27. VI. 17
Ich frühstücke im Caféhaus, mahne sodann die Putzerin um vertauschte u. zurückbehaltene Stücke, die im letzten Augenblick noch in den Koffer kommen sollen, u. bin komme so erst um ¾8h vor d emas Fahrkartenbüro; dort aber bereits Menschen angetroffen, die, wie ich erfahre, schon seit 6h standen. Um 9½h erhalte ich die Karten, leider nur bis Innsbruck u. um 7 Kronen teuerer als im Vorjahre. Nun mußte noch der Strick um den Korb gelegt werden; zitiere zu diesem Zwecke, da ich sonst niemand andern fa ind e, den alten Dienstmann, der aber mehr mir selbst die Arbeit überläßt, statt sie selbst auszuführen. Erst nachdem dies in Sicherheit gebracht worden, laufe ich zu Lie-Liechen hinüber, um ihr Bericht zu erstatten, weil ich ganz u. vergessen hatte darüber, daß ich Frl. Kahn zur Stunde bestellt war. Ich erscheine erst gegen ½11h zuhause u. treffe das Fräulein vor der Tür, meiner sehr beklommen harrend. — Von Frl. Elias 920 Kronen erhalten nebst dem Honorar für Juni. — Die Hausbesorgerin macht mir den Vorschlag, ihr die Schlüssel zum Voraus einzuhändigen, da sie einen Weg in die Stadt zu machen habe; besorgt nun darüber, ob sie wirklich bis 12h zurückkommt, verweigere ich die Schlüssel u. behalte mir vor, sie ihr erst nach Schluß der Stunde einzuhändigen zu geben. Nach 12h ist aber die Hausbesorgerin nicht zu finden; ich warte eine Weile, zunächst im Zimmer, {700} dann auf dem Trottoir, wo ich, zu meiner Ueberraschung, sie plötzlich im Gespräch mit jemand finde. Diese Unbekümmertheit mahnt mich erst recht zur Vorsicht, ich übergebe ihr nun die Schlüssel u. erkläre, sofort nach dem Essen wieder zurückkommen zu wollen, damit ich die Träger selbst abwarten kann. – Diese kommen erst gegen ¾3h u. nicht wie die Beamtin sie angekündigt, schon zwischen 11–12h; nach ihrem Weggang stürze ich zu Lie-Liechen, um die Jause einzunehmen. Zurückkehrend treffe ich im Tor Dr. Frimmel , der, wie er mir erzählte, soeben die Galerie des Herrn Weiß 1 über dessen eEinladung besichtigt habe. Mit Absicht bringe ich das Gespräch auf das Feuilleton über den jungen Beethoven, 2 worauf der Biedermann erklärte, solche Dinge hätten ja keinen Zusammenhang mit der Komposition u. daher auch keinen Wert! Er habe übrigens die Großmutter des genannten Herrn noch selbst gesprochen, aus ihr aber nicht einmal irgend etwas eine geringste Kleinigkeit über einen Sohn herausholen können, während sie von Briefen Beethovens behauptete, sie habe welche Nohl zur Verfügung gestellt, aber niemehr von ihm zurückerhalten. — — — Sehr früh zu Bett, weil übermüdet. —© Transcription Marko Deisinger. |
June 27, 1917.
I take breakfast in the coffee house, then alert the cleaning lady to interchanged and withheld things that should go into the suitcase at the last minute, and so I don't arrive at the ticket office until 7:45; there I already encounter people who, as I learn, have been waiting since 6 o'clock. At 9:30 I acquire the tickets, unfortunately only as far as Innsbruck and 7 Kronen more expensive than in the previous year. Now the cord has to be tied around the basket; and since I cannot find anyone else for this task, I summon the old porter who, however, leaves me to do most of the work myself. Only when this has been secured do I run over to Lie-Liechen to give her a report, and in doing so I forget that I have asked Miss Kahn to come to her lesson. I don't get home until towards 10:30 and find the young lady in front of my door, waiting for me most anxiously. — 920 Kronen received from Miss Elias, along with the lesson fee for June. — The caretaker suggests that I hand over my keys to her in advance, as she has to do an errand in the city; concerned now about whether she will actually return by 12 o'clock, I refuse to give her the keys and reserve the right to give her the keys only after the lesson is over. But the caretaker is not to be found after 12 o'clock; I wait a while, first in her room, {700} then on the sidewalk where, to my surprise, I suddenly find her in conversation with someone. This thoughtlessness warns me more than ever to be careful; I now hand over the keys to her and explain that I intend to return immediately after lunch, so that I can await the porters myself. But they do not come until 2:45 and not, as the official had informed me, already between 11 and 12 o'clock; after their departure, I descend upon Lie-Liechen to have my afternoon snack. Returning home, I meet Dr. Frimmel at the gate; he tells me that he has just visited the gallery of Mr. Weiß, 1 at his invitation. I intentionally turn the conversation towards the feuilleton about the young Beethoven, 2 whereupon the worthy gentleman explained that such things had no connection with composition and were therefore of no value! He has, moreover, spoken with the grandmother of the said gentleman himself but was not able to discover the smallest tidbit of information about a son, though she maintained that she had made some letters of Beethoven available to Nohl but never got them back from him. — — Very early to bed, as I was exhausted. —© Translation William Drabkin. |
27. VI. 17
Ich frühstücke im Caféhaus, mahne sodann die Putzerin um vertauschte u. zurückbehaltene Stücke, die im letzten Augenblick noch in den Koffer kommen sollen, u. bin komme so erst um ¾8h vor d emas Fahrkartenbüro; dort aber bereits Menschen angetroffen, die, wie ich erfahre, schon seit 6h standen. Um 9½h erhalte ich die Karten, leider nur bis Innsbruck u. um 7 Kronen teuerer als im Vorjahre. Nun mußte noch der Strick um den Korb gelegt werden; zitiere zu diesem Zwecke, da ich sonst niemand andern fa ind e, den alten Dienstmann, der aber mehr mir selbst die Arbeit überläßt, statt sie selbst auszuführen. Erst nachdem dies in Sicherheit gebracht worden, laufe ich zu Lie-Liechen hinüber, um ihr Bericht zu erstatten, weil ich ganz u. vergessen hatte darüber, daß ich Frl. Kahn zur Stunde bestellt war. Ich erscheine erst gegen ½11h zuhause u. treffe das Fräulein vor der Tür, meiner sehr beklommen harrend. — Von Frl. Elias 920 Kronen erhalten nebst dem Honorar für Juni. — Die Hausbesorgerin macht mir den Vorschlag, ihr die Schlüssel zum Voraus einzuhändigen, da sie einen Weg in die Stadt zu machen habe; besorgt nun darüber, ob sie wirklich bis 12h zurückkommt, verweigere ich die Schlüssel u. behalte mir vor, sie ihr erst nach Schluß der Stunde einzuhändigen zu geben. Nach 12h ist aber die Hausbesorgerin nicht zu finden; ich warte eine Weile, zunächst im Zimmer, {700} dann auf dem Trottoir, wo ich, zu meiner Ueberraschung, sie plötzlich im Gespräch mit jemand finde. Diese Unbekümmertheit mahnt mich erst recht zur Vorsicht, ich übergebe ihr nun die Schlüssel u. erkläre, sofort nach dem Essen wieder zurückkommen zu wollen, damit ich die Träger selbst abwarten kann. – Diese kommen erst gegen ¾3h u. nicht wie die Beamtin sie angekündigt, schon zwischen 11–12h; nach ihrem Weggang stürze ich zu Lie-Liechen, um die Jause einzunehmen. Zurückkehrend treffe ich im Tor Dr. Frimmel , der, wie er mir erzählte, soeben die Galerie des Herrn Weiß 1 über dessen eEinladung besichtigt habe. Mit Absicht bringe ich das Gespräch auf das Feuilleton über den jungen Beethoven, 2 worauf der Biedermann erklärte, solche Dinge hätten ja keinen Zusammenhang mit der Komposition u. daher auch keinen Wert! Er habe übrigens die Großmutter des genannten Herrn noch selbst gesprochen, aus ihr aber nicht einmal irgend etwas eine geringste Kleinigkeit über einen Sohn herausholen können, während sie von Briefen Beethovens behauptete, sie habe welche Nohl zur Verfügung gestellt, aber niemehr von ihm zurückerhalten. — — — Sehr früh zu Bett, weil übermüdet. —© Transcription Marko Deisinger. |
June 27, 1917.
I take breakfast in the coffee house, then alert the cleaning lady to interchanged and withheld things that should go into the suitcase at the last minute, and so I don't arrive at the ticket office until 7:45; there I already encounter people who, as I learn, have been waiting since 6 o'clock. At 9:30 I acquire the tickets, unfortunately only as far as Innsbruck and 7 Kronen more expensive than in the previous year. Now the cord has to be tied around the basket; and since I cannot find anyone else for this task, I summon the old porter who, however, leaves me to do most of the work myself. Only when this has been secured do I run over to Lie-Liechen to give her a report, and in doing so I forget that I have asked Miss Kahn to come to her lesson. I don't get home until towards 10:30 and find the young lady in front of my door, waiting for me most anxiously. — 920 Kronen received from Miss Elias, along with the lesson fee for June. — The caretaker suggests that I hand over my keys to her in advance, as she has to do an errand in the city; concerned now about whether she will actually return by 12 o'clock, I refuse to give her the keys and reserve the right to give her the keys only after the lesson is over. But the caretaker is not to be found after 12 o'clock; I wait a while, first in her room, {700} then on the sidewalk where, to my surprise, I suddenly find her in conversation with someone. This thoughtlessness warns me more than ever to be careful; I now hand over the keys to her and explain that I intend to return immediately after lunch, so that I can await the porters myself. But they do not come until 2:45 and not, as the official had informed me, already between 11 and 12 o'clock; after their departure, I descend upon Lie-Liechen to have my afternoon snack. Returning home, I meet Dr. Frimmel at the gate; he tells me that he has just visited the gallery of Mr. Weiß, 1 at his invitation. I intentionally turn the conversation towards the feuilleton about the young Beethoven, 2 whereupon the worthy gentleman explained that such things had no connection with composition and were therefore of no value! He has, moreover, spoken with the grandmother of the said gentleman himself but was not able to discover the smallest tidbit of information about a son, though she maintained that she had made some letters of Beethoven available to Nohl but never got them back from him. — — Very early to bed, as I was exhausted. —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Possibly the Austrian painter Carl Weiß (1860–1931), who was born in Brno, studied at the Academy of Fine Arts in Vienna and took up residence in Vienna after completing his studies. 2 Aaron Mittelmann's "Der Letzte vom Stamme van Beethoven. Ein Besuch beim Urgroßneffen des Meisters," Neues Wiener Tagblatt, No. 166, June 19, 1917, 51st year, pp. 3-5. |