28. I. 17 -10°; der Frost nimmt noch einmal wieder [sic]
zu.
— Von Fr. Wally (pn. K.): Fl. sei mit der Prüfung fertig u. sie würden beide zwischen 1–½2h im Caféhaus erscheinen. — — An Dr. Stern (Br.OC 1 B/2-3): beeile mich das Mißverständnis aufzuklären u. erzähle vom Parallelfall aus der jüngsten Vergangenheit, wie ich auch das Verleihungsrecht der Stipendien der Frau D. vermutlich abzulehnen werde vorhabe, blos weil ich nicht erwarte, jährlich zwei würdige Bewerber zu finden. „Nicht also an einer Jury liegt es, sondern an der komponierenden Jugend! Amerikanismus hat sich in die Kunst eingefressen: in 10 Stunden will der Komponist eine Art Musik-Vanderbilt werden; darnach wird gelehrt, gelernt, der Rest ist Jugend, Genie, Fortschritt als Synonyma. Ich kenne nur eine Richtung, u. zwar die der gut geschriebenen Musik; schlecht geschriebene halte ich für keine Richtung. Schon Brahms hat, nach einer Mitteilung von Mahler, die Musik einfach für tot erklärt – man hat es ihm nicht geglaubt; wie kann darf dann aber ich erwarten, daß man mir diese traurige Botschaft glaube?! Ich tue meine Pflicht – an der Regierung, an der Heimat liegt es, daß ich nicht weiter ausholen kann.[“] — An Vrieslander (Br.): danke für die Haydn- Arpeggien, erwähne der Korrespondenz mit Halm u. schließlich auch des Stipendiums u. frage an, ob er geneigt wäre, sämtliches Gedruckte u. Ungedruckte von Ph. Em. Bach zu sammeln u. in einem Band herauszugeben, wofür ich ihm dann gerne gewissermaßen als Autorenhonorar das Geld zukommen ließe. — {578} An Rothberger (Br.): frage wegen des Kindes an u. erwähne der Friedmann–Gärtner Stücke. 1 — Fl. erscheint im Kafféhaus, allein; erzählt, daß ihm nun eine mehrwöchige praktische Ausbildung in Marburg bevorstehe. Auffallend ist es, daß er sich in Geldsachen nicht einmal mehr dem Scheine nach so wehleidig stellt, als er [recte er] es ihm früher zu tun beliebte; ob oder sollte er gar noch annimmt ehmen, daß wir ihm zuliebe an ein Spezialmanna glauben, das der liebe Herrgott ausschließlich nur eben ihm u. seinem Hause zudenk te? Nicht mit einem Worte, nicht mit einer Miene zeigt er sonst aber irgend eine Bereitschaft an uns beizustehen! — An Halm (Br.): schicke das Manuscript retour u. sage, daß er sich mit Recht an alte Vorbilder anlehne; bekenne mich selbst aber zu einer schärferen Methode, die auch dem Laien nicht erspart, sich die Kenntnis der Urbegriffe aus dem Kontrapunkt anzueignen. ; Kkomme dann auf den zuletzt eingeschickten Aufsatz aus dem Jahre 1914 2 zurück, der für Bruckner Propaganda macht, u. gestehe, daß ich ihm in der Einschätzung der Bruckner’schen Form nicht beistimme, wie jede Religion zu einem Gott führt, so ist es Sache der einer Kunstreligion zum Genie zu führen – auch in der Kunst sei Gotteslästerung in diesem Sinne besser zu vermeiden. — — Von Baronin Bach (Br.): als Beilage Brief von Siegfried Ochs , der erklärt, daß das junge Fräulein „namenlos begabt“ sei; auch scheint er den jungen Korngold sehr hoch zu stellen, wie aus einer Wendung im Briefe hervorgeht. (Nebenbei bemerkt deutet er an, daß er Gründe hatte, in Wien die Sache einfach „hinzuwerfen“.[)] — — An Sophie (K.): wegen Brot u. condensierter Milch. — Abends starker Schneefall. — © Transcription Marko Deisinger. |
January 28, 1917. -10°; the frost increases once more.
— Postcard from Vally (by pneumatic mail): Floriz has finished the test, and the two of them will appear at the coffee house between 1 o'clock and 1:30. — — LetterOC 1 B/2-3 to Dr. Stern : I hasten to clear up the misunderstanding, and recount the parallel case from the most recent past, and how I am also thinking of relinquishing my right to confer Mrs. Deutsch's stipends, merely because I do not expect to find two applicants per year who are worthy of them. "It is not for a jury, but for a composing youth! Americanization has eaten its way into art: a composer wants to be a kind of musical Vanderbilt in just ten lessons; this is the way things are taught and learned, the rest is youth, genius, and progress as synonymous terms. I recognize only one direction, and that is the one of well-written music; badly written music I regard as no direction. Already Brahms, according to a remark made by Mahler, declared that music was simply dead – no one believed him; but how, then, can I expect anyone to believe me when I give this sad pronouncement?! I do my duty – it is the fault of the government, of the homeland, that I cannot go further.["] — Letter to Vrieslander : I thank him for the Haydn arpeggios, mention the correspondence with Halm and, in the end, also the stipend; and I ask him whether he would be inclined to collect all the published and unpublished work of C. P. E. Bach and bring it out in one volume, for which I would gladly arrange for him to be paid a kind of author's honorarium. — {578} Letter to Rothberger: I ask him about his child and mention the Friedman-Gärtner pieces. 1 — Floriz appears at the coffee house, on his own; he tells me that he now has a practical training in Marburg ahead of him. It is striking that he no longer appears so petulant about money matters, as he was accustomed to being in the past; or does he still assume that we believe in a special manna that our dear Lord God gives to him and his family exclusively? Not with a word, not with a gesture, however, is he otherwise showing any sign of standing by us! — Letter to Halm : I am returning his manuscript and tell him that he is right to rely on old models; I confess, however, that I myself follow a more rigorous method, which does not spare the layman from acquiring knowledge of the basic principles of counterpoint; I then return to his article of 1914, 2 sent most recently, which makes propaganda for Bruckner and confess that I cannot agree with his estimation of Brucknerian form; as every religion leads to a god, it is the duty of a religion of art to lead to a genius – in art, too, blasphemy is in this sense better avoided. — — Letter from Baroness Bach : as an enclosure, a letter from Siegfried Ochs who declares that the young girl is "anonymously gifted"; he also seems to rate the young Korngold very highly, as can be seen from a passage in the letter. (He indicates in passing that he had reasons for simply "dropping" the matter in Vienna.) — — Postcard to Sophie, requesting bread and condensed milk. — In the evening, a heavy snowfall. — © Translation William Drabkin. |
28. I. 17 -10°; der Frost nimmt noch einmal wieder [sic]
zu.
— Von Fr. Wally (pn. K.): Fl. sei mit der Prüfung fertig u. sie würden beide zwischen 1–½2h im Caféhaus erscheinen. — — An Dr. Stern (Br.OC 1 B/2-3): beeile mich das Mißverständnis aufzuklären u. erzähle vom Parallelfall aus der jüngsten Vergangenheit, wie ich auch das Verleihungsrecht der Stipendien der Frau D. vermutlich abzulehnen werde vorhabe, blos weil ich nicht erwarte, jährlich zwei würdige Bewerber zu finden. „Nicht also an einer Jury liegt es, sondern an der komponierenden Jugend! Amerikanismus hat sich in die Kunst eingefressen: in 10 Stunden will der Komponist eine Art Musik-Vanderbilt werden; darnach wird gelehrt, gelernt, der Rest ist Jugend, Genie, Fortschritt als Synonyma. Ich kenne nur eine Richtung, u. zwar die der gut geschriebenen Musik; schlecht geschriebene halte ich für keine Richtung. Schon Brahms hat, nach einer Mitteilung von Mahler, die Musik einfach für tot erklärt – man hat es ihm nicht geglaubt; wie kann darf dann aber ich erwarten, daß man mir diese traurige Botschaft glaube?! Ich tue meine Pflicht – an der Regierung, an der Heimat liegt es, daß ich nicht weiter ausholen kann.[“] — An Vrieslander (Br.): danke für die Haydn- Arpeggien, erwähne der Korrespondenz mit Halm u. schließlich auch des Stipendiums u. frage an, ob er geneigt wäre, sämtliches Gedruckte u. Ungedruckte von Ph. Em. Bach zu sammeln u. in einem Band herauszugeben, wofür ich ihm dann gerne gewissermaßen als Autorenhonorar das Geld zukommen ließe. — {578} An Rothberger (Br.): frage wegen des Kindes an u. erwähne der Friedmann–Gärtner Stücke. 1 — Fl. erscheint im Kafféhaus, allein; erzählt, daß ihm nun eine mehrwöchige praktische Ausbildung in Marburg bevorstehe. Auffallend ist es, daß er sich in Geldsachen nicht einmal mehr dem Scheine nach so wehleidig stellt, als er [recte er] es ihm früher zu tun beliebte; ob oder sollte er gar noch annimmt ehmen, daß wir ihm zuliebe an ein Spezialmanna glauben, das der liebe Herrgott ausschließlich nur eben ihm u. seinem Hause zudenk te? Nicht mit einem Worte, nicht mit einer Miene zeigt er sonst aber irgend eine Bereitschaft an uns beizustehen! — An Halm (Br.): schicke das Manuscript retour u. sage, daß er sich mit Recht an alte Vorbilder anlehne; bekenne mich selbst aber zu einer schärferen Methode, die auch dem Laien nicht erspart, sich die Kenntnis der Urbegriffe aus dem Kontrapunkt anzueignen. ; Kkomme dann auf den zuletzt eingeschickten Aufsatz aus dem Jahre 1914 2 zurück, der für Bruckner Propaganda macht, u. gestehe, daß ich ihm in der Einschätzung der Bruckner’schen Form nicht beistimme, wie jede Religion zu einem Gott führt, so ist es Sache der einer Kunstreligion zum Genie zu führen – auch in der Kunst sei Gotteslästerung in diesem Sinne besser zu vermeiden. — — Von Baronin Bach (Br.): als Beilage Brief von Siegfried Ochs , der erklärt, daß das junge Fräulein „namenlos begabt“ sei; auch scheint er den jungen Korngold sehr hoch zu stellen, wie aus einer Wendung im Briefe hervorgeht. (Nebenbei bemerkt deutet er an, daß er Gründe hatte, in Wien die Sache einfach „hinzuwerfen“.[)] — — An Sophie (K.): wegen Brot u. condensierter Milch. — Abends starker Schneefall. — © Transcription Marko Deisinger. |
January 28, 1917. -10°; the frost increases once more.
— Postcard from Vally (by pneumatic mail): Floriz has finished the test, and the two of them will appear at the coffee house between 1 o'clock and 1:30. — — LetterOC 1 B/2-3 to Dr. Stern : I hasten to clear up the misunderstanding, and recount the parallel case from the most recent past, and how I am also thinking of relinquishing my right to confer Mrs. Deutsch's stipends, merely because I do not expect to find two applicants per year who are worthy of them. "It is not for a jury, but for a composing youth! Americanization has eaten its way into art: a composer wants to be a kind of musical Vanderbilt in just ten lessons; this is the way things are taught and learned, the rest is youth, genius, and progress as synonymous terms. I recognize only one direction, and that is the one of well-written music; badly written music I regard as no direction. Already Brahms, according to a remark made by Mahler, declared that music was simply dead – no one believed him; but how, then, can I expect anyone to believe me when I give this sad pronouncement?! I do my duty – it is the fault of the government, of the homeland, that I cannot go further.["] — Letter to Vrieslander : I thank him for the Haydn arpeggios, mention the correspondence with Halm and, in the end, also the stipend; and I ask him whether he would be inclined to collect all the published and unpublished work of C. P. E. Bach and bring it out in one volume, for which I would gladly arrange for him to be paid a kind of author's honorarium. — {578} Letter to Rothberger: I ask him about his child and mention the Friedman-Gärtner pieces. 1 — Floriz appears at the coffee house, on his own; he tells me that he now has a practical training in Marburg ahead of him. It is striking that he no longer appears so petulant about money matters, as he was accustomed to being in the past; or does he still assume that we believe in a special manna that our dear Lord God gives to him and his family exclusively? Not with a word, not with a gesture, however, is he otherwise showing any sign of standing by us! — Letter to Halm : I am returning his manuscript and tell him that he is right to rely on old models; I confess, however, that I myself follow a more rigorous method, which does not spare the layman from acquiring knowledge of the basic principles of counterpoint; I then return to his article of 1914, 2 sent most recently, which makes propaganda for Bruckner and confess that I cannot agree with his estimation of Brucknerian form; as every religion leads to a god, it is the duty of a religion of art to lead to a genius – in art, too, blasphemy is in this sense better avoided. — — Letter from Baroness Bach : as an enclosure, a letter from Siegfried Ochs who declares that the young girl is "anonymously gifted"; he also seems to rate the young Korngold very highly, as can be seen from a passage in the letter. (He indicates in passing that he had reasons for simply "dropping" the matter in Vienna.) — — Postcard to Sophie, requesting bread and condensed milk. — In the evening, a heavy snowfall. — © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Ignacy Friedman & Eduard Gärtner, Zwei Wiener Tänze nach Motiven von Eduard Gärtner, 2 vols (Vienna–Leipzig: Universal Edition, [1916]). 2 August Halm, "Die Not der Tonkunst," Die Freie Schulgemeinde 4 (April 1914), pp. 74-81. |