14. IV. 17 +6°, bewölkt, regnerisch.

Von Bruno Schrader (K.): er habe mir zwei Nummern der „Neuen Zeitschrift für Musik“ geschickt 1 u. erbittet nähere Angaben über Harmonielehre u. Kontrapunkt ; gern würde er mehr geschrieben haben, wenn er nur geeigneten Platz dafür hätte. —

— Vom Bankverein Rechnung[s]legung über den Kauf. — Unmittelbar nach dem Caféhaus zur Brotkommission No. 19, wegen einer unbegreiflichen Schlamperei in bei der Ausstellung des Brotbezugsscheins. — Hierauf zu Dr. Neumann (2. Mal); Plombe fertiggestellt. — Inzwischen hat sich das Wetter wesentlich gebessert. Um ½5h zum Rendezvous im Herrenhof; dort erscheint zuerst Frau u. Tochter, hierauf Moses; er gesteht eine Dummheit gemacht zu haben, weil daß er nicht gleich zu Beginn seines Aufenthaltes in Wien, da es was eben damals noch gestattet war, seine Kanzlei eröffnet hat. Der Konflikt kam aber, wie er ausdrücklich gestand, nur daher, weil er sich in Wien völlig deplaziert fühlte u. keinerlei Nahrung für seinen starken Drang nach politischen u. sonstigen Beschäftigungen fand. Es fehlte ihm die Befriedigung jener Eitelkeit, wie sie in der Provinz {650} so oft bei Personen zu beobachten ist, die irgend eine Rolle spielen. Nun freilich iIn Wien verlor er sich ganz, was ihm eine so unbehagliche Stimmung verursachte, daß er darüber den An- Entschluß zur Ansiedlung in Wien überhaupt nicht fassen konnte. Bezüglich Mozios teilte er mit, daß er mehrfacher Millionär sei geworden, 100–120.000 Kronen an jährlichem Gehalt beziehe, kürzlich seit kurzem als Referent dem deutschen wie oesterreichischen Kommando in Bukarest zugeteilt sei usw. Moses [recte Moses] Ferner erzählt er, daß er als Aeltester der Familie sich verpflichtet gefühlt habe, uns drei Brüder wieder zusammenzuleimen. Mozio habe ihm auch ausdrücklich zugesagt, mich so-sofort [sic] zu besuchen u. um Entschuldigung zu bitten. Ich mußte ordentlich ausholen, um das unverzeihliche Verhalten Mozios gegenüber der Mutter u. uns allen durch zahllose Dokumente zu beleuchten. Das Rätsel wurde den Zuhörern immer dunkler. Ich möchte bezweifeln, daß der Drang, die Brüder in Einklang zu bringen, größer sei, denn das persönliche Interesse, zunächst den eigenen Sohn durch Mozio in der Bank untergebracht zu sehen. Auch erzählt Dr. Moses, daß ein Kreis-Physikus der Sophie einmal den Antrag gemacht habe, für Salo einen guten, ja besten Posten zu reservieren, wenn sie bei Mozio zugunsten seines Sohnes intervenieren wollte. Hier setzte ich nun ein u. meinte: gelänge es ihm, Dr. Moses, Mozio dazu bewegen, so täte er damit ein gutes Werk an Sophie, das umso dringender sei, je mehr es sich herausstellt, daß Salo wirklich leidend ist. Auf diesen Punkt kam ich im Laufe des Abends wiederholt zurück. — — An Frieda Packet [sic] mit Batiströckchen.

© Transcription Marko Deisinger.

April 14, 1917. +6°, cloudy, rainy.

— Postcard from Bruno Schrader : he has sent me two issues of the Neue Zeitschrift für Musik 1 and asks for further information about my Theory of Harmony and Counterpoint ; he would have gladly written more if only had more space allotted for it. —

— From the Bankverein, invoice for the purchase [of war bonds]. — Immediately after the coffee house, to bread commission no. 19, on account of an incomprehensible sloppiness in the distribution of bread coupons. — Afterwards to Dr. Neumann (second time); filling completed. — In the meantime, the weather has significantly improved. At 4:30, to the meeting in the Herrenhof; the wife and daughter appear first, followed by Moses ; he confesses to having made a stupid mistake by not opening an office right at the beginning of his stay in Vienna, which was still permitted at that time. But the conflict arose, as he expressly admitted, only because he felt thoroughly displaced in Vienna and found no nourishment at all for his strong urge for political and other activities. He lacked the satisfaction of that vanity, which one can so often observe in the provinces, {650} among people who have some sort of role to play there. In Vienna he became completely lost, which caused him such uncomfortable feelings that he could not at all make a decision about moving to Vienna. With regard to Mozio , he tells me that he has become a multi-millionaire, earning between 100,000 and 120,000 Kronen every year, and was recently made a consultant to the German and Austrian command in Bucharest. Moses recounted further that, as the eldest man in the family, he felt obliged to cement the relationship among us three brothers. Mozio has also expressly promised him that he would visit me immediately and ask for forgiveness. I had to strike out, to clarify Mozio's unpardonable behavior towards our mother and towards all of us, invoking countless documents. The puzzle became ever more obscure to those listening. I am inclined to doubt that the impetus to bring us brothers to an understanding was greater than his personal interest, above all to see his own son obtaining a position in the bank through Mozio. Moses also says that a district doctor of Sophie's once proposed to reserve a good position – even the best position – for Salo if she wished to put in a good word to Mozio on behalf of his son. At this point I came in, saying that if he, Moses, succeeded in motivating Mozio in this way, then he would be doing a good thing for Sophie, which is all the more urgent the clearer it becomes that Salo is really suffering. I returned to this point many times during the evening. — — To Frieda, the package with the little batiste skirt.

© Translation William Drabkin.

14. IV. 17 +6°, bewölkt, regnerisch.

Von Bruno Schrader (K.): er habe mir zwei Nummern der „Neuen Zeitschrift für Musik“ geschickt 1 u. erbittet nähere Angaben über Harmonielehre u. Kontrapunkt ; gern würde er mehr geschrieben haben, wenn er nur geeigneten Platz dafür hätte. —

— Vom Bankverein Rechnung[s]legung über den Kauf. — Unmittelbar nach dem Caféhaus zur Brotkommission No. 19, wegen einer unbegreiflichen Schlamperei in bei der Ausstellung des Brotbezugsscheins. — Hierauf zu Dr. Neumann (2. Mal); Plombe fertiggestellt. — Inzwischen hat sich das Wetter wesentlich gebessert. Um ½5h zum Rendezvous im Herrenhof; dort erscheint zuerst Frau u. Tochter, hierauf Moses; er gesteht eine Dummheit gemacht zu haben, weil daß er nicht gleich zu Beginn seines Aufenthaltes in Wien, da es was eben damals noch gestattet war, seine Kanzlei eröffnet hat. Der Konflikt kam aber, wie er ausdrücklich gestand, nur daher, weil er sich in Wien völlig deplaziert fühlte u. keinerlei Nahrung für seinen starken Drang nach politischen u. sonstigen Beschäftigungen fand. Es fehlte ihm die Befriedigung jener Eitelkeit, wie sie in der Provinz {650} so oft bei Personen zu beobachten ist, die irgend eine Rolle spielen. Nun freilich iIn Wien verlor er sich ganz, was ihm eine so unbehagliche Stimmung verursachte, daß er darüber den An- Entschluß zur Ansiedlung in Wien überhaupt nicht fassen konnte. Bezüglich Mozios teilte er mit, daß er mehrfacher Millionär sei geworden, 100–120.000 Kronen an jährlichem Gehalt beziehe, kürzlich seit kurzem als Referent dem deutschen wie oesterreichischen Kommando in Bukarest zugeteilt sei usw. Moses [recte Moses] Ferner erzählt er, daß er als Aeltester der Familie sich verpflichtet gefühlt habe, uns drei Brüder wieder zusammenzuleimen. Mozio habe ihm auch ausdrücklich zugesagt, mich so-sofort [sic] zu besuchen u. um Entschuldigung zu bitten. Ich mußte ordentlich ausholen, um das unverzeihliche Verhalten Mozios gegenüber der Mutter u. uns allen durch zahllose Dokumente zu beleuchten. Das Rätsel wurde den Zuhörern immer dunkler. Ich möchte bezweifeln, daß der Drang, die Brüder in Einklang zu bringen, größer sei, denn das persönliche Interesse, zunächst den eigenen Sohn durch Mozio in der Bank untergebracht zu sehen. Auch erzählt Dr. Moses, daß ein Kreis-Physikus der Sophie einmal den Antrag gemacht habe, für Salo einen guten, ja besten Posten zu reservieren, wenn sie bei Mozio zugunsten seines Sohnes intervenieren wollte. Hier setzte ich nun ein u. meinte: gelänge es ihm, Dr. Moses, Mozio dazu bewegen, so täte er damit ein gutes Werk an Sophie, das umso dringender sei, je mehr es sich herausstellt, daß Salo wirklich leidend ist. Auf diesen Punkt kam ich im Laufe des Abends wiederholt zurück. — — An Frieda Packet [sic] mit Batiströckchen.

© Transcription Marko Deisinger.

April 14, 1917. +6°, cloudy, rainy.

— Postcard from Bruno Schrader : he has sent me two issues of the Neue Zeitschrift für Musik 1 and asks for further information about my Theory of Harmony and Counterpoint ; he would have gladly written more if only had more space allotted for it. —

— From the Bankverein, invoice for the purchase [of war bonds]. — Immediately after the coffee house, to bread commission no. 19, on account of an incomprehensible sloppiness in the distribution of bread coupons. — Afterwards to Dr. Neumann (second time); filling completed. — In the meantime, the weather has significantly improved. At 4:30, to the meeting in the Herrenhof; the wife and daughter appear first, followed by Moses ; he confesses to having made a stupid mistake by not opening an office right at the beginning of his stay in Vienna, which was still permitted at that time. But the conflict arose, as he expressly admitted, only because he felt thoroughly displaced in Vienna and found no nourishment at all for his strong urge for political and other activities. He lacked the satisfaction of that vanity, which one can so often observe in the provinces, {650} among people who have some sort of role to play there. In Vienna he became completely lost, which caused him such uncomfortable feelings that he could not at all make a decision about moving to Vienna. With regard to Mozio , he tells me that he has become a multi-millionaire, earning between 100,000 and 120,000 Kronen every year, and was recently made a consultant to the German and Austrian command in Bucharest. Moses recounted further that, as the eldest man in the family, he felt obliged to cement the relationship among us three brothers. Mozio has also expressly promised him that he would visit me immediately and ask for forgiveness. I had to strike out, to clarify Mozio's unpardonable behavior towards our mother and towards all of us, invoking countless documents. The puzzle became ever more obscure to those listening. I am inclined to doubt that the impetus to bring us brothers to an understanding was greater than his personal interest, above all to see his own son obtaining a position in the bank through Mozio. Moses also says that a district doctor of Sophie's once proposed to reserve a good position – even the best position – for Salo if she wished to put in a good word to Mozio on behalf of his son. At this point I came in, saying that if he, Moses, succeeded in motivating Mozio in this way, then he would be doing a good thing for Sophie, which is all the more urgent the clearer it becomes that Salo is really suffering. I returned to this point many times during the evening. — — To Frieda, the package with the little batiste skirt.

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 The two issues contain articles by Bruno Schrader in which publications by Schenker are mentioned: "Musikbriefe. Aus Berlin," Neue Zeitschrift für Musik, No. 49, December 1, 1916, 83rd year, pp. 386-389 (mentions Beethovens Ninth Symphony and the Erläuterungsausgaben of Op. 109, 110 and 111), "Musikbrief. Aus Berlin," Neue Zeitschrift für Musik, No. 9, March 1, 1917, 84th year, pp. 74-76 (mentions the edition of Bach's Chromatic Fantasy and Fugue); clippings of these are preserved in Schenker's scrapbook (OC 2/p. 52).