24. III. 18 Sonntag, +8°, wolkenloser Himmel.
— Von Floriz (Kbr.): verspricht nach Möglichkeit uns zu besuchen, im übrigen bleib te es unklar, was er bezüglich seiner allernächsten Zukunft zu unternehmen gedenke. — Von ½9h bis zu Tisch Spaziergang im Prater u. am Donaukanal, auch Zeitung lesend. In den Schrebergärten regen sich fleißige Hände. Luft u. Wind bekommen uns beiden nach so langer Zimmerhaft außerordentlich gut, so daß wir mühelos den längeren Spaziergang bestehen. — Seit langem erster Milchcafé mit Butter u. Honig! Extraausgaben verkünden hocherfreuliche überraschende Siegesmeldungen von der Westfront, darunter das sensationelle Beschießen von Paris aus einer Entfernung von ung. 120 km. Wir geraten darüber in freudigste Erregung u. suchen sie auf die stumpfe Umwelt zu übertragen; wir nehmen kleine Buben, Soldaten, Bürger aufs Korn u. können nur immer wieder die Wahrnehmung machen, daß sie alle aus ihrer dumpfen Tierheit nicht zu erwecken sind. Bald ist es ein Unglaube (ein alter wohlgekleideter Herr meinte, ein Schießen auf solche Distanz gäbe es nicht, auch wenn es noch so zuverlässig auf amtlichen Wege mitgeteilt werde!), bald wieder der Refrain: es ist höchste Zeit, mit dem sie die Mitteilung Ludendorffs entgegennehmen. Die Tragweite der sich gegenwärtig abspielenden Ereignisse leuchtet nicht einmal durch meine Erläuterung ein. Was Zeit heißt, ist ihnen gerade nur im in dem allerschmalsten Ausschnitt der gegenwärtigen Sekunde gegenwärtig – wäre es nicht der Körper in ihnen, der die nächste Zeitsekunde automatisch erzwingt, müßte man sie dem geistigen Zustand nach {863} mit jeder vergangenen Sekunde für gestorben annehmen. Nur die körperliche Maschine errobert [sic] die Zukunft, aber nicht ihr Geist. Wir f werfen einen Blick sogar nach der inneren Stadt, doch auch dort dasselbe Bild: Frauen u. Mädchen zeigen womöglich noch größere Stumpfheit als die Männer! — Lie-Liechen bereitet zu Abend einen Grießkoch zu Ehren der Milch. — An Frau Wanner (K.): fragen an, wie sie es mit der kommenden Saison zu halten gedenke u. erbitten eine Verständigung darüber. — Endgiltige Abfertigung des Herrn Lammasch durch Ludo Hartmann der ihm Lügen unwiderlegbar nachweist. Somit ergänzt sich das Bild des Herrn Proffs Professors in einer Weise, die ein guter Seelenkenner schon längst hat vorausgesagt voraussagen können: ein einfältiger, der Logik unmächtiger Mensch, subjektiv katholisch, ohne objektiven Weltverstand, mit einem angeblichen Hochflug, hinter dem bloß unbegriffenes Recht, unbegriffene Religion bezw. Konfession stehen. Die „Arb. Ztg.“ fügt dem Brief ihres Mitarbeiters in ihrer üblichen zynischen Weise einen Vermerk hinzu, aus dem die Absicht hervorgeht, den Leser nicht merken zu lassen, wie sie eigentlich mit ihrer Verteidigung im Unrecht ist gewesen. 1 —© Transcription Marko Deisinger. |
March 24, 1918 Sunday, +8°, cloudless skies.
— From Floriz (letter card): promises to visit us if at all possible, for the rest it remains unclear to him what he is considering doing in the immediate future. — From 8:30 until lunchtime, a walk in the Prater and along the Danube Canal, also reading the newspaper. In the allotment gardens busy hands are at work. The fresh air does us both good, exceedingly so after so long cooped up indoors, such that we manage the long walk effortlessly. — The first milk coffee with butter and honey we have had in ages! The late editions herald surprising, joyful reports of victory on the Western Front, including the sensational shelling of Paris from a distance of about 120 kilometers. We are seized with greatest excitement at that news, and try to infect the lethargic individuals around us. We assail small boys, soldiers, and citizens, only to realize yet again that they are not to be awakened from their dim brutishness. Disbelief is rife (a well-dressed old gentleman is of the opinion that it is not possible to shell from that distance, however reliably it is being reported through official channels!), then again the refrain "And high time, too!" with which they greet Ludendorff's announcement. The momentousness of the events that are taking place at this very moment never once dawns on their minds as I explain it to them. Their concept of what time is lasts for only the tiniest part of the present second – were it not for their bodies' forcing the next second on them automatically, one would have assumed from their spiritual state that {863} with every bygone second they have passed away. Only their bodily machines conquer time, but not their spirit. We take a glance at the Inner City, but find the same picture there: and girls are displaying even more lethargy than the men! — In the evening, Lie-Liechen makes a semolina pudding in honor of the milk. — To Mrs. Wanner (postcard): I inquire what her thoughts are about the upcoming season, and ask for notification of these. — Final comeuppance for Mr. Lammasch at the hands of Ludo Hartmann who has proved beyond a doubt that he has been lying. With this, our picture of the Proffs Professor has been completed in a way that an acute student of human nature could easily have anticipated: a fatuous individual with no command of logic, subjectively Catholic, without any objective understanding of the world, allegedly high-flying, behind which is concealed merely lack of comprehension of the law, religion, or denomination. With its usual cynicism, the Arbeiter-Zeitung adds a postscript to a letter from one of their staff, from which the intention can be discerned not to allow the reader to notice how misguided they are have been with their defense. 1 —© Translation Stephen Ferguson. |
24. III. 18 Sonntag, +8°, wolkenloser Himmel.
— Von Floriz (Kbr.): verspricht nach Möglichkeit uns zu besuchen, im übrigen bleib te es unklar, was er bezüglich seiner allernächsten Zukunft zu unternehmen gedenke. — Von ½9h bis zu Tisch Spaziergang im Prater u. am Donaukanal, auch Zeitung lesend. In den Schrebergärten regen sich fleißige Hände. Luft u. Wind bekommen uns beiden nach so langer Zimmerhaft außerordentlich gut, so daß wir mühelos den längeren Spaziergang bestehen. — Seit langem erster Milchcafé mit Butter u. Honig! Extraausgaben verkünden hocherfreuliche überraschende Siegesmeldungen von der Westfront, darunter das sensationelle Beschießen von Paris aus einer Entfernung von ung. 120 km. Wir geraten darüber in freudigste Erregung u. suchen sie auf die stumpfe Umwelt zu übertragen; wir nehmen kleine Buben, Soldaten, Bürger aufs Korn u. können nur immer wieder die Wahrnehmung machen, daß sie alle aus ihrer dumpfen Tierheit nicht zu erwecken sind. Bald ist es ein Unglaube (ein alter wohlgekleideter Herr meinte, ein Schießen auf solche Distanz gäbe es nicht, auch wenn es noch so zuverlässig auf amtlichen Wege mitgeteilt werde!), bald wieder der Refrain: es ist höchste Zeit, mit dem sie die Mitteilung Ludendorffs entgegennehmen. Die Tragweite der sich gegenwärtig abspielenden Ereignisse leuchtet nicht einmal durch meine Erläuterung ein. Was Zeit heißt, ist ihnen gerade nur im in dem allerschmalsten Ausschnitt der gegenwärtigen Sekunde gegenwärtig – wäre es nicht der Körper in ihnen, der die nächste Zeitsekunde automatisch erzwingt, müßte man sie dem geistigen Zustand nach {863} mit jeder vergangenen Sekunde für gestorben annehmen. Nur die körperliche Maschine errobert [sic] die Zukunft, aber nicht ihr Geist. Wir f werfen einen Blick sogar nach der inneren Stadt, doch auch dort dasselbe Bild: Frauen u. Mädchen zeigen womöglich noch größere Stumpfheit als die Männer! — Lie-Liechen bereitet zu Abend einen Grießkoch zu Ehren der Milch. — An Frau Wanner (K.): fragen an, wie sie es mit der kommenden Saison zu halten gedenke u. erbitten eine Verständigung darüber. — Endgiltige Abfertigung des Herrn Lammasch durch Ludo Hartmann der ihm Lügen unwiderlegbar nachweist. Somit ergänzt sich das Bild des Herrn Proffs Professors in einer Weise, die ein guter Seelenkenner schon längst hat vorausgesagt voraussagen können: ein einfältiger, der Logik unmächtiger Mensch, subjektiv katholisch, ohne objektiven Weltverstand, mit einem angeblichen Hochflug, hinter dem bloß unbegriffenes Recht, unbegriffene Religion bezw. Konfession stehen. Die „Arb. Ztg.“ fügt dem Brief ihres Mitarbeiters in ihrer üblichen zynischen Weise einen Vermerk hinzu, aus dem die Absicht hervorgeht, den Leser nicht merken zu lassen, wie sie eigentlich mit ihrer Verteidigung im Unrecht ist gewesen. 1 —© Transcription Marko Deisinger. |
March 24, 1918 Sunday, +8°, cloudless skies.
— From Floriz (letter card): promises to visit us if at all possible, for the rest it remains unclear to him what he is considering doing in the immediate future. — From 8:30 until lunchtime, a walk in the Prater and along the Danube Canal, also reading the newspaper. In the allotment gardens busy hands are at work. The fresh air does us both good, exceedingly so after so long cooped up indoors, such that we manage the long walk effortlessly. — The first milk coffee with butter and honey we have had in ages! The late editions herald surprising, joyful reports of victory on the Western Front, including the sensational shelling of Paris from a distance of about 120 kilometers. We are seized with greatest excitement at that news, and try to infect the lethargic individuals around us. We assail small boys, soldiers, and citizens, only to realize yet again that they are not to be awakened from their dim brutishness. Disbelief is rife (a well-dressed old gentleman is of the opinion that it is not possible to shell from that distance, however reliably it is being reported through official channels!), then again the refrain "And high time, too!" with which they greet Ludendorff's announcement. The momentousness of the events that are taking place at this very moment never once dawns on their minds as I explain it to them. Their concept of what time is lasts for only the tiniest part of the present second – were it not for their bodies' forcing the next second on them automatically, one would have assumed from their spiritual state that {863} with every bygone second they have passed away. Only their bodily machines conquer time, but not their spirit. We take a glance at the Inner City, but find the same picture there: and girls are displaying even more lethargy than the men! — In the evening, Lie-Liechen makes a semolina pudding in honor of the milk. — To Mrs. Wanner (postcard): I inquire what her thoughts are about the upcoming season, and ask for notification of these. — Final comeuppance for Mr. Lammasch at the hands of Ludo Hartmann who has proved beyond a doubt that he has been lying. With this, our picture of the Proffs Professor has been completed in a way that an acute student of human nature could easily have anticipated: a fatuous individual with no command of logic, subjectively Catholic, without any objective understanding of the world, allegedly high-flying, behind which is concealed merely lack of comprehension of the law, religion, or denomination. With its usual cynicism, the Arbeiter-Zeitung adds a postscript to a letter from one of their staff, from which the intention can be discerned not to allow the reader to notice how misguided they are have been with their defense. 1 —© Translation Stephen Ferguson. |
Footnotes1 "Denkschrift des Professors Lammasch," in: Arbeiter-Zeitung , No. 80, March 19, 1918, 30th Year, p. 6. A letter which Hartmann addressed to Lammasch is published in the article. |