (that this is possible is clear from countless other examples of human behavior), it would rather appeal to nature, as if it were tied to nature and thus condemned to remain within its orbit – which, on the other hand, does not prevent it from insisting that it indeed has trust: something that verily confirms vanity; and so on. —

*

Children collect things from youth onwards. Boys and girls collect stamps, coins, etc. Later they collect people, women and men; but they never become focused in a cause, entirely in friendship or love. —

*

After lunch, coffee and a walk. —

*

{160}

© Translation William Drabkin.

11. +4°, wunderschöner Frühlingstag.

— An Vrieslander (Br.); mache Mitteilung, die revidierte Abschrift der Eroica gesehen zu haben; über das b1 der Trompete; 1 empfehle ihm Em. Bachs Litaneyen [sic] u. erzähle über Bruno Walter, was ich kürzlich von Floriz hörte. —

Hupka sucht mich gegen Abend, trifft mich aber nicht zuhause; bittet, mich morgen um 9h sehen zu dürfen. — Lie-Liechen schönes neues Kleidchen kommt. —

— Im [illeg]Frisierladen macht die „Frau Chefin“ durch ihre Unarten u. Geschäftigkeiten, mit denen sie schon so viele Gäste vertrieben, den Gehilfen nervös u. da er [illeg]die {158} Stücke, die er braucht, nicht an ihrem Platze findet, gibt er dem Unmut Ausdruck, erhält aber von der Chefin die Zurechtweisung „nur nicht nervös, alles in Ruhe.“ Diese Worte spricht sie mit einer so überirdischen Ruhe, daß man über dem Eindruck dieser Ruhe niemals auf den Gedanken kommen könnte, die Person, die sie spricht, sei ja die eigentliche Urheberin der Unruhe im Laden von früh bis abend.

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Die medizinische Wissenschaft scheint bei Beurteilung von Nervositäten zu übersehen, daß diese Krankheiten wohl zum größten Teil von Egoismus suteniert souteniert werden. Es macht den Nervösen Freude, die eigene Nervosität auszutoben, u. um sich diese Freude nicht verkümmern zu lassen, bilden sie sich nicht nur ein niemand zur Last zu fallen, sondern viel eher den erfreulichen Eindruck von Lebhaftigkeit hervorzubringen. Sie selbst reagiren aber schmerzlich auf die Nervosität des anderen u. schützen sich in ihrem Egoismus damit, daß sie gar nicht erst sehen wollen, wie die Nervosität in ursächlichem Zusammenhang mit der eigenen steht. Mit einem Wort: Einbildung u. Egoismus sind die hauptsächlichsten 2 Triebfedern einer solchen Nervosität, wobei Eitelkeit das betreffende Individuum von der anderen Seite schützt. —

*

Naturam non expellas furca. 3 Eitelkeit bildet sich ein, immer in Notwehr zu sein, auch ohne jede Veranlassung. Das Kennzeichen der Notwehr ist das Gefühl des Beleidigtseins. Kennzeichnend für das grundlegende Wesen der Eitelkeit u. des daraus entspringenden Gefühls des Beleidigtseins ist, daß sie beide meist ohne jede Veranlassung hervortreten u. bei wirklich vorhandenen, selbst gravierendsten Anlässen gänzlich schweigen. Die unreelle Basis, auf der die Eitelkeit ruht, rächt sich auch darin, daß sie niemals einen Einklang zwischen Wort u. Tat aufkommen {159} läßt. Sie bildet sich den Einklang ein, führt aber getrennte Bücher, in deren einem die Worte laufen, während das andere divergirende Taten führt. Gleich einer tausendköpfigen Hydra weiß die Eitelkeit, weil sie eben unreell fundirt ist, immer wieder einen neuen Kopf hervorzutreiben. Und da kann es sich begeben, daß, wenn man sie noch so arg bedrängt , u. auf den Widerspruch von Wort u. Tat hinweist, sie schließlich auch in Worten sich verfehlt, indem sie ausspricht, was sie laut der Buchführung der Worte nicht ausgesprochen haben wollte. Bekämpfe ich z. B. täglich u. stündlich das Gefühl des Beleidigtseins ohne Veranlassung u. reclamiere ich für harmlose oder auch einen Tatbestand korrigierende Bemerkungen das Recht auf Bemerkungen überhaupt, ein Recht, das ich dem zum Beleidigtsein neigenden Wesen auch meinerseits immer zugebe, so kann es vorkommen, daß der Gegenpartner plötzlich das Recht reclamirt, die Wirkung auslösen zu lassen; also gerade die Wirkung, die abzustellen ist, wird als eine Notwendigkeit hingestellt, die gleichsam aus der Natur nicht zu streichen wäre. So wenig vermögen Vernunftgründe u. Betragen des Lebens gegen Eitelkeit auszurichten. Ehe die Eitelkeit sich dazu entschließt Vertrauen zu bezeugen u. im Sinne des Vertrauens Harmlosigkeit mit Harmlosigkeit zu erwidern (, daß dies möglich ist, wird ja an zahllosen anderen Menschenexemplaren klar), beruft sie sich lieber auf die Natur, als wäre sie der Natur gegenüber gebunden u. daher verurteilt, innerhalb dieses Kreises zu bleiben, was sie aber anderseits nicht hindert , zu behaupten, was der Eitelkeit eben zusagt, daß sie ja Vertrauen habe, usf. —

*

Die Menschenkinder sammeln von Jugend auf; Knaben u. Mädchen sammeln Briefmarken, Münzen usw. Später sammeln sie Menschen, Frauen u. Männer, nur niemals sammeln sie sich selbst in einer Sache, ganz in einer Freundschaft oder Liebe. —

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Nach Tisch Café, Spaziergang. —

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{160}

© Transcription Marko Deisinger.

11, +4°, a very beautiful spring day.

— To Vrieslander (letter): I inform him that I have seen the revised copy of the Eroica; about the B-flat above middle C in the trumpet; 1 I recommend C. P. E. Bach's Litanies and tell him about what I recently heard about Bruno Walter from Floriz. —

Hupka looks for me towards evening, but does not find me at home; he requests to see me tomorrow at 9 o'clock. — Lie-Liechen's pretty new skirt arrives —

— At the hairdresser's, the "proprietress" makes her assistant nervous as a result of her bad manners and busyness, which has already driven away so many clients. And as he does not find the {158} things that he needs in their right place, he expresses his discontent; but receives the rebuke from the proprietress ,"Just don't be nervous; do everything calmly," She speaks these words as such an unearthly calmness that no one who was under the impression of this calmness would never imagine that the person who uttered them was actually the cause of the disquiet in the shop from morning to evening.

*

The medical world, when assessing neuroses, seems to overlook that these illnesses are, for the most part, largely supported by egoism. Neurotic people take pleasure in giving their own neuroses free play; and in order not to let this pleasure dwindle, they imagine themselves not only as being a burden to no one but much rather creating the delightful impression of liveliness. They themselves, however, react painfully to the neuroses of others and protect themselves in their egoism by refusing altogether to see how that neurosis stands in a causal relationship to their own. In other words: delusion and egoism are the principal 2 factors that drive such neurosis, with vanity protecting the individual concerned from the other side. —

*

Naturam non expellas furca. 3 Vanity always imagines itself to go on the defensive, even where there is no cause for it to do so. The hallmark of self-defense is the feeling of being aggrieved. Characteristic of the basic nature of vanity and the resultant aggrieved feeling is that both usually arise without any cause, and vanish entirely when reasons, even the most sensible ones, actually do come to the fore. The unreal basis upon which vanity is founded avenges itself also by never allowing an agreement between word and deed. {159} It imagines agreement but keeps separate account-books: the words go into one, whereas the divergent deeds go into the other. Like a thousand-headed Hydra, vanity is always able to grow a new head, precisely because of its unreal foundation. And so it can happen that when one severely challenges it and points out the contradiction between word and deed, it is ultimately at a loss even in words, insofar as it expresses that which it did not want to have expressed in accordance with the account-book of words. If, for example, I struggle daily and hourly against feeling aggrieved without cause, and I claim the right at all to make observations about inoffensive remarks, or those that correct a statement of facts – a right that I can, for my part, always concede to someone who is inclined to feel aggrieved – then it can happen that my opponent will suddenly claim the right for the effect to be triggered: thus precisely that effect that should be suppressed will be held up as a necessity that should, so to speak, not be expelled from nature. Cogent arguments and behavior in life are capable of doing little against vanity. Before vanity is determined to create trust and, from the viewpoint of trust, to reply to inoffensiveness with inoffensiveness (that this is possible is clear from countless other examples of human behavior), it would rather appeal to nature, as if it were tied to nature and thus condemned to remain within its orbit – which, on the other hand, does not prevent it from insisting that it indeed has trust: something that verily confirms vanity; and so on. —

*

Children collect things from youth onwards. Boys and girls collect stamps, coins, etc. Later they collect people, women and men; but they never become focused in a cause, entirely in friendship or love. —

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After lunch, coffee and a walk. —

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Schenker is probably thinking of the broken chord leading to the B flat in bar 546, which was often transposed up an octave in early twentieth-century performances.

2 A small question-mark above the word "hauptsächlichsten."

3 "You cannot expel Nature with a pitchfork." A paraphrase of Horace (Epistles, book I, no. 10, line 24), which also appears near the beginning of the first essay in "The Masterwork in Music", vol. 2 ("The Art of Improvisation").