29. August 1923 Wolkenlos!
— Lie-Liechen putzt mich durch u. durch! — An die Post (K.): Poststücke von heute ab an die Wiener Adresse zu senden. — An Hertzka (K.= OJ 5/38, [5]): komme dieser Tage, werde gleich nach dem 9. IX. die Sonaten u. das 5. Heft übergeben. — An Wilhelm (Ansichtsk.): Grüße. — An Frau Schaab (Ansichtsk.): danke für Zeichen aus St. Anton. — An Frl. Elias (K.): melde die Heimreise. — Franz [illeg]Türtscher telefoniert an den Stationsvorstand in Pians, der zusagt, unser Gepäck bis Wien aufzugeben. – (6200 Kronen.). — Telegramm an Marie: Ankommen Montag vormittag (6200 Kronen). — Waage: 90½ – 71 kg.!! — Rudi bringt die drei Mappen: 75000 Kronen, für Rudi 5000 Kronen. — Diktat Beethoven-Feile 1 fortgesetzt. — Wir nehmen den Tee vor dem Hause; auf dem Tischtuch erblicken wir ein Schwalbenpatzerl u. ich sage: „Das haben die Schotten gemacht“ (die immer auf den Tischen saßen!); Lie-Liechen hat dieser Spass zu Tränen gerührt; Karl wird herbeigerufen u. ich hoffe, daß er den Spaß weitergibt. — Nach der Jause über Lie-Liechens Vorschlag auf die gegenüberliegende Terasse [sic] u. sie ganz bis zur Tschafeiner Brücke begangen; das letzte Stück war uns neu. Unterwegs konnten wir an so manchem Haus Gefallen finden, besonders an einem kleinen Gärtchen, in dem Mohn blühte; weiße Schmetterlinge unterwegs. Lie-Liechen pflückt Erika; an einer schattigen Stelle sitzen wir nieder u. genießen den berauschenden Nachmittag. Doch nicht ohne Wehmut blieb der Genuss –; wir stehen am Sterbebett der Natur! Die Verklärung in ihren letzten Zügen ist die des Todes, aber deutlich empfindet der Mensch auch den Trost einer Auferstehung der toten Natur. {2560} Sollte es das gleiche Grundgefühl sein, das ihm die Unsterblichkeit auch des Menschen eingibt? Aber die Natur ist unsterblich[,] weil der Mensch sterblich ist; wäre auch der Mensch unsterblich, wäre die Natur es nicht mehr! — Um 6h zuhause, ganz erfüllt von dem schönen Erlebnis. — op. 106 in Angriff genommen – Lie-Liechen netzt. — Lie-Liechen fällt es ein, die vorgeschriebenen zwei Eier des Abends in Weißwein als Weinschaum zu kredenzen, ein ausgezeichnetes Auskunftsmittel in Verlegenheit. — Forelle wird mir, angeblich als Doppelportion mit 30000 Kronen gerechnet! — Die Galtürer sehen ihre Natur mit weniger Liebe u. Begeisterung als wir. Vielleicht rührt dies davon her, daß gerade sie in dieser Höhe genötigt sind, alle Natur: Sonne, Wolken, Wind, Wasser, Thiere in den Dienst der unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten zu stellen. So lange aber diese den Vordergrund des Bewußtseins einnehmen, ist der Schönheitsnerv, auch wenn er vorhanden ist, noch untätig. —© Transcription Marko Deisinger. |
August 29, 1923 Cloudless!
— Lie-Liechen washes me meticulously! — To the Post Office (postcard): mail is to be sent to the Viennese address starting today. — To Hertzka (postcard= OJ 5/38, [5]): I am coming in the next day or so, will immediately deliver the sonatas and the fifth issue right away after September 9. — To Wilhelm (picture postcard): greetings. — To Mrs. Schaab (picture postcard): I thank [her] for signs [of life] from St. Anton. — To Miss Elias (postcard): report our trip home. — Franz [illeg]Türtscher telephones the station overseer in Pians, who agrees to send our luggage through to Vienna. – (6,200 Kronen.). — Telegram to Marie: arrival Monday before noon (6,200 Kronen). — Scales: 90.5 – 71 kilograms!! — Rudi brings the three covers: 75,000 Kronen, for Rudi 5,000 Kronen. — Dictation of polished version of Beethoven 1 continued. — We drink tea in front of the house; we spot a swallow dropping a stain on the tablecloth and I say: "The Scots did that" (who always sat on the tables!); This joke moves Lie-Liechen to tears; Karl is called over and I hope that he passes on the joke. — After teatime, at Lie-Liechen's suggestion, to the opposite terrace and we walk along it all the way to the Tschafein bridge; the last stretch was new to us. Along the way, we liked some of the houses, especially a small garden where poppies were blooming; white butterflies along the way. Lie-Liechen picks erica; we sit down on a shady spot and enjoy the intoxicating afternoon. But the enjoyment was not without nostalgia –; we are standing at nature's deathbed! The transfiguration in its last stage is that of death, but people clearly feel the comfort of the resurrection of dead nature. {2560} Should that be the same fundamental feeling that imbues him with the immortality of man as well? But nature is immortal because man is mortal; if man were immortal, nature would no longer be so! — Home at 6:00, totally satisfied by the lovely experience. — Started in on Op. 106 – Lie-Liechen tats. — It occurs to Lie-Liechen to present the mandated two evening eggs in white wine as zabaglione, an excellent alternative in an awkward situation. — I am charged 30,000 Kronen for trout, presumably as a double portion! — The people of Galtür view their nature with less love and enthusiasm than we do. Perhaps that can be traced back to the fact that especially they, at this altitude, must necessarily place all of nature, sun, clouds, wind, water [and] animals, at the service of immediate vital necessity. But as long as this occupies the foreground of man's consciousness, the nerve of beauty, even if it exists, is still inactive. —© Translation Scott Witmer. |
29. August 1923 Wolkenlos!
— Lie-Liechen putzt mich durch u. durch! — An die Post (K.): Poststücke von heute ab an die Wiener Adresse zu senden. — An Hertzka (K.= OJ 5/38, [5]): komme dieser Tage, werde gleich nach dem 9. IX. die Sonaten u. das 5. Heft übergeben. — An Wilhelm (Ansichtsk.): Grüße. — An Frau Schaab (Ansichtsk.): danke für Zeichen aus St. Anton. — An Frl. Elias (K.): melde die Heimreise. — Franz [illeg]Türtscher telefoniert an den Stationsvorstand in Pians, der zusagt, unser Gepäck bis Wien aufzugeben. – (6200 Kronen.). — Telegramm an Marie: Ankommen Montag vormittag (6200 Kronen). — Waage: 90½ – 71 kg.!! — Rudi bringt die drei Mappen: 75000 Kronen, für Rudi 5000 Kronen. — Diktat Beethoven-Feile 1 fortgesetzt. — Wir nehmen den Tee vor dem Hause; auf dem Tischtuch erblicken wir ein Schwalbenpatzerl u. ich sage: „Das haben die Schotten gemacht“ (die immer auf den Tischen saßen!); Lie-Liechen hat dieser Spass zu Tränen gerührt; Karl wird herbeigerufen u. ich hoffe, daß er den Spaß weitergibt. — Nach der Jause über Lie-Liechens Vorschlag auf die gegenüberliegende Terasse [sic] u. sie ganz bis zur Tschafeiner Brücke begangen; das letzte Stück war uns neu. Unterwegs konnten wir an so manchem Haus Gefallen finden, besonders an einem kleinen Gärtchen, in dem Mohn blühte; weiße Schmetterlinge unterwegs. Lie-Liechen pflückt Erika; an einer schattigen Stelle sitzen wir nieder u. genießen den berauschenden Nachmittag. Doch nicht ohne Wehmut blieb der Genuss –; wir stehen am Sterbebett der Natur! Die Verklärung in ihren letzten Zügen ist die des Todes, aber deutlich empfindet der Mensch auch den Trost einer Auferstehung der toten Natur. {2560} Sollte es das gleiche Grundgefühl sein, das ihm die Unsterblichkeit auch des Menschen eingibt? Aber die Natur ist unsterblich[,] weil der Mensch sterblich ist; wäre auch der Mensch unsterblich, wäre die Natur es nicht mehr! — Um 6h zuhause, ganz erfüllt von dem schönen Erlebnis. — op. 106 in Angriff genommen – Lie-Liechen netzt. — Lie-Liechen fällt es ein, die vorgeschriebenen zwei Eier des Abends in Weißwein als Weinschaum zu kredenzen, ein ausgezeichnetes Auskunftsmittel in Verlegenheit. — Forelle wird mir, angeblich als Doppelportion mit 30000 Kronen gerechnet! — Die Galtürer sehen ihre Natur mit weniger Liebe u. Begeisterung als wir. Vielleicht rührt dies davon her, daß gerade sie in dieser Höhe genötigt sind, alle Natur: Sonne, Wolken, Wind, Wasser, Thiere in den Dienst der unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten zu stellen. So lange aber diese den Vordergrund des Bewußtseins einnehmen, ist der Schönheitsnerv, auch wenn er vorhanden ist, noch untätig. —© Transcription Marko Deisinger. |
August 29, 1923 Cloudless!
— Lie-Liechen washes me meticulously! — To the Post Office (postcard): mail is to be sent to the Viennese address starting today. — To Hertzka (postcard= OJ 5/38, [5]): I am coming in the next day or so, will immediately deliver the sonatas and the fifth issue right away after September 9. — To Wilhelm (picture postcard): greetings. — To Mrs. Schaab (picture postcard): I thank [her] for signs [of life] from St. Anton. — To Miss Elias (postcard): report our trip home. — Franz [illeg]Türtscher telephones the station overseer in Pians, who agrees to send our luggage through to Vienna. – (6,200 Kronen.). — Telegram to Marie: arrival Monday before noon (6,200 Kronen). — Scales: 90.5 – 71 kilograms!! — Rudi brings the three covers: 75,000 Kronen, for Rudi 5,000 Kronen. — Dictation of polished version of Beethoven 1 continued. — We drink tea in front of the house; we spot a swallow dropping a stain on the tablecloth and I say: "The Scots did that" (who always sat on the tables!); This joke moves Lie-Liechen to tears; Karl is called over and I hope that he passes on the joke. — After teatime, at Lie-Liechen's suggestion, to the opposite terrace and we walk along it all the way to the Tschafein bridge; the last stretch was new to us. Along the way, we liked some of the houses, especially a small garden where poppies were blooming; white butterflies along the way. Lie-Liechen picks erica; we sit down on a shady spot and enjoy the intoxicating afternoon. But the enjoyment was not without nostalgia –; we are standing at nature's deathbed! The transfiguration in its last stage is that of death, but people clearly feel the comfort of the resurrection of dead nature. {2560} Should that be the same fundamental feeling that imbues him with the immortality of man as well? But nature is immortal because man is mortal; if man were immortal, nature would no longer be so! — Home at 6:00, totally satisfied by the lovely experience. — Started in on Op. 106 – Lie-Liechen tats. — It occurs to Lie-Liechen to present the mandated two evening eggs in white wine as zabaglione, an excellent alternative in an awkward situation. — I am charged 30,000 Kronen for trout, presumably as a double portion! — The people of Galtür view their nature with less love and enthusiasm than we do. Perhaps that can be traced back to the fact that especially they, at this altitude, must necessarily place all of nature, sun, clouds, wind, water [and] animals, at the service of immediate vital necessity. But as long as this occupies the foreground of man's consciousness, the nerve of beauty, even if it exists, is still inactive. —© Translation Scott Witmer. |
Footnotes1 "Beethoven: V. Sinfonie (Schluß)," Der Tonwille Heft 6 (1923), 9–35; Eng. transl., II, pp. 8–30. |