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2. V. 17 7°, wieder wie gestern schönstes Wetter.

— An Fr. Wally (K.): Lie-Liechen fragt nach ihrem Befinden. — In Deutschland Streik, durch gewisse politische Agitatoren verursacht; es steht noch nicht fest, ob es sozialdemokratische Parteigänger oder von den Feinden bestochene Deutsche sind, die die Hand im Spiele haben. 1 Knapp vor dem Sieg, wie schmerzlich eine so krieg[s]verlängernde Tatsache! — Zu den krieg[s]verlängernden Gründen zähle ich auch den Umstand, daß die Franzosen die Republik schon haben; denn hätten sie zur Zeit noch einen König, so würde das Bedürfnis, ihr Mütchen an ihm zu kühlen, sicher zu einer Revolution führen, die, wie man es an der russischen sieht, sich sofort in Widerspruch zum Kriege setzt. — Etwaigen Marsbewohnern müßte der Fleck Erde, der Deutschland heißt, ordentlich entgegenleuchten vom Geiste eines Bach, Goethe, Kant usw. — Zu Jean Pauls grammatischer Studie über die Doppelwörter: 2 J. P. scheint mir insofern im Irrtum zu sein, als er die Frage zumeist auf Probleme der Logik stellt (übrigens tun dies auch seine Gegner noch ebenfalls zu reichlich genug!), während ich in der Frage des s-Einschiebsels vielfach kombinierte zungentechnische Gesichtspunkte vermute, wie auch Gründe der Silbenzahl, der Silbengewichte, ja auch der Vokalfärbung, endlich auch einer willkürlichen zu Begriffsdefinitionen dienlichen Unterscheidung : ( z. B. Landmann – Landesmann; Landherr, Landesherr). Wer wollte aber die Millionen Permutationen der Mitlaute in Regeln zwingen, wer könnte von vornherein feststellen, welche Zusammenstöße von {665} Konsonanten der Zunge größere, welche dagegen geringere Schwierigkeiten verursachen, worin denn die sprachtechnischen Instinkte sich durch Gewohnheit ausbilden, u. wer wollte endlich leugnen, daß diese Art Gewohnheit, da sie auf organisch wohlfundirten Instinkten der Zungentechnik ruhe nt, auch von den Schriftstellern zu respektiren sei, zumal in einer Frage, bei der die Logik nicht entscheidet. — Die Polen in Amerika sprechen englisch, da sie eines nur Lynchtodes sicher wären zu erwarten hätten, wenn sie im Repräsentantenhaus plötzlich polnisch zu reden anfingen. Die Polen in Oesterreich sprechen aber polnisch, eine doppelt freche Anmaßung wider den Staat: erstens eine Beleidigung des Staatsgedankens u. zweitens ein ungehöriges Uebergreifen, da sie kraft der Autonomie ohnehin ein Land haben, in dem sie ungehindert polnisch sprechen dürfen. — Keine politische Form trägt schuld an der Menschheit Jammer, nicht Tyrannei, nicht Kaisertum, nicht Republik, lediglich der Reichtum ist der Ursprung alles Elends: Mehr Tyrann als alle Tyrannen, mehr absoluter Kaiser als alle absoluten Kaiser ist das Geld allein als das Element, das Staat, Familie, Sprache u. Sitte am meisten revolutionirende revolutionirt Element! — Liegenschaft-Fideikommisse wären Geld-Fideikommisse entgegenzustellen dringend nötig. Armut wird zwangsweise aufrechterhalten, weil nun einmal Arbeit geleistet werden muß. Da nun der Arme, wenn er zu Geld käme, ebensowenig arbeiten würde, wie als der Reiche, der arbeitet, nachdem er zu Geld bereits gekommen ist, so ist es selbstverständlich erste Sorge der zu-Geld-Gekommenen, daß sie, so lange es eben geht, die Armen in Armut erhalten, nur damit sie ihnen die nötige Arbeit geleiste nt werde. Religion u. geistiges Eigentum wird dann den Armen nur so hingeworfen von den Reichen, die es ihrerseits den Allerärmsten, den Dichtern u. Künstlern stehlen, um so damit etwas zu schenken, was ihnen selbst keinerlei Kosten verursacht.

© Transcription Marko Deisinger.

May 2, 1917. 7°, like yesterday, the most beautiful weather again.

— Postcard to Vally: Lie-Liechen asks how she is feeling. — Strike in Germany , instigated by certain political agitators; it is not yet clear whether it is Social Democratic party activists, or Germans bribed by their country's enemies, who are involved. 1 So soon before victory, how painful is such a war-prolonging act! — To the reasons why the war has been prolonged, I also add the circumstance that the French already have their republic; for if at the time they still had a king, then the need for them to cool their anger on him would surely have led to a revolution which, as one can see with the Russian revolution, would have immediately been put in contradiction to the war. — To any Martians that there may happen to be, the spot of Earth called Germany must duly reflect back from the spirit of a Bach, Goethe, Kant, and so on. — On Jean Paul's grammatical study of compound words: 2 J. P. seems to me to be mistaken when he treats the matter as a problem in logic (his opponents also do this, all too abundantly!) whereas I, when it comes to the matter of inserting an "s," suspect that there is a combination of tongue-technical points of view at play, as well as reasons of syllable count, syllable weight, even vocal inflection, and finally even an arbitrary distinction in the service of the definition of terms: thus, for example, Landmann vs. Landesmann, Landherr vs. Landesherr. But who would wish to force the millions of permutations of the consonants into rules? Who could determine at the outset which collisions of {665} consonants cause greater challenges to the tongue, and which cause lesser difficulties, in which the speech-technical instincts develop as a result of habit? And who, finally, would deny that this kind of habitualness, being based on organically well-founded instincts of tongue technique, are to be respected even by the writers, all the more so in a matter in which logic is not a decisive factor? — The Poles in America speak English, as they could expect only death by lynching if they were suddenly to start speaking Polish in the House of Representatives. The Poles in Austria , on the other hand, speak Polish, a doubly brazen insolence against the state: first, an offense against the idea of statehood and, secondly, an improper encroachment, for in any event they have a country of their own, on the strength of their autonomy, in which they may speak Polish unhindered. — No political form is responsible for the sorrows of humanity – not tyranny, not empire, not republic – wealth alone is the source of all misery: more tyrannical than any tyrant, more absolute than any emperor who rules absolutely, money is the element that most revolutionizes state, family, language, and custom! — It would be a matter of urgency to distinguish property entailments from money entailments. Poverty is forcibly perpetuated because work simply has to be done. But if a poor man, were he to come into money, were to work as little as the rich man works as soon as he has acquired money, then it is self-evidently the first concern of having-come-into-money that it keeps the poor in poverty for as long as possible, merely so that they will accomplish the necessary work for them [the rich]. Religion and intellectual property will be thrown at the poor by the rich who, for their part, steal from the poorest of all, the poets and artists, in order to make a gift of something that will incur no expense at all to themselves.

© Translation William Drabkin.

2. V. 17 7°, wieder wie gestern schönstes Wetter.

— An Fr. Wally (K.): Lie-Liechen fragt nach ihrem Befinden. — In Deutschland Streik, durch gewisse politische Agitatoren verursacht; es steht noch nicht fest, ob es sozialdemokratische Parteigänger oder von den Feinden bestochene Deutsche sind, die die Hand im Spiele haben. 1 Knapp vor dem Sieg, wie schmerzlich eine so krieg[s]verlängernde Tatsache! — Zu den krieg[s]verlängernden Gründen zähle ich auch den Umstand, daß die Franzosen die Republik schon haben; denn hätten sie zur Zeit noch einen König, so würde das Bedürfnis, ihr Mütchen an ihm zu kühlen, sicher zu einer Revolution führen, die, wie man es an der russischen sieht, sich sofort in Widerspruch zum Kriege setzt. — Etwaigen Marsbewohnern müßte der Fleck Erde, der Deutschland heißt, ordentlich entgegenleuchten vom Geiste eines Bach, Goethe, Kant usw. — Zu Jean Pauls grammatischer Studie über die Doppelwörter: 2 J. P. scheint mir insofern im Irrtum zu sein, als er die Frage zumeist auf Probleme der Logik stellt (übrigens tun dies auch seine Gegner noch ebenfalls zu reichlich genug!), während ich in der Frage des s-Einschiebsels vielfach kombinierte zungentechnische Gesichtspunkte vermute, wie auch Gründe der Silbenzahl, der Silbengewichte, ja auch der Vokalfärbung, endlich auch einer willkürlichen zu Begriffsdefinitionen dienlichen Unterscheidung : ( z. B. Landmann – Landesmann; Landherr, Landesherr). Wer wollte aber die Millionen Permutationen der Mitlaute in Regeln zwingen, wer könnte von vornherein feststellen, welche Zusammenstöße von {665} Konsonanten der Zunge größere, welche dagegen geringere Schwierigkeiten verursachen, worin denn die sprachtechnischen Instinkte sich durch Gewohnheit ausbilden, u. wer wollte endlich leugnen, daß diese Art Gewohnheit, da sie auf organisch wohlfundirten Instinkten der Zungentechnik ruhe nt, auch von den Schriftstellern zu respektiren sei, zumal in einer Frage, bei der die Logik nicht entscheidet. — Die Polen in Amerika sprechen englisch, da sie eines nur Lynchtodes sicher wären zu erwarten hätten, wenn sie im Repräsentantenhaus plötzlich polnisch zu reden anfingen. Die Polen in Oesterreich sprechen aber polnisch, eine doppelt freche Anmaßung wider den Staat: erstens eine Beleidigung des Staatsgedankens u. zweitens ein ungehöriges Uebergreifen, da sie kraft der Autonomie ohnehin ein Land haben, in dem sie ungehindert polnisch sprechen dürfen. — Keine politische Form trägt schuld an der Menschheit Jammer, nicht Tyrannei, nicht Kaisertum, nicht Republik, lediglich der Reichtum ist der Ursprung alles Elends: Mehr Tyrann als alle Tyrannen, mehr absoluter Kaiser als alle absoluten Kaiser ist das Geld allein als das Element, das Staat, Familie, Sprache u. Sitte am meisten revolutionirende revolutionirt Element! — Liegenschaft-Fideikommisse wären Geld-Fideikommisse entgegenzustellen dringend nötig. Armut wird zwangsweise aufrechterhalten, weil nun einmal Arbeit geleistet werden muß. Da nun der Arme, wenn er zu Geld käme, ebensowenig arbeiten würde, wie als der Reiche, der arbeitet, nachdem er zu Geld bereits gekommen ist, so ist es selbstverständlich erste Sorge der zu-Geld-Gekommenen, daß sie, so lange es eben geht, die Armen in Armut erhalten, nur damit sie ihnen die nötige Arbeit geleiste nt werde. Religion u. geistiges Eigentum wird dann den Armen nur so hingeworfen von den Reichen, die es ihrerseits den Allerärmsten, den Dichtern u. Künstlern stehlen, um so damit etwas zu schenken, was ihnen selbst keinerlei Kosten verursacht.

© Transcription Marko Deisinger.

May 2, 1917. 7°, like yesterday, the most beautiful weather again.

— Postcard to Vally: Lie-Liechen asks how she is feeling. — Strike in Germany , instigated by certain political agitators; it is not yet clear whether it is Social Democratic party activists, or Germans bribed by their country's enemies, who are involved. 1 So soon before victory, how painful is such a war-prolonging act! — To the reasons why the war has been prolonged, I also add the circumstance that the French already have their republic; for if at the time they still had a king, then the need for them to cool their anger on him would surely have led to a revolution which, as one can see with the Russian revolution, would have immediately been put in contradiction to the war. — To any Martians that there may happen to be, the spot of Earth called Germany must duly reflect back from the spirit of a Bach, Goethe, Kant, and so on. — On Jean Paul's grammatical study of compound words: 2 J. P. seems to me to be mistaken when he treats the matter as a problem in logic (his opponents also do this, all too abundantly!) whereas I, when it comes to the matter of inserting an "s," suspect that there is a combination of tongue-technical points of view at play, as well as reasons of syllable count, syllable weight, even vocal inflection, and finally even an arbitrary distinction in the service of the definition of terms: thus, for example, Landmann vs. Landesmann, Landherr vs. Landesherr. But who would wish to force the millions of permutations of the consonants into rules? Who could determine at the outset which collisions of {665} consonants cause greater challenges to the tongue, and which cause lesser difficulties, in which the speech-technical instincts develop as a result of habit? And who, finally, would deny that this kind of habitualness, being based on organically well-founded instincts of tongue technique, are to be respected even by the writers, all the more so in a matter in which logic is not a decisive factor? — The Poles in America speak English, as they could expect only death by lynching if they were suddenly to start speaking Polish in the House of Representatives. The Poles in Austria , on the other hand, speak Polish, a doubly brazen insolence against the state: first, an offense against the idea of statehood and, secondly, an improper encroachment, for in any event they have a country of their own, on the strength of their autonomy, in which they may speak Polish unhindered. — No political form is responsible for the sorrows of humanity – not tyranny, not empire, not republic – wealth alone is the source of all misery: more tyrannical than any tyrant, more absolute than any emperor who rules absolutely, money is the element that most revolutionizes state, family, language, and custom! — It would be a matter of urgency to distinguish property entailments from money entailments. Poverty is forcibly perpetuated because work simply has to be done. But if a poor man, were he to come into money, were to work as little as the rich man works as soon as he has acquired money, then it is self-evidently the first concern of having-come-into-money that it keeps the poor in poverty for as long as possible, merely so that they will accomplish the necessary work for them [the rich]. Religion and intellectual property will be thrown at the poor by the rich who, for their part, steal from the poorest of all, the poets and artists, in order to make a gift of something that will incur no expense at all to themselves.

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Streikbewegung in Berlin," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 105, April 17, 1917, 61st year, first morning edition, pp. 3-4. "Neuer Ansturm gegen die Reichsleitung," Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, No. 121, May 3, 1917, 61st year, first morning edition, pp. 1-2.

2 Jean Paul, Über die deutschen Doppelwörter; eine grammatische Untersuchung in zwölf alten Briefen und zwölf neuen Postskripten (Stuttgart and Tübingen: Cotta, 1820).