10. Nachtsüber furchtbar schwerer Regen;
des morgens s aehen wir Neuschnee auf allen Gipfeln u. zwar ziemlich weit herab. Der Regen hält den ganzen Vormittag an. — An den Bankverein (K.): berichtige die neue Anforderung, indem ich auf meine frühere a conto-Zahlung verweise; auch beanstande ich die Notierung auf zwei Blanket[t]s statt auf einem. — Mittags tritt die Sonne {744} hervor, der Schnee ist bald aufgesogen. — ¾5–7h vom Scharnitzweg gegenüber der Milser-Ruine auf einen Seitenweg abgebogen u. nicht weit von Anschluß an die Straße wieder erst bei Gießenbach gewonnen. Der Seitenweg, wohl schön auch an sich, bot auf Gipfel u. in die Täler viele überraschende Ausblicke - bzw. Einblicke. Auf der Straße begegnen wir einem Finanzwachmann, den wir absichtlich ins Gespräch ziehen, um uns nach gewissen Zuständen im Dorfe zu erkundigen; wir erfahren von ihm, daß der Wucher von den Kaufleuten auch hier genauso rücksichtslos geübt wird, wie in der Großstadt. Besondere Schadenfreude empfanden wir schon zum voraus, da er uns angekündigte, daß er eventuell Frau Gapp wegen Preistreiberei in Obst anzeigen werde. Wir gingen bis Seefeld zusammen. — — — Von Sophie (K.): ist über unser Stillschweigen beunruhigt u. fragt nach der Ursache. — Nach dem Abendessen längeres Gespräch mit Weilen, worin ich mit Absicht seine läppischen Gedanken über die Kriegsursache zu entwurzeln suche. — Tagsüber erhalten wir kein Brot von der Wirtin u. da ich abends besonderen Hunger empfand, mußte ich mir zum Ersatz für das fehlende Brot eine zweite Omelette machen lassen, die ich extra mit 2 Kr. zu bezahlen hatte. Hierin lag eine gewisse Ungerechtigkeit, denn wenn wir der Wirtin 12 Kr. täglich für Pension einschließlich des Brotes zahlen, Weilen z. B. aber blos nur 11 Kr., weil er das Brot sich selbst versorgt, so ergibt sich, daß wir täglich 1 Kr. für Brot allein bezahlen, im gewissen Sinne sogar noch mehr[,] wenn wir erwägen, daß sie sich Weilen gegenüber verpflichtet hat, zum Frühstück mehr Honig zu geben. An einem Tage also, an dem wir kein Brot erhielten – u. dies ist schon mehrmals vorgekommen – zahlen wir somit je 1 Kr. für etwas, das wir nicht erhalten. In diesem Sinne wäre es Pflicht der Wirtin gewesen, die Omelette überhaupt gar nicht in Rechnung zu stellen. Indessen machte ich überhaupt keinen weitern [sic] Gebrauch von meinem Rechte u. beglich die Rechnung anstandslos. {745} —© Transcription Marko Deisinger. |
10. During the night, frightfully heavy rain;
in the morning we see new snow on all the mountain peaks, and indeed rather far down. The rain persists throughout the morning. — Postcard to the Bankverein : I correct the new demand by rescinding my earlier payment on account; I also complain about the notation on two blank forms, instead of on one. — At midday the sun {744} emerges; the snow is quickly soaked up. — From 4:45 to 7 o'clock, from the path to Scharnitz we turn off onto a secondary path opposite the Milser ruins and regain access to the road only at Gießenbach. The secondary path, rather attractive even in itself, offered many surprising prospects and views of mountain peaks and into valleys. On the road, we meet a finance officer, with whom we intentionally get into a conversation to find out about certain conditions in the village; we learn from him that extortion by salespeople is just as widespread here as in the metropolis. We felt a special sense of malicious joy (schadenfreude) when he told her that he may charge Mrs. Gapp with extortion in the price of fruit. We walked back together as far as Seefeld. — — Postcard from Sophie: she is anxious about our silence and asks about the cause. — After supper, a long conversation with Weilen, in which I deliberately seek to unpick his ideas about the origins of the war. — During the day, we receive no bread from the proprietress; and as I felt particularly hungry in the evening, I had to ask for a second omelet to be made, for which I had to pay an extra 2 Kronen. Therein lay a certain injustice: for if we have to pay the proprietress 12 Kronen a day for the accommodation, including the bread, but Weilen for instance only pays 11 Kronen because he supplies his own bread, then it follows that we are paying 1 Krone per day for bread alone, in a certain sense even more if we consider that she has committed herself to provide Weilen more honey at breakfast. On a day on which we have received no bread – and this has already happened on several occasions – we are each paying 1 Krone for something that we are not receiving. In this sense, it ought to have been the proprietress's responsibility not to charge anything at all for the omelet. Nonetheless, I make no further use at all of my rights; and I paid the bill without further ado. {745} —© Translation William Drabkin. |
10. Nachtsüber furchtbar schwerer Regen;
des morgens s aehen wir Neuschnee auf allen Gipfeln u. zwar ziemlich weit herab. Der Regen hält den ganzen Vormittag an. — An den Bankverein (K.): berichtige die neue Anforderung, indem ich auf meine frühere a conto-Zahlung verweise; auch beanstande ich die Notierung auf zwei Blanket[t]s statt auf einem. — Mittags tritt die Sonne {744} hervor, der Schnee ist bald aufgesogen. — ¾5–7h vom Scharnitzweg gegenüber der Milser-Ruine auf einen Seitenweg abgebogen u. nicht weit von Anschluß an die Straße wieder erst bei Gießenbach gewonnen. Der Seitenweg, wohl schön auch an sich, bot auf Gipfel u. in die Täler viele überraschende Ausblicke - bzw. Einblicke. Auf der Straße begegnen wir einem Finanzwachmann, den wir absichtlich ins Gespräch ziehen, um uns nach gewissen Zuständen im Dorfe zu erkundigen; wir erfahren von ihm, daß der Wucher von den Kaufleuten auch hier genauso rücksichtslos geübt wird, wie in der Großstadt. Besondere Schadenfreude empfanden wir schon zum voraus, da er uns angekündigte, daß er eventuell Frau Gapp wegen Preistreiberei in Obst anzeigen werde. Wir gingen bis Seefeld zusammen. — — — Von Sophie (K.): ist über unser Stillschweigen beunruhigt u. fragt nach der Ursache. — Nach dem Abendessen längeres Gespräch mit Weilen, worin ich mit Absicht seine läppischen Gedanken über die Kriegsursache zu entwurzeln suche. — Tagsüber erhalten wir kein Brot von der Wirtin u. da ich abends besonderen Hunger empfand, mußte ich mir zum Ersatz für das fehlende Brot eine zweite Omelette machen lassen, die ich extra mit 2 Kr. zu bezahlen hatte. Hierin lag eine gewisse Ungerechtigkeit, denn wenn wir der Wirtin 12 Kr. täglich für Pension einschließlich des Brotes zahlen, Weilen z. B. aber blos nur 11 Kr., weil er das Brot sich selbst versorgt, so ergibt sich, daß wir täglich 1 Kr. für Brot allein bezahlen, im gewissen Sinne sogar noch mehr[,] wenn wir erwägen, daß sie sich Weilen gegenüber verpflichtet hat, zum Frühstück mehr Honig zu geben. An einem Tage also, an dem wir kein Brot erhielten – u. dies ist schon mehrmals vorgekommen – zahlen wir somit je 1 Kr. für etwas, das wir nicht erhalten. In diesem Sinne wäre es Pflicht der Wirtin gewesen, die Omelette überhaupt gar nicht in Rechnung zu stellen. Indessen machte ich überhaupt keinen weitern [sic] Gebrauch von meinem Rechte u. beglich die Rechnung anstandslos. {745} —© Transcription Marko Deisinger. |
10. During the night, frightfully heavy rain;
in the morning we see new snow on all the mountain peaks, and indeed rather far down. The rain persists throughout the morning. — Postcard to the Bankverein : I correct the new demand by rescinding my earlier payment on account; I also complain about the notation on two blank forms, instead of on one. — At midday the sun {744} emerges; the snow is quickly soaked up. — From 4:45 to 7 o'clock, from the path to Scharnitz we turn off onto a secondary path opposite the Milser ruins and regain access to the road only at Gießenbach. The secondary path, rather attractive even in itself, offered many surprising prospects and views of mountain peaks and into valleys. On the road, we meet a finance officer, with whom we intentionally get into a conversation to find out about certain conditions in the village; we learn from him that extortion by salespeople is just as widespread here as in the metropolis. We felt a special sense of malicious joy (schadenfreude) when he told her that he may charge Mrs. Gapp with extortion in the price of fruit. We walked back together as far as Seefeld. — — Postcard from Sophie: she is anxious about our silence and asks about the cause. — After supper, a long conversation with Weilen, in which I deliberately seek to unpick his ideas about the origins of the war. — During the day, we receive no bread from the proprietress; and as I felt particularly hungry in the evening, I had to ask for a second omelet to be made, for which I had to pay an extra 2 Kronen. Therein lay a certain injustice: for if we have to pay the proprietress 12 Kronen a day for the accommodation, including the bread, but Weilen for instance only pays 11 Kronen because he supplies his own bread, then it follows that we are paying 1 Krone per day for bread alone, in a certain sense even more if we consider that she has committed herself to provide Weilen more honey at breakfast. On a day on which we have received no bread – and this has already happened on several occasions – we are each paying 1 Krone for something that we are not receiving. In this sense, it ought to have been the proprietress's responsibility not to charge anything at all for the omelet. Nonetheless, I make no further use at all of my rights; and I paid the bill without further ado. {745} —© Translation William Drabkin. |