4. VIII. 17 Landregen ohne vorläufige Hoffnung auf Besserung.
— An die „Frankf. Ztg.“ (K.): wegen jeweilig überzähligem überzähligen 2. Abendblattes. — An Winternitz (D.-K.): mit Bezug auf seine eigene Karte Anfrage wegen Kohle u. Holz für Mitte oder Ende September. — An Frau Wally (K.): Lie-Liechen erkundigt sich wegen einer etwaigen neuen Adresse Florizens. — An Frau Baudrexel (Br.): wegen des Kastens, der dahinter aufgestapelten Zeitungen u. schließlich nochmalige Erinnerung wegen Ofens u. Jalousie. — — — Wir begegnen dem Soldaten auf der Straße, der ein Kistchen voll Pilze trägt, wie er sagt für eine Frau; drei schöne Herrnpilze überläßt er davon auch uns, wofür ich ihm nun, die gestern abgelieferten Pilze eingerechnet, vier Kronen überreiche; die fünfte Krone, die ich anbot, lehnte er mit den Worten „das ist zu viel“ ab u. fügt hinzu: „Ich werde Ihnen schon bedienen“. — Versuch eines Spazierganges nach der Jause , wird durch Regen unterbrochen. Ein Windstoß trägt mir eine Fliege in den Mund, davon ich größten Ekel lange Zeit behalte. Prof. Weilen doch erschienen; er- {740} zählt, die Familie Rudorff habe die Bach-Kantaten unter anderm andern auch der Hof-Bibliothek in Wien um den Preis von 30000 M. angetragen, diese aber habe sich gar nicht für solchen Bach-Besitz kompetent gefühlt, zumal von vornherein daran nicht zu zweifeln war, daß das Oberstkämmereramt diesen hohen Betrag bewilligen verweigern würde. Aus der Zeitung wissen wir aber bereits, daß die Firma Peters die Sammlung angekauft hat. 1 — Auswanderung (vgl. Goethe „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ 2 ): Die Fremde – etwas durch die Jugend zu [illeg]Ueberwindendes, gleichsam Thema einer jugendlichen Krafterprobung, Ueberwindung u. Eroberung außerhalb des allernächsten Kreises –, hängt somit nicht immer blos mit materiellen Dingen zusammen. — Staatspolitik gegenüber dem Kaufmann: Produzent u. Kaufmann werden in ihren Betrügereien durch die Regierungen nur gestützt, weil nun einmal die Steuerkraft nicht sinken darf, auf das die Staaten angewiesen sind. Hier tut sich aber gleich der ganze große Widerspruch auf; denn sag ten man dieselben Regierungen nicht minder oft, die Steuerkraft hänge durchaus nicht von den wenigen Reichen ab, sondern eher von der Ueberzahl der übrigen ärmeren Bevölkerung, so ist wieder nicht zu verstehen, wie der Staat plötzlich ein andermal die Steuerkraft der Reichen so überschätzt. Offenbar nur eine Ausrede pro domo, sofern nämlich die Regierenden oder an der Regierung bBeteiligten selbst Produzenten u. Kaufleute sind. Wohl aber dürfen hätte es, meinen die Reg., weniger auf sich, wenn die weniger minder steuerkräftigen Stände nach Ansicht der Regierung in ihrer Steuerkraft sinken. Dem gegenüber meine ich nun aber: Gilt es blos die Steuerhöhe, so würde der Staat Zzu demselben Resultat in Hinsicht der Steuerhöhe gelangen, wenn er nu nr einfach auch den Verbrechern freien Lauf ließe u, . auch ihnen, wie den betrügerischen Produzenten u. Händlern[,] gestatten würde, sich des geraubten u. erplünderten Gutes zu erfreuen, wenn sie nur dafür die entsprechende Steuer entrichten. Zwar wäre auch von ihnen eine Steuerhinterziehung noch immer zu befürchten, aber diese bleiben ja doch wohl auch heute die staatsersten Stände nicht schuldig. Das wiederwärtigste [sic] im Chaos u. im circulus vitiosus ist aber dieses: mit unter Staatsgunst gestohlenem Gelde treten die staatsersten Diebe als – Förderer des durch sie mißbrauchten Mittelstandes auf – der Dieb als Förderer! {741} —© Transcription Marko Deisinger. |
August 4, 1917. Steady rain, without any hope of improvement at the moment.
— Postcard to the Frankfurter Zeitung on account of a constant superfluous second evening edition. — Double postcard to Winternitz : with regard to his own postcard, enquiry about coal and wood for the middle or end of September. — Postcard to Vally: Lie-Liechen asks about a possible new address for Floriz. — Letter to Mrs. Baudrexel: concerning the chest and the newspapers piled up behind it; and finally another reminder about the stove and blinds. — — On the street we meet the soldier who is carrying a small basket full of mushrooms which, he says, is for a lady; he gives us three lovely boletus for which I, reckoning also the mushrooms that he brought yesterday, give him four Kronen; the fifth Krone, which I offered, he turns down with the words "that is too much" and adds: "I'll still be at your service." — An attempt at a walk after teatime is interrupted by rain. A gust of wind brings a fly into my mouth, which gives me the greatest feeling of distaste for a long time. Prof. Weilen appears after all: {740} he says that the Rudorff family had offered the Bach cantatas, among other things, also to the court library in Vienna for a price of 30,000 marks; but the library did not feel competent to house such a Bach collection, all the more so as there was no doubt from the outset that the chief treasurer would reject this high price. From the newspaper, however, we have just read that the publishing house Peters have purchased the collection. 1 — Exodus (see Goethe's Wilhelm Meister's Journeyman Years 2 ): foreign land – something to be overcome by youth, quasi the theme of a youthful test of strength, break-through and conquest outside one's immediate circle – is thus not always connected with purely material things. — State politics with respect to the businessman: deception among producers and businessmen are protected by governments only because the power of taxation must not fall, something upon which the state is dependent. But right here the great contradiction becomes evident; for these same governments cannot say often enough that the power of taxation depends not on the few rich people but rather on the vast numbers of the remaining, poorer population; thus it is again incomprehensible how the state can so overvalue the strength with which it can tax the rich. Apparently only an excuse for themselves, insofar as those who govern or take part in government are themselves producers and business people. But surely it would matter less in itself, the governments think, if the less tax-powerful classes fell in their taxation strength. Against this, however, I say: if the amount of taxation is all that matters, the state would achieve the same result if it simply also gave free rein to the criminals and allowed them too, alongside the deceitful producers and traders, to enjoy their plundered assets, so long as they merely pay out corresponding tax for them. To be sure, tax evasion would still be something to be feared from them, too, but this is something for which the highest social classes would, however, not be responsible. The most objectionable thing in the chaos and the vicious circle is this: with stolen money gained under the favor of the state, the state's foremost thieves would be making an appearance as – promoters of the middle classes who were abused by them. The thief as promoter! {741} —© Translation William Drabkin. |
4. VIII. 17 Landregen ohne vorläufige Hoffnung auf Besserung.
— An die „Frankf. Ztg.“ (K.): wegen jeweilig überzähligem überzähligen 2. Abendblattes. — An Winternitz (D.-K.): mit Bezug auf seine eigene Karte Anfrage wegen Kohle u. Holz für Mitte oder Ende September. — An Frau Wally (K.): Lie-Liechen erkundigt sich wegen einer etwaigen neuen Adresse Florizens. — An Frau Baudrexel (Br.): wegen des Kastens, der dahinter aufgestapelten Zeitungen u. schließlich nochmalige Erinnerung wegen Ofens u. Jalousie. — — — Wir begegnen dem Soldaten auf der Straße, der ein Kistchen voll Pilze trägt, wie er sagt für eine Frau; drei schöne Herrnpilze überläßt er davon auch uns, wofür ich ihm nun, die gestern abgelieferten Pilze eingerechnet, vier Kronen überreiche; die fünfte Krone, die ich anbot, lehnte er mit den Worten „das ist zu viel“ ab u. fügt hinzu: „Ich werde Ihnen schon bedienen“. — Versuch eines Spazierganges nach der Jause , wird durch Regen unterbrochen. Ein Windstoß trägt mir eine Fliege in den Mund, davon ich größten Ekel lange Zeit behalte. Prof. Weilen doch erschienen; er- {740} zählt, die Familie Rudorff habe die Bach-Kantaten unter anderm andern auch der Hof-Bibliothek in Wien um den Preis von 30000 M. angetragen, diese aber habe sich gar nicht für solchen Bach-Besitz kompetent gefühlt, zumal von vornherein daran nicht zu zweifeln war, daß das Oberstkämmereramt diesen hohen Betrag bewilligen verweigern würde. Aus der Zeitung wissen wir aber bereits, daß die Firma Peters die Sammlung angekauft hat. 1 — Auswanderung (vgl. Goethe „Wilhelm Meisters Wanderjahre“ 2 ): Die Fremde – etwas durch die Jugend zu [illeg]Ueberwindendes, gleichsam Thema einer jugendlichen Krafterprobung, Ueberwindung u. Eroberung außerhalb des allernächsten Kreises –, hängt somit nicht immer blos mit materiellen Dingen zusammen. — Staatspolitik gegenüber dem Kaufmann: Produzent u. Kaufmann werden in ihren Betrügereien durch die Regierungen nur gestützt, weil nun einmal die Steuerkraft nicht sinken darf, auf das die Staaten angewiesen sind. Hier tut sich aber gleich der ganze große Widerspruch auf; denn sag ten man dieselben Regierungen nicht minder oft, die Steuerkraft hänge durchaus nicht von den wenigen Reichen ab, sondern eher von der Ueberzahl der übrigen ärmeren Bevölkerung, so ist wieder nicht zu verstehen, wie der Staat plötzlich ein andermal die Steuerkraft der Reichen so überschätzt. Offenbar nur eine Ausrede pro domo, sofern nämlich die Regierenden oder an der Regierung bBeteiligten selbst Produzenten u. Kaufleute sind. Wohl aber dürfen hätte es, meinen die Reg., weniger auf sich, wenn die weniger minder steuerkräftigen Stände nach Ansicht der Regierung in ihrer Steuerkraft sinken. Dem gegenüber meine ich nun aber: Gilt es blos die Steuerhöhe, so würde der Staat Zzu demselben Resultat in Hinsicht der Steuerhöhe gelangen, wenn er nu nr einfach auch den Verbrechern freien Lauf ließe u, . auch ihnen, wie den betrügerischen Produzenten u. Händlern[,] gestatten würde, sich des geraubten u. erplünderten Gutes zu erfreuen, wenn sie nur dafür die entsprechende Steuer entrichten. Zwar wäre auch von ihnen eine Steuerhinterziehung noch immer zu befürchten, aber diese bleiben ja doch wohl auch heute die staatsersten Stände nicht schuldig. Das wiederwärtigste [sic] im Chaos u. im circulus vitiosus ist aber dieses: mit unter Staatsgunst gestohlenem Gelde treten die staatsersten Diebe als – Förderer des durch sie mißbrauchten Mittelstandes auf – der Dieb als Förderer! {741} —© Transcription Marko Deisinger. |
August 4, 1917. Steady rain, without any hope of improvement at the moment.
— Postcard to the Frankfurter Zeitung on account of a constant superfluous second evening edition. — Double postcard to Winternitz : with regard to his own postcard, enquiry about coal and wood for the middle or end of September. — Postcard to Vally: Lie-Liechen asks about a possible new address for Floriz. — Letter to Mrs. Baudrexel: concerning the chest and the newspapers piled up behind it; and finally another reminder about the stove and blinds. — — On the street we meet the soldier who is carrying a small basket full of mushrooms which, he says, is for a lady; he gives us three lovely boletus for which I, reckoning also the mushrooms that he brought yesterday, give him four Kronen; the fifth Krone, which I offered, he turns down with the words "that is too much" and adds: "I'll still be at your service." — An attempt at a walk after teatime is interrupted by rain. A gust of wind brings a fly into my mouth, which gives me the greatest feeling of distaste for a long time. Prof. Weilen appears after all: {740} he says that the Rudorff family had offered the Bach cantatas, among other things, also to the court library in Vienna for a price of 30,000 marks; but the library did not feel competent to house such a Bach collection, all the more so as there was no doubt from the outset that the chief treasurer would reject this high price. From the newspaper, however, we have just read that the publishing house Peters have purchased the collection. 1 — Exodus (see Goethe's Wilhelm Meister's Journeyman Years 2 ): foreign land – something to be overcome by youth, quasi the theme of a youthful test of strength, break-through and conquest outside one's immediate circle – is thus not always connected with purely material things. — State politics with respect to the businessman: deception among producers and businessmen are protected by governments only because the power of taxation must not fall, something upon which the state is dependent. But right here the great contradiction becomes evident; for these same governments cannot say often enough that the power of taxation depends not on the few rich people but rather on the vast numbers of the remaining, poorer population; thus it is again incomprehensible how the state can so overvalue the strength with which it can tax the rich. Apparently only an excuse for themselves, insofar as those who govern or take part in government are themselves producers and business people. But surely it would matter less in itself, the governments think, if the less tax-powerful classes fell in their taxation strength. Against this, however, I say: if the amount of taxation is all that matters, the state would achieve the same result if it simply also gave free rein to the criminals and allowed them too, alongside the deceitful producers and traders, to enjoy their plundered assets, so long as they merely pay out corresponding tax for them. To be sure, tax evasion would still be something to be feared from them, too, but this is something for which the highest social classes would, however, not be responsible. The most objectionable thing in the chaos and the vicious circle is this: with stolen money gained under the favor of the state, the state's foremost thieves would be making an appearance as – promoters of the middle classes who were abused by them. The thief as promoter! {741} —© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Kleinere Mitteilungen von hier und dort," Signale für die musikalische Welt, 75th year, No. 30/31 (August 1, 1917), p. 541. 2 Johann Wolfgang von Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden (Wilhelm Meister's Journeyman Years, or the Renunciants), the first edition appeared in 1821 (Stuttgart, Tübingen: Cotta), and the second edition – differing substantially from the first – in 1829 (Stuttgart, Tübingen: Cotta). |