17. VII. 17 Aus Schleiern, Nebel, Wolken entwickelt sich allmälig ein S Tag voll Sonne.
— {719} Von Frl. Kahn (K.): freut sich über mein u. ihr Wohlergehen. — An Wilhelm Brief u. Geld abgeschickt. — An Sophie Karte ab. — Mit dem Mittagszug nach Innsbruck ! Die Stadt steht nun leider ebenfalls unter Depression des Krieges; nicht nur fehlt es an dem großen Gewimmel von Fremden, deren Heiterkeit u. Ausgelassenheit sich allen Lüften mitteilt, ist es noch außerdem ja ganz besonders die Teuerung, die auch hier ihr Unwesen treibt. Der Kaufmann bleibt sich eben unter allen Himmelstrichen u. in allen Lebenslagen gleich, weil allezeit auf Wucher gerichtet. In vielen Geschäften erkundigen wir uns nach einem Korb, leider fand sich aber nicht ein einziger vor, der dem vorigen an Größe u. innerer Ausstattung (Ledertuch) gleichgekommen wäre; 56 Kr. betrug schon aber der Preis der kleineren nicht ausgestatteten Körbe, dazu noch mit dem weiteren Unterschied, daß in einem der Geschäfte um eben diesen Preis schon ein mit Segeltuch überzogener Korb, im andern, bei sonst völlig gleicher Qualität, nur ein unüberzogener angeboten wurde. Noch unterhaltsamer verlief die Suche nach einer Tasche; nirgend konnte Lie-Liechen ein hübsches Tuch, nirgend Holzringe auftreiben, da die meisten Taschen aus minderhübschen Stoffen mit metallenen Ringen angetragen wurden u. auch diese um sehr zu hohen Preis – wieder ein Zeichen, daß der Kaufmann, um die Preise zu steigern, die Ware eigens aus dem Markte zieht, um das Angebot künstlich zu beschneiden. Durch Zufall aber gelang es Lie-Liechen, in einem Wäschegeschäft, wo sie sich blos nach Monogrammen für die Socken erkundigte, einen Gelegenheitskauf zu machen u. eine Tasche zu erwerben aus rotem Dirndlstoff mit überzogenen Holzringen – u. zw. um den alten Friedenspreis! Lie-Liechen bescheidet sich nun für den Augenblick gern auch mit diesem Stück, da es uns jedenfalls hier seine guten Dienste hoffentlich zu leisten imstande sein wird. Obst, das wir auf dem Markt u. in den Obsthandlungen sehen, war meistens unreif u. nur um unverschämt hohen Preis zu kaufen. Lie-Liechen meint, daß in Wien dergleichen Obst gar nicht erst auf den Markt zu bringen gestattet wäre. {720} Am ärgsten wütet die neue Krankheit im Caféhaus, wo wir für Wassereis, kleine Schnitten, je 70 h u. für kleine Gebäckstücke verwerflich süßlichen Geschmackes je 80 h zu zahlen hatten. Mit Vergnügen erblickte ich als Zeichen einer durch Seefeld bewirkten wohltätige rn Entspannung in Seefeld, daß ich den Zeitungen nur mehr mäßiges Interesse entgegenbrachte. Zu unserem Erstaunen zeigte gegen 5h nachmittags das [illeg]Thermometer am Wetterhäuschen in der Maria-Theresienstraße nicht weniger als 29° C im Schatten. Die Luft war denn auch gedrückt genug; kam noch dazu unsere überschwere Kleidung, so hatten wir mehr als billig zu leiden u. freuten uns destomehr, nach dem meist vergeblichen Schlendern hin u. her in den Gassen endlich wieder auf dem Westbahnhof zu erscheinen. Dort nun bekommen wir ein zeitgemäßes u. lehrreiches Bild zu sehen, als ein gerade ankommender Zug aus dem Ober- Inntal Gäste auslud: Große u. Kleine, auch Kleinste, Mann u. Frau, Mädchen, Kinder – alles war in meist unverhältnismäßig schwerer Weise mit Rucksäcken, Körben, Säcken bepackt, die offenbar Kartoffel[n] enthielten, wie man sie die man so, eben bei den Bauern auf dem Lande zu [illeg]erreichen konnte das Glück hatte. Vielleicht sind es die Frühkartoffel[n], die freilich ein jeder an sich zu bringen sucht, obgleich gegen deren Aufbringen die Behörden in Wort, Schrift u. Strafe wettert. Auch sah nen wir Knaben, die den Ankommenden mit Wägelchen entgegenwarteten, die bestimmt waren, die Kartoffel[n] aufzunehmen. Die Heimreise tat uns diesmal ganz besonders wohl u. als wir Paßluft witterten, fanden wir wieder einmal bestätigt, daß unser Wohlbefinden wie durch Schicksal mit an Pässe gebunden ist. — Nachdem am Nachmittag zeitweilig Regen strich, gestaltete sich der Abend recht schön. — Von meinem Wirt empfange ich 25 Stück Portoriccos. —© Transcription Marko Deisinger. |
July 17, 1917. From mists, fog, and clouds, a day full of sunshine gradually develops.
— {719} Postcard from Miss Kahn: she is delighted by my and her good health. — To Wilhelm, letter and money sent off. — To Sophie, postcard sent off. — With the afternoon train to Innsbruck ! The city is now, unfortunately, likewise marked by the depression of war; not only is the great bustle of tourists missing, and with it their cheerfulness and jollity which pervaded the air everywhere, there is in addition, in particular, the raising of prices, which makes trouble here, too. Businessmen are the same everywhere, and in every situation, at all times bent on profiteering. We asked in many shops about a basket, but unfortunately did not find a single one that matched our previous one in dimensions and lining (leather cloth); the price of the smaller baskets, without lining, amounted to 56 Kronen. To this was added the further difference that, in one of the shops a basket covered in canvas, in another an uncovered basket otherwise of the same quality, were offered at this same price. The search for a handbag proved even more amusing; nowhere could Lie-Liechen find an attractive scarf, nowhere wooden rings: the majority of handbags were made of less attractive materials, to which metal rings were attached, and these also for too high a price – another sign that the businessman, in order to increase the prices, actually takes the product out of the market in order to restrict the offer artificially. By chance, however, Lie-Liechen – while merely enquiring about monograms for our socks at a shop selling underwear – succeeded in making a chance purchase and acquiring a handbag made of material used for traditional dresses, covered with wooden rings – and at the old peacetime price! For the moment, Lie-Liechen is happy to have even this piece, as we hope that it will, in any event, be able to offer us its good service. The fruit that we saw in the market and the fruit shops was for the most part unripe, and for sale at shamelessly high prices. Lie-Liechen thinks that, in Vienna, it is not even permitted to bring such fruit to the market. {720} The worst thing is the new malady raging in the coffee house, where we have to pay 70 Heller for a water ice and a small slice of cake, and 80 Heller for small baked goods of damnably over-sweet baked goods. I was pleased to take it as a sign of the beneficial release of tension, effected by our stay in Seefeld, that I was now taking only a moderate amount of interest in the newspapers. To our astonishment, the thermometer at the weather station in the Maria-Theresien-Straße rose to no less than 29° Celsius in the shade at 5 o'clock in the afternoon. The air, too, was oppressive enough; to which was added our overly heavy clothes, so that we had to suffer no small amount; and after a mainly futile stroll in the back streets, we were all the happier to appear finally at the Western Railway Station. There we get a timely, instructive picture, as a training arriving from the Upper Inn Valley unloaded passengers – grown-ups and children, even toddlers; men and women; young ladies, children – all were laden in a disproportionately heavy way with backpacks, baskets and sacks which evidently contained potatoes, which they were fortunate in obtaining even from farmers in the country. Perhaps these are the early-season potatoes, the cultivation of which the authorities rant against, in written and spoken language, and with penalties. We also saw boys who were waiting for those arriving with small wagons that were intended to carry the potatoes. The trip back this time especially did us good; and the scent of mountain-pass air confirmed to us once more that our well-being was tied to mountain passes, as if by fate. — After a temporary spell of rain in the afternoon, the evening turned out very beautiful. — I obtain Portoricco cigars from my landlord. —© Translation William Drabkin. |
17. VII. 17 Aus Schleiern, Nebel, Wolken entwickelt sich allmälig ein S Tag voll Sonne.
— {719} Von Frl. Kahn (K.): freut sich über mein u. ihr Wohlergehen. — An Wilhelm Brief u. Geld abgeschickt. — An Sophie Karte ab. — Mit dem Mittagszug nach Innsbruck ! Die Stadt steht nun leider ebenfalls unter Depression des Krieges; nicht nur fehlt es an dem großen Gewimmel von Fremden, deren Heiterkeit u. Ausgelassenheit sich allen Lüften mitteilt, ist es noch außerdem ja ganz besonders die Teuerung, die auch hier ihr Unwesen treibt. Der Kaufmann bleibt sich eben unter allen Himmelstrichen u. in allen Lebenslagen gleich, weil allezeit auf Wucher gerichtet. In vielen Geschäften erkundigen wir uns nach einem Korb, leider fand sich aber nicht ein einziger vor, der dem vorigen an Größe u. innerer Ausstattung (Ledertuch) gleichgekommen wäre; 56 Kr. betrug schon aber der Preis der kleineren nicht ausgestatteten Körbe, dazu noch mit dem weiteren Unterschied, daß in einem der Geschäfte um eben diesen Preis schon ein mit Segeltuch überzogener Korb, im andern, bei sonst völlig gleicher Qualität, nur ein unüberzogener angeboten wurde. Noch unterhaltsamer verlief die Suche nach einer Tasche; nirgend konnte Lie-Liechen ein hübsches Tuch, nirgend Holzringe auftreiben, da die meisten Taschen aus minderhübschen Stoffen mit metallenen Ringen angetragen wurden u. auch diese um sehr zu hohen Preis – wieder ein Zeichen, daß der Kaufmann, um die Preise zu steigern, die Ware eigens aus dem Markte zieht, um das Angebot künstlich zu beschneiden. Durch Zufall aber gelang es Lie-Liechen, in einem Wäschegeschäft, wo sie sich blos nach Monogrammen für die Socken erkundigte, einen Gelegenheitskauf zu machen u. eine Tasche zu erwerben aus rotem Dirndlstoff mit überzogenen Holzringen – u. zw. um den alten Friedenspreis! Lie-Liechen bescheidet sich nun für den Augenblick gern auch mit diesem Stück, da es uns jedenfalls hier seine guten Dienste hoffentlich zu leisten imstande sein wird. Obst, das wir auf dem Markt u. in den Obsthandlungen sehen, war meistens unreif u. nur um unverschämt hohen Preis zu kaufen. Lie-Liechen meint, daß in Wien dergleichen Obst gar nicht erst auf den Markt zu bringen gestattet wäre. {720} Am ärgsten wütet die neue Krankheit im Caféhaus, wo wir für Wassereis, kleine Schnitten, je 70 h u. für kleine Gebäckstücke verwerflich süßlichen Geschmackes je 80 h zu zahlen hatten. Mit Vergnügen erblickte ich als Zeichen einer durch Seefeld bewirkten wohltätige rn Entspannung in Seefeld, daß ich den Zeitungen nur mehr mäßiges Interesse entgegenbrachte. Zu unserem Erstaunen zeigte gegen 5h nachmittags das [illeg]Thermometer am Wetterhäuschen in der Maria-Theresienstraße nicht weniger als 29° C im Schatten. Die Luft war denn auch gedrückt genug; kam noch dazu unsere überschwere Kleidung, so hatten wir mehr als billig zu leiden u. freuten uns destomehr, nach dem meist vergeblichen Schlendern hin u. her in den Gassen endlich wieder auf dem Westbahnhof zu erscheinen. Dort nun bekommen wir ein zeitgemäßes u. lehrreiches Bild zu sehen, als ein gerade ankommender Zug aus dem Ober- Inntal Gäste auslud: Große u. Kleine, auch Kleinste, Mann u. Frau, Mädchen, Kinder – alles war in meist unverhältnismäßig schwerer Weise mit Rucksäcken, Körben, Säcken bepackt, die offenbar Kartoffel[n] enthielten, wie man sie die man so, eben bei den Bauern auf dem Lande zu [illeg]erreichen konnte das Glück hatte. Vielleicht sind es die Frühkartoffel[n], die freilich ein jeder an sich zu bringen sucht, obgleich gegen deren Aufbringen die Behörden in Wort, Schrift u. Strafe wettert. Auch sah nen wir Knaben, die den Ankommenden mit Wägelchen entgegenwarteten, die bestimmt waren, die Kartoffel[n] aufzunehmen. Die Heimreise tat uns diesmal ganz besonders wohl u. als wir Paßluft witterten, fanden wir wieder einmal bestätigt, daß unser Wohlbefinden wie durch Schicksal mit an Pässe gebunden ist. — Nachdem am Nachmittag zeitweilig Regen strich, gestaltete sich der Abend recht schön. — Von meinem Wirt empfange ich 25 Stück Portoriccos. —© Transcription Marko Deisinger. |
July 17, 1917. From mists, fog, and clouds, a day full of sunshine gradually develops.
— {719} Postcard from Miss Kahn: she is delighted by my and her good health. — To Wilhelm, letter and money sent off. — To Sophie, postcard sent off. — With the afternoon train to Innsbruck ! The city is now, unfortunately, likewise marked by the depression of war; not only is the great bustle of tourists missing, and with it their cheerfulness and jollity which pervaded the air everywhere, there is in addition, in particular, the raising of prices, which makes trouble here, too. Businessmen are the same everywhere, and in every situation, at all times bent on profiteering. We asked in many shops about a basket, but unfortunately did not find a single one that matched our previous one in dimensions and lining (leather cloth); the price of the smaller baskets, without lining, amounted to 56 Kronen. To this was added the further difference that, in one of the shops a basket covered in canvas, in another an uncovered basket otherwise of the same quality, were offered at this same price. The search for a handbag proved even more amusing; nowhere could Lie-Liechen find an attractive scarf, nowhere wooden rings: the majority of handbags were made of less attractive materials, to which metal rings were attached, and these also for too high a price – another sign that the businessman, in order to increase the prices, actually takes the product out of the market in order to restrict the offer artificially. By chance, however, Lie-Liechen – while merely enquiring about monograms for our socks at a shop selling underwear – succeeded in making a chance purchase and acquiring a handbag made of material used for traditional dresses, covered with wooden rings – and at the old peacetime price! For the moment, Lie-Liechen is happy to have even this piece, as we hope that it will, in any event, be able to offer us its good service. The fruit that we saw in the market and the fruit shops was for the most part unripe, and for sale at shamelessly high prices. Lie-Liechen thinks that, in Vienna, it is not even permitted to bring such fruit to the market. {720} The worst thing is the new malady raging in the coffee house, where we have to pay 70 Heller for a water ice and a small slice of cake, and 80 Heller for small baked goods of damnably over-sweet baked goods. I was pleased to take it as a sign of the beneficial release of tension, effected by our stay in Seefeld, that I was now taking only a moderate amount of interest in the newspapers. To our astonishment, the thermometer at the weather station in the Maria-Theresien-Straße rose to no less than 29° Celsius in the shade at 5 o'clock in the afternoon. The air, too, was oppressive enough; to which was added our overly heavy clothes, so that we had to suffer no small amount; and after a mainly futile stroll in the back streets, we were all the happier to appear finally at the Western Railway Station. There we get a timely, instructive picture, as a training arriving from the Upper Inn Valley unloaded passengers – grown-ups and children, even toddlers; men and women; young ladies, children – all were laden in a disproportionately heavy way with backpacks, baskets and sacks which evidently contained potatoes, which they were fortunate in obtaining even from farmers in the country. Perhaps these are the early-season potatoes, the cultivation of which the authorities rant against, in written and spoken language, and with penalties. We also saw boys who were waiting for those arriving with small wagons that were intended to carry the potatoes. The trip back this time especially did us good; and the scent of mountain-pass air confirmed to us once more that our well-being was tied to mountain passes, as if by fate. — After a temporary spell of rain in the afternoon, the evening turned out very beautiful. — I obtain Portoricco cigars from my landlord. —© Translation William Drabkin. |