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30. August 1916

Nebelschwaden, kleine Wolken! Früh, 8½h, nach St. Christoph, um Abschied zu nehmen. Zugleich kontrollieren wir die erst jüngst nach so manchen Mühen erworbene Kenntnis der beiden Spitzen Galzig u. Peischelkopf, . Wer in den Alpen wandert weiß, wie leicht man nach Luftlinien zu falscher Beurteilung von Gebirgsstöcken u. Kämmen verleitet wird. Eine vieljährige Erfahrung lehrt mich, vor Berglehnen allen nur möglichen Respekt zu bezeigen u. {398} sie namentlich nicht darin zu unterschätzen, daß sie etwa in kürzester Frist zu begehen wären. Trotz dieser Erfahrung haben mi chr in Hinsicht des Peischelkopfes einige Schatten einen Possen gespielt, indem sie mich verleitet haben, die auf dem Wege zu St. Christoph zu beschreitende Galziglehne für kürzer zu nehmen, als sie in Wirklichkeit ist. Der Irrtum wurde außerdem sehr stark noch dadurch gefördert, daß vom „kalten Eck Kalteneck schon auch der Patteriol sichtbar wird, der nach der Karte südwestlich der Wildebenspitze zu liegen kommt. Die Wildebenspitze mußte also in mein Bild treten, u. ich hatte für sie keinen andern Platz, als den Bergstock, der in Wahrheit der Peischelkopf ist. Freilich litt diese Vorstellung an den bedenklichsten Widersprüchen: Von der Straße sieht man den Kaltenberg-Gletscher, der wieder nur rechts von der Wildebenspitze auftreten kann! Zur Verwirrung trug auch bei, daß schon beim Waldhäusel die Wildebenspitze völlig versinkt u. nun der Patteriol gewissermaßen ohne seinen Gegenpartner dazustehen scheint. Leute aus St. Anton, der Kaplan wie Bauern, deuteten die Berge richtig. Schließlich begann auch ich zu begreifen, daß ich offenbar einen Hang des Galzig unterschätzte. Und so war es auch. Und gGerade heute gaben wir uns alle Mühe, dem Sachverhalt nachzugehen u. fanden in völliger Klarheit unsern schönsten Lohn. —

Das junge Mädchen auf [recte aus] St. Christoph erzählte uns so manches, das uns interessierte: So lobte sie die Nettigkeit der beiden wachhabenden Korporale; der eine ein Steierer [sic] , der andere ein Ober. Oesterreicher leben sehr sparsam, meiden die Wirtsstube, sind allezeit behilflich, ja der eine von ihnen hab et nach Angabe des Wachtmeisters sogar Ersparnisse in der Höhe von 1000 Kronen bereits erzielt! Der Soldatenstand scheint alle diesen jungen Leuten nichts Nachteiliges anhaben zu können! Auch von Russenfängen erzählte sie so manches. Vor einer Woche sei nachts oben von der Wache ein Russe angehalten worden, der viel gestohlenes Gut bei sich trug, sogar einen zweiten Civilanzug! Das Amüsanteste freilich war die Hundegeschichte, die sie unfreiwillig zum Besten gab. Als Lie-Liechen in ihrer gewohnten Angst vor Hunden ihre Besorgnis dem Mädchen ge- {399} genüber äußerte, meinte sie, der Hund sei nur eben jetzt um einiges bösartiger geworden u. ergänzte ihre Mitteilung damit, daß sie erzählte, wie der Hund offenbar im Kampfe mit mehreren anderen Hunden aus St. Anton stand, da er um die H iündin vom Waldhäusel warb. Mit voller Unbefangenheit, wie einer ähnlichen ein Fräulein aus der Gesellschaft sicher unfähig wäre, schilderte sie das Liebesdrama, wovon wir übrigens auf einem unserer früheren Spaziergänge eine „Scene“ selbst zu beobachten Gelegenheit hatten. Die Dorf-Hundeschöne vom Waldhäusel wird von sämtlichen Hunden aus St. Anton u. St. Christoph umworben u. die große Entfernung bedeutet den Liebhabern kein Hindernis. – Wie stellen sich neben dieses Hundedrama schon in nächste Nähe die Liebesdramen der Menschen, die von Dichtern so holdselig besungen werden! —

— Nach Tisch nach St. Jakob, wo wir zu unserer Freude alle Bestellungen prompt erledigt sehen konnten! — Die Stimmung des Tages überaus mild u. trotz Wolken u. Regen sogar schön u. angenehm zu nennen. Zu unserer Beider Freude, die wir einen Geburtstag feiern. 1

*

M. N. N.“ (29. VIII. 16) „Auf dem Hauptbahnhof langten dieser Tage aus Vorarlberg sechs reich geschmückte Glocken an. Auf der größten der Glocken stand mit Kreide:

Drauß’n hear i schiaßen
s’ [recte ’s] Läuten tuat mi verdriaßen,
Meine Buabm von der Gmoan
Laß i a nit alloan
I geh auf u. davon
Und wer a Kanon.[“] 2

*

© Transcription Marko Deisinger.

30. August 1916.

Patches of mist, no clouds! Early – 8:30 – to St. Christoph, to say farewell. At the same time we monitor our knowledge of the two peaks, the Galzig and the Peischlkopf, which we had gained with such effort. Anyone who walks in the Alps knows how easily one can be led into making a false judgement about mountain ridges and peaks on the basis of how the crow flies. Experience of many years teaches me to show the greatest possible respect for mountain slopes, {398} in particular not to underestimate them by supposing that they could be climbed in the shortest amount of time. In spite of this experience, a few shadows have played a trick on me with respect to the Peischlkopf: they have led me to regard the Galzig slope on the way to St. Christoph as shorter than it really is. The error was further promoted by the fact that, from the "Kaltes Eck," one can already see the Patteriol which, according to the map, lies southwest of the Wildebenspitze. The Wildebenspitze must have come into my field of vision; and I had designated no other position than the mountain that is in fact the Peischlkopf. Admittedly, this viewpoint suffered from the most questionable contradictions. From the road, one can see the Kaltenberg glacier, which can only appear to the right of the Wildebenspitze! The confusion was compounded by the fact that, when one reaches the Waldhäusl, the Wildebenspitze disappears completely and the Patteriol seems to be there, to some extent, without its companion. People from St. Anton, the chaplain as well as the farmers, explained the mountains correctly. Finally I too began to understand that I had evidently underestimated one of the slopes of the Galzig. And so it was. Even today we took every pain to go over the facts, and found our greatest reward in complete clarity. —

The young lady from St. Christoph recounted much that was of interest to us. She praised the kindness of the two corporals on patrol; the one from Styria and the other from Upper Austria live very modestly, avoid the bar room, are at all times helpful. Indeed one of them, according to the head of the patrol, has already achieved a savings of the sum of 1,000 Kronen! The military profession seems unable to exert any adverse effects on all these young people! She had much to say about the capture of Russians. A week before, a Russian was arrested at night by the patrol above; he had much stolen property on him, including a civilian change of clothes! The most amusing thing, however, was the story about the dog, which she involuntarily told in her best way. When Lie-Liechen, who is generally afraid of dogs, expressed her concern for the young lady, {399} she said that even now the dog has become only a little bit more vicious, and she gave the further explanation that the dog was apparently in a fight with several other dogs from St. Anton as he was competing for a bitch from Waldhäusl. With complete equanimity, the likes of which a young lady from society would have been incapable, she gave an account of this romantic drama, a "scene" from which, by the way, we ourselves had the opportunity to witness on one of our previous walks. The Canine Beauty of Waldhäusl is fought over by all the dogs from St. Anton and St. Christoph, and the great distance is of no impediment to the lovers. – This canine drama stands in close proximity to the romantic dramas of people, which poets celebrate so beautifully in song! —

— After lunch, to St. Jakob where, to our delight, we could see that all our orders had been promptly dispatched! — The atmosphere of the day was thoroughly mild and, in spite of clouds and rain, it could be described as fair and agreeable – to the delight of the two of us, who are celebrating a birthday. 1

*

Münchner Neueste Nachrichten (Ausgust 29, 1916): "Recently six richly decorated bells arrived from Vorarlberg arrived at the main railway station. On the largest bell was written in chalk: Outside I hear shooting,
The noise irritates me,
I'm not going to let my children
From the village alone,
I'm up and leaving
And will be made into a cannon." 2

*

© Translation William Drabkin.

30. August 1916

Nebelschwaden, kleine Wolken! Früh, 8½h, nach St. Christoph, um Abschied zu nehmen. Zugleich kontrollieren wir die erst jüngst nach so manchen Mühen erworbene Kenntnis der beiden Spitzen Galzig u. Peischelkopf, . Wer in den Alpen wandert weiß, wie leicht man nach Luftlinien zu falscher Beurteilung von Gebirgsstöcken u. Kämmen verleitet wird. Eine vieljährige Erfahrung lehrt mich, vor Berglehnen allen nur möglichen Respekt zu bezeigen u. {398} sie namentlich nicht darin zu unterschätzen, daß sie etwa in kürzester Frist zu begehen wären. Trotz dieser Erfahrung haben mi chr in Hinsicht des Peischelkopfes einige Schatten einen Possen gespielt, indem sie mich verleitet haben, die auf dem Wege zu St. Christoph zu beschreitende Galziglehne für kürzer zu nehmen, als sie in Wirklichkeit ist. Der Irrtum wurde außerdem sehr stark noch dadurch gefördert, daß vom „kalten Eck Kalteneck schon auch der Patteriol sichtbar wird, der nach der Karte südwestlich der Wildebenspitze zu liegen kommt. Die Wildebenspitze mußte also in mein Bild treten, u. ich hatte für sie keinen andern Platz, als den Bergstock, der in Wahrheit der Peischelkopf ist. Freilich litt diese Vorstellung an den bedenklichsten Widersprüchen: Von der Straße sieht man den Kaltenberg-Gletscher, der wieder nur rechts von der Wildebenspitze auftreten kann! Zur Verwirrung trug auch bei, daß schon beim Waldhäusel die Wildebenspitze völlig versinkt u. nun der Patteriol gewissermaßen ohne seinen Gegenpartner dazustehen scheint. Leute aus St. Anton, der Kaplan wie Bauern, deuteten die Berge richtig. Schließlich begann auch ich zu begreifen, daß ich offenbar einen Hang des Galzig unterschätzte. Und so war es auch. Und gGerade heute gaben wir uns alle Mühe, dem Sachverhalt nachzugehen u. fanden in völliger Klarheit unsern schönsten Lohn. —

Das junge Mädchen auf [recte aus] St. Christoph erzählte uns so manches, das uns interessierte: So lobte sie die Nettigkeit der beiden wachhabenden Korporale; der eine ein Steierer [sic] , der andere ein Ober. Oesterreicher leben sehr sparsam, meiden die Wirtsstube, sind allezeit behilflich, ja der eine von ihnen hab et nach Angabe des Wachtmeisters sogar Ersparnisse in der Höhe von 1000 Kronen bereits erzielt! Der Soldatenstand scheint alle diesen jungen Leuten nichts Nachteiliges anhaben zu können! Auch von Russenfängen erzählte sie so manches. Vor einer Woche sei nachts oben von der Wache ein Russe angehalten worden, der viel gestohlenes Gut bei sich trug, sogar einen zweiten Civilanzug! Das Amüsanteste freilich war die Hundegeschichte, die sie unfreiwillig zum Besten gab. Als Lie-Liechen in ihrer gewohnten Angst vor Hunden ihre Besorgnis dem Mädchen ge- {399} genüber äußerte, meinte sie, der Hund sei nur eben jetzt um einiges bösartiger geworden u. ergänzte ihre Mitteilung damit, daß sie erzählte, wie der Hund offenbar im Kampfe mit mehreren anderen Hunden aus St. Anton stand, da er um die H iündin vom Waldhäusel warb. Mit voller Unbefangenheit, wie einer ähnlichen ein Fräulein aus der Gesellschaft sicher unfähig wäre, schilderte sie das Liebesdrama, wovon wir übrigens auf einem unserer früheren Spaziergänge eine „Scene“ selbst zu beobachten Gelegenheit hatten. Die Dorf-Hundeschöne vom Waldhäusel wird von sämtlichen Hunden aus St. Anton u. St. Christoph umworben u. die große Entfernung bedeutet den Liebhabern kein Hindernis. – Wie stellen sich neben dieses Hundedrama schon in nächste Nähe die Liebesdramen der Menschen, die von Dichtern so holdselig besungen werden! —

— Nach Tisch nach St. Jakob, wo wir zu unserer Freude alle Bestellungen prompt erledigt sehen konnten! — Die Stimmung des Tages überaus mild u. trotz Wolken u. Regen sogar schön u. angenehm zu nennen. Zu unserer Beider Freude, die wir einen Geburtstag feiern. 1

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M. N. N.“ (29. VIII. 16) „Auf dem Hauptbahnhof langten dieser Tage aus Vorarlberg sechs reich geschmückte Glocken an. Auf der größten der Glocken stand mit Kreide:

Drauß’n hear i schiaßen
s’ [recte ’s] Läuten tuat mi verdriaßen,
Meine Buabm von der Gmoan
Laß i a nit alloan
I geh auf u. davon
Und wer a Kanon.[“] 2

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© Transcription Marko Deisinger.

30. August 1916.

Patches of mist, no clouds! Early – 8:30 – to St. Christoph, to say farewell. At the same time we monitor our knowledge of the two peaks, the Galzig and the Peischlkopf, which we had gained with such effort. Anyone who walks in the Alps knows how easily one can be led into making a false judgement about mountain ridges and peaks on the basis of how the crow flies. Experience of many years teaches me to show the greatest possible respect for mountain slopes, {398} in particular not to underestimate them by supposing that they could be climbed in the shortest amount of time. In spite of this experience, a few shadows have played a trick on me with respect to the Peischlkopf: they have led me to regard the Galzig slope on the way to St. Christoph as shorter than it really is. The error was further promoted by the fact that, from the "Kaltes Eck," one can already see the Patteriol which, according to the map, lies southwest of the Wildebenspitze. The Wildebenspitze must have come into my field of vision; and I had designated no other position than the mountain that is in fact the Peischlkopf. Admittedly, this viewpoint suffered from the most questionable contradictions. From the road, one can see the Kaltenberg glacier, which can only appear to the right of the Wildebenspitze! The confusion was compounded by the fact that, when one reaches the Waldhäusl, the Wildebenspitze disappears completely and the Patteriol seems to be there, to some extent, without its companion. People from St. Anton, the chaplain as well as the farmers, explained the mountains correctly. Finally I too began to understand that I had evidently underestimated one of the slopes of the Galzig. And so it was. Even today we took every pain to go over the facts, and found our greatest reward in complete clarity. —

The young lady from St. Christoph recounted much that was of interest to us. She praised the kindness of the two corporals on patrol; the one from Styria and the other from Upper Austria live very modestly, avoid the bar room, are at all times helpful. Indeed one of them, according to the head of the patrol, has already achieved a savings of the sum of 1,000 Kronen! The military profession seems unable to exert any adverse effects on all these young people! She had much to say about the capture of Russians. A week before, a Russian was arrested at night by the patrol above; he had much stolen property on him, including a civilian change of clothes! The most amusing thing, however, was the story about the dog, which she involuntarily told in her best way. When Lie-Liechen, who is generally afraid of dogs, expressed her concern for the young lady, {399} she said that even now the dog has become only a little bit more vicious, and she gave the further explanation that the dog was apparently in a fight with several other dogs from St. Anton as he was competing for a bitch from Waldhäusl. With complete equanimity, the likes of which a young lady from society would have been incapable, she gave an account of this romantic drama, a "scene" from which, by the way, we ourselves had the opportunity to witness on one of our previous walks. The Canine Beauty of Waldhäusl is fought over by all the dogs from St. Anton and St. Christoph, and the great distance is of no impediment to the lovers. – This canine drama stands in close proximity to the romantic dramas of people, which poets celebrate so beautifully in song! —

— After lunch, to St. Jakob where, to our delight, we could see that all our orders had been promptly dispatched! — The atmosphere of the day was thoroughly mild and, in spite of clouds and rain, it could be described as fair and agreeable – to the delight of the two of us, who are celebrating a birthday. 1

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Münchner Neueste Nachrichten (Ausgust 29, 1916): "Recently six richly decorated bells arrived from Vorarlberg arrived at the main railway station. On the largest bell was written in chalk: Outside I hear shooting,
The noise irritates me,
I'm not going to let my children
From the village alone,
I'm up and leaving
And will be made into a cannon." 2

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Jeanette was born on August 31, 1874, so she and Heinrich were celebrating her 42nd birthday.

2 "Bayern und Nachbarn. dp. Innsbruck. (Glockengruß.)," Münchner Neueste Nachrichten, No. 439, August 29, 1916, 69th year, evening edition, p. 4. The poem refers to the imminent melting-down of the bells for purpose of manufacturing weaponry. The dialect may be rendered as follows: "Draußen höre ich es schießen, das Läuten verdrießt mich, meine Buben von der Gemeinde lass ich nicht alleine, ich gehe auf und davon und werde eine Kanone."