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28. III. 17 +1°, blauer Himmel!

— Vom Gericht Bestätigung meiner Zession an Fritz Mendl. —

— Größerer Vorratstransport, den Lie-Liechen mühevoll ausführt. — Durch Zufall zwei Gläser Marmelade bei Meinl erhascht. — Fritz Blum stellt sich vor u. wird angenommen. —

— Im Caféhaus Oberleutnant Bednař mit provisorischer Prothese; mit einiger Verspätung folgt die Mutter nach, was uns in Caféhaus ungebührlich lange festhält; wir bezahlen die früheren Kartoffeln, sie sagt wieder ein Quantum zu. — „Voss. Ztg. [recte Berliner Tageblatt]“ Nachruf an [recte auf] Emil Milan von Jakob; 1 seit langem eine wirkliche Kritik, die sachliche Elemente mitteilt u. hiebei schönste Form wahrt. — Darf ein Kutscher sagen: Wenn ich nicht wäre, müßte das Roß zugrunde gehen? Darf ein Mörder, der soeben einen hingemordet hat, sagen: Es ist so, der eine stirbt eines natürlichen, der andere eines gewaltsamen Todes. Darf er so sprechen, als wäre nicht gerade er es, der den gewaltsamen Tod herbeigeführt hat? So denken u. sprechen unsere Reichen; nichts wissen sie davon, daß innerhalb dem Kulturpark mehr Menschen hungern, als im Naturpark. Schließlich gehen ja die Pferde auch dort nicht zugrunde, wo sie im Naturzustand leben, u. ebensowenig würden die Menschen zugrunde gehen, wenn sie meinetwegen wie die Tiere leben würden, jedenfalls weniger, als innerhalb der Kultur, wo sie die blutigsten Opfer der Reichen sind. Niemals sehen die Reichen die Zerstörung, die sie verursachen, blos weil sie sich in der billigen Rolle eines Retters sehen, die dem von Gottes Gnaden Armen zur Existenz überhaupt erst verhelfen. Woher aber die Armut dieses Armen wurde, darnach fragen sie nicht; täten sie es, so kämen sie {634} nämlich auf die Spur eines anderen Reichen, der eben diese Armen entwurzelt hat. So sieht denn also jeder Reiche nur solche Armen vor sich, die der schon vorher ein anderer Reicher entwurzelt hat, weshalb er sich nun leicht der Täuschung hingeben kann, die Armen zu retten. Sie treiben einander, der eine dem andern, die Opfer förmlich zu, u. während sie für sich bloß zugleich nur die Rolle von Wohltätern in Anspruch nehmen. — Wie schon ein einziger Mensch nur, wie z. B. der Zar, eine die größte Unordnung in die Welt setzen kann, u. welchen Umfang eine solche Unordnung gewinnen kann, zeigt sich darin am besten, daß erst ein großes millionenreiches Volk in Aufruhr geraten muß, um wenn man diesen einen Menschen loszuwerden hat. Nun rechne man nach u. fragen sich: Wie viel Volkskraft oder richtiger: wie vieler Völker Kräfte würden erst dazu gehören, die zahllosen Reichen der Welt loszuwerden?

© Transcription Marko Deisinger.

March 28, 1917. +1°, blue sky!

— From the court, confirmation of my transfer of rights to Fritz Mendl. —

— Rather large transport of goods, which Lie-Liechen undertakes with difficulty. — By chance, two jars of marmalade obtained at Meinl. — Fritz Blum introduces himself and is accepted as a pupil. —

— At the coffee house, Senior Lieutenant Bednař with a temporary prosthesis; his mother Mutter follows after some delay, keeping us at the coffee house for an unreasonably long time; we pay for the potatoes received previously, she promises a further quantity. — In the Vossische Zeitung [recte Berliner Tageblatt], obituary of Emil Milan by Jakob; 1 for the first time in a long time, a true critique, which gives objective elements and in doing so preserves the most beautiful form. — May a coachman say: "If it weren't for me, the horse would perish"? May a murderer who has just slain someone say: "Put it this way: one person dies a natural death, the other a violent one"; may he speak in this way, as if it were not he himself who had perpetrated the violent death? That is how our rich think and speak; they know nothing about how more people go hungry within the park of culture than in the park of nature. Ultimately the horses themselves do not perish where they live in a state of nature, and just as little would people perish if, as far as I'm concerned, they lived like the animals: less, in any event, than within culture, where they are the bloodiest victims of the rich. The rich never see the destruction that they cause, merely because they view themselves in the cheap role of savior by helping the poor, by the grace of God, to an existence in the first place. But where the poverty of the poor comes from, that is something that they do not ask; if they did, {634} they would come, namely, onto the path of another rich man who had uprooted this very poor person. Thus every rich man looks only at such poor people who some other rich person has already uprooted previously, for which he can now easily be deceived into thinking that he has saved the poor. They drive one another, the one the other, verily towards their victim, while at the same time assuming merely the role of philanthropists. — How just a single person, for example the Czar, can introduce the greatest disorder into the world, and what dimension such an disorder can achieve, may be best seen by how a large, millions-strong people must get into a rage in order to free themselves from this one person. Now one may recalculate and ask: how much people power – or, rather, the powers of many peoples – would actually be needed for us to become free of the countless rich of the world?

© Translation William Drabkin.

28. III. 17 +1°, blauer Himmel!

— Vom Gericht Bestätigung meiner Zession an Fritz Mendl. —

— Größerer Vorratstransport, den Lie-Liechen mühevoll ausführt. — Durch Zufall zwei Gläser Marmelade bei Meinl erhascht. — Fritz Blum stellt sich vor u. wird angenommen. —

— Im Caféhaus Oberleutnant Bednař mit provisorischer Prothese; mit einiger Verspätung folgt die Mutter nach, was uns in Caféhaus ungebührlich lange festhält; wir bezahlen die früheren Kartoffeln, sie sagt wieder ein Quantum zu. — „Voss. Ztg. [recte Berliner Tageblatt]“ Nachruf an [recte auf] Emil Milan von Jakob; 1 seit langem eine wirkliche Kritik, die sachliche Elemente mitteilt u. hiebei schönste Form wahrt. — Darf ein Kutscher sagen: Wenn ich nicht wäre, müßte das Roß zugrunde gehen? Darf ein Mörder, der soeben einen hingemordet hat, sagen: Es ist so, der eine stirbt eines natürlichen, der andere eines gewaltsamen Todes. Darf er so sprechen, als wäre nicht gerade er es, der den gewaltsamen Tod herbeigeführt hat? So denken u. sprechen unsere Reichen; nichts wissen sie davon, daß innerhalb dem Kulturpark mehr Menschen hungern, als im Naturpark. Schließlich gehen ja die Pferde auch dort nicht zugrunde, wo sie im Naturzustand leben, u. ebensowenig würden die Menschen zugrunde gehen, wenn sie meinetwegen wie die Tiere leben würden, jedenfalls weniger, als innerhalb der Kultur, wo sie die blutigsten Opfer der Reichen sind. Niemals sehen die Reichen die Zerstörung, die sie verursachen, blos weil sie sich in der billigen Rolle eines Retters sehen, die dem von Gottes Gnaden Armen zur Existenz überhaupt erst verhelfen. Woher aber die Armut dieses Armen wurde, darnach fragen sie nicht; täten sie es, so kämen sie {634} nämlich auf die Spur eines anderen Reichen, der eben diese Armen entwurzelt hat. So sieht denn also jeder Reiche nur solche Armen vor sich, die der schon vorher ein anderer Reicher entwurzelt hat, weshalb er sich nun leicht der Täuschung hingeben kann, die Armen zu retten. Sie treiben einander, der eine dem andern, die Opfer förmlich zu, u. während sie für sich bloß zugleich nur die Rolle von Wohltätern in Anspruch nehmen. — Wie schon ein einziger Mensch nur, wie z. B. der Zar, eine die größte Unordnung in die Welt setzen kann, u. welchen Umfang eine solche Unordnung gewinnen kann, zeigt sich darin am besten, daß erst ein großes millionenreiches Volk in Aufruhr geraten muß, um wenn man diesen einen Menschen loszuwerden hat. Nun rechne man nach u. fragen sich: Wie viel Volkskraft oder richtiger: wie vieler Völker Kräfte würden erst dazu gehören, die zahllosen Reichen der Welt loszuwerden?

© Transcription Marko Deisinger.

March 28, 1917. +1°, blue sky!

— From the court, confirmation of my transfer of rights to Fritz Mendl. —

— Rather large transport of goods, which Lie-Liechen undertakes with difficulty. — By chance, two jars of marmalade obtained at Meinl. — Fritz Blum introduces himself and is accepted as a pupil. —

— At the coffee house, Senior Lieutenant Bednař with a temporary prosthesis; his mother Mutter follows after some delay, keeping us at the coffee house for an unreasonably long time; we pay for the potatoes received previously, she promises a further quantity. — In the Vossische Zeitung [recte Berliner Tageblatt], obituary of Emil Milan by Jakob; 1 for the first time in a long time, a true critique, which gives objective elements and in doing so preserves the most beautiful form. — May a coachman say: "If it weren't for me, the horse would perish"? May a murderer who has just slain someone say: "Put it this way: one person dies a natural death, the other a violent one"; may he speak in this way, as if it were not he himself who had perpetrated the violent death? That is how our rich think and speak; they know nothing about how more people go hungry within the park of culture than in the park of nature. Ultimately the horses themselves do not perish where they live in a state of nature, and just as little would people perish if, as far as I'm concerned, they lived like the animals: less, in any event, than within culture, where they are the bloodiest victims of the rich. The rich never see the destruction that they cause, merely because they view themselves in the cheap role of savior by helping the poor, by the grace of God, to an existence in the first place. But where the poverty of the poor comes from, that is something that they do not ask; if they did, {634} they would come, namely, onto the path of another rich man who had uprooted this very poor person. Thus every rich man looks only at such poor people who some other rich person has already uprooted previously, for which he can now easily be deceived into thinking that he has saved the poor. They drive one another, the one the other, verily towards their victim, while at the same time assuming merely the role of philanthropists. — How just a single person, for example the Czar, can introduce the greatest disorder into the world, and what dimension such an disorder can achieve, may be best seen by how a large, millions-strong people must get into a rage in order to free themselves from this one person. Now one may recalculate and ask: how much people power – or, rather, the powers of many peoples – would actually be needed for us to become free of the countless rich of the world?

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 Heinrich Eduard Jacob, "Emil Milan. Ein Erinnerungsblatt," Berliner Tageblatt, No. 156, 46th year, March 26, 1917, evening edition, p. [2]. The Vossische Zeitung had previously published an obituary of Milan, signed "A. K.," on p. 2 of the March 13 edition.