Sehr geehrter Herr! 1

Somit übersende ich den gewünschten Orientierungszettel. Hoffentlich paßt es für den zugedachten Zweck. 2

In einigen Tagen folgt die Korrektur der Vorrede.


Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr erg.
[signed:] H Schenker

17. Juli 1910.
Karerpass, Tirol ,
Hotel Karerpass

{2} [?Am] 1 3

Mit der vorliegenden ersten Hälfte des Kontrapunktslehre hat der Verfasser einen wichtigen Schritt zum weiteren Ausbau des Systems seiner musikalischen Theorien zurückgelegt gethan und eine wertvolle Ergänzung zu der im gleichen Verlage schon früher publizierten seinerHarmonielehre“ geboten. Dort hat der Autor auf das Wesen der Stufe als einer im kompositionell-praktischen Sinne inhaltserzeugenden Macht hingewiesen, sodann die Stufengänge und deren Psychologie dargestellt, um daraus in einheitlicher Weise als letzte Konsequenzen endlich auch die Prinzipien der Chromatisierung, Alterierung, Modulation usw. zu gewinnen. Hier ist der Autor bestrebt, die jeweiligen Urformen musikalischer Stimmführungssituationen zunächst im Bereich des (vokal gedachten) strengen Satzes aufzuzeigen; auf die Darstellung jeder einzelnen Urform folgt unmittelbar die Darstellung auch der Wandlungen, die sie im freien Satze gemäß den dort neu gegebenen Umständen erfährt. Dadurch aber wird die unzerstörbare Bedeutung der Urformen nun in ihrer vollen Einheit und die Stimmführungslehre als eine Summe von gleichmäßig über vokalem und instrumentalem Styl Stil stehenden Prinzipien erwiesen, so daß der seit von altersher gefürchtete Widerspruch zwischen strengem und freiem Satz endlich gerade in dieser Einheit der Urformen seine volle Lösung findet. 4

Bei fast sämmtlichen Problemen hat der Autor außerdem auch noch die richtigste theoretische Literatur angeführt, aus der ersichtlich ward, wie die einzelnen Theoretiker darüber dachten; dadurch ist die Bedeutung dieser {3}Kontrapunktslehre“ wesentlich gesteigert, und sie erhält fast den Wert eines enzyklopädischen Werkes. Die auf historischer und psychologischer Grundlage mit größter Gewissenhaftigkeit hier wohl zum ersten Male gebotene Vertiefung des kontrapunktischen Lehrstoffes dürfte dazu beitragen, die vielen schweren Irrtümer zu beseitigen, die sich in der Kontrapunktslehre sehr von jeher bereitgemacht haben, und der musikbeflissenen Jugend begreiflich zu machen, daß die Stimmführungslehre ewige Zukunft hat, sofern ihre Grundlagen stets aufs sicherste auch wirklich erwiesen werden können.

© Transcription Ian Bent, 2019



Dear Sir, 1

Herewith I enclose the requested page of information. I hope it is suitable for the intended purpose. 2

In a few days the proof of the Preface will follow.


With kind regards,
Your devoted
[signed:] H. Schenker

July 17, 1910
Karerpass, Tyrol,
Hotel Karerpass

{2} [?To] 1 3

With the present first half[-volume] of his Theory of Counterpoint , the author has laid aside taken an important step in the expansion of the system of his musical theories and offered a valuable extension of his Theory of Harmony , which was published earlier by the same publisher. In it the author has identified the essence of the scale-degree as, in the context of practical composition, a content-generating force; he has then demonstrated scale-degree progressions and their psychology, so as in a uniform manner to attain from these as the ultimate consequences finally also the principles of chromaticization, alteration, modulation, etc. In this, the author is at pains first to show the respective prototype forms of musical voice-leading situations in the realm of (vocally conceived) strict counterpoint; after the presentation of each individual prototype form there follows immediately the presentation of the transformations that it undergoes in free composition in response to newly-arising [musical] situations. In this way, however, the indestructible meaning of the prototype forms is now revealed in its full unity, along with the theory of voice-leading as a summation of principles that govern vocal and instrumental styles alike, so that the contradiction feared since time immemorial between strict counterpoint and free composition finally attains its full resolution uniquely in this unity of prototype forms. 4

Moreover, in almost all problem cases, the author has also cited the most appropriate theoretical literature, from which becomes apparent how the individual theorists thought about such cases. In this fashion, the meaning of the {3} theory of counterpoint is appreciably augmented such that it veritably attains the status of an encyclopedic work. This deepening of the subject-matter of contrapuntal theory, resting most scrupulously on historical and psychological foundations, offered here for the very first time, should contribute to sweeping away the many serious errors that have long bedevilled contrapuntal theory, and should make the musically zealous younger generation aware that voice-leading has an eternal future so long as its basic principles can always truly be shown to be rooted in the most secure manner.

© Translation Ian Bent, 2019



Sehr geehrter Herr! 1

Somit übersende ich den gewünschten Orientierungszettel. Hoffentlich paßt es für den zugedachten Zweck. 2

In einigen Tagen folgt die Korrektur der Vorrede.


Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr erg.
[signed:] H Schenker

17. Juli 1910.
Karerpass, Tirol ,
Hotel Karerpass

{2} [?Am] 1 3

Mit der vorliegenden ersten Hälfte des Kontrapunktslehre hat der Verfasser einen wichtigen Schritt zum weiteren Ausbau des Systems seiner musikalischen Theorien zurückgelegt gethan und eine wertvolle Ergänzung zu der im gleichen Verlage schon früher publizierten seinerHarmonielehre“ geboten. Dort hat der Autor auf das Wesen der Stufe als einer im kompositionell-praktischen Sinne inhaltserzeugenden Macht hingewiesen, sodann die Stufengänge und deren Psychologie dargestellt, um daraus in einheitlicher Weise als letzte Konsequenzen endlich auch die Prinzipien der Chromatisierung, Alterierung, Modulation usw. zu gewinnen. Hier ist der Autor bestrebt, die jeweiligen Urformen musikalischer Stimmführungssituationen zunächst im Bereich des (vokal gedachten) strengen Satzes aufzuzeigen; auf die Darstellung jeder einzelnen Urform folgt unmittelbar die Darstellung auch der Wandlungen, die sie im freien Satze gemäß den dort neu gegebenen Umständen erfährt. Dadurch aber wird die unzerstörbare Bedeutung der Urformen nun in ihrer vollen Einheit und die Stimmführungslehre als eine Summe von gleichmäßig über vokalem und instrumentalem Styl Stil stehenden Prinzipien erwiesen, so daß der seit von altersher gefürchtete Widerspruch zwischen strengem und freiem Satz endlich gerade in dieser Einheit der Urformen seine volle Lösung findet. 4

Bei fast sämmtlichen Problemen hat der Autor außerdem auch noch die richtigste theoretische Literatur angeführt, aus der ersichtlich ward, wie die einzelnen Theoretiker darüber dachten; dadurch ist die Bedeutung dieser {3}Kontrapunktslehre“ wesentlich gesteigert, und sie erhält fast den Wert eines enzyklopädischen Werkes. Die auf historischer und psychologischer Grundlage mit größter Gewissenhaftigkeit hier wohl zum ersten Male gebotene Vertiefung des kontrapunktischen Lehrstoffes dürfte dazu beitragen, die vielen schweren Irrtümer zu beseitigen, die sich in der Kontrapunktslehre sehr von jeher bereitgemacht haben, und der musikbeflissenen Jugend begreiflich zu machen, daß die Stimmführungslehre ewige Zukunft hat, sofern ihre Grundlagen stets aufs sicherste auch wirklich erwiesen werden können.

© Transcription Ian Bent, 2019



Dear Sir, 1

Herewith I enclose the requested page of information. I hope it is suitable for the intended purpose. 2

In a few days the proof of the Preface will follow.


With kind regards,
Your devoted
[signed:] H. Schenker

July 17, 1910
Karerpass, Tyrol,
Hotel Karerpass

{2} [?To] 1 3

With the present first half[-volume] of his Theory of Counterpoint , the author has laid aside taken an important step in the expansion of the system of his musical theories and offered a valuable extension of his Theory of Harmony , which was published earlier by the same publisher. In it the author has identified the essence of the scale-degree as, in the context of practical composition, a content-generating force; he has then demonstrated scale-degree progressions and their psychology, so as in a uniform manner to attain from these as the ultimate consequences finally also the principles of chromaticization, alteration, modulation, etc. In this, the author is at pains first to show the respective prototype forms of musical voice-leading situations in the realm of (vocally conceived) strict counterpoint; after the presentation of each individual prototype form there follows immediately the presentation of the transformations that it undergoes in free composition in response to newly-arising [musical] situations. In this way, however, the indestructible meaning of the prototype forms is now revealed in its full unity, along with the theory of voice-leading as a summation of principles that govern vocal and instrumental styles alike, so that the contradiction feared since time immemorial between strict counterpoint and free composition finally attains its full resolution uniquely in this unity of prototype forms. 4

Moreover, in almost all problem cases, the author has also cited the most appropriate theoretical literature, from which becomes apparent how the individual theorists thought about such cases. In this fashion, the meaning of the {3} theory of counterpoint is appreciably augmented such that it veritably attains the status of an encyclopedic work. This deepening of the subject-matter of contrapuntal theory, resting most scrupulously on historical and psychological foundations, offered here for the very first time, should contribute to sweeping away the many serious errors that have long bedevilled contrapuntal theory, and should make the musically zealous younger generation aware that voice-leading has an eternal future so long as its basic principles can always truly be shown to be rooted in the most secure manner.

© Translation Ian Bent, 2019

Footnotes

1 Writing of this letter is not recorded in Schenker's diary, nor is the promised return of proof for the Preface.

2 See CA 116, July 4, 1910, paragraph 2.

3 This blurb survives among loose papers in the Cotta Archive, not adjacent to the cover letter, but following CA 202. The large number of corrections would suggest that it was only a draft, but its presence in the Cotta Archive indicates that it was submitted to Cotta.

4 No paragraph-break at this point in original.