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3. Nebel, bewölkt.

— Nach dem Frühstück zunächst noch wegen Nebels Wald gemieden, erst gegen 10½– {736} ¾12h einen Sprung auf Pilze, finden nur aber blos Eierschwämme nebst Erd- u. Heidelbeeren. In den Wald eintretend begegnen wir einem Soldaten, der soeben gebrockte Pilze aus dem Walde trägt; wir lassen uns mit ihm in ein Gespräch ein u. erfahren, daß er aus Wien sei, bereits an der italienischen Front gekämpft habe u. nur vorübergehend mit seinem geschlechtskranken Offizier in Seefeld weile; daß er sich aber nach der Front sehne, meinte er, da er hier Hunger leide, während er dort aber doch mindestens versorgt sei. Umso schmerzlicher war uns dies von ihm zu hören, als er den seinen scheinbar so paradoxen Wunsch besonders stark noch dadurch unterstrich, daß er seiner vier Kinder erwähnte u. erklärte, u. nun trotz Kindern sei er doch lieber bereit an die Front zu gehen u. dort zu sterben, als hier Hunger zu leiden. Seinen Angaben entnahmen wir weiters, daß auch die Offiziere hier, sofern sie nicht selbst Geld besitzen, gar nicht viel besser dran sind. Schließlich gab uns aber seine Mitteilung, daß er gestern Pilze an Sommergäste verkauft habe, den Gedanken ein, ihn auch in unsere Dienste zu stellen, wozu er sich bereit erklärte. — Durch Herrn Wanner 25 Stück Cubazigarren erhalten. — Wir waren gerade mit dem Mittagessen fertig, als in den Saal Prof. Alex. v. Weilen eintrat; seine sehr beträchtlich eingesunkenen Wangen haben eine so starke Veränderung bewirkt, daß ich mich eine Weile lang gar nicht getraute, ihn anzusprechen. Er erkundigte sich nach unserer Pension, meinte schließlich aber, daß er doch noch nach Fulpmes müsse, wo er bereits im Worte sei u. erst dort wo allein er auch die Frage S.oder F. lösen werde könne. Er gibt an, nicht weniger als 25 kg (!) an Körpergewicht eingebüßt zu haben, bekennt er sich dagegen aber zu einem großen Vorrat an Zigarren. — Generalbaß-Material fertig. — An die Versicherungsgesellschaft (K.): reklamire Entscheidung. — An Sirk (K.): ersuche um eine Preisliste von Koffern. — An Hupka (K.): erkundige mich nach seinem Befinden u. teile mit, daß ich andauernd zufrieden zu sein Ursache habe. — Nachmittag bringt der Soldat Pilze, verspricht morgen wiederzukommen. — Lie-Liechen macht einen vergeblichen Versuch, Strumpfbandgummi einzukaufen; der Preis steht in zu krassem Ver- {737} hältnis zur Qualität u. diese wird dadurch nicht besser, daß die Geschäftsfrau versichert, das Gummiband wäre aus der Schweiz eingeschmuggelt. — Czernowitz zurückerobert! 1 — Abends Dauerregen, der uns zuhause zurückhält. — Etwas zum Thema der menschlichen Streitigkeiten: Man kann sagen, daß selbst unter den rohesten Menschen auf 100 Streitfälle kaum 5 aus [recte auf] wirklich persönlichen Ursachen zurückzuführen sind, vielmehr geht es in all den 95 Fällen zunächst wirklich um irgend eine Sache: ich will das eine oder das andere. Und nur weil es eben um eine Sache geht, kippt der Streit, da den Menschen Befähigung zur Sachlichkeit meist abgeht, sofort in einen persönlichen um. Es geschieht das z. B. so: Werfe ich einer Mutter vor, sie gebe ihrem lungenkranken Sohne zu wenig zu essen, so ist sie durchaus nicht etwa, wie man erwarten müßte, ohneweiters bereit, mit mir die Frage der Quantität sachlich zu erörtern, sondern ist fühlt sich zunächst durch meine Vorbringung an sich schon getroffen, womit sie aber, ohne sich freilich des Prozesses deutlich bewußt zu sein, nicht weniger als dieses ausdrückt: Sie müsse ja zugeben, daß ich eine liebende Mutter u. eine tüchtige Hausfrau bin, folglich muß die Quantität des Essens, die ich meinem Sohne verabreiche, wohl sicher eine angemessene sein, so daß mir darüber nicht erst eine Auseinandersetzung nötig ist erscheint. In meine Sprache übersetzt heißt es nun so: Der minder begabte Mensch fürchtet sich, irgend ein Versehen, Vergessen einzugestehen; er befürchtet, daß schon nur wegen eines Lapsuses [sic] seine ganze Person in Frage gezogen oder gar negirt werden könnte. Daher weicht er jeder sachlichen Erörterung aus u. deckt lieber eine sachliche Angelegenheit, die auch ohne Ansehen seiner Person geschlichtet werden kann u. soll, mit seiner ganzen Person in der Weise, daß er ein General-Vertrauen für sich zu erzwingen bemüht ist, um durch dieses hindurch nun auch die Angelegenheit, wie er glaubt zu seinen Gunsten, zu erledigen u. aus der Welt zu schaffen. Würden die Menschen aber, statt nach diesem Tric zu greifen, lieber auf die Angelegenheit eingehen, so {738} entfiele jeder Streit, wobei dann auch für die Person, die sich überzeugen ließe, selbst noch dann ein Vorteil übrig bliebe, wenn sie den Willen des andern zu tun sich entschließen wollte. Diesen Vorteil verstehen glücklicherweise schon von Haus aus aber die begabten Menschen u. schämen sich daher durchaus nicht, in allen Lagen des Lebens u. in allen an sie herantretenden Fragen, sei es in ihrem Beruf oder außerhalb desselben, sich von sachlichen Argumenten eines zweiten überzeugen zu lassen.

Dieselbe Bewandtnis hat es übrigens auch mit den, ach, so überflüssig vergossenen Tränen: Man sollte denken, daß wenn schon Tränen sie beim Verlust eines Vaters, einer Mutter, von Kindern, der Gesundheit oder dgl. m. vergossen werden, doch nicht so billiger dann Tränen wohl auch vergossen werden könnten schon bei Anlässen, die durchaus einer der Bedeutung wie die soeben genannten jener tieftraurigen Vorfälle entbehren. Aber auch hier ist die Unfähigkeit, den Ereignissen auf die Bedeutung zu kommen Ursache davon, daß nun unterschiedslos dickste Tränenströme oft auch nur bei den geringfügigsten Anlässen vergossen werden. — Auch das Böse will, so genau so wie das Gute wirklich gedeihen, (der giftigste Pilz so gut wie der gute). Es tut daher der Mensch, der einen schlechten Zug getan in Szene setzte, von selbst des weiteren nun auch alles Uebrige dazu, um das Schlechte als gleichsam eine eigen geartete selbstständige u. lebensfähige Frucht geradezu zu hegen u. zu pflegen. Er räumt daher mit Beharrlichkeit alle Hindernisse weg, die sich dem Bösen entgegenstellen mögen, u. sucht esdieses genau so durchzusetzen, als wäre es das Gute, Beste. In diesem Zusammenhange läßt sich dann auch leicht die so verhängnisvolle Eigenschaft der Menschen erklären, der gemäß sie dort, wo sie ein Schlechtes um des Schlechten willen durchzusetzen sich bemühen, die Erinnerung der jener vorangegangenen Momente verlieren, die darnach angetan wären, sie an der Ausführung oder Verteidigung des Schlechten hindern zu müssen. Es wird wohl ein ungelöstes Rätsel bleiben, was da am Anfang ist: ob die Natur selbst, die dem Menschen das Gedächtnis raubt – oder vielleicht {739} nur der Mensch selbst, dessen Egoismus auch in der Verteidigung des Schlechten, nur vielleicht unbewußt, das Gedächtnis so streicht, wie es etwa ein Zensor mit Zeitungsnotizen tut, die ihm aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kram des Tages passen. Ich persönlich neige zu letzterer Auffassung u. meine, der Mensch macht in solchen Fällen seinen eigenen Zensor u. streicht, aus übergroßer Freundlichkeit wider sich selbst, das ihm Unbequeme einfach aus dem Kopfe. Daß ein solcher Prozess, wie alle psychischen, in einer Schnelligkeit vor sich geht, die größer kaum gedacht werden kann, braucht diese Auffassung durchaus nicht zu erschüttern. Gelänge es den Menschen, wenn von Dingen die Rede ist, sich selbst zu vergessen, u. lediglich auf jene sich zu konzentrieren auch dort, wo sie zwischen zwei oder mehreren Personen in Frage kommen, so wäre jede Morallehre überflüssig!

© Transcription Marko Deisinger.

3. Mist, cloudy.

— After breakfast, the forest still avoided at first, mainly on account of mist. {736} Not until towards 11:45, a quick walk in search of mushrooms; but we find only chanterelles, along with some strawberries and blueberries. Entering the forest, we meet a soldier who is just carrying mushrooms collected from the forest; we get into a conversation with him and learn that he is from Vienna, has just fought on the Italian front, and is staying only temporarily with his officer in Seefeld, who has contracted venereal disease; that he is yearning to go back to the front; that he is suffering from hunger here, whereas there he would at least be provided for. It was all the more painful to hear this from him: that he still underscored with great emphasis such a paradoxical wish by mentioning and talking about his children – and that now, despite the children, he would rather go back to the front and die there than suffer from hunger here. From what he said, we gathered further that even the officers here, unless they themselves have money, are not much better off. Finally, however, his remark that he had sold mushrooms to summer holiday-makers yesterday gave us the idea of putting him at our service, to which he agreed. — From Mr. Wanner, 25 Cuban cigars received. — We had just finished lunch when Prof. Alexander von Weilen entered the room; his very deeply sunken cheeks created such a stark change in his appearance that I did not venture to speak to him for some considerable time. He enquired about our guesthouse but finally said that he must, after all, go to Fulpmes, where he has made a promise and the only place where he can resolve the question of Seefeld versus Fulpmes. He claims to have lost not less than 25 kilograms in weight, but on the other hand admits to having a large supply of cigars. — Thoroughbass material finished. — Postcard to the insurance company: I ask for a decision. — Postcard to Sirk : I request a price list for suitcases. — Postcard to Hupka : I ask about his health and tell him that I have every reason to be thoroughly contented. — In the afternoon, the soldier brings mushrooms; he promises to come tomorrow. — Lie-Liechen makes a vain effort to buy elastic for a garter: the price is in blatant {737} contrast to the quality; and the latter is not improved by the shopkeeper's remark that the elastic had been smuggled out of Switzerland. — Czernowitz reconquered! 1 — Persistent rain in the evening, which keeps us indoors. — Something on the theme of human conflicts. One can say that, even among the roughest people, of every 100 disputes barely five can be traced back to personal causes; on the contrary, in those 95 other cases it is really only a matter of some thing: "I want this, or that." And only because it is just about a thing, the dispute – since human competence in objectivity is usually missing – tips over into a personal one. It can happen, for example, in this way: if I criticize a mother for giving her son with a respiratory ailment too little to eat, she is not immediately prepared, as one might expect, to specify objectively the question of quantity, but rather already feels personally offended by my allegation; in which case, however, without of course being clearly conscious of the process, she will express nothing less than the following: "But you must admit that I am a loving mother and a virtuous housewife, and thus it follows that the quantity of food that I administer to my son must surely be an appropriate one," so that a confrontation with me on this matter appears to be unnecessary. Translated into my language, this means: the less gifted person fears that he will admit to having overlooked or forgotten something; he is afraid that, merely on account of a slip, his entire self could be called into question or even negated. For that reason he avoids all objective argument and would rather cover an objective matter, which can and should be decided without respect to his person, with his entire being in such a way that he strives to enforce for himself a general trust for himself, and to use this in order now to deal also with the matter – in his favor, as he would have it – and put an end to it. But if people, instead of clutching at this ploy, would deal with the actual matter, {738} then every dispute would be dropped, whereby even for the person who can be convinced that an advantage would still remain for him if he would be determined to do the will of the other. This advantage is, fortunately, understood automatically by gifted people, who are not at all ashamed, in all situations of their life and in all matters that they encounter professionally or otherwise, to allow themselves to be convinced by objective arguments of a second person.

The same applies also to the – oh! – tears shed so unnecessarily: one ought to think that if tears are shed by children at the loss of their father or mother, or at the loss of good health and things of that sort, then tears do not have to be shed more easily in situations in which those deeply sorrowful events do not apply. But here, too, the inability to understand the significance of these events is the reason why that indiscriminately wide streams of tears are often shed over matters of only the least import. — Even the wicked, just as much as the good, truly wants to survive (the most poisonous mushroom, just as much as a good one). Thus people who have set a bad act in motion, automatically do in addition everything else to lavish care on what is bad as if it were like a strangely constructed fruit, independent and capable of life. They are therefore persistent in removing all obstacles that might set against the wicked, and seek to replace them in such a way that would make them good, the best. In this respect one can also explain with ease the most disastrous quality of people whereby, in striving to establish something bad for the sake of it being bad, lose the remembrance of those previous moments that would be appropriate to prevent them from carrying out or defending what was bad. It will probably remain an unsolved puzzle as to which came first: whether nature itself has robbed people of their memory, {739} or rather people themselves, whose selfishness in the defense of the bad – even if unconsciously – deletes [things from] their memory, much as a censor does with newspaper articles that, for whatever reasons, do not for him fit into the stuff of the day. Personally, I lean towards the latter interpretation and think that, in such cases, people make themselves their own censors and, out of overly large friendliness towards themselves, simply banish from their own mind that which they find uncomfortable. That such a process, like psychic acts, proceeds at a speed that one can hardly imagine to be greater, does not at all have to shake this interpretation. If people could succeed, in the case of things, to forget about themselves and concentrate on those things, even when they intervene between two or several persons, then all moral education would be unnecessary!

© Translation William Drabkin.

3. Nebel, bewölkt.

— Nach dem Frühstück zunächst noch wegen Nebels Wald gemieden, erst gegen 10½– {736} ¾12h einen Sprung auf Pilze, finden nur aber blos Eierschwämme nebst Erd- u. Heidelbeeren. In den Wald eintretend begegnen wir einem Soldaten, der soeben gebrockte Pilze aus dem Walde trägt; wir lassen uns mit ihm in ein Gespräch ein u. erfahren, daß er aus Wien sei, bereits an der italienischen Front gekämpft habe u. nur vorübergehend mit seinem geschlechtskranken Offizier in Seefeld weile; daß er sich aber nach der Front sehne, meinte er, da er hier Hunger leide, während er dort aber doch mindestens versorgt sei. Umso schmerzlicher war uns dies von ihm zu hören, als er den seinen scheinbar so paradoxen Wunsch besonders stark noch dadurch unterstrich, daß er seiner vier Kinder erwähnte u. erklärte, u. nun trotz Kindern sei er doch lieber bereit an die Front zu gehen u. dort zu sterben, als hier Hunger zu leiden. Seinen Angaben entnahmen wir weiters, daß auch die Offiziere hier, sofern sie nicht selbst Geld besitzen, gar nicht viel besser dran sind. Schließlich gab uns aber seine Mitteilung, daß er gestern Pilze an Sommergäste verkauft habe, den Gedanken ein, ihn auch in unsere Dienste zu stellen, wozu er sich bereit erklärte. — Durch Herrn Wanner 25 Stück Cubazigarren erhalten. — Wir waren gerade mit dem Mittagessen fertig, als in den Saal Prof. Alex. v. Weilen eintrat; seine sehr beträchtlich eingesunkenen Wangen haben eine so starke Veränderung bewirkt, daß ich mich eine Weile lang gar nicht getraute, ihn anzusprechen. Er erkundigte sich nach unserer Pension, meinte schließlich aber, daß er doch noch nach Fulpmes müsse, wo er bereits im Worte sei u. erst dort wo allein er auch die Frage S.oder F. lösen werde könne. Er gibt an, nicht weniger als 25 kg (!) an Körpergewicht eingebüßt zu haben, bekennt er sich dagegen aber zu einem großen Vorrat an Zigarren. — Generalbaß-Material fertig. — An die Versicherungsgesellschaft (K.): reklamire Entscheidung. — An Sirk (K.): ersuche um eine Preisliste von Koffern. — An Hupka (K.): erkundige mich nach seinem Befinden u. teile mit, daß ich andauernd zufrieden zu sein Ursache habe. — Nachmittag bringt der Soldat Pilze, verspricht morgen wiederzukommen. — Lie-Liechen macht einen vergeblichen Versuch, Strumpfbandgummi einzukaufen; der Preis steht in zu krassem Ver- {737} hältnis zur Qualität u. diese wird dadurch nicht besser, daß die Geschäftsfrau versichert, das Gummiband wäre aus der Schweiz eingeschmuggelt. — Czernowitz zurückerobert! 1 — Abends Dauerregen, der uns zuhause zurückhält. — Etwas zum Thema der menschlichen Streitigkeiten: Man kann sagen, daß selbst unter den rohesten Menschen auf 100 Streitfälle kaum 5 aus [recte auf] wirklich persönlichen Ursachen zurückzuführen sind, vielmehr geht es in all den 95 Fällen zunächst wirklich um irgend eine Sache: ich will das eine oder das andere. Und nur weil es eben um eine Sache geht, kippt der Streit, da den Menschen Befähigung zur Sachlichkeit meist abgeht, sofort in einen persönlichen um. Es geschieht das z. B. so: Werfe ich einer Mutter vor, sie gebe ihrem lungenkranken Sohne zu wenig zu essen, so ist sie durchaus nicht etwa, wie man erwarten müßte, ohneweiters bereit, mit mir die Frage der Quantität sachlich zu erörtern, sondern ist fühlt sich zunächst durch meine Vorbringung an sich schon getroffen, womit sie aber, ohne sich freilich des Prozesses deutlich bewußt zu sein, nicht weniger als dieses ausdrückt: Sie müsse ja zugeben, daß ich eine liebende Mutter u. eine tüchtige Hausfrau bin, folglich muß die Quantität des Essens, die ich meinem Sohne verabreiche, wohl sicher eine angemessene sein, so daß mir darüber nicht erst eine Auseinandersetzung nötig ist erscheint. In meine Sprache übersetzt heißt es nun so: Der minder begabte Mensch fürchtet sich, irgend ein Versehen, Vergessen einzugestehen; er befürchtet, daß schon nur wegen eines Lapsuses [sic] seine ganze Person in Frage gezogen oder gar negirt werden könnte. Daher weicht er jeder sachlichen Erörterung aus u. deckt lieber eine sachliche Angelegenheit, die auch ohne Ansehen seiner Person geschlichtet werden kann u. soll, mit seiner ganzen Person in der Weise, daß er ein General-Vertrauen für sich zu erzwingen bemüht ist, um durch dieses hindurch nun auch die Angelegenheit, wie er glaubt zu seinen Gunsten, zu erledigen u. aus der Welt zu schaffen. Würden die Menschen aber, statt nach diesem Tric zu greifen, lieber auf die Angelegenheit eingehen, so {738} entfiele jeder Streit, wobei dann auch für die Person, die sich überzeugen ließe, selbst noch dann ein Vorteil übrig bliebe, wenn sie den Willen des andern zu tun sich entschließen wollte. Diesen Vorteil verstehen glücklicherweise schon von Haus aus aber die begabten Menschen u. schämen sich daher durchaus nicht, in allen Lagen des Lebens u. in allen an sie herantretenden Fragen, sei es in ihrem Beruf oder außerhalb desselben, sich von sachlichen Argumenten eines zweiten überzeugen zu lassen.

Dieselbe Bewandtnis hat es übrigens auch mit den, ach, so überflüssig vergossenen Tränen: Man sollte denken, daß wenn schon Tränen sie beim Verlust eines Vaters, einer Mutter, von Kindern, der Gesundheit oder dgl. m. vergossen werden, doch nicht so billiger dann Tränen wohl auch vergossen werden könnten schon bei Anlässen, die durchaus einer der Bedeutung wie die soeben genannten jener tieftraurigen Vorfälle entbehren. Aber auch hier ist die Unfähigkeit, den Ereignissen auf die Bedeutung zu kommen Ursache davon, daß nun unterschiedslos dickste Tränenströme oft auch nur bei den geringfügigsten Anlässen vergossen werden. — Auch das Böse will, so genau so wie das Gute wirklich gedeihen, (der giftigste Pilz so gut wie der gute). Es tut daher der Mensch, der einen schlechten Zug getan in Szene setzte, von selbst des weiteren nun auch alles Uebrige dazu, um das Schlechte als gleichsam eine eigen geartete selbstständige u. lebensfähige Frucht geradezu zu hegen u. zu pflegen. Er räumt daher mit Beharrlichkeit alle Hindernisse weg, die sich dem Bösen entgegenstellen mögen, u. sucht esdieses genau so durchzusetzen, als wäre es das Gute, Beste. In diesem Zusammenhange läßt sich dann auch leicht die so verhängnisvolle Eigenschaft der Menschen erklären, der gemäß sie dort, wo sie ein Schlechtes um des Schlechten willen durchzusetzen sich bemühen, die Erinnerung der jener vorangegangenen Momente verlieren, die darnach angetan wären, sie an der Ausführung oder Verteidigung des Schlechten hindern zu müssen. Es wird wohl ein ungelöstes Rätsel bleiben, was da am Anfang ist: ob die Natur selbst, die dem Menschen das Gedächtnis raubt – oder vielleicht {739} nur der Mensch selbst, dessen Egoismus auch in der Verteidigung des Schlechten, nur vielleicht unbewußt, das Gedächtnis so streicht, wie es etwa ein Zensor mit Zeitungsnotizen tut, die ihm aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kram des Tages passen. Ich persönlich neige zu letzterer Auffassung u. meine, der Mensch macht in solchen Fällen seinen eigenen Zensor u. streicht, aus übergroßer Freundlichkeit wider sich selbst, das ihm Unbequeme einfach aus dem Kopfe. Daß ein solcher Prozess, wie alle psychischen, in einer Schnelligkeit vor sich geht, die größer kaum gedacht werden kann, braucht diese Auffassung durchaus nicht zu erschüttern. Gelänge es den Menschen, wenn von Dingen die Rede ist, sich selbst zu vergessen, u. lediglich auf jene sich zu konzentrieren auch dort, wo sie zwischen zwei oder mehreren Personen in Frage kommen, so wäre jede Morallehre überflüssig!

© Transcription Marko Deisinger.

3. Mist, cloudy.

— After breakfast, the forest still avoided at first, mainly on account of mist. {736} Not until towards 11:45, a quick walk in search of mushrooms; but we find only chanterelles, along with some strawberries and blueberries. Entering the forest, we meet a soldier who is just carrying mushrooms collected from the forest; we get into a conversation with him and learn that he is from Vienna, has just fought on the Italian front, and is staying only temporarily with his officer in Seefeld, who has contracted venereal disease; that he is yearning to go back to the front; that he is suffering from hunger here, whereas there he would at least be provided for. It was all the more painful to hear this from him: that he still underscored with great emphasis such a paradoxical wish by mentioning and talking about his children – and that now, despite the children, he would rather go back to the front and die there than suffer from hunger here. From what he said, we gathered further that even the officers here, unless they themselves have money, are not much better off. Finally, however, his remark that he had sold mushrooms to summer holiday-makers yesterday gave us the idea of putting him at our service, to which he agreed. — From Mr. Wanner, 25 Cuban cigars received. — We had just finished lunch when Prof. Alexander von Weilen entered the room; his very deeply sunken cheeks created such a stark change in his appearance that I did not venture to speak to him for some considerable time. He enquired about our guesthouse but finally said that he must, after all, go to Fulpmes, where he has made a promise and the only place where he can resolve the question of Seefeld versus Fulpmes. He claims to have lost not less than 25 kilograms in weight, but on the other hand admits to having a large supply of cigars. — Thoroughbass material finished. — Postcard to the insurance company: I ask for a decision. — Postcard to Sirk : I request a price list for suitcases. — Postcard to Hupka : I ask about his health and tell him that I have every reason to be thoroughly contented. — In the afternoon, the soldier brings mushrooms; he promises to come tomorrow. — Lie-Liechen makes a vain effort to buy elastic for a garter: the price is in blatant {737} contrast to the quality; and the latter is not improved by the shopkeeper's remark that the elastic had been smuggled out of Switzerland. — Czernowitz reconquered! 1 — Persistent rain in the evening, which keeps us indoors. — Something on the theme of human conflicts. One can say that, even among the roughest people, of every 100 disputes barely five can be traced back to personal causes; on the contrary, in those 95 other cases it is really only a matter of some thing: "I want this, or that." And only because it is just about a thing, the dispute – since human competence in objectivity is usually missing – tips over into a personal one. It can happen, for example, in this way: if I criticize a mother for giving her son with a respiratory ailment too little to eat, she is not immediately prepared, as one might expect, to specify objectively the question of quantity, but rather already feels personally offended by my allegation; in which case, however, without of course being clearly conscious of the process, she will express nothing less than the following: "But you must admit that I am a loving mother and a virtuous housewife, and thus it follows that the quantity of food that I administer to my son must surely be an appropriate one," so that a confrontation with me on this matter appears to be unnecessary. Translated into my language, this means: the less gifted person fears that he will admit to having overlooked or forgotten something; he is afraid that, merely on account of a slip, his entire self could be called into question or even negated. For that reason he avoids all objective argument and would rather cover an objective matter, which can and should be decided without respect to his person, with his entire being in such a way that he strives to enforce for himself a general trust for himself, and to use this in order now to deal also with the matter – in his favor, as he would have it – and put an end to it. But if people, instead of clutching at this ploy, would deal with the actual matter, {738} then every dispute would be dropped, whereby even for the person who can be convinced that an advantage would still remain for him if he would be determined to do the will of the other. This advantage is, fortunately, understood automatically by gifted people, who are not at all ashamed, in all situations of their life and in all matters that they encounter professionally or otherwise, to allow themselves to be convinced by objective arguments of a second person.

The same applies also to the – oh! – tears shed so unnecessarily: one ought to think that if tears are shed by children at the loss of their father or mother, or at the loss of good health and things of that sort, then tears do not have to be shed more easily in situations in which those deeply sorrowful events do not apply. But here, too, the inability to understand the significance of these events is the reason why that indiscriminately wide streams of tears are often shed over matters of only the least import. — Even the wicked, just as much as the good, truly wants to survive (the most poisonous mushroom, just as much as a good one). Thus people who have set a bad act in motion, automatically do in addition everything else to lavish care on what is bad as if it were like a strangely constructed fruit, independent and capable of life. They are therefore persistent in removing all obstacles that might set against the wicked, and seek to replace them in such a way that would make them good, the best. In this respect one can also explain with ease the most disastrous quality of people whereby, in striving to establish something bad for the sake of it being bad, lose the remembrance of those previous moments that would be appropriate to prevent them from carrying out or defending what was bad. It will probably remain an unsolved puzzle as to which came first: whether nature itself has robbed people of their memory, {739} or rather people themselves, whose selfishness in the defense of the bad – even if unconsciously – deletes [things from] their memory, much as a censor does with newspaper articles that, for whatever reasons, do not for him fit into the stuff of the day. Personally, I lean towards the latter interpretation and think that, in such cases, people make themselves their own censors and, out of overly large friendliness towards themselves, simply banish from their own mind that which they find uncomfortable. That such a process, like psychic acts, proceeds at a speed that one can hardly imagine to be greater, does not at all have to shake this interpretation. If people could succeed, in the case of things, to forget about themselves and concentrate on those things, even when they intervene between two or several persons, then all moral education would be unnecessary!

© Translation William Drabkin.

Footnotes

1 "Eindringen unserer Truppen in Czernowitz," Neue Freie Presse, No. 19019, August 3, 1917, evening edition, p. 1.