21. IX. 16
Schwerer Regen, den man schließlich wie ein Fatum auf sich nimmt, da nicht so bald eine Wendung zum Besseren zu hoffen ist. — Medek kündigt für morgen den Beginn der Arbeit an. — Nach dem Frühstück Butterweg als erster; wegen übergroßen Andrangs machen wir kehrt; ich gehe nachhause, Lie-Liechen setzt die Einkaufswege fort, indem sie auch den morgigen Tag mit Fleisch versorgt. — Da wir an der Putzerei vorbeigiengen, fanden wir sie ganz versperrt. Kein geringer Schrecken bemächtigte sich unser, zumal Lie-Liechen allen Ernstes den Verlust fast ihrer ganzen Wäsche befürchten mußte. Glücklicherweise erkannte ich eine Hilfsarbeiterin an in der Straße, deren Auskunft uns beruhigte. Zwei Tücher zurückgegeben, die irrtümlicherweise meiner Wäsche beigelegt waren; u. dagegen muß ich selbst Hemd u. Kragen erst noch abwarten. — Ein Zufall bringt Lie-Liechen auf eine neue Butterquelle; vielleicht gelingt es, heute abend zu einer Entscheidung über den Wert derselben zu kommen. Ganz gewiß wäre es erfreulich, wenn wir Brot u. Butter mit durch Prämien uns unter allen Umständen gesichert hätten. — Die fehlenden Nummern der „Frankf. Ztg.“ angelangt. *— Oesterreichisches: Die Bevölkerung bittet die Behörden um Hilfe u. Mitwirkung gegen den Wucher; umgekehrt ersuchen die Behörden die Bevölkerung um Hilfe u. Mitwirkung gegen die Wucherer - - Zwischendurch gehen aber diese triumphierend ihre eigenen Wege, während das offiziöse „Fremdenblatt“ schriftstellerisch konstatiert, daß „die Verordnungen sich häufen, leider nicht befolgt werden, die Bevölkerung um ihre Mitwirkung ersucht wird usw…“ 1 *{438} Nach wie vor keine Zwetschken auf dem Markt; sie sind einfach durch den Höchstpreis 2 verjagt worden, ohne daß man weiß, wohin sie sich gewendet haben mögen! — — Daß Krämer, um ein Warenangebot gelegentlich auch künstlich zu konstruieren, sich nicht scheuen, die holdesten Gaben der Natur lieber einfach in Wasser u. Kanäle zu werfen, als daß sie sie bedürftigen Menschen zu billigem rem Preise zu überließen assen, ist bekannt. Dieses Damit steht vor allem in einer Reihe, daß sie ja ähnlich auch ihre eigenen Kinder wegwerfen, wenn es gilt, Geld u. Preis zu halten, wovon jeder Krieg genügend Beweise erbringt. Der Kaufmann hat für Geld nur zwar Sinn, aber so wenig wirklichen Verständnis sses, daß er es gerne auch mit den Geschenken an Kindern u. sonstigen Naturgaben bezahlt. Zu Kindern wie zu Pflaumen kommt er billig genug, um sie beide in cynischester Weise von sich zu werfen, wenn sobald er nur auch eine geringste Erhöhung um einige Kronen zu erwarten hat. *Leutnant Bednař im Caféhaus; bringt eine Zigarre u. Birne, bekräftigt noch einmal seine Proviantzusage. Daß wir indessen so regen Bezügen einen auf eine Prämien basirten regelmäßigen ordentlichen Bezug vorziehen, ist selbstverständlich! — — Wiener Gasthaus-Usançen: Nachdem ich die Beobachtung gemacht habe, daß auf dem Tisch deponirte Trinkgelder vom von erstbesten Kellnern ein bgezogen werden, der ie mit uns nichts zu schaffen hatten, machte ich mir zum Prinzip, jedem einzelnen das ihm zukommende durch vorzeitige Verabreichung zu sichern. Besonders peinlich war im Caféhaus eine Scene, wo auf Kosten des abzulösenden Kellners, ein der gerade ablösender Kellner ein recht beträchtliches Trinkgeld einziehen wollte in einem Augenblicke u. zw. zu einer Zeit, da letzterer ersterer noch sozusagen im Amte war. Auch hier corrigire ich seither durch vorzeitiges Geben die moralische Haltung des Collegen. *Es fällt mir auf, daß Nachrichten über des U-Boot „Bremen“ 3 seit langem fehlen, wie auch über das Wirken Conrads v. Hötzendorf. *{439} Hierin ist der Staat wohl völlig [mit] einem Einzelindividuum zu vergleichen, wenn auch er in seinen eigenen Vertretern Mangel an Lebensinstinkten zeigt. Für den Fall einer Bahntra scierung z. B. hält es der Staat durchaus nicht für unangemessen, unter Umständen zwangsweise auch eine Enteignung von Grund u. Boden durchzuführen; Iim Kriegsfall ist ihm sogar die viel drastischere Enteignung des Blutes ja auch nicht fremd; nur vor dem Gelde macht er halt! In diesem einen Punkt sind nun eben auch die Vertreter des Staates selbst stets diesem gegenüber feindlich genug, um nicht restlos im Begriffe des Staates aufzugehen. Kein Zweifel, daß solches Verhalten Mangel an Lebensinstinkt bedeutet u. so man erfaßt [recte erfaßt man] diesen in seiner vollen Bedeutung nur, wenn man ihn durchaus in Parallele bringt mit dem Zuwiderhandeln jedes einzelnen Menschen wider sein eigenstes Lebensinteresse. Aber auch die gesamte Menschheit läßt sich am besten aus der Parallele mit dem Einzelindividuum deuten. Wie es bei letzterem nur eine Entwicklung zum Ziele mit Erfolg oder Mißerfolg gibt, so eigentlich auch bei jeder einzelnen neuen Generation: Entweder erreicht sie ihr Ziel oder nicht! Von Kurven in bei der Entwicklung eines Individuums zu sprechen, ist verfehlt u. ebensowenig kennt, trotz gegenteiliger Behauptung der Historiker u. Philosophen, auch die Menschheitsgeschichte solche Kurven. Denn, wie gesagt, sei es nur z. B., daß es zunächst gilt, das kleine menschliche Wesen nur erst zimmerrein zu machen, so ist es unsinnig von Kurven in der Entwicklung zu diesem Ziele zu sprechen, sondern vielmehr einzig geboten zu sehen, ob es schließlich zimmerrein gemacht wurde oder nicht. Und so auch andere Ziele vorausgesetzt läßt sich bei jedem Einzelwesen ähnlich beurteilen, ob e rs sie erreicht hat oder nicht, wobei nur eben vor de rm letzten Punkt des Weges die Zwischen Zufälle weiter nicht in Betracht kommen mögen. Es würde der Menschheit viel schädlichen sten Irrtums erspare nt haben, wenn man sich beizeiten diese Parallele vergegenwärtigt hätte u. so gewissermaßen jede Generation genau so unter dem Gesetz eigener Entwicklung betrachtet hätte, wie den Lebenslauf eines Einzelindividuums. Was den Histo- {440} rikern als angebliche Kurve auffällt, ist objektiv genommen das nur ein Ueberspringen ihres betrachtenden Auges von einer entwickelten Einzelperson oder bezw. Generation zu einer minder entwickelten. Statt sie diese Erscheinungen zunächst aber außer jeglichen [sic] Zusammenhang von einander zu unterscheiden u. nur das Fortschreiten der Entwicklung bei der einen, die Rückstände bei der andern zu konstatieren, wird in fälschlicherweise fälschlicher Weise eine Art Linie angenommen, die angeblich von der einen zur andern zieht. Es bedeutet also somit noch durchaus keine Kurve, wenn z. B. auf den entwickelten Goethe drei bis vier Generationen folgen, deren später die Bildung sich geringer als die seine zeigt. Es tritt eben jede Generation nur für sich selbst ein u. zw. als Summe von Einzelindividuen, d ieer man dann aber eben auch als einer Summe nachweisen kann, ob sie das Pensum an Bildung voll erreicht hat oder nicht (Zeitgeist; Ausblick auf musikalische Zustände besonders der Gegenwart von diesem Standpunkt aus!) — — So lange aber nicht Steigerung eines gegebenen Geldes durch Zinsen nicht schon von selbst zugleich auch mit einer Steigerung der Innerlichkeit zusammenfällt – wann wäre denn solches der Fall? –, so bedeutet jede Steigerung der vorhandene nr Kapitalien des sog. Wohlstandes nicht etwa schon an sich auch eine Höherentwicklung der Menschheit. Das Gegenteil Leider glaubt an solche Identität, aller die Dichter etwa ausgenommen, die alle übrige große Welt der Kaufleute, Politiker usw. *Widerstand gegen das Genie wäre allenfalls noch zu verstehen, wenn es sich das Genie je als ein Wesen entpuppt hätte, das jemals brutal auf Enteignung an Geld ausgegangen wäre. Denn so groß ist jener Widerstand, daß er wirklich nur zu begreifen wäre, wenn das Genie sich obiger Zumutung schuldig machen würde – was aber sicher nicht der Fall ist, da es ja umgekehrt darauf ausgeht zu schenken, statt zu nehmen. — Der Reiche fühlt, daß das Genie ihm zwar den Reichtum nicht nehme, ihn wohl aber heruntersetze; deswegen die höllische Mißgunst wider das Genie (Lie-Liechen). Doch niemals sicher gelänge nicht der Widerstand gegen das Genie, wenn sich bei dessen dessen Organisierung eines solchen Widerstandes die Menschen nicht der geradezu raffiniertesten Mittel zu bedienen wüßten. Eine Hauptrolle spielt dabei folgende Selbsttäuschung: Indem man sich {441} zur Zeit gegen ein Genie der eigenen Zeit auflehnt, bestreitet man vor der Öffentlichkeit es zu tun ausdrücklich die Auflehnung prinzipiell u. ruft zum Zeugnis seiner guten Gesinnung für die Genies überhaupt die eigene Bewunderung z. B. für ein schon abgeschiedenes auf! Aber gerade dadurch macht man sich einer Verdrehung dennoch schuldig, Oohne daß man sich freilich des Trics auch bewußt wird zu werden. Denn kein Zweifel, daß, wer jemals einem Genie näher gekommen ist, dann sicher auch Züge eines, auch eines mitlebenden Genies , sicher zu erfassen in der Lage sein wird! Und so ist es ausgemacht, daß, wer sich auf seine Huldigung z. B. Goethe gegenüber beruft, nur um z. B. ein lebendes Genie nicht gelten zu lassen zu müssen, Goethe sicher ja auch gar nicht kennt, sondern sich ein Verständnis desselben nur unter dem allgemeinen Druck einbildet, wobei der Druck gerade eben nur der Suggestion die Wage hält. (Es ist ja auffallend, wie schwer die Aberkennenden sich das Geständnis gemeinen Widerstandes abringen lassen. Man lese aber die Stelle in den Annalen, wo Goethe bezüglich der „Propyläen“ vom Widerstand seitens „bösartiger Menschen“ spricht.) Wäre es überhaupt irgend möglich, daß man alle diejenigen, die, blos weil sie angeblich Goethe huldigend, glauben das Recht erworben zu haben, nun einem andern Genie die Anerkennung zu versagen, blos weil sie das Genie auch in Goethe nicht entziffern konnten, wieder in eine Zeitgemeinschaft mit Goethe redressieren könnte, sicher wären eben sie die ersten, die auch Goethe Widerstand leisten würden! — *Im Feuilleton der „N. Fr. Pr.“ 4 wird heute jener Frau Vischer gedacht, die den jungen Schiller zu seinen überschwänglichen Gedichten „Laura am Klavier“ 5 entflammte. Biographen, Literaturhistoriker, Schriftsteller u. Journalisten munkeln u. flüstern dies u. jenes u. doch liegt die Sache sehr einfach: Schiller stieß vermutlich bei dieser Frau auf das sein erstes Sexualerlebnis, das er nun, jung wie er war, einfach nur als „das Ding an sich“ nahm, jenseits von Verpflichtung u. Moral noch, ohne jede Beschwernis auf seiner, auf ihrer Seite. Es ist ja traurig genug, daß die Natur selbst dem einem Genie nicht erlaubt, die Liebe gleich in jenem kultiviertem Zustand kennen zu lernen, ind dem sie, obgleich schon bereits vorgeschrittene künstliche Kultur, nichts auch von der Natur einbüßt, diese vielmehr unendlich zu steigern weiß. Aber nachgerade müßten es doch wohl auch Literar- {442} historiker aus ihrem eigenen Leben wissen, was von solchen Pubertätszeiten u. von solchem Geschlechtsverkehre „an sich“ zu halten sei. *Staaten als Krämer verschleudern auch ihre Menschen wie Waren, – siehe die Vergeudung des Menschenmaterials von russischer, englischer Seite! Nur Deutschland macht eine hierin rühmliche Ausnahme! — *Indem der Reiche gegen soziale Reformen Widerstand leistet, glaubt er wohl, ihn aus Ueberzeugung leisten zu sollen zu handeln; er erklärt es nämlich für technisch unmöglich, daß der großen Menschenmassen wirklich geholfen werden könnte. Erst bei näherem Befragen stellt sich heraus, daß er bei Aufstellung dieser Hypothese er immer nur an sich selbst, den Einzelnen, im Verhältnis zur einer gewaltigen Ueberzahl von Mitbürgern denkt u. daß er von der objectiven Unmöglichkeit, daß ein einzelner Reicher das gesamte Menschenleid lindere (, was das selbstverständlich zugegeben werden müßte muß), zugleich auf die Unmöglichkeit schließt, daß je auch sämtliche Reichen das Wunder vollbrächten. Wie sehr aber seine angebliche Ueberzeugung tatsächlich nur an dieser Simulation hängt u. krankt, geht schon daraus hervor, daß er Reformgedanken selbst noch dann Widerstand leistet, wenn er ernstlich aufgefordert wird, Teilreform nur in seinem engsten Kreise sozusagen nur zu treiben, z. B. seine Arbeiter, Hauslehrer usw. besser zu honorieren! Kein rechnerischer Beweis, daß ihm u. seinem Hause immer noch mehr als genug zur Fristung des Lebens übrig bliebe, würde es vermögen, ihn je aus dem solchem Widerstand zu drängen! — *Menschen züchten Edelobst, Edeltiere – wer züchtet uns aber Edelmenschen?! Und dieses wäre wahrhaftig nötiger als jene! *Wir nehmen an, daß Fr. Hauser durch Fr. Wally von unseren Nöten einiges dürfte erfahren haben, vermutlich doch schon deshalb allein, weil es kaum denkbar wäre, daß sich Fr. W. nicht gerühmt {443} hätte, uns Mehl u. Zwieback geschenkt zu haben. Erkläre uns dann aber jemand die Seele der Fr. H., die, gerne bereit ihr völlig fernstehenden Menschen auch mit größeren Kapitalien beizuspringen, nun plötzlich unempfindlich bleibt, da es um jemand geht, der auch nach ihrem Wissen gleichsam erste Voraussetzung ihres Lehrers u. Freundes Floriz ist! — *© Transcription Marko Deisinger. |
September 21, 1916.
Heavy rain, which one must ultimately accept as one's fate, since a change for the better is not to be hoped for. — Medek says that work will begin tomorrow. — After breakfast, shopping for butter a priority; because of excessive congestion, we turn back; I go home, Lie-Liechen continues to shop, as she has also been provided with meat the following day. — When we went past the launderers, we found it completely shut. We were not a little shocked, all the more so as Lie-Liechen feared, in all seriousness, the loss of nearly all her laundry. Fortunately, I recognized one of the assistants in the street, whose information calmed us. Two handkerchiefs returned, which were mistakenly put into my laundry; on the other hand, I must still wait for a shirt and collar of my own. — By chance, Lie-Liechen finds a new source of butter; perhaps a decision will be made about its value this evening. It would certainly be gratifying if, by offering bonuses, we had secured bread and butter under all circumstances. — The missing issues of the Frankfurter Zeitung arrive. *— Typically Austrian: the populace asks the authorities for help and cooperation against profiteering; conversely the authorities ask the populace for help and cooperation against the profiteers. -- In the meantime, however, these two go on their own ways in triumph, while the officious Fremdenblatt states authorially that "the ordinances are mounting up but are unfortunately are not being followed; the cooperation of populace is sought …" etc. 1 *{438} Now, as before, no plums in the market; they have simply been driven away by price limits, 2 without anyone knowing what use may have been made of them! — — It is well known that businessmen, to construe a supply of goods even artificially, are not afraid to throw away the loveliest gifts of nature into water and canals rather than to offer them to needy people at a lower price. In keeping with this, they similarly throw away even their own children when it is a question of retaining money and prices, something of which every war gives sufficient proof. The businessman, to be sure, has a sense of money, but so little true understanding of it that he uses it to pay also for presents for children and other gifts of nature. He comes to children cheaply enough, as he comes to plums, only to throw both from himself in a cynical way as soon as he can expect even just the smallest rise in price of a few Kronen. *Lieutenant Bednař at the coffee house; he brings a cigar and a pear, again confirms his agreement about provisions. It goes without saying, nonetheless, that we would prefer a regular, proper procurement to such impromptu fare! — — Viennese restaurant practices: after I had observed that the tips I left on the table were collected by head waiters who had nothing to do with us, I made a point of ensuring that each individual would get what was due to him by prior arrangement. A particularly embarrassing scene took place in the coffee house, where a waiter who had just come on duty wanted to pocket a quite generous tip at the expense of the waiter who was going off duty, and in fact at a time when the latter was, so to speak, still in office. Here, too, I have since corrected the colleague's moral behavior by giving in advance. *It occurs to me that there has been no news about the submarine Bremen 3 for a long time, and also about the activities of Conrad von Hötzendorf. *{439} In this matter the state can, for sure, be compared wholly to an individual being, even if it shows a lack of instincts for life among its own agents. In the case of designing a railroad layout, for example, the state does not consider it at all inappropriate to undertake a dispossession of property in some circumstances; in the case of a war, it is not afraid to take the more extreme action of dispossessing a person of his blood; it is only when confronted with money that it stops short! In this one point, even the representatives of the state are themselves sufficiently averse, to avoid coming undone in the name of the state. No doubt, such an attitude signifies a lack of instinct for life; and thus one can grasp the full significance of this instinct only if one brings it completely in parallel with the with the action of every individual person in conflict with his own most vital interests. But the entirety of mankind is best understood in parallel with the individual being. As in the case of the latter there is only a development towards one's goal, which ends in success or failure, the same is actually true of each new generation: either it achieves its goal or it doesn't! To speak of curves in the development of an individual is misguided; and even the history of mankind recognizes such curves just as little, in spite of what historians and philosophers say to the contrary. For if, for example, it is at mainly a question of the ordinary human first putting his house in order, then it is nonsensical to speak of curves in the development towards this goal, but rather essential just to see whether it was or was not eventually put in order. And thus assuming that there are also other goals, one could similarly judge each individual being on the basis of whether or not he achieved them, whereby any incidents occurring along the way to the final point ought not to be considered further. Humanity would have been spared many a harmful error had these parallels been visualized in good time and so, to a certain extent, each generation had been studied in terms of its own development, as one examines the course of an individual life. {440} What strikes the historians as an apparent curve is, objectively regarded, only a leap by their contemplating eye from a well-developed individual or generation to one that is less developed. But instead of first distinguishing these manifestations in spite of all connections, and establishing only progress in the development of one, setbacks in the other, a sort of line has been mistakenly assumed to lead from one to the other. One cannot thus at all speak of a curve if, for example a well-developed Goethe is followed by three or four generations whose education proves more limited than his. Each generation arises for itself and, to be sure, as the sum of individual beings which can, however, be shown to be a totality, whether or not its quota of education has been fully achieved. (Spirit of the time; outlook for the musical situation especially of the present time, from this perspective!) — — So long as an increase of a given sum of money by interest payments does not at the same time automatically correspond to an increase of introspection – and when was ever such the case? – then every case of available capital of so-called prosperity cannot be seen also as a higher development of humanity. Unfortunately, such an identity is accepted – the poets largely excepted – by the great world of business people, politicians, and so on. *Opposition to genius would at any rate still be understandable if the genius were ever to be unmasked as a being intent on brutally dispossessing people of money. For that opposition is so great that it could only be truly comprehensible if a genius were to be guilty of such impertinence – something that, to be sure, is not the case, for genius by contrast is intent on giving instead of taking. — The rich man feels that the genius will not actually take him into his realm; but he is surely devaluing him. Hence the hellish resentment of the genius (Lie-Liechen). And yet opposition to genius will never succeed if people are unable to make use of the utmost refined means in organizing their opposition. The following self-deception plays a major role: {441} by rebelling against a genius of one's own time, one is rebelling in public as a matter of principle and calls, as witness for one's sympathy for geniuses in general, one's own admiration of a genius who has already departed this life! But in this very way one nonetheless makes oneself guilty of a distortion, without of course even becoming aware of the trick. For there is no doubt that, anyone has ever come near to a genius will then surely be in a position to grasp the features of a contemporary one! And so it can be agreed that anyone who appeals to his homage to Goethe, for example, merely to deny a living genius his due, most surely does not know even Goethe; rather he imagines an understanding of him under general compulsion, whereby the compulsion is only held in balance by the suggestion. (It is striking how difficult it is to extract an admission of base opposition from those who deny. But one should read the passage in the Annals where Goethe, in referring to the Propylaea , speaks of the opposition on the part of "wicked people.") If only it were somehow possible to transport all those people who, merely imagining their worship of Goethe assert their right to deny someone else the recognition of genius, back into the time of Goethe: they would surely be the first to take a stand even against Goethe! — *The feuilleton in today's Neue Freie Presse 4 recollects the Mrs. Vischer who enflamed the young Schiller to write his effusive poems of "Laura at the Piano." 5 Biographers, literary historians, writers, and journalists are whispering rumors everywhere, and yet the matter is very simple: Schiller presumably had his first sexual experience with this woman and, being young, took it simply as a mere "thing in itself," far removed from moral obligation, without any tribulation in his part, or hers. It is sad enough that nature itself does not permit even a genius to recognize love immediately in that cultivated condition in which, although it is advanced artificial culture, suffers nothing even from nature but is rather capable of increasing it infinitely. But even literary historians would almost surely have {442} to know from their very own lives what should be thought "in itself" of such times of puberty and such sexual activity. *States, like businessmen, sacrifice even their people like goods,– have a look at the squandering of human material on the Russian and English sides! Only Germany makes a laudable exception in this respect! — *The rich, in creating opposition to social reform, surely believe that they are doing so out of conviction; they regard it, namely, as technically impossible to truly be able to help the great mass of humanity. Only when they are questioned more closely does it turn out that, in putting forward this hypothesis, they are thinking only of themselves, as individuals, in relation to the enormous majority of their fellow citizens, and of the objective impossibility of an individual rich person alleviating all human suffering (which must of course be admitted); at the same time, they conclude that it is impossible for the rich working together achieve this miracle. The extent to which, however, their apparent conviction in fact is dependent upon – and suffers from – this simulation can be seen by the fact that they exercise opposition to ideas for reform even when they are earnestly asked to pursue partial reform in only their narrowest circles, e.g. by paying their workers and home tutors better! No mathematical proof that there would still remain more than enough to sustain them and their lives would ever compel them to give up such resistance! — *People grow fine fruit, raise fine animals, – but who raises fine people?! And these would surely be more necessary than the former! *We assume that Mrs. Hauser may have heard something about our needs from Vally, perhaps only on account of the fact that it would hardly be imaginable that Vally would not have boasted of {443} having given us flour and zwieback. But then might someone explain to us the soul of Mrs. Hauser who, though she is gladly willing to assist total strangers even with large sums of money, now suddenly remains insensitive when it concerns someone whom, even according to her knowledge, is so to speak the first requirement of her teacher and friend Floriz! — *
© Translation William Drabkin. |
21. IX. 16
Schwerer Regen, den man schließlich wie ein Fatum auf sich nimmt, da nicht so bald eine Wendung zum Besseren zu hoffen ist. — Medek kündigt für morgen den Beginn der Arbeit an. — Nach dem Frühstück Butterweg als erster; wegen übergroßen Andrangs machen wir kehrt; ich gehe nachhause, Lie-Liechen setzt die Einkaufswege fort, indem sie auch den morgigen Tag mit Fleisch versorgt. — Da wir an der Putzerei vorbeigiengen, fanden wir sie ganz versperrt. Kein geringer Schrecken bemächtigte sich unser, zumal Lie-Liechen allen Ernstes den Verlust fast ihrer ganzen Wäsche befürchten mußte. Glücklicherweise erkannte ich eine Hilfsarbeiterin an in der Straße, deren Auskunft uns beruhigte. Zwei Tücher zurückgegeben, die irrtümlicherweise meiner Wäsche beigelegt waren; u. dagegen muß ich selbst Hemd u. Kragen erst noch abwarten. — Ein Zufall bringt Lie-Liechen auf eine neue Butterquelle; vielleicht gelingt es, heute abend zu einer Entscheidung über den Wert derselben zu kommen. Ganz gewiß wäre es erfreulich, wenn wir Brot u. Butter mit durch Prämien uns unter allen Umständen gesichert hätten. — Die fehlenden Nummern der „Frankf. Ztg.“ angelangt. *— Oesterreichisches: Die Bevölkerung bittet die Behörden um Hilfe u. Mitwirkung gegen den Wucher; umgekehrt ersuchen die Behörden die Bevölkerung um Hilfe u. Mitwirkung gegen die Wucherer - - Zwischendurch gehen aber diese triumphierend ihre eigenen Wege, während das offiziöse „Fremdenblatt“ schriftstellerisch konstatiert, daß „die Verordnungen sich häufen, leider nicht befolgt werden, die Bevölkerung um ihre Mitwirkung ersucht wird usw…“ 1 *{438} Nach wie vor keine Zwetschken auf dem Markt; sie sind einfach durch den Höchstpreis 2 verjagt worden, ohne daß man weiß, wohin sie sich gewendet haben mögen! — — Daß Krämer, um ein Warenangebot gelegentlich auch künstlich zu konstruieren, sich nicht scheuen, die holdesten Gaben der Natur lieber einfach in Wasser u. Kanäle zu werfen, als daß sie sie bedürftigen Menschen zu billigem rem Preise zu überließen assen, ist bekannt. Dieses Damit steht vor allem in einer Reihe, daß sie ja ähnlich auch ihre eigenen Kinder wegwerfen, wenn es gilt, Geld u. Preis zu halten, wovon jeder Krieg genügend Beweise erbringt. Der Kaufmann hat für Geld nur zwar Sinn, aber so wenig wirklichen Verständnis sses, daß er es gerne auch mit den Geschenken an Kindern u. sonstigen Naturgaben bezahlt. Zu Kindern wie zu Pflaumen kommt er billig genug, um sie beide in cynischester Weise von sich zu werfen, wenn sobald er nur auch eine geringste Erhöhung um einige Kronen zu erwarten hat. *Leutnant Bednař im Caféhaus; bringt eine Zigarre u. Birne, bekräftigt noch einmal seine Proviantzusage. Daß wir indessen so regen Bezügen einen auf eine Prämien basirten regelmäßigen ordentlichen Bezug vorziehen, ist selbstverständlich! — — Wiener Gasthaus-Usançen: Nachdem ich die Beobachtung gemacht habe, daß auf dem Tisch deponirte Trinkgelder vom von erstbesten Kellnern ein bgezogen werden, der ie mit uns nichts zu schaffen hatten, machte ich mir zum Prinzip, jedem einzelnen das ihm zukommende durch vorzeitige Verabreichung zu sichern. Besonders peinlich war im Caféhaus eine Scene, wo auf Kosten des abzulösenden Kellners, ein der gerade ablösender Kellner ein recht beträchtliches Trinkgeld einziehen wollte in einem Augenblicke u. zw. zu einer Zeit, da letzterer ersterer noch sozusagen im Amte war. Auch hier corrigire ich seither durch vorzeitiges Geben die moralische Haltung des Collegen. *Es fällt mir auf, daß Nachrichten über des U-Boot „Bremen“ 3 seit langem fehlen, wie auch über das Wirken Conrads v. Hötzendorf. *{439} Hierin ist der Staat wohl völlig [mit] einem Einzelindividuum zu vergleichen, wenn auch er in seinen eigenen Vertretern Mangel an Lebensinstinkten zeigt. Für den Fall einer Bahntra scierung z. B. hält es der Staat durchaus nicht für unangemessen, unter Umständen zwangsweise auch eine Enteignung von Grund u. Boden durchzuführen; Iim Kriegsfall ist ihm sogar die viel drastischere Enteignung des Blutes ja auch nicht fremd; nur vor dem Gelde macht er halt! In diesem einen Punkt sind nun eben auch die Vertreter des Staates selbst stets diesem gegenüber feindlich genug, um nicht restlos im Begriffe des Staates aufzugehen. Kein Zweifel, daß solches Verhalten Mangel an Lebensinstinkt bedeutet u. so man erfaßt [recte erfaßt man] diesen in seiner vollen Bedeutung nur, wenn man ihn durchaus in Parallele bringt mit dem Zuwiderhandeln jedes einzelnen Menschen wider sein eigenstes Lebensinteresse. Aber auch die gesamte Menschheit läßt sich am besten aus der Parallele mit dem Einzelindividuum deuten. Wie es bei letzterem nur eine Entwicklung zum Ziele mit Erfolg oder Mißerfolg gibt, so eigentlich auch bei jeder einzelnen neuen Generation: Entweder erreicht sie ihr Ziel oder nicht! Von Kurven in bei der Entwicklung eines Individuums zu sprechen, ist verfehlt u. ebensowenig kennt, trotz gegenteiliger Behauptung der Historiker u. Philosophen, auch die Menschheitsgeschichte solche Kurven. Denn, wie gesagt, sei es nur z. B., daß es zunächst gilt, das kleine menschliche Wesen nur erst zimmerrein zu machen, so ist es unsinnig von Kurven in der Entwicklung zu diesem Ziele zu sprechen, sondern vielmehr einzig geboten zu sehen, ob es schließlich zimmerrein gemacht wurde oder nicht. Und so auch andere Ziele vorausgesetzt läßt sich bei jedem Einzelwesen ähnlich beurteilen, ob e rs sie erreicht hat oder nicht, wobei nur eben vor de rm letzten Punkt des Weges die Zwischen Zufälle weiter nicht in Betracht kommen mögen. Es würde der Menschheit viel schädlichen sten Irrtums erspare nt haben, wenn man sich beizeiten diese Parallele vergegenwärtigt hätte u. so gewissermaßen jede Generation genau so unter dem Gesetz eigener Entwicklung betrachtet hätte, wie den Lebenslauf eines Einzelindividuums. Was den Histo- {440} rikern als angebliche Kurve auffällt, ist objektiv genommen das nur ein Ueberspringen ihres betrachtenden Auges von einer entwickelten Einzelperson oder bezw. Generation zu einer minder entwickelten. Statt sie diese Erscheinungen zunächst aber außer jeglichen [sic] Zusammenhang von einander zu unterscheiden u. nur das Fortschreiten der Entwicklung bei der einen, die Rückstände bei der andern zu konstatieren, wird in fälschlicherweise fälschlicher Weise eine Art Linie angenommen, die angeblich von der einen zur andern zieht. Es bedeutet also somit noch durchaus keine Kurve, wenn z. B. auf den entwickelten Goethe drei bis vier Generationen folgen, deren später die Bildung sich geringer als die seine zeigt. Es tritt eben jede Generation nur für sich selbst ein u. zw. als Summe von Einzelindividuen, d ieer man dann aber eben auch als einer Summe nachweisen kann, ob sie das Pensum an Bildung voll erreicht hat oder nicht (Zeitgeist; Ausblick auf musikalische Zustände besonders der Gegenwart von diesem Standpunkt aus!) — — So lange aber nicht Steigerung eines gegebenen Geldes durch Zinsen nicht schon von selbst zugleich auch mit einer Steigerung der Innerlichkeit zusammenfällt – wann wäre denn solches der Fall? –, so bedeutet jede Steigerung der vorhandene nr Kapitalien des sog. Wohlstandes nicht etwa schon an sich auch eine Höherentwicklung der Menschheit. Das Gegenteil Leider glaubt an solche Identität, aller die Dichter etwa ausgenommen, die alle übrige große Welt der Kaufleute, Politiker usw. *Widerstand gegen das Genie wäre allenfalls noch zu verstehen, wenn es sich das Genie je als ein Wesen entpuppt hätte, das jemals brutal auf Enteignung an Geld ausgegangen wäre. Denn so groß ist jener Widerstand, daß er wirklich nur zu begreifen wäre, wenn das Genie sich obiger Zumutung schuldig machen würde – was aber sicher nicht der Fall ist, da es ja umgekehrt darauf ausgeht zu schenken, statt zu nehmen. — Der Reiche fühlt, daß das Genie ihm zwar den Reichtum nicht nehme, ihn wohl aber heruntersetze; deswegen die höllische Mißgunst wider das Genie (Lie-Liechen). Doch niemals sicher gelänge nicht der Widerstand gegen das Genie, wenn sich bei dessen dessen Organisierung eines solchen Widerstandes die Menschen nicht der geradezu raffiniertesten Mittel zu bedienen wüßten. Eine Hauptrolle spielt dabei folgende Selbsttäuschung: Indem man sich {441} zur Zeit gegen ein Genie der eigenen Zeit auflehnt, bestreitet man vor der Öffentlichkeit es zu tun ausdrücklich die Auflehnung prinzipiell u. ruft zum Zeugnis seiner guten Gesinnung für die Genies überhaupt die eigene Bewunderung z. B. für ein schon abgeschiedenes auf! Aber gerade dadurch macht man sich einer Verdrehung dennoch schuldig, Oohne daß man sich freilich des Trics auch bewußt wird zu werden. Denn kein Zweifel, daß, wer jemals einem Genie näher gekommen ist, dann sicher auch Züge eines, auch eines mitlebenden Genies , sicher zu erfassen in der Lage sein wird! Und so ist es ausgemacht, daß, wer sich auf seine Huldigung z. B. Goethe gegenüber beruft, nur um z. B. ein lebendes Genie nicht gelten zu lassen zu müssen, Goethe sicher ja auch gar nicht kennt, sondern sich ein Verständnis desselben nur unter dem allgemeinen Druck einbildet, wobei der Druck gerade eben nur der Suggestion die Wage hält. (Es ist ja auffallend, wie schwer die Aberkennenden sich das Geständnis gemeinen Widerstandes abringen lassen. Man lese aber die Stelle in den Annalen, wo Goethe bezüglich der „Propyläen“ vom Widerstand seitens „bösartiger Menschen“ spricht.) Wäre es überhaupt irgend möglich, daß man alle diejenigen, die, blos weil sie angeblich Goethe huldigend, glauben das Recht erworben zu haben, nun einem andern Genie die Anerkennung zu versagen, blos weil sie das Genie auch in Goethe nicht entziffern konnten, wieder in eine Zeitgemeinschaft mit Goethe redressieren könnte, sicher wären eben sie die ersten, die auch Goethe Widerstand leisten würden! — *Im Feuilleton der „N. Fr. Pr.“ 4 wird heute jener Frau Vischer gedacht, die den jungen Schiller zu seinen überschwänglichen Gedichten „Laura am Klavier“ 5 entflammte. Biographen, Literaturhistoriker, Schriftsteller u. Journalisten munkeln u. flüstern dies u. jenes u. doch liegt die Sache sehr einfach: Schiller stieß vermutlich bei dieser Frau auf das sein erstes Sexualerlebnis, das er nun, jung wie er war, einfach nur als „das Ding an sich“ nahm, jenseits von Verpflichtung u. Moral noch, ohne jede Beschwernis auf seiner, auf ihrer Seite. Es ist ja traurig genug, daß die Natur selbst dem einem Genie nicht erlaubt, die Liebe gleich in jenem kultiviertem Zustand kennen zu lernen, ind dem sie, obgleich schon bereits vorgeschrittene künstliche Kultur, nichts auch von der Natur einbüßt, diese vielmehr unendlich zu steigern weiß. Aber nachgerade müßten es doch wohl auch Literar- {442} historiker aus ihrem eigenen Leben wissen, was von solchen Pubertätszeiten u. von solchem Geschlechtsverkehre „an sich“ zu halten sei. *Staaten als Krämer verschleudern auch ihre Menschen wie Waren, – siehe die Vergeudung des Menschenmaterials von russischer, englischer Seite! Nur Deutschland macht eine hierin rühmliche Ausnahme! — *Indem der Reiche gegen soziale Reformen Widerstand leistet, glaubt er wohl, ihn aus Ueberzeugung leisten zu sollen zu handeln; er erklärt es nämlich für technisch unmöglich, daß der großen Menschenmassen wirklich geholfen werden könnte. Erst bei näherem Befragen stellt sich heraus, daß er bei Aufstellung dieser Hypothese er immer nur an sich selbst, den Einzelnen, im Verhältnis zur einer gewaltigen Ueberzahl von Mitbürgern denkt u. daß er von der objectiven Unmöglichkeit, daß ein einzelner Reicher das gesamte Menschenleid lindere (, was das selbstverständlich zugegeben werden müßte muß), zugleich auf die Unmöglichkeit schließt, daß je auch sämtliche Reichen das Wunder vollbrächten. Wie sehr aber seine angebliche Ueberzeugung tatsächlich nur an dieser Simulation hängt u. krankt, geht schon daraus hervor, daß er Reformgedanken selbst noch dann Widerstand leistet, wenn er ernstlich aufgefordert wird, Teilreform nur in seinem engsten Kreise sozusagen nur zu treiben, z. B. seine Arbeiter, Hauslehrer usw. besser zu honorieren! Kein rechnerischer Beweis, daß ihm u. seinem Hause immer noch mehr als genug zur Fristung des Lebens übrig bliebe, würde es vermögen, ihn je aus dem solchem Widerstand zu drängen! — *Menschen züchten Edelobst, Edeltiere – wer züchtet uns aber Edelmenschen?! Und dieses wäre wahrhaftig nötiger als jene! *Wir nehmen an, daß Fr. Hauser durch Fr. Wally von unseren Nöten einiges dürfte erfahren haben, vermutlich doch schon deshalb allein, weil es kaum denkbar wäre, daß sich Fr. W. nicht gerühmt {443} hätte, uns Mehl u. Zwieback geschenkt zu haben. Erkläre uns dann aber jemand die Seele der Fr. H., die, gerne bereit ihr völlig fernstehenden Menschen auch mit größeren Kapitalien beizuspringen, nun plötzlich unempfindlich bleibt, da es um jemand geht, der auch nach ihrem Wissen gleichsam erste Voraussetzung ihres Lehrers u. Freundes Floriz ist! — *© Transcription Marko Deisinger. |
September 21, 1916.
Heavy rain, which one must ultimately accept as one's fate, since a change for the better is not to be hoped for. — Medek says that work will begin tomorrow. — After breakfast, shopping for butter a priority; because of excessive congestion, we turn back; I go home, Lie-Liechen continues to shop, as she has also been provided with meat the following day. — When we went past the launderers, we found it completely shut. We were not a little shocked, all the more so as Lie-Liechen feared, in all seriousness, the loss of nearly all her laundry. Fortunately, I recognized one of the assistants in the street, whose information calmed us. Two handkerchiefs returned, which were mistakenly put into my laundry; on the other hand, I must still wait for a shirt and collar of my own. — By chance, Lie-Liechen finds a new source of butter; perhaps a decision will be made about its value this evening. It would certainly be gratifying if, by offering bonuses, we had secured bread and butter under all circumstances. — The missing issues of the Frankfurter Zeitung arrive. *— Typically Austrian: the populace asks the authorities for help and cooperation against profiteering; conversely the authorities ask the populace for help and cooperation against the profiteers. -- In the meantime, however, these two go on their own ways in triumph, while the officious Fremdenblatt states authorially that "the ordinances are mounting up but are unfortunately are not being followed; the cooperation of populace is sought …" etc. 1 *{438} Now, as before, no plums in the market; they have simply been driven away by price limits, 2 without anyone knowing what use may have been made of them! — — It is well known that businessmen, to construe a supply of goods even artificially, are not afraid to throw away the loveliest gifts of nature into water and canals rather than to offer them to needy people at a lower price. In keeping with this, they similarly throw away even their own children when it is a question of retaining money and prices, something of which every war gives sufficient proof. The businessman, to be sure, has a sense of money, but so little true understanding of it that he uses it to pay also for presents for children and other gifts of nature. He comes to children cheaply enough, as he comes to plums, only to throw both from himself in a cynical way as soon as he can expect even just the smallest rise in price of a few Kronen. *Lieutenant Bednař at the coffee house; he brings a cigar and a pear, again confirms his agreement about provisions. It goes without saying, nonetheless, that we would prefer a regular, proper procurement to such impromptu fare! — — Viennese restaurant practices: after I had observed that the tips I left on the table were collected by head waiters who had nothing to do with us, I made a point of ensuring that each individual would get what was due to him by prior arrangement. A particularly embarrassing scene took place in the coffee house, where a waiter who had just come on duty wanted to pocket a quite generous tip at the expense of the waiter who was going off duty, and in fact at a time when the latter was, so to speak, still in office. Here, too, I have since corrected the colleague's moral behavior by giving in advance. *It occurs to me that there has been no news about the submarine Bremen 3 for a long time, and also about the activities of Conrad von Hötzendorf. *{439} In this matter the state can, for sure, be compared wholly to an individual being, even if it shows a lack of instincts for life among its own agents. In the case of designing a railroad layout, for example, the state does not consider it at all inappropriate to undertake a dispossession of property in some circumstances; in the case of a war, it is not afraid to take the more extreme action of dispossessing a person of his blood; it is only when confronted with money that it stops short! In this one point, even the representatives of the state are themselves sufficiently averse, to avoid coming undone in the name of the state. No doubt, such an attitude signifies a lack of instinct for life; and thus one can grasp the full significance of this instinct only if one brings it completely in parallel with the with the action of every individual person in conflict with his own most vital interests. But the entirety of mankind is best understood in parallel with the individual being. As in the case of the latter there is only a development towards one's goal, which ends in success or failure, the same is actually true of each new generation: either it achieves its goal or it doesn't! To speak of curves in the development of an individual is misguided; and even the history of mankind recognizes such curves just as little, in spite of what historians and philosophers say to the contrary. For if, for example, it is at mainly a question of the ordinary human first putting his house in order, then it is nonsensical to speak of curves in the development towards this goal, but rather essential just to see whether it was or was not eventually put in order. And thus assuming that there are also other goals, one could similarly judge each individual being on the basis of whether or not he achieved them, whereby any incidents occurring along the way to the final point ought not to be considered further. Humanity would have been spared many a harmful error had these parallels been visualized in good time and so, to a certain extent, each generation had been studied in terms of its own development, as one examines the course of an individual life. {440} What strikes the historians as an apparent curve is, objectively regarded, only a leap by their contemplating eye from a well-developed individual or generation to one that is less developed. But instead of first distinguishing these manifestations in spite of all connections, and establishing only progress in the development of one, setbacks in the other, a sort of line has been mistakenly assumed to lead from one to the other. One cannot thus at all speak of a curve if, for example a well-developed Goethe is followed by three or four generations whose education proves more limited than his. Each generation arises for itself and, to be sure, as the sum of individual beings which can, however, be shown to be a totality, whether or not its quota of education has been fully achieved. (Spirit of the time; outlook for the musical situation especially of the present time, from this perspective!) — — So long as an increase of a given sum of money by interest payments does not at the same time automatically correspond to an increase of introspection – and when was ever such the case? – then every case of available capital of so-called prosperity cannot be seen also as a higher development of humanity. Unfortunately, such an identity is accepted – the poets largely excepted – by the great world of business people, politicians, and so on. *Opposition to genius would at any rate still be understandable if the genius were ever to be unmasked as a being intent on brutally dispossessing people of money. For that opposition is so great that it could only be truly comprehensible if a genius were to be guilty of such impertinence – something that, to be sure, is not the case, for genius by contrast is intent on giving instead of taking. — The rich man feels that the genius will not actually take him into his realm; but he is surely devaluing him. Hence the hellish resentment of the genius (Lie-Liechen). And yet opposition to genius will never succeed if people are unable to make use of the utmost refined means in organizing their opposition. The following self-deception plays a major role: {441} by rebelling against a genius of one's own time, one is rebelling in public as a matter of principle and calls, as witness for one's sympathy for geniuses in general, one's own admiration of a genius who has already departed this life! But in this very way one nonetheless makes oneself guilty of a distortion, without of course even becoming aware of the trick. For there is no doubt that, anyone has ever come near to a genius will then surely be in a position to grasp the features of a contemporary one! And so it can be agreed that anyone who appeals to his homage to Goethe, for example, merely to deny a living genius his due, most surely does not know even Goethe; rather he imagines an understanding of him under general compulsion, whereby the compulsion is only held in balance by the suggestion. (It is striking how difficult it is to extract an admission of base opposition from those who deny. But one should read the passage in the Annals where Goethe, in referring to the Propylaea , speaks of the opposition on the part of "wicked people.") If only it were somehow possible to transport all those people who, merely imagining their worship of Goethe assert their right to deny someone else the recognition of genius, back into the time of Goethe: they would surely be the first to take a stand even against Goethe! — *The feuilleton in today's Neue Freie Presse 4 recollects the Mrs. Vischer who enflamed the young Schiller to write his effusive poems of "Laura at the Piano." 5 Biographers, literary historians, writers, and journalists are whispering rumors everywhere, and yet the matter is very simple: Schiller presumably had his first sexual experience with this woman and, being young, took it simply as a mere "thing in itself," far removed from moral obligation, without any tribulation in his part, or hers. It is sad enough that nature itself does not permit even a genius to recognize love immediately in that cultivated condition in which, although it is advanced artificial culture, suffers nothing even from nature but is rather capable of increasing it infinitely. But even literary historians would almost surely have {442} to know from their very own lives what should be thought "in itself" of such times of puberty and such sexual activity. *States, like businessmen, sacrifice even their people like goods,– have a look at the squandering of human material on the Russian and English sides! Only Germany makes a laudable exception in this respect! — *The rich, in creating opposition to social reform, surely believe that they are doing so out of conviction; they regard it, namely, as technically impossible to truly be able to help the great mass of humanity. Only when they are questioned more closely does it turn out that, in putting forward this hypothesis, they are thinking only of themselves, as individuals, in relation to the enormous majority of their fellow citizens, and of the objective impossibility of an individual rich person alleviating all human suffering (which must of course be admitted); at the same time, they conclude that it is impossible for the rich working together achieve this miracle. The extent to which, however, their apparent conviction in fact is dependent upon – and suffers from – this simulation can be seen by the fact that they exercise opposition to ideas for reform even when they are earnestly asked to pursue partial reform in only their narrowest circles, e.g. by paying their workers and home tutors better! No mathematical proof that there would still remain more than enough to sustain them and their lives would ever compel them to give up such resistance! — *People grow fine fruit, raise fine animals, – but who raises fine people?! And these would surely be more necessary than the former! *We assume that Mrs. Hauser may have heard something about our needs from Vally, perhaps only on account of the fact that it would hardly be imaginable that Vally would not have boasted of {443} having given us flour and zwieback. But then might someone explain to us the soul of Mrs. Hauser who, though she is gladly willing to assist total strangers even with large sums of money, now suddenly remains insensitive when it concerns someone whom, even according to her knowledge, is so to speak the first requirement of her teacher and friend Floriz! — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Gegen die Mißachtung von Verordnungen," Fremden-Blatt, No. 257, September 16, 1916, 70th year, morning edition, p. 7. 2 See "Der Höchstpreis im Kleinhandel für Zwetschken und Powidl," Neue Freie Presse, No. 18703, September 15, 1916, morning edition, p. 12. 3 Bremen: a blockade-breaking German merchant submarine. In late summer 1916 she departed for the USA, but did not complete this voyage. Her fate remains a mystery. 4 Wilhelm Widmann, "Schillers ‚Laura'. Ein Gedenkblatt," Neue Freie Presse, No. 18709, September 21, 1916, morning edition, pp. 1-3. 5 Friedrich Schiller's Laura cycle was first published anonymously in Anthologie auf das Jahr 1782 (Stuttgart: Metzler, 1782). |