19. IX. 16 Die Temperatur etwas wärmer, gegen Abend bewölkt.
— Von Floriz (Br.): Eine Stelle in den Gesprächen Goethe – Eckermann 1 drückt ihm den Bleistift in die Hand, um eine Weile mit mir darüber zu plaudern. Er bedauert, daß Goethe in Sachen der Musik nicht besser beraten wurde u. daß er sich entgehen ließ, für das Gebiet der Poesie ein ähnliches Werk zu verfassen, wie es für die Musik meine Theorien sind. *Kostenvoranschlag von Medek. — Durch Zufall geraten wir auf Einkaufswegen schon nach dem Frühstück; Lie-Liechen erwirbt Vorrat an Maisgrieß, Suppenwürfeln, Wurst, condensierte Milch usw. — Im Bankverein Depot u. Klassenlotterie geordnet. — Im Caféhaus Leutnant [illeg]Bednař, gemeinsame Ansichtskarte nach Kautzen geschrieben; er sagt Lebensmittel zu; spielt Billard bei Krücken. — Von ½2–¾4h Installation der Gasleitung zum Rechaud, wodurch endlich die Spirituskalamität ausgeschaltet ist. — — Abends bei Fr. Deutsch; mit ihr allein. Sie hat infolge einer Fischvergiftung nicht weniger als 8 kg abgenommen. Der Tisch nach gegenwärtiger Möglichkeit ziemlich reichlich gedeckt u., wie Lie-Liechen sagt, auch gut. Im Gespräch verrät sich wieder die unabänderliche Natur des eines reich gewordenen Menschen, den es unwiderstehlich nur zu seinesgleichen zieht. Ganz besonders ist es der reiche Engländer, dem die Sympathien der Reichen (auch der Fr. D. ) zufliegen in dem Maße, daß, wo sie die Bestätigung ihrer eigenen Sympathien nicht finden, von einer unzulässigen Verallgemeinerung verallgemeinernden u. Ungerechtigkeit wider die Engländer sprechen. Auch sie Frau D. will die Kultur des Waschens an die Engländer anknüpfen , u. dafür so viel Dankbarkeit für sie einfordern, daß eine Gegenrechnung der Deutschen zum Schweigen gebracht werden muß. Der Zusammenhang zwischen Wohlfahrt u. jener berüchtigten Waschkultur ist ihr, wie den allerwenigsten Personen, von selbst nicht aufgegangen; ich mußte erst nachhelfen mit der Erklärung, daß sich die Juden schon nach rituellen Vorschriften reinhalten müssen u. , jedenfalls so reinhalten, als es ihre Armut nur zuläßt. Als sie nun darauf erwiderte, dazu gehöre aber Zeit u. Geld, mußte sie sich in ihren eigenen Argumenten gefangen geben u. {432} es blieb dabei, daß dieser Teil der Hygiene, soweit er luxuriös u. bei völligem Müßiggang betrieben wird, selbstverständlich nur mit dem Wohlstand zusammenhängt. Lie-Liechen meinte sehr richtig, die Reichen betonen weniger das Waschen an sich, das sie ja doch wohl auch mit den Aermeren gemein haben, als hauptsächlich nur den Luxus der Geräte, deren sie sich dabei bedienen – also wie in allen übrigen Fällen nur den äußeren Schein. — Der Engländer ward reich geworden, so lange er auf dem Weltmarkte als Einziger dastand. Diese Gunst der Verhältnisse ha tben Jahrhunderte lang gewährt, u. nun aber, da er zum 1. mal die Probe auf die Konkurrenz eines tüchtigen Kaufmannes bestehen sollte, zeigte es sich, daß es eben weit mehr blos die Gunst der Verhältnisse als kaufmännische V Fähigkeit gewesen, die ihm all die Zeit her den Vorsprung vor den übrigen Nationen sicherte. Freilich Leider respektieren die Reichen in aller Herren Länder den Engländer noch immer als einen auch noch heute tüchtigen Kaufmann, statt daß sie den ssen Mangel an Tüchtigkeit gerade daraus zu schließen müßten, daß England schon den ersten u. einzigen Konkurrenten, der ihm in der Gegenwart erstanden, auch nicht mit Hilfe der ganzen übrigen Welt überwältigen kann, geschweige, daß es einer solchen Leistung aus [illeg]eigensten Mitteln fähig wäre. Wenn auch solche Ohnmacht noch nicht als Unfähigkeit ist bezeichnet wird, dann fehlt welcher Inhalt käme noch sonst dem letzteren Begriff überhaupt jeder Inhalt. zu? Aber man sieht sehe nur, wie leicht die unsere reichen Menschen schon prinzipiell geneigt sind, Reichtum unter allen Umständen hochzuhalten u.[,] mit starker sich selbst Selbstbeschmeichelung beschmeichelnd , auf Fähigkeit zurückzuführen, ohne weiter nachzudenken, ob nicht im gegebenen Falle äußeres Glück die Fähigkeit bei weitem überwog. — Kaufmännisches Denken ist es auch, wenn der eine oder andere das ein Kaiser Regentenhaus aburteilt u. mehr oder weniger verschmitzt zwinkernd andeutet, ein besserer Regent wäre vonnöten. Der Kaufmann weiß eben nicht einmal, was ein Symbol sei, was eine Fahne oder als verkörperte Fahne des Staates der ein Kaiser bedeute. Statt das Symbol als Symbol zu nehmen, wünscht er gleichsam heute, die Fahne wäre Symbol, also blos Leinwand, Seide oder Tuch, morgen aber ein Mensch mit Körper u. Seele, obendrein ein genialer. Er stellt an eindas Symbol eben nach Laune dop- {433} pelte Zumutung: eine als Symbol, die andere als Realität. Und wie gefällt er sich in seiner angeblichen Klugheit, wenn er von eine mr Wunsche Vorstellung zu mr anderen torkelnd, einen objektiven Widerspruch gar im Symbol zu finden glaubt, wo doch nur erst seine Unfähigkeit zu konsequentem Denken einen solchen Widerspruch subjektiv erst hineingetragen hineinträgt hat. Und so denkt er auch heute vom von einem Kaiser, daß er ein Symbol des Staates ist, was ihn aber nicht abhält, morgen über das Symbol hinaus auch menschliche Genialität von diesem Symbol ihm einzufordern. Hauptsache ist ihm die eben Sseine Kritik, das beste Mundgericht seiner Eitelkeit, u. nur Selbstkritik liegt ihm fern. Man gGebe man dem Narren doch nur zu bedenken, um wie viel nachteiliger es für den Staat wäre ist, die Seuche der Korruption wegen der von je sechs zu sechs Jahren wiederkehrenden Präsidentenwahlen dahinrasen zu lassen; u. vielleicht dürfte man sollte da erwarten, daß er mit einem Kaiser auch dann zufrieden wäre, auch wenn er dieser kein Genie ist. — Perzentuell gibt es übrigens auch unter den Monarchen genau so viel Talente, d. h. genau so wenig, wie bei den anderen Berufen. Ausgemacht ist, daß es niemals einen Regenten geben kann, der den Interessen sämtlicher Kaufleute entsprechen könnte. Da diesen kein anderes Organ zur Beurteilung von Talent u. Genie gegeben ist, als die Art der freundliche Stellungnahme zu ihrem GeschäftsEgoismus, so finden sie begreiflicherweise sind sie in der Lage, nur jene Regenten genial zu, die ihre Interessen fördern. — Frau D. verspricht uns einige Kilogramm Kartoffel zu vermitteln, wie sie sich auch erbötig gemacht hat, Brot zur Stunde mitzubringen. – Da wir von Fällen der Versuchung u. den diebische nr Gelüsten des Dienstpersonals sprechen, gibt sie einen Fall zum Besten, der sich vor Jahren in ihrem Hause zutrug, als noch ihr Mann lebte: Eines Tages bemerkte sie den Abgang von barem Gelde u. verschiedenen andern Dingen. Sie legte nun eine Falle u. zwar derart, daß sie Silbergulden sowie Kleingeld u. Papiergeld sonderte u. alle Geldstücke mit besonderen Zeichen versah. Hierauf entfernte sie eines Abends die Köchin eigens, um zunächst das Stubenmädchen auf die Probe zu stellen, das nun allein blieb. Und richtig ist der Fang sofort gelungen: vom Gelde fehlt etwas! Sie {434} entfernte die Schuldige, um in unter ihren Sachen nachsehen zu können, wo sie denn in der Tat das Fehlende vorfand. Nun rief sie die Diebin zu sich ins Zimmer, was diese sofort in eine derartige Bestürzung versetzte, daß sie zu zittern begann. Schließlich gestand sie auch den Diebstahl im vollen Umfang ein; u. sie wurde entlassen, jedoch nicht ohne daß sie Frau D. zuvor nötigte, ihr eine Bestätigung über die Schuld, sowie über die Modalität einer monatlichen Rückzahlung per 10 Kronen zurückzulassen. – Ich erwähne hier dieser Erzählung nur deshalb, weil ich sie am besten zeige nt will, wie niedrig u. ausgeprägt kaufmännisch, also der Sinn von in Kaufmannskreisen aufgewachsenen u. erzogenen Personen ist: obgleich der gestohlene Betrag klein war, ließ sich dennoch Fr. D. mit der Genugtuung der Feststellung des Diebstahls noch lange nicht begnügen; den Diebstahl anderseits gerichtlich ahnden zu lassen, fiel ihr auch nicht ein – sie beschritt nur gerade zwischen Genugtuung u. strafrechtlicher Verfolgung den Weg, vor allem den Entgang zurückzugewinnen! Man denke nur was das heißt, ein Schuldbekenntnis eines überwiesenen Diebes schwarz auf weiß zu sich in die Hand nehmen u. es als geschäftliches Dokument aufbewahren! *Moral des Handwerkertums: Der junge Installateur erhält eine Krone Trinkgeld, u. wofür er bestimmt für abend[s] dafür gleich einen längeren Schlauch, als er zum erstenmal mitgebracht hat, zu bringen verspricht. Natürlich hielt er nicht Wort. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 19, 1916. The temperature somewhat warmer, cloudy towards evening.
— Letter from Floriz: a passage from the discussions between Goethe and Eckermann 1 motivates him to put a pencil in his hand to chat with me for a while about it. He regrets that Goethe was not better informed in musical matters, and that he neglected to write about poetry in a way that is similar to my theories in the field of music. *Cost estimate from Medek. — By chance, embark on our shopping errands right after breakfast; Lie-Liechen acquires provisions of polenta, stock cubes, sausage, condensed milk, etc. — At the Bankverein, deposits and class lottery put in order. — Lieutenant Bednař at the coffee house, joint picture postcards written to Kautzen; he agrees to a food provision; he plays billiards on crutches. — From 1:30 to 3:45, installation of the gas line to the cooker, as a result of which the calamity over the grain alcohol has been eliminated. — — In the evening at Mrs. Deutsch's place; on our own with her. She has lost no less than eight kilograms, as a result of food poisoning from fish. The table, considering the present situation, is rather abundantly laid and, as Lie-Liechen says, also good. In the conversation, she again betrays the immutable nature of a person who has become rich, who is irresistibly drawn only to others of her kind. In particular, it is the wealthy Englishman to whom the sympathies of the rich (including Mrs. Deutsch) fly, to the extent that, if they don't find confirmation of their own sympathies, they speak of an unduly generalizing injustice against the English. Mrs. Deutsch also wishes to connect the culture of washing with the English, and thus to confer so much gratitude upon them for this that a counter-claim against the Germans has to be left unspoken. The connection between well-being and that notorious culture of washing has not occurred to her on her own, nor to the least significant person; I first had to nudge her with the explanation that Jews must keep themselves clean in accordance with ritual instructions, and in any event to keep themselves as clean as their poverty permits. When she then replied that time and money were necessary for this, she became trapped in her own arguments; {432} and it was agreed that this aspect of hygiene, insofar as it was performed luxuriously and with complete indolence, is of course connected only with prosperity. Lie-Liechen said, quite correctly, that the rich emphasize less the washing itself, which they have in common even with poorer people, but mainly only the luxury of the implements with which they undertake it – that is, just as in all other cases, the external appearance. — The Englishman became rich so long as he was the only one to stand in the world marketplace. These conditions were maintained for centuries; and now, however, when for the first time he has to stand the test of competition from a capable businessman, it becomes clear that it was much more the favorable circumstances than business capability that secured him the advantage over the other nations for such a long time. Unfortunately, the rich from all over the world continue to respect the Englishman as a capable businessman even to this day instead of concluding, from his lack of competence, that England has been incapable of overpowering the first and only competitor who has arisen at present without the help of the entire rest of the world, to say nothing of his being capable of such an achievement by his own means. If even such impotence is not yet designated as incompetence, what meaning could otherwise be attributed to the latter term? But just look at how easily our wealthy people are already in principle inclined to prize wealth in all circumstances and, flattering themselves, attribute it to competence without further considering whether in the given circumstance pure luck had by far the upper hand over competence. — It is also the thinking of a businessman if someone or other denigrates a ruling family and, winking more or less mischievously, suggests that a better ruler is needed. The businessman does not at all know what a symbol is, what a banner or embodied banner of the state an emperor may signify. Instead of accepting the symbol as a symbol, he would like the banner to be a symbol, thus merely linen, silk, or cloth today, but a person with body and soul tomorrow, moreover a person of genius. He places a double {433} imposition on the symbol, according to his fancy: the one as a symbol, the other as reality. And how much pleasure he takes in his cleverness when, in lurching from one representation to the other, he believes he has found an objective contradiction even in the symbol, whereas it is only his incapacity for logical thinking that subjectively introduces such a contradiction in the first place. And so today he thinks that an emperor is a symbol of the state, which does not prevent him from demanding – in spite of his being a symbol – human genius of him, too, tomorrow. The main thing for him is his criticism, which is the best verbal court of his vanity; and it is only self-criticism that eludes him. If only the fool could be made to believe how much more disadvantageous it is for the state to allow the plague of corruption to rush in on account of a presidential election every six years; perhaps one might then that he would be satisfied with an emperor even if he were not a genius. — In percentage terms, moreover, there are exactly as many – and exactly as few – talents among monarchs as in any other profession. It is agreed that there never could be a ruler who could comply with the interests of all the businessmen. Since these people have no other way of judging talent and genius except by the nature of its view of their business egoism, they understandably find genius only in those rulers who promote their interests. — Mrs. Deutsch promises to provide us with a few kilograms of potatoes, as she also offered to bring bread with her to her lesson. – While we were speaking about examples of temptation and the thievish desires of service personnel, she recounted an incident which took place in her house many years ago, while her husband was still alive: one day she noticed the loss of cash and various other things. She laid a trap, in fact in such a way that she separated the silver Gulden, small coins, and paper money, and marked all the pieces of money with special signs. Thereupon she gave the cook the evening off for the express purposes of putting her servant girl, the only person remaining, to the test. And the trap worked immediately: some money was missing! She {434} sent the guilty one away, in order to search among her belongings, where she in fact found what was missing. Then she summoned the thief to her room, which so bewildered the girl that she began to tremble. In the end the girl even admitted the full extent of the theft; she was dismissed, but not before Mrs. Deutsch had insisted that she leave behind a statement acknowledging her guilt and of the means by which she would pay back 10 Kronen per month. – I mention this story here only because it best illustrates how base and distinctly businesslike is the mentality of people who have been brought up in business circles: although the amount stolen was small, Mrs. Deutsch was still by no means content with the satisfaction of having determined the theft. To have the theft punished legally, however, is something that did not occur to her – she merely took the path that lay just between satisfaction and criminal pursuit, in order above all to recover what she had lost! One can only imagine what it means to take an admission of guilt, in black and white, of a proven thief, into one's hands and preserve it as a business document! *Morality of craftsmanship: the young engineer receives a tip of 1 Krone, for which he definitely promises to bring a longer hose than he brought the first time. Naturally, he does not keep his word. *
© Translation William Drabkin. |
19. IX. 16 Die Temperatur etwas wärmer, gegen Abend bewölkt.
— Von Floriz (Br.): Eine Stelle in den Gesprächen Goethe – Eckermann 1 drückt ihm den Bleistift in die Hand, um eine Weile mit mir darüber zu plaudern. Er bedauert, daß Goethe in Sachen der Musik nicht besser beraten wurde u. daß er sich entgehen ließ, für das Gebiet der Poesie ein ähnliches Werk zu verfassen, wie es für die Musik meine Theorien sind. *Kostenvoranschlag von Medek. — Durch Zufall geraten wir auf Einkaufswegen schon nach dem Frühstück; Lie-Liechen erwirbt Vorrat an Maisgrieß, Suppenwürfeln, Wurst, condensierte Milch usw. — Im Bankverein Depot u. Klassenlotterie geordnet. — Im Caféhaus Leutnant [illeg]Bednař, gemeinsame Ansichtskarte nach Kautzen geschrieben; er sagt Lebensmittel zu; spielt Billard bei Krücken. — Von ½2–¾4h Installation der Gasleitung zum Rechaud, wodurch endlich die Spirituskalamität ausgeschaltet ist. — — Abends bei Fr. Deutsch; mit ihr allein. Sie hat infolge einer Fischvergiftung nicht weniger als 8 kg abgenommen. Der Tisch nach gegenwärtiger Möglichkeit ziemlich reichlich gedeckt u., wie Lie-Liechen sagt, auch gut. Im Gespräch verrät sich wieder die unabänderliche Natur des eines reich gewordenen Menschen, den es unwiderstehlich nur zu seinesgleichen zieht. Ganz besonders ist es der reiche Engländer, dem die Sympathien der Reichen (auch der Fr. D. ) zufliegen in dem Maße, daß, wo sie die Bestätigung ihrer eigenen Sympathien nicht finden, von einer unzulässigen Verallgemeinerung verallgemeinernden u. Ungerechtigkeit wider die Engländer sprechen. Auch sie Frau D. will die Kultur des Waschens an die Engländer anknüpfen , u. dafür so viel Dankbarkeit für sie einfordern, daß eine Gegenrechnung der Deutschen zum Schweigen gebracht werden muß. Der Zusammenhang zwischen Wohlfahrt u. jener berüchtigten Waschkultur ist ihr, wie den allerwenigsten Personen, von selbst nicht aufgegangen; ich mußte erst nachhelfen mit der Erklärung, daß sich die Juden schon nach rituellen Vorschriften reinhalten müssen u. , jedenfalls so reinhalten, als es ihre Armut nur zuläßt. Als sie nun darauf erwiderte, dazu gehöre aber Zeit u. Geld, mußte sie sich in ihren eigenen Argumenten gefangen geben u. {432} es blieb dabei, daß dieser Teil der Hygiene, soweit er luxuriös u. bei völligem Müßiggang betrieben wird, selbstverständlich nur mit dem Wohlstand zusammenhängt. Lie-Liechen meinte sehr richtig, die Reichen betonen weniger das Waschen an sich, das sie ja doch wohl auch mit den Aermeren gemein haben, als hauptsächlich nur den Luxus der Geräte, deren sie sich dabei bedienen – also wie in allen übrigen Fällen nur den äußeren Schein. — Der Engländer ward reich geworden, so lange er auf dem Weltmarkte als Einziger dastand. Diese Gunst der Verhältnisse ha tben Jahrhunderte lang gewährt, u. nun aber, da er zum 1. mal die Probe auf die Konkurrenz eines tüchtigen Kaufmannes bestehen sollte, zeigte es sich, daß es eben weit mehr blos die Gunst der Verhältnisse als kaufmännische V Fähigkeit gewesen, die ihm all die Zeit her den Vorsprung vor den übrigen Nationen sicherte. Freilich Leider respektieren die Reichen in aller Herren Länder den Engländer noch immer als einen auch noch heute tüchtigen Kaufmann, statt daß sie den ssen Mangel an Tüchtigkeit gerade daraus zu schließen müßten, daß England schon den ersten u. einzigen Konkurrenten, der ihm in der Gegenwart erstanden, auch nicht mit Hilfe der ganzen übrigen Welt überwältigen kann, geschweige, daß es einer solchen Leistung aus [illeg]eigensten Mitteln fähig wäre. Wenn auch solche Ohnmacht noch nicht als Unfähigkeit ist bezeichnet wird, dann fehlt welcher Inhalt käme noch sonst dem letzteren Begriff überhaupt jeder Inhalt. zu? Aber man sieht sehe nur, wie leicht die unsere reichen Menschen schon prinzipiell geneigt sind, Reichtum unter allen Umständen hochzuhalten u.[,] mit starker sich selbst Selbstbeschmeichelung beschmeichelnd , auf Fähigkeit zurückzuführen, ohne weiter nachzudenken, ob nicht im gegebenen Falle äußeres Glück die Fähigkeit bei weitem überwog. — Kaufmännisches Denken ist es auch, wenn der eine oder andere das ein Kaiser Regentenhaus aburteilt u. mehr oder weniger verschmitzt zwinkernd andeutet, ein besserer Regent wäre vonnöten. Der Kaufmann weiß eben nicht einmal, was ein Symbol sei, was eine Fahne oder als verkörperte Fahne des Staates der ein Kaiser bedeute. Statt das Symbol als Symbol zu nehmen, wünscht er gleichsam heute, die Fahne wäre Symbol, also blos Leinwand, Seide oder Tuch, morgen aber ein Mensch mit Körper u. Seele, obendrein ein genialer. Er stellt an eindas Symbol eben nach Laune dop- {433} pelte Zumutung: eine als Symbol, die andere als Realität. Und wie gefällt er sich in seiner angeblichen Klugheit, wenn er von eine mr Wunsche Vorstellung zu mr anderen torkelnd, einen objektiven Widerspruch gar im Symbol zu finden glaubt, wo doch nur erst seine Unfähigkeit zu konsequentem Denken einen solchen Widerspruch subjektiv erst hineingetragen hineinträgt hat. Und so denkt er auch heute vom von einem Kaiser, daß er ein Symbol des Staates ist, was ihn aber nicht abhält, morgen über das Symbol hinaus auch menschliche Genialität von diesem Symbol ihm einzufordern. Hauptsache ist ihm die eben Sseine Kritik, das beste Mundgericht seiner Eitelkeit, u. nur Selbstkritik liegt ihm fern. Man gGebe man dem Narren doch nur zu bedenken, um wie viel nachteiliger es für den Staat wäre ist, die Seuche der Korruption wegen der von je sechs zu sechs Jahren wiederkehrenden Präsidentenwahlen dahinrasen zu lassen; u. vielleicht dürfte man sollte da erwarten, daß er mit einem Kaiser auch dann zufrieden wäre, auch wenn er dieser kein Genie ist. — Perzentuell gibt es übrigens auch unter den Monarchen genau so viel Talente, d. h. genau so wenig, wie bei den anderen Berufen. Ausgemacht ist, daß es niemals einen Regenten geben kann, der den Interessen sämtlicher Kaufleute entsprechen könnte. Da diesen kein anderes Organ zur Beurteilung von Talent u. Genie gegeben ist, als die Art der freundliche Stellungnahme zu ihrem GeschäftsEgoismus, so finden sie begreiflicherweise sind sie in der Lage, nur jene Regenten genial zu, die ihre Interessen fördern. — Frau D. verspricht uns einige Kilogramm Kartoffel zu vermitteln, wie sie sich auch erbötig gemacht hat, Brot zur Stunde mitzubringen. – Da wir von Fällen der Versuchung u. den diebische nr Gelüsten des Dienstpersonals sprechen, gibt sie einen Fall zum Besten, der sich vor Jahren in ihrem Hause zutrug, als noch ihr Mann lebte: Eines Tages bemerkte sie den Abgang von barem Gelde u. verschiedenen andern Dingen. Sie legte nun eine Falle u. zwar derart, daß sie Silbergulden sowie Kleingeld u. Papiergeld sonderte u. alle Geldstücke mit besonderen Zeichen versah. Hierauf entfernte sie eines Abends die Köchin eigens, um zunächst das Stubenmädchen auf die Probe zu stellen, das nun allein blieb. Und richtig ist der Fang sofort gelungen: vom Gelde fehlt etwas! Sie {434} entfernte die Schuldige, um in unter ihren Sachen nachsehen zu können, wo sie denn in der Tat das Fehlende vorfand. Nun rief sie die Diebin zu sich ins Zimmer, was diese sofort in eine derartige Bestürzung versetzte, daß sie zu zittern begann. Schließlich gestand sie auch den Diebstahl im vollen Umfang ein; u. sie wurde entlassen, jedoch nicht ohne daß sie Frau D. zuvor nötigte, ihr eine Bestätigung über die Schuld, sowie über die Modalität einer monatlichen Rückzahlung per 10 Kronen zurückzulassen. – Ich erwähne hier dieser Erzählung nur deshalb, weil ich sie am besten zeige nt will, wie niedrig u. ausgeprägt kaufmännisch, also der Sinn von in Kaufmannskreisen aufgewachsenen u. erzogenen Personen ist: obgleich der gestohlene Betrag klein war, ließ sich dennoch Fr. D. mit der Genugtuung der Feststellung des Diebstahls noch lange nicht begnügen; den Diebstahl anderseits gerichtlich ahnden zu lassen, fiel ihr auch nicht ein – sie beschritt nur gerade zwischen Genugtuung u. strafrechtlicher Verfolgung den Weg, vor allem den Entgang zurückzugewinnen! Man denke nur was das heißt, ein Schuldbekenntnis eines überwiesenen Diebes schwarz auf weiß zu sich in die Hand nehmen u. es als geschäftliches Dokument aufbewahren! *Moral des Handwerkertums: Der junge Installateur erhält eine Krone Trinkgeld, u. wofür er bestimmt für abend[s] dafür gleich einen längeren Schlauch, als er zum erstenmal mitgebracht hat, zu bringen verspricht. Natürlich hielt er nicht Wort. *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 19, 1916. The temperature somewhat warmer, cloudy towards evening.
— Letter from Floriz: a passage from the discussions between Goethe and Eckermann 1 motivates him to put a pencil in his hand to chat with me for a while about it. He regrets that Goethe was not better informed in musical matters, and that he neglected to write about poetry in a way that is similar to my theories in the field of music. *Cost estimate from Medek. — By chance, embark on our shopping errands right after breakfast; Lie-Liechen acquires provisions of polenta, stock cubes, sausage, condensed milk, etc. — At the Bankverein, deposits and class lottery put in order. — Lieutenant Bednař at the coffee house, joint picture postcards written to Kautzen; he agrees to a food provision; he plays billiards on crutches. — From 1:30 to 3:45, installation of the gas line to the cooker, as a result of which the calamity over the grain alcohol has been eliminated. — — In the evening at Mrs. Deutsch's place; on our own with her. She has lost no less than eight kilograms, as a result of food poisoning from fish. The table, considering the present situation, is rather abundantly laid and, as Lie-Liechen says, also good. In the conversation, she again betrays the immutable nature of a person who has become rich, who is irresistibly drawn only to others of her kind. In particular, it is the wealthy Englishman to whom the sympathies of the rich (including Mrs. Deutsch) fly, to the extent that, if they don't find confirmation of their own sympathies, they speak of an unduly generalizing injustice against the English. Mrs. Deutsch also wishes to connect the culture of washing with the English, and thus to confer so much gratitude upon them for this that a counter-claim against the Germans has to be left unspoken. The connection between well-being and that notorious culture of washing has not occurred to her on her own, nor to the least significant person; I first had to nudge her with the explanation that Jews must keep themselves clean in accordance with ritual instructions, and in any event to keep themselves as clean as their poverty permits. When she then replied that time and money were necessary for this, she became trapped in her own arguments; {432} and it was agreed that this aspect of hygiene, insofar as it was performed luxuriously and with complete indolence, is of course connected only with prosperity. Lie-Liechen said, quite correctly, that the rich emphasize less the washing itself, which they have in common even with poorer people, but mainly only the luxury of the implements with which they undertake it – that is, just as in all other cases, the external appearance. — The Englishman became rich so long as he was the only one to stand in the world marketplace. These conditions were maintained for centuries; and now, however, when for the first time he has to stand the test of competition from a capable businessman, it becomes clear that it was much more the favorable circumstances than business capability that secured him the advantage over the other nations for such a long time. Unfortunately, the rich from all over the world continue to respect the Englishman as a capable businessman even to this day instead of concluding, from his lack of competence, that England has been incapable of overpowering the first and only competitor who has arisen at present without the help of the entire rest of the world, to say nothing of his being capable of such an achievement by his own means. If even such impotence is not yet designated as incompetence, what meaning could otherwise be attributed to the latter term? But just look at how easily our wealthy people are already in principle inclined to prize wealth in all circumstances and, flattering themselves, attribute it to competence without further considering whether in the given circumstance pure luck had by far the upper hand over competence. — It is also the thinking of a businessman if someone or other denigrates a ruling family and, winking more or less mischievously, suggests that a better ruler is needed. The businessman does not at all know what a symbol is, what a banner or embodied banner of the state an emperor may signify. Instead of accepting the symbol as a symbol, he would like the banner to be a symbol, thus merely linen, silk, or cloth today, but a person with body and soul tomorrow, moreover a person of genius. He places a double {433} imposition on the symbol, according to his fancy: the one as a symbol, the other as reality. And how much pleasure he takes in his cleverness when, in lurching from one representation to the other, he believes he has found an objective contradiction even in the symbol, whereas it is only his incapacity for logical thinking that subjectively introduces such a contradiction in the first place. And so today he thinks that an emperor is a symbol of the state, which does not prevent him from demanding – in spite of his being a symbol – human genius of him, too, tomorrow. The main thing for him is his criticism, which is the best verbal court of his vanity; and it is only self-criticism that eludes him. If only the fool could be made to believe how much more disadvantageous it is for the state to allow the plague of corruption to rush in on account of a presidential election every six years; perhaps one might then that he would be satisfied with an emperor even if he were not a genius. — In percentage terms, moreover, there are exactly as many – and exactly as few – talents among monarchs as in any other profession. It is agreed that there never could be a ruler who could comply with the interests of all the businessmen. Since these people have no other way of judging talent and genius except by the nature of its view of their business egoism, they understandably find genius only in those rulers who promote their interests. — Mrs. Deutsch promises to provide us with a few kilograms of potatoes, as she also offered to bring bread with her to her lesson. – While we were speaking about examples of temptation and the thievish desires of service personnel, she recounted an incident which took place in her house many years ago, while her husband was still alive: one day she noticed the loss of cash and various other things. She laid a trap, in fact in such a way that she separated the silver Gulden, small coins, and paper money, and marked all the pieces of money with special signs. Thereupon she gave the cook the evening off for the express purposes of putting her servant girl, the only person remaining, to the test. And the trap worked immediately: some money was missing! She {434} sent the guilty one away, in order to search among her belongings, where she in fact found what was missing. Then she summoned the thief to her room, which so bewildered the girl that she began to tremble. In the end the girl even admitted the full extent of the theft; she was dismissed, but not before Mrs. Deutsch had insisted that she leave behind a statement acknowledging her guilt and of the means by which she would pay back 10 Kronen per month. – I mention this story here only because it best illustrates how base and distinctly businesslike is the mentality of people who have been brought up in business circles: although the amount stolen was small, Mrs. Deutsch was still by no means content with the satisfaction of having determined the theft. To have the theft punished legally, however, is something that did not occur to her – she merely took the path that lay just between satisfaction and criminal pursuit, in order above all to recover what she had lost! One can only imagine what it means to take an admission of guilt, in black and white, of a proven thief, into one's hands and preserve it as a business document! *Morality of craftsmanship: the young engineer receives a tip of 1 Krone, for which he definitely promises to bring a longer hose than he brought the first time. Naturally, he does not keep his word. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens 1823–1832, 2 vols. (Leipzig: Brockhaus, 1836). |