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19. V. 16 +10°, bewölkt, kühl, dann heiter aber kühl.

*

Lansing meint, die Note an England habe keine Eile! 1 Nach anglo-amerikanischen Anschauungen eilt also nur das Geschäft u. was dazu gehört, nicht aber Menschlichkeit im absoluten Sinne, höchstens es ginge auch dabei um ein Geschäft, wobei dann freilich wieder Eile nottäte – siehe die letzte Note Wilsons an Deutschland!

*

Neue Erfolge in Italien! 2

— Von Sophie (k.); meldet, daß Hans bei der Präsentierung nur zu leichten Diensten kommandiert wurde u. daß nach Erzählungen der Marienbergs der Gemeinderat in Podhajze eine Gasse der Stadt nach dem Papa benannt habe. Wenn eine Ehrung solcher Art in den meisten Fällen eine geradezu demoralisierende Ehrung des Reichtums vorstellt, selbst dann, wenn der Reiche eine Stiftung zu Armenzwecken zurückließ, so ist in diesem Falle sonst so deskreditierende Ehrung ausnahmsweise ein Bekenntnis der Stadt zu einem seltenen Eindruck, den sie von einem sehr armen, aber mit unvergleichlicher Majestät durchs Leben dahinschreitenden Arztes empfieng [sic]. War es des Vaters geheimster Wunsch, auf die Menschheit zu wirken, nicht der eigenen Eitelkeit zuliebe, sondern um ihr erhöhte Vorteile aller Art zu bieten, so ahnte er sicher nicht, daß schon die Art seines Lebens u. ärztlichen Wirkens offenbar eine Realisierung seines Wunsches bedeutete, von der er nur selbst nichts wußte, weil er darüber hinaus gerne noch viel mehr geboten hätte. Stets härmte er sich mit den Phantasien ab, noch nach Wien einmal zu reisen, um seine {251} wissenschaftliche Ausbildung zu vervollkommnen u. dies u. jenes nachzutragen. Offenbar war er der Meinung, daß nur auf diese Weise sein heißer Wunsch in Erfüllung gehen konnte, der Menschheit zu nützen. Inzwischen hat seiner Gemeinde auch das, was er bescheiden bot, schon viel genützt, u. nun ehrt sie, freilich zu spät, den ideal gesinnten musterhaften Arzt.

*

Der Reiche: vVon sich selbst Distanziert [recte distanziert] er gerne z. B. die Neger, Lappländer u. die Aermsten, wie er sagt, im Namen der Kultur, worunter er nur den Besitz an hygienischen Einrichtungen versteht. Wenn aber umgekehrt ihn ein Künstler oder Denker nach Analogie, also völlig logisch, den Reichen umgekehrt von sich distanzieren will, weil es ihm, wie dem Neger u. Lappländer noch an jeglicher höheren geistigen Kultur fehlt, so will er das nicht dulden. An der geistigen Front da wollen alle Reichen stehen u. sie behaupten, sie stünden auch! Sie begreifen die Distanz nur eben von sich, aber nicht zu sich!

*

Illegalen [illeg]Zwischenhändler haben wir in diesen Tagen wohl reichlich ausgekostet – außer ihnen selbst u. alle Welt wehrt sich gegen ihre Gesinnung. Hat nicht aber die Kunst, – u. nicht nur im Kriege, sondern auch in Friedenszeiten, meist nur mit illegalen Zwischenhändlern zu tun?

*

Der Reiche: Wenn die Franzosen, heute bereits hinter Verdun zurückgedrängt, noch heute sich einbilden, nach Berlin zu marschieren, so werden sie offentlich öffentlich ausgelacht; aber wenn die Reichen behaupten, sie ständen in der geistigen Front, während sie tief im Hinterlande der Finsterniß stecken, so nimmt man das leider noch immer nicht so drollig [illeg]humoristisch , als es in wirklichkeit drollig u. grotesk“ ist. —

*

Mit musikalischem, auch absoluten Gehör, mit gutem Gedächtnis unterscheidet man sich nur erst vom Tauben, Taubstummen, vom überhaupt amusischem Menschen. Aber diejenigen, die auf solche Eigenschaften als höchste Tugenden pochen, um derentwillen {252} man ihnen gegenüber Meistern ein Recht auf Auffassung, Empfindung usw. einräumen müßte , ohne Bedenken, daß es damit nicht anders ist, wie z. B. mit den Elementen der weißen Rasse, wo bei der zwischen einem Genie, wie Bismarck u. einem Staßenkehrer [sic], obgleich beide zu derselben Rasse gehören, eine ungeheuere Kluft gähnt. Auch mit den oben genannten Eigenschaften begabt ist man gleichsam nur erst ein musikalischer Straßenkehrer gegenüber den Bismarcks der Töne, wie es unsere Meister waren. Man kann es auch durch ein Gleichnis aus der Welt der Grade bestimmen: Was sind gegenüber 100 Grad 2 Grad des musikalische nr Durchschnittsmenschen? 3

*

Dr. Brünauer gesteht, daß er die Preise in seiner Hand habe, er könnte so u. so, schlägt aber, wie er behauptet, des Anstandes halber einen Mittelweg ein. Es fragt sich, ob nicht vielleicht schon dersein Mittelweg unanständig ist?

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© Transcription Marko Deisinger.

May 19, 1916. +10°, cloudy, cool, later fair but remaining cool.

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Lansing says that there is no hurry with the diplomatic note to England! 1 According to Anglo-American perspectives, only business is in a hurry, and what goes with it, not humanity in the absolute sense; at most, it would be a matter that also concerned business, for which then there would of course be a reason for haste – see Wilson's most recent note to Germany!

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New successes in Italy! 2

— Postcard from Sophie; she reports that Hans, at his presentation, was ordered to take only light service; and that, according to stories from the Marienbergs, the town council in Podhajce has named a side street after our father. If such an honor, in most cases, represents a downright demoralizing honor of wealth, even if the rich man bequeathed an endowment for the benefit of the poor, then in this case an otherwise discrediting honor is a recognition on the part of the town of the rare impression that it received from a very poor doctor who strode through life with incomparable majesty. Though it was our father's most intimate desire to work for humanity, not for sake of his own vanity but rather to offer it advantages of all sorts, then he surely had no idea that the nature of his life and medical activity already signified a realization of his desire, of which he himself knew nothing, for he would have gladly done yet more in addition to what he achieved. He was constantly pining with the fantasy of traveling once to Vienna to complete his scientific training and catch up on something or other. {251} Apparently he was of the opinion that only in this way could his strongest desire be fulfilled, to be useful to humanity. In the meantime, his community took much advantage of what he offered with modesty; and now, too late of course, they are honoring this idealistically disposed, model physician.

*

The rich man: he wants, for example, to keep the Negroes, the Laplanders, and the poorest people away from him, as he says, in the name of culture; by this he means only hygienic facilities. If, however, an artist or thinker will conversely wish to keep him at a distance – analogously, i.e. with complete logic – because he, like the Negroes and Laplanders, is still lacking in all higher intellectual culture, this is something that the rich man will not tolerate. All rich people wish to stand on the intellectual front; and they claim that they do stand there! They understand "distance" only as something from them, not to them!

*

These days we have had abundant experience of middlemen – and the whole world is defending itself against their intentions. But does it – not only during the war, but also in peacetime – not also have to deal most of the time with illegal middlemen?

*

The rich man: if the French, recently pushed back behind Verdun, still imagine themselves "marching to Berlin," they would be publicly ridiculed. But when the rich claim that they stand on the intellectual front, whereas they are stuck in the deep in the backwaters of darkness, then one unfortunately does not treat this in a humorous way, though in reality it is ridiculous and grotesque. —

*

If one has a musical ear, even absolute pitch, and a good memory, one can only distinguish oneself from the deaf, the deaf and dumb, and from altogether inartistic people. But those who trumpet these qualities as the highest virtues {252} so that they can be granted a right to an understanding and perception of the masters, without realizing that things are no different in this respect from, say, elements of the white race, where there is a yawning gap between a genius like Bismarck and a street cleaner, even though both belong to the same race. Even if one is gifted with the above-named qualities, one is at first only a musical street cleaner, compared to a Bismarck of tones, as our masters were. One can also express this by analogy with the realm of degrees: compared to 100 degrees, what do the 2 degrees of the musically average person signify? 3

*

Dr. Brünauer admits, that he has the prices under control. He could [do] “this and that” but, as he claims, is striking “a middle path, for sake of decency.” The question arises: is his middle path itself perhaps already indecent?

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© Translation William Drabkin.

19. V. 16 +10°, bewölkt, kühl, dann heiter aber kühl.

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Lansing meint, die Note an England habe keine Eile! 1 Nach anglo-amerikanischen Anschauungen eilt also nur das Geschäft u. was dazu gehört, nicht aber Menschlichkeit im absoluten Sinne, höchstens es ginge auch dabei um ein Geschäft, wobei dann freilich wieder Eile nottäte – siehe die letzte Note Wilsons an Deutschland!

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Neue Erfolge in Italien! 2

— Von Sophie (k.); meldet, daß Hans bei der Präsentierung nur zu leichten Diensten kommandiert wurde u. daß nach Erzählungen der Marienbergs der Gemeinderat in Podhajze eine Gasse der Stadt nach dem Papa benannt habe. Wenn eine Ehrung solcher Art in den meisten Fällen eine geradezu demoralisierende Ehrung des Reichtums vorstellt, selbst dann, wenn der Reiche eine Stiftung zu Armenzwecken zurückließ, so ist in diesem Falle sonst so deskreditierende Ehrung ausnahmsweise ein Bekenntnis der Stadt zu einem seltenen Eindruck, den sie von einem sehr armen, aber mit unvergleichlicher Majestät durchs Leben dahinschreitenden Arztes empfieng [sic]. War es des Vaters geheimster Wunsch, auf die Menschheit zu wirken, nicht der eigenen Eitelkeit zuliebe, sondern um ihr erhöhte Vorteile aller Art zu bieten, so ahnte er sicher nicht, daß schon die Art seines Lebens u. ärztlichen Wirkens offenbar eine Realisierung seines Wunsches bedeutete, von der er nur selbst nichts wußte, weil er darüber hinaus gerne noch viel mehr geboten hätte. Stets härmte er sich mit den Phantasien ab, noch nach Wien einmal zu reisen, um seine {251} wissenschaftliche Ausbildung zu vervollkommnen u. dies u. jenes nachzutragen. Offenbar war er der Meinung, daß nur auf diese Weise sein heißer Wunsch in Erfüllung gehen konnte, der Menschheit zu nützen. Inzwischen hat seiner Gemeinde auch das, was er bescheiden bot, schon viel genützt, u. nun ehrt sie, freilich zu spät, den ideal gesinnten musterhaften Arzt.

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Der Reiche: vVon sich selbst Distanziert [recte distanziert] er gerne z. B. die Neger, Lappländer u. die Aermsten, wie er sagt, im Namen der Kultur, worunter er nur den Besitz an hygienischen Einrichtungen versteht. Wenn aber umgekehrt ihn ein Künstler oder Denker nach Analogie, also völlig logisch, den Reichen umgekehrt von sich distanzieren will, weil es ihm, wie dem Neger u. Lappländer noch an jeglicher höheren geistigen Kultur fehlt, so will er das nicht dulden. An der geistigen Front da wollen alle Reichen stehen u. sie behaupten, sie stünden auch! Sie begreifen die Distanz nur eben von sich, aber nicht zu sich!

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Illegalen [illeg]Zwischenhändler haben wir in diesen Tagen wohl reichlich ausgekostet – außer ihnen selbst u. alle Welt wehrt sich gegen ihre Gesinnung. Hat nicht aber die Kunst, – u. nicht nur im Kriege, sondern auch in Friedenszeiten, meist nur mit illegalen Zwischenhändlern zu tun?

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Der Reiche: Wenn die Franzosen, heute bereits hinter Verdun zurückgedrängt, noch heute sich einbilden, nach Berlin zu marschieren, so werden sie offentlich öffentlich ausgelacht; aber wenn die Reichen behaupten, sie ständen in der geistigen Front, während sie tief im Hinterlande der Finsterniß stecken, so nimmt man das leider noch immer nicht so drollig [illeg]humoristisch , als es in wirklichkeit drollig u. grotesk“ ist. —

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Mit musikalischem, auch absoluten Gehör, mit gutem Gedächtnis unterscheidet man sich nur erst vom Tauben, Taubstummen, vom überhaupt amusischem Menschen. Aber diejenigen, die auf solche Eigenschaften als höchste Tugenden pochen, um derentwillen {252} man ihnen gegenüber Meistern ein Recht auf Auffassung, Empfindung usw. einräumen müßte , ohne Bedenken, daß es damit nicht anders ist, wie z. B. mit den Elementen der weißen Rasse, wo bei der zwischen einem Genie, wie Bismarck u. einem Staßenkehrer [sic], obgleich beide zu derselben Rasse gehören, eine ungeheuere Kluft gähnt. Auch mit den oben genannten Eigenschaften begabt ist man gleichsam nur erst ein musikalischer Straßenkehrer gegenüber den Bismarcks der Töne, wie es unsere Meister waren. Man kann es auch durch ein Gleichnis aus der Welt der Grade bestimmen: Was sind gegenüber 100 Grad 2 Grad des musikalische nr Durchschnittsmenschen? 3

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Dr. Brünauer gesteht, daß er die Preise in seiner Hand habe, er könnte so u. so, schlägt aber, wie er behauptet, des Anstandes halber einen Mittelweg ein. Es fragt sich, ob nicht vielleicht schon dersein Mittelweg unanständig ist?

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© Transcription Marko Deisinger.

May 19, 1916. +10°, cloudy, cool, later fair but remaining cool.

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Lansing says that there is no hurry with the diplomatic note to England! 1 According to Anglo-American perspectives, only business is in a hurry, and what goes with it, not humanity in the absolute sense; at most, it would be a matter that also concerned business, for which then there would of course be a reason for haste – see Wilson's most recent note to Germany!

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New successes in Italy! 2

— Postcard from Sophie; she reports that Hans, at his presentation, was ordered to take only light service; and that, according to stories from the Marienbergs, the town council in Podhajce has named a side street after our father. If such an honor, in most cases, represents a downright demoralizing honor of wealth, even if the rich man bequeathed an endowment for the benefit of the poor, then in this case an otherwise discrediting honor is a recognition on the part of the town of the rare impression that it received from a very poor doctor who strode through life with incomparable majesty. Though it was our father's most intimate desire to work for humanity, not for sake of his own vanity but rather to offer it advantages of all sorts, then he surely had no idea that the nature of his life and medical activity already signified a realization of his desire, of which he himself knew nothing, for he would have gladly done yet more in addition to what he achieved. He was constantly pining with the fantasy of traveling once to Vienna to complete his scientific training and catch up on something or other. {251} Apparently he was of the opinion that only in this way could his strongest desire be fulfilled, to be useful to humanity. In the meantime, his community took much advantage of what he offered with modesty; and now, too late of course, they are honoring this idealistically disposed, model physician.

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The rich man: he wants, for example, to keep the Negroes, the Laplanders, and the poorest people away from him, as he says, in the name of culture; by this he means only hygienic facilities. If, however, an artist or thinker will conversely wish to keep him at a distance – analogously, i.e. with complete logic – because he, like the Negroes and Laplanders, is still lacking in all higher intellectual culture, this is something that the rich man will not tolerate. All rich people wish to stand on the intellectual front; and they claim that they do stand there! They understand "distance" only as something from them, not to them!

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These days we have had abundant experience of middlemen – and the whole world is defending itself against their intentions. But does it – not only during the war, but also in peacetime – not also have to deal most of the time with illegal middlemen?

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The rich man: if the French, recently pushed back behind Verdun, still imagine themselves "marching to Berlin," they would be publicly ridiculed. But when the rich claim that they stand on the intellectual front, whereas they are stuck in the deep in the backwaters of darkness, then one unfortunately does not treat this in a humorous way, though in reality it is ridiculous and grotesque. —

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If one has a musical ear, even absolute pitch, and a good memory, one can only distinguish oneself from the deaf, the deaf and dumb, and from altogether inartistic people. But those who trumpet these qualities as the highest virtues {252} so that they can be granted a right to an understanding and perception of the masters, without realizing that things are no different in this respect from, say, elements of the white race, where there is a yawning gap between a genius like Bismarck and a street cleaner, even though both belong to the same race. Even if one is gifted with the above-named qualities, one is at first only a musical street cleaner, compared to a Bismarck of tones, as our masters were. One can also express this by analogy with the realm of degrees: compared to 100 degrees, what do the 2 degrees of the musically average person signify? 3

*

Dr. Brünauer admits, that he has the prices under control. He could [do] “this and that” but, as he claims, is striking “a middle path, for sake of decency.” The question arises: is his middle path itself perhaps already indecent?

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Ein bevorstehender scharfer Protest Amerikas gegen den Postkrieg Englands. Fortsetzung der Verhandlungen über die Blockade," Neue Freie Presse, No. 18585, May 19, 1916, morning edition, p. 4.

2 Roda Roda, "Weitere Erfolge an der Südtiroler Grenze" and "Die siegreichen Vorstöße unserer Armee gegen Italien. In drei Tagen hundertdreiundfünfzig Offiziere, siebentausendeinhundert Mann, einunddreißig Geschütze und fünfunddreißig Maschinengewehre erbeutet," Neue Freie Presse, No. 18585, May 19, 1916, morning edition, p. 1.

3 Schenker is confusing degrees with percentages. A vertical line, which would be analogous to the summit of achievement, makes an angle of 90, not 100, degrees from the horizontal.