14. Schön, 11°.

— Frau Elias erzählt, sie habe blos 5 Eier im Hause. Erst jetzt, da sie selbst so betroffen wird, findet sie, daß die Kaufleute „Mißbrauch treiben“ – als wäre nicht etwa auch Mißbrauch gewesen, wodurch sich einst seinerzeit ihr Gatte oder Vater auf anderer Kosten bereichert hat.

— Ein Lebensmittelhändler in der Billrothstraße schreit einen Kaufmann Käufer an: „Kusch, jetzt sind wir die Herren!“ Er wurde vom Richter bestraft; . Streng genommen finde ich die Strafe aber ungerecht, man müßte denn jeden einzelnen Reichen u. zw. nicht nur in Kriegs- sondern auch in Friedenszeit bestrafen, der mit diesen solchen oder ähnlichen Worten täglich u. stündlich den Herrn jeglicher Situation hervorkehrt. Man darf Es geht nicht an, den roten Faden des Wuchers, der durch allen Reichtum hindurchgeht, nicht plötzlich nur in Kriegszeiten zu sehen, am allerwenigstens ihn zum erstenmale sehen zu wollen. —

*

Herr Fritz Mendl preist in der Theorie den Widerstand als beförderndes u. befeuerndes Element, preist den Kampf, der weil er Kräfte rege macht u. so der Person sowohl als der Sache nur nützen kann. {468} Diese ist ohne Zweifel richtig; nur bleibt zu er die Antwort auf die fFragen übrig [recte schuldig], weshalb er es nicht auch bei seinen Kindern auf einen solchen Zwang ankommen läßt. (L.)

*

Die von altersher erbgesessenen Reichen genießen ihre Reichtümer gelassen u. ruhig, ohne sich um die Welt zu bekümmern; sie wissen eben, daß von ihrem Reichtum die Welt bereits seit langem längerem unterrichtet ist, so daß dem jüngsten Besitzer nunmehr die Mühe erspart bleibt, für den Reichtum in der Welt erst Reklame machen zu müssen. Wüßte man nun nicht, welcher Art diese Sättigung ist, inwiefern sie mehr Stumpfheit, Trägheit, als wohlüberlegter würdiger Besitz, so könnte man sich versucht fühlen, solche Reichen in paradoxerweise als Diogenesse 1 der Millionen u. Milliarden anzusprechen. Anders dagegen die soeben erst Angekommenen, die Parvenus! Diese sind erst vielmehr genötigt, in die Welt ihren jungen Reichtum erst einzuführen, reissen sich daher förmlich in Stücke, um alle Kreise auf sich aufmerksam zu machen, weshalb bei ihnen eine völlige Zerstückelung u. Zerfaserung der psychischen Organe zu beobachten ist. Sie suchen dann freilich diese Wunden mit allerhand Liebhabereien zu heilen; da indessen das Grundübel, die ihre Sucht, die Gelder in der Welt herumzuzeigen, nicht beseitigt wird, so tragen schließlich auch jene Liebhabereien nur destomehr eher zur Aufreißung von neuen Wunden bei, als zur Heilung der alten bei. —

— Man denke sich nur, es würde, um ein kleines Steinchen von einem mächtigen Felsen abzusplittern, eine schwere Menge Dynamit ge verbraucht werden – wäre dieß [sic] nicht immer nur ein Mißverhältnis, auch wenn das Steinchen lager noch so hart wäre? Solches Gleichnis fällt einem unwillkürlich aber ein, wenn man sieht, wie viel Aufwand die Reichen treiben müssen, um dem im Schmutz verhärteten Felslager ihrer Seele ein kleinwenig Güte abzusplittern. Welche Detonation wegen des eines Splitterchens. – So erzählt z. B. Frau D., wie sie an sich arbeiten müsse, um Fehler, deren sie sich bewußt ist, einzudämmen. Sie erzählt dann auch von ihrer Schwägerin u. Nichte, die in derselben Beziehung nicht weniger Aufwand an Anstrengung zu machen haben; ja beide studieren eigens „Weltweisheit“, lesen u. sprechen viel darüber, {469} wie gesagt, um eines Splitterchens willen! —

— Frau Wally erzählte, daß sie allabendlich bei Frau Hauser weilt u. ißt. Dann hat sie freilich leicht des Mittags zu entbehren, was ihrer des Abends in Fülle harrt. —

— Nachmittag statt zur Ruhe, die besonders Lie-Liechen gebraucht hätte, die am Vormittag lange Stunden sich des Cafés halber anzustellen für gut fand, zur Direktion der Gaswerke; dort wird mir erklärt, daß ich erst Montag telephonieren möge, um die letzte Auskunft einzuholen. Sodann zu Gerngroß eine kleine Razzia mit Erfolg. —

*

© Transcription Marko Deisinger.

14. Fair weather, 11°.

— Mrs. Elias says she has only five eggs at home. Now, when she herself is affected, she finds that the salespeople "perpetrate malpractice" – as if it had not also been malpractice, say, in the way her husband or father had made money at the expense of others.

— A food merchant in the Billrothstraße shouts at a customer: "bow down, now we are the masters!" He was fined by the judge. Strictly speaking, however, I find the punishment unjustified: one would then have to punish every single rich man, and not just during the war but also in peacetime, who asserts himself daily and hourly as the master of every situation in these or similar terms. It is not right suddenly to see in time of war – still less to pretend to see for the first time – the common thread of extortion that runs through every wealthy person.

*

Mr. Fritz Mendl commends, in theory, opposition as a promoting and inspiring element; he commends the combat, because it animates one's powers and thus can only be of use both to a person and a cause; {468} but he fails to explain why he does not apply such pressure to his children. (L.)

*

The rich who have sat on their inheritance since time immemorial enjoy their wealth in peaceful composure, without being concerned with the world; they even know that the world has for a long time been informed of their wealth, so that the most recent occupiers are henceforth spared having to advertise their wealth. Now if one did not know what sort of satiation this is, to what extent it is more stupor and indolence than well-considered worthy possession, one could then feel tempted to address such rich people, paradoxically, as the Diogenes es 1 of the millions and billions. It is different, however, with those who have just arrived, the nouveaux riches ! They are more obliged to introduce their recent wealth; thus they verily tear themselves to pieces to make all circles take note of them, for which reason a complete dismemberment and fragmentation of the psychic organs may be observed. They then, of course, seek to heal these wounds with all manner of hobbies; but since their fundamental evil – their obsession with showing off their riches to the world – cannot be eliminated, those pastimes ultimately serve only to open up new wounds rather than heal the old ones. —

— Imagine that it was necessary to use a heavy amount of dynamite in order to split off a tiny stone from a massive rock – would this not always be a disproportionate use of force, even if the stone quarry were so hard? Such an analogy comes involuntarily to someone who sees how much effort the rich must make in order to split off a tiny piece of good from the stone quarry of their soul, which is hardened in greed. How much would have to be detonated for a little splinter? – Thus, for example, Mrs. Deutsch explains how much effort she has to make in order to mitigate errors of which she is conscious. She also speaks about her sister-in-law and niece, who have to make no less effort in the same respect; indeed, both expressly study "worldly wisdom," read and speak much about it, {469} for sake, as I said, of a little splinter! —

Vally tells us that she spends every evening with Mrs. Hauser and eats there. Then at midday she could easily do without the things that await her in abundance in the evening. —

— In the afternoon, instead of resting, from which Lie-Liechen in particular could have benefitted who spent long hours in line in the morning on account of the coffeehouse, to the office of the gas works; there it is explained to me that I may not telephone until Monday to obtain the latest information. Afterwards a little raid on Gerngroß, with success. —

*

© Translation William Drabkin.

14. Schön, 11°.

— Frau Elias erzählt, sie habe blos 5 Eier im Hause. Erst jetzt, da sie selbst so betroffen wird, findet sie, daß die Kaufleute „Mißbrauch treiben“ – als wäre nicht etwa auch Mißbrauch gewesen, wodurch sich einst seinerzeit ihr Gatte oder Vater auf anderer Kosten bereichert hat.

— Ein Lebensmittelhändler in der Billrothstraße schreit einen Kaufmann Käufer an: „Kusch, jetzt sind wir die Herren!“ Er wurde vom Richter bestraft; . Streng genommen finde ich die Strafe aber ungerecht, man müßte denn jeden einzelnen Reichen u. zw. nicht nur in Kriegs- sondern auch in Friedenszeit bestrafen, der mit diesen solchen oder ähnlichen Worten täglich u. stündlich den Herrn jeglicher Situation hervorkehrt. Man darf Es geht nicht an, den roten Faden des Wuchers, der durch allen Reichtum hindurchgeht, nicht plötzlich nur in Kriegszeiten zu sehen, am allerwenigstens ihn zum erstenmale sehen zu wollen. —

*

Herr Fritz Mendl preist in der Theorie den Widerstand als beförderndes u. befeuerndes Element, preist den Kampf, der weil er Kräfte rege macht u. so der Person sowohl als der Sache nur nützen kann. {468} Diese ist ohne Zweifel richtig; nur bleibt zu er die Antwort auf die fFragen übrig [recte schuldig], weshalb er es nicht auch bei seinen Kindern auf einen solchen Zwang ankommen läßt. (L.)

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Die von altersher erbgesessenen Reichen genießen ihre Reichtümer gelassen u. ruhig, ohne sich um die Welt zu bekümmern; sie wissen eben, daß von ihrem Reichtum die Welt bereits seit langem längerem unterrichtet ist, so daß dem jüngsten Besitzer nunmehr die Mühe erspart bleibt, für den Reichtum in der Welt erst Reklame machen zu müssen. Wüßte man nun nicht, welcher Art diese Sättigung ist, inwiefern sie mehr Stumpfheit, Trägheit, als wohlüberlegter würdiger Besitz, so könnte man sich versucht fühlen, solche Reichen in paradoxerweise als Diogenesse 1 der Millionen u. Milliarden anzusprechen. Anders dagegen die soeben erst Angekommenen, die Parvenus! Diese sind erst vielmehr genötigt, in die Welt ihren jungen Reichtum erst einzuführen, reissen sich daher förmlich in Stücke, um alle Kreise auf sich aufmerksam zu machen, weshalb bei ihnen eine völlige Zerstückelung u. Zerfaserung der psychischen Organe zu beobachten ist. Sie suchen dann freilich diese Wunden mit allerhand Liebhabereien zu heilen; da indessen das Grundübel, die ihre Sucht, die Gelder in der Welt herumzuzeigen, nicht beseitigt wird, so tragen schließlich auch jene Liebhabereien nur destomehr eher zur Aufreißung von neuen Wunden bei, als zur Heilung der alten bei. —

— Man denke sich nur, es würde, um ein kleines Steinchen von einem mächtigen Felsen abzusplittern, eine schwere Menge Dynamit ge verbraucht werden – wäre dieß [sic] nicht immer nur ein Mißverhältnis, auch wenn das Steinchen lager noch so hart wäre? Solches Gleichnis fällt einem unwillkürlich aber ein, wenn man sieht, wie viel Aufwand die Reichen treiben müssen, um dem im Schmutz verhärteten Felslager ihrer Seele ein kleinwenig Güte abzusplittern. Welche Detonation wegen des eines Splitterchens. – So erzählt z. B. Frau D., wie sie an sich arbeiten müsse, um Fehler, deren sie sich bewußt ist, einzudämmen. Sie erzählt dann auch von ihrer Schwägerin u. Nichte, die in derselben Beziehung nicht weniger Aufwand an Anstrengung zu machen haben; ja beide studieren eigens „Weltweisheit“, lesen u. sprechen viel darüber, {469} wie gesagt, um eines Splitterchens willen! —

— Frau Wally erzählte, daß sie allabendlich bei Frau Hauser weilt u. ißt. Dann hat sie freilich leicht des Mittags zu entbehren, was ihrer des Abends in Fülle harrt. —

— Nachmittag statt zur Ruhe, die besonders Lie-Liechen gebraucht hätte, die am Vormittag lange Stunden sich des Cafés halber anzustellen für gut fand, zur Direktion der Gaswerke; dort wird mir erklärt, daß ich erst Montag telephonieren möge, um die letzte Auskunft einzuholen. Sodann zu Gerngroß eine kleine Razzia mit Erfolg. —

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© Transcription Marko Deisinger.

14. Fair weather, 11°.

— Mrs. Elias says she has only five eggs at home. Now, when she herself is affected, she finds that the salespeople "perpetrate malpractice" – as if it had not also been malpractice, say, in the way her husband or father had made money at the expense of others.

— A food merchant in the Billrothstraße shouts at a customer: "bow down, now we are the masters!" He was fined by the judge. Strictly speaking, however, I find the punishment unjustified: one would then have to punish every single rich man, and not just during the war but also in peacetime, who asserts himself daily and hourly as the master of every situation in these or similar terms. It is not right suddenly to see in time of war – still less to pretend to see for the first time – the common thread of extortion that runs through every wealthy person.

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Mr. Fritz Mendl commends, in theory, opposition as a promoting and inspiring element; he commends the combat, because it animates one's powers and thus can only be of use both to a person and a cause; {468} but he fails to explain why he does not apply such pressure to his children. (L.)

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The rich who have sat on their inheritance since time immemorial enjoy their wealth in peaceful composure, without being concerned with the world; they even know that the world has for a long time been informed of their wealth, so that the most recent occupiers are henceforth spared having to advertise their wealth. Now if one did not know what sort of satiation this is, to what extent it is more stupor and indolence than well-considered worthy possession, one could then feel tempted to address such rich people, paradoxically, as the Diogenes es 1 of the millions and billions. It is different, however, with those who have just arrived, the nouveaux riches ! They are more obliged to introduce their recent wealth; thus they verily tear themselves to pieces to make all circles take note of them, for which reason a complete dismemberment and fragmentation of the psychic organs may be observed. They then, of course, seek to heal these wounds with all manner of hobbies; but since their fundamental evil – their obsession with showing off their riches to the world – cannot be eliminated, those pastimes ultimately serve only to open up new wounds rather than heal the old ones. —

— Imagine that it was necessary to use a heavy amount of dynamite in order to split off a tiny stone from a massive rock – would this not always be a disproportionate use of force, even if the stone quarry were so hard? Such an analogy comes involuntarily to someone who sees how much effort the rich must make in order to split off a tiny piece of good from the stone quarry of their soul, which is hardened in greed. How much would have to be detonated for a little splinter? – Thus, for example, Mrs. Deutsch explains how much effort she has to make in order to mitigate errors of which she is conscious. She also speaks about her sister-in-law and niece, who have to make no less effort in the same respect; indeed, both expressly study "worldly wisdom," read and speak much about it, {469} for sake, as I said, of a little splinter! —

Vally tells us that she spends every evening with Mrs. Hauser and eats there. Then at midday she could easily do without the things that await her in abundance in the evening. —

— In the afternoon, instead of resting, from which Lie-Liechen in particular could have benefitted who spent long hours in line in the morning on account of the coffeehouse, to the office of the gas works; there it is explained to me that I may not telephone until Monday to obtain the latest information. Afterwards a little raid on Gerngroß, with success. —

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© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The ancient Greek philosopher Diogenes (d. 323 BC) espoused the ideal of complete frugality, and voluntarily lived the life of the poor.