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nicht abgegangen


Hoch verehrter Herr Professor! Einstein 1

Daß zu Ihnen mein Name gedrungen sein sollte, muß ich bezweifeln. Im Vordergrunde des Musiktreibens stehen doch meist die ausführende Organe, also jene Musiker, die zur Kunst wirklich wenig Beziehung haben. In den ernsten Musikkreisen aber komme ich schon seit mehr als 25 Jahre als einer der ersten Musik-Theoretiker in Betracht. Heute wird mir Ruf und Rang als erster Theoretiker der Welt zugebilligt. In die Rubrik Theoretiker gehöre ich freilich nicht.

Wenn ich hier den Versuch mache, 2 mich Ihnen vorzustellen, so fühle {2} ich mich durch Ihre Persönlichkeit weit weniger beengt als befreit, u. so sage ich, was man heute allgemein weiß, ich freilich noch besser als alle: Ich werde zu Ph. Em. Bach als Gleicher gezählt, als Gründer einer neuen Lehre u. Haupt einer neuen Schule, zu deren Schülern sich unter anderen mit Stolz auch Dr. Furtwängler bekennt. Wie so viele namhafte Musiker pflegt er mich so oft er in Wien ist auch zu besuchen.

Ich habe in bisher drei Bänden „Neue musikalische Theorien und Phantasien“ (Cotta u. Universal Edition, Wien) als Erste das Wesen des Kontrapunkts bestimmt, alle in den {3} vergangenen Jahrhunderten aufgehäuften Irrtümer berichtigt u. dem Kontrapunkt das zurückgegeben, was Beethoven meinte, als er sagte: „Der Kontrapunkt ist eine Religion.“ 3 Ich habe den Kontrapunkt, den verkannten u. gefürchteten Begriff ‒ „strenger Satz“ als in jeder Komposition wirkend u. gegenwärtig aufgedeckt: Der Sinn eines Musikstückes ist es, diesen Sachverhalt durch allerlei Verwandlungen zu verschleiern; ich entdeckte das Gesetz vom Zusammenhang in der Musik, der auf einem Spiel vom Hintergrund über einen Mittel- zum Vordergrund hin bezieht. Alle Buntheit im Vordergrund, eben das, was die Komposition {4} bringt, hat nur dann Zusammenhang, wenn sie auf die in einfache Formel eines Terz-, Quint- oder Oktav-Zuges zu bringen ist. Sozusagen ["?" above] hat jedes Stück sein Tonraum, aber andere Tonräume als den Terz-, Quint- oder Oktavraum kennt die Musik nicht, deren Gesetze ja auf die Quint der Natur zurückgehen. Nur die größten Meister bewähren sich, auch in den größten sinfonischen Sätzen, in einem solchen Zusammenhang. In meinen Büchern „Das Meisterwerk in der Musik“ (3 Jahrbücher, Drei-Masken Verlag) habe ich das an der Gmoll-Sinfonie u. zuletzt an der „Eroica“ erwiesen, deren Darstellung größtes Aufsehen gemacht hat. Im Gegensatz {5} zu allen bisherigen philosophischen[,] aesthetischen, musikalischen Theorien habe ich das Lebensgesetz der Musik darin festgestellt, daß sie nur sich selbst Gleichnis ist, vom Stoff der Welt völlig unabhängig, wenn auch von Gesetzen der menschlichen Seele getragen, doch immer autark auf die Erfüllung eines iIn-sich-selbst- Rruhens, auf Erfüllung von Zügen gerichtet. Ihr Zauber liegt im Geheimnis dieser Autarkie, wie im Geheimnis des Zusammenhanges, der aus einem Ur-Grund stammt. Meine Termin oi logie wie z. B.: Urlinie, Tonraum, Auskomponierung usw. sind auf aller Musiker Lippen, auch schon in den Referaten {6} von Kritikern, doch werde ich meist plagiert oder unter „ “ gesetzt. 4

Man hat mich bis heute eigentlich verschwiegen. Die Furcht vor mir hat unter den Musikern geradezu krankhafte Formen angenommen: sie wissen, dass ich ihnen die einzig praktische Schule der Musik biete, auch in dem Schulsinn „praktisch“, aber sie scheuen die Mühe zuerst selbst in die Lehre einzudringen u. dann den Schüler damit zu befassen. Und doch ist auch dieser Wendepunkt kürzlich eingetreten, die Lehre ist doch in die Schule gedrungen: meine Harmonielehre, der Band ist vergriffen, soll an {7} der Wiener Akademie endlich eingeführt werden, in Wien, wo ich am hartnäckigsten verschwiegen worden bin, trotzdem man von meiner Weltgeltung längst unterrichtet ist. 5 In Hamburg gibt es sogar ein Schenker-Institut, auch Universitäts-Dozenten haben sich mit meiner Lehre befaßt; in New York steht die bekannte David Mannes School, ehemals Damrosch-School, auf meiner Lehre, wie ich denn überhaupt in Amerika unter Lehrenden u. Lernenden viele Anhänger habe. Sogar melden sich von dort Vorschläge zur Uebersetzung. 6

Gern hätte ich mich kürzer gefaßt, um Ihnen Mühe u. Zeitverlust? zu erspa- {8} ren, aber wie hätte [ich] vorbringen dürfen, was ich nun vorbringen will.

Endlich ist es mir diesen Sommer gelungen, den 4. Bd. der [„Neuen musikalischen Theorien und Phantasien“], den mit großer Spannung erwarteten „Freien Satz[,] glücklich zu beenden. Als ich aber nach Wien heimkehrte, fand ich diese Stadt, die mir Heimat ist, vollständig verändert. 7 Ein finanzieller Zusammenbruch riß alle Menschen von meiner Seite, ich meine die Schüler im Engsten des Wortes, von denen ich zeitlebens meinen Unterhalt bezog. Dazu kamen Schwierigkeit des Wiener Verlags u aller deutschen Verlage. Es ist ihnen unmöglich, den Band aufzulegen, der, wie es in der Musik nicht an- {9} ders geht, viele Notenbeispiele führt u. deshalb große Kosten verursacht. Es ist hier so traurig bestellt, daß sich für den Druck eines hochbedeutenden, noch unbekannten theoretischen Werkes von Brahms nicht 500 S. auftreiben lassen. 8

Dass mir mein Lebenswerk nichts eingetragen hat, dürften Sie, hochverehrter Herr Professor, wohl vermuten ‒ man macht nicht ungestraft solche Ausflüge in die Geheimnisse einer Kunst u. eines Kunsthandwerkes. Wohl sind sämtliche Arbeiten mit größstem Erfolg durch die Welt gegangen, aber die Verleger müßten die Sache immer zu ihren Gunsten zu wenden, mir bliebe nichts übrig, als {10} Prozesse zu ‒ vermeiden. Schon mit dem 3. Jahrbuch hatte ich Schwierigkeiten mit dem Drei Masken Verlag in Berlin [recte München]. Kurzer Hand, wegen der Wichtigkeit der Eroica, habe ich in meine sehr kargen Ersparnisse hineingegriffen u. die Druckkosten selbst erlegt; später hat mir Dr. F., als er davon erfuhr, aus seiner Tasche die Hälfte zurückerstattet, weil ihm der Gedanke unerträglich war, daß ich, ein so hart lebender Künstler, der Welt Werke schenke u. Geld dazu. 9

Nun sind aber meine Ersparnisse zuende, meine Schüler muss ich unentgelt- {11} lich unterrichten, auch die, die bis gestern noch wohlhabend gewesen sind. 10 Vor mir liegt der Vertrag mit der U.-E., den freien Satz u. andere wichtige Arbeit betreffend. Daß Dr. F. wieder in seine Tasche greift, möchte ich nun durchaus nicht zugeben, der Verlag aber hat keine Mittel, ich noch weniger.

In dieser Not, in dem Gefühl einer Verantwortung gegenüber einer ‒ gestatten Sie das Wort ‒ unsterblichen Leistung, die das Mißgeschick hat, in die harte Zeit von heute geraten zu sein, wende ich mich nun an Sie, hochverehrter Herr Professor[,] mit der Bitte. Wäre es {12} möglich durch Ihre Fürsprache bei begüteten Menschen eine Förderung in dem Sinne zu errichten, daß ich doch mein Lebenszweck zuendeführen kann? Ich empfinde es selbst als eine Schande für die geistige Welt, wenn ich das wichtigste Manuscript zurücklassen müßte, wo doch nicht einmal die Korrekturen von einem andern durchgeführt werden könnten. Wäre es so, daß ich mit Vorträgen beim Mikrophon für mein Werk etwas erarbeiten konnte, aber meine musikalische Sprache ist so anders, daß kein Hörer sich ein Bild machen {13} könnte, ja ich muß sogar befürchten, daß ich trotz meinem Ansehen keinen Zutritt fände.

Darf ich Sie bitten, mein Buch über die IX. Sinfonie, das ein Standardwerk der Literatur geworden u. dazu den Brief anzunehmen.

[incomplete, unsigned]

© Transcription William Drabkin, 2019

not sent


Highly revered Professor Einstein , 1

That my name should be familiar to you is something which I must doubt. In the forefront of the music business, one finds mainly the performing bodies, that is, those musicians who have little true connection to the art. In the serious music circles, however, I have been considered one of the foremost music theorists for more than a quarter of a century. Today my reputation and position as the world's leading theorist is acknowledged. In truth, however, I cannot be categorized as a [conventional] theorist.

If I attempt to introduce myself here, 2 {2} I feel far less inhibited than liberated by your personality. And so I can tell you what is generally known today, and what I of course know better than anyone else: I am reckoned the equal of Carl Philipp Emanuel Bach, as the founder of a new theory and the head of a new school, among whose pupils even Dr. Furtwängler avows himself with pride. Like many other illustrious musicians, he too usually visits me whenever he is in Vienna.

In my New Musical Theories and Fantasies (Cotta [in Stuttgart] and Universal Edition in Vienna), of which three volumes have so far appeared, I have determined the nature of counterpoint, {3} corrected the errors that have accumulated during the past centuries, and given back to counterpoint that which Beethoven understood when he said that "counterpoint is a religion." 3 I have discovered counterpoint, that misunderstood and feared concept of "strict counterpoint," as it is present and at work in every composition. The point of a musical work is to veil this circumstance with all manner of transformations; I discovered the law of coherence in music, which is based on a play from the background through a middleground right up to the foreground. All variety in the foreground – the very things which a musical composition offers – {4} has coherence only if it can be reduced to the simple formula of a third-, fifth-, or octave-progression. Every piece has its tonal space, but tonal spaces other than the spaces of the third, fifth or octave are unknown in music, whose laws are indeed based on the natural interval of the fifth. Only the greatest masters have proved themselves capable of creating such coherence, even in their most extensive symphonic movements. In my books The Masterwork in Music (three volumes, published by Drei-Masken Verlag), I have demonstrated this in [Mozart's] G minor Symphony and most recently in [Beethoven's] "Eroica," my account of which has attracted a great deal of attention. {5} In contrast with all previous philosophical, aesthetic, and musical theories, I have determined music's vital law as being itself only a similitude completely independent of the material world, even if it is supported by laws of the human soul, yet always autarkically directed towards the fulfillment of being at peace with itself, towards the fulfillment of progressions. Its magic lies in the secret of this autarky, as in the secret of the coherence that derives from a fundamental basis. My technical terms – such as Urlinie, tonal space, composing out, and so on – are on the lips of every musician and even appear in the writings of critics, {6} though they are usually falsified or placed in quotation marks. 4

Until now, I have actually been ignored. The fear of me has assumed downright pathological forms on the part of musicians: they know that I am offering them the only practical form of musical tuition, "practical" even in a pedagogical sense; but they dread first taking the trouble to come to grips with the theory and then inform their pupils of it. And yet even this turning-point has recently been arrived at, and my theory will penetrate the schoolroom after all: my Theory of Harmony – the volume is out of print – {7} will finally be introduced at the Vienna Academy – in Vienna, where I have been stubbornly ignored more than anywhere else, in spite of my worldwide reputation having long been acknowledged. 5 In Hamburg there is even a Schenker Institute; and university lecturers have also studied my theories. In New York, the well-known David Mannes Music School, formerly the Damrosch School, bases its teaching on my theory, and in general I have many adherents among those who are teaching and studying in America. From there one even hears suggestions for the translation of my works. 6

I would have gladly expressed myself more concisely, to save you trouble and time; {8} but how would I have been able to put to you what I would now like to propose?

I have finally succeeded this summer in bringing to a satisfactory conclusion the fourth volume of my [ New Theories and Fantasies ], the long-awaited Free Composition . 7 But when I returned to Vienna I found this city, which is my home, completely transformed. A financial collapse tore everyone away from me, I mean my pupils in the deepest sense of the term, on whom my livelihood had always depended. In addition, there were difficulties with my Viennese publisher, and with all German publishers. It is impossible for them to publish the book which – as cannot be otherwise with a musical subject – {9} introduces many music examples and thus incurs great costs. The situation here is so bleak that 500 shillings cannot be scraped together for the printing of a highly significant theoretical work by Brahms that is still unknown. 8

That my life's work has brought me no material gain is something that you, most revered Professor, can well imagine: such forays into the secrets of an art, or a work of art, do not go unpunished. Of course [my] collected work has been received by the world with the greatest success; but publishers are always obliged to look at the matter from the vantage point of what it will bring to them; there remained nothing for me but to avoid court cases. {10} Even with the third yearbook, I had difficulties with Drei-Masken Verlag in Berlin [recte Munich] . On impulse, because of the importance of the "Eroica," I reached into my very modest savings and covered the printing costs myself; later Dr. Furtwängler, when he heard about it, reimbursed me half of these from his own pocket, since he found the thought unbearable that I, an artist living so close to the margins, should present the world not only with my works but also with [the] money [to issue them]. 9

But now my savings are at an end and I must teach my pupils without pay, {11} even those who until very recently had been well off. 10 In front of me lies the contract with Universal Edition concerning Free Composition and other important work. I should not imagine that Dr. Furtwängler would reach into his pocket again; the publisher has no resources, I still less.

In this difficulty, and with feelings of responsibility concerning – forgive the expression – an immortal achievement that has had the misfortune of arriving in today's hard times, I now turn to you, most revered Professor, with this plea. {12} Would it be possible, by your intercession with well-off persons, to create a fund through which I shall yet be able to bring my life's work to an end? I feel it myself to be a scandal for the intellectual world if I have to leave behind my most important manuscript, in which not even the proof corrections could be undertaken by anyone else. If only it were possible for me to acquire something for my work by giving lectures in front of a microphone; but my musical language is so different that no listener could gain an image of it for himself – {13} indeed I must even fear that I would gain no access, in spite of my reputation.

Please accept my book on Beethoven's Ninth Symphony, which has become a standard work in the literature, together with this letter.

[incomplete, unsigned]

© Translation William Drabkin, 2019

nicht abgegangen


Hoch verehrter Herr Professor! Einstein 1

Daß zu Ihnen mein Name gedrungen sein sollte, muß ich bezweifeln. Im Vordergrunde des Musiktreibens stehen doch meist die ausführende Organe, also jene Musiker, die zur Kunst wirklich wenig Beziehung haben. In den ernsten Musikkreisen aber komme ich schon seit mehr als 25 Jahre als einer der ersten Musik-Theoretiker in Betracht. Heute wird mir Ruf und Rang als erster Theoretiker der Welt zugebilligt. In die Rubrik Theoretiker gehöre ich freilich nicht.

Wenn ich hier den Versuch mache, 2 mich Ihnen vorzustellen, so fühle {2} ich mich durch Ihre Persönlichkeit weit weniger beengt als befreit, u. so sage ich, was man heute allgemein weiß, ich freilich noch besser als alle: Ich werde zu Ph. Em. Bach als Gleicher gezählt, als Gründer einer neuen Lehre u. Haupt einer neuen Schule, zu deren Schülern sich unter anderen mit Stolz auch Dr. Furtwängler bekennt. Wie so viele namhafte Musiker pflegt er mich so oft er in Wien ist auch zu besuchen.

Ich habe in bisher drei Bänden „Neue musikalische Theorien und Phantasien“ (Cotta u. Universal Edition, Wien) als Erste das Wesen des Kontrapunkts bestimmt, alle in den {3} vergangenen Jahrhunderten aufgehäuften Irrtümer berichtigt u. dem Kontrapunkt das zurückgegeben, was Beethoven meinte, als er sagte: „Der Kontrapunkt ist eine Religion.“ 3 Ich habe den Kontrapunkt, den verkannten u. gefürchteten Begriff ‒ „strenger Satz“ als in jeder Komposition wirkend u. gegenwärtig aufgedeckt: Der Sinn eines Musikstückes ist es, diesen Sachverhalt durch allerlei Verwandlungen zu verschleiern; ich entdeckte das Gesetz vom Zusammenhang in der Musik, der auf einem Spiel vom Hintergrund über einen Mittel- zum Vordergrund hin bezieht. Alle Buntheit im Vordergrund, eben das, was die Komposition {4} bringt, hat nur dann Zusammenhang, wenn sie auf die in einfache Formel eines Terz-, Quint- oder Oktav-Zuges zu bringen ist. Sozusagen ["?" above] hat jedes Stück sein Tonraum, aber andere Tonräume als den Terz-, Quint- oder Oktavraum kennt die Musik nicht, deren Gesetze ja auf die Quint der Natur zurückgehen. Nur die größten Meister bewähren sich, auch in den größten sinfonischen Sätzen, in einem solchen Zusammenhang. In meinen Büchern „Das Meisterwerk in der Musik“ (3 Jahrbücher, Drei-Masken Verlag) habe ich das an der Gmoll-Sinfonie u. zuletzt an der „Eroica“ erwiesen, deren Darstellung größtes Aufsehen gemacht hat. Im Gegensatz {5} zu allen bisherigen philosophischen[,] aesthetischen, musikalischen Theorien habe ich das Lebensgesetz der Musik darin festgestellt, daß sie nur sich selbst Gleichnis ist, vom Stoff der Welt völlig unabhängig, wenn auch von Gesetzen der menschlichen Seele getragen, doch immer autark auf die Erfüllung eines iIn-sich-selbst- Rruhens, auf Erfüllung von Zügen gerichtet. Ihr Zauber liegt im Geheimnis dieser Autarkie, wie im Geheimnis des Zusammenhanges, der aus einem Ur-Grund stammt. Meine Termin oi logie wie z. B.: Urlinie, Tonraum, Auskomponierung usw. sind auf aller Musiker Lippen, auch schon in den Referaten {6} von Kritikern, doch werde ich meist plagiert oder unter „ “ gesetzt. 4

Man hat mich bis heute eigentlich verschwiegen. Die Furcht vor mir hat unter den Musikern geradezu krankhafte Formen angenommen: sie wissen, dass ich ihnen die einzig praktische Schule der Musik biete, auch in dem Schulsinn „praktisch“, aber sie scheuen die Mühe zuerst selbst in die Lehre einzudringen u. dann den Schüler damit zu befassen. Und doch ist auch dieser Wendepunkt kürzlich eingetreten, die Lehre ist doch in die Schule gedrungen: meine Harmonielehre, der Band ist vergriffen, soll an {7} der Wiener Akademie endlich eingeführt werden, in Wien, wo ich am hartnäckigsten verschwiegen worden bin, trotzdem man von meiner Weltgeltung längst unterrichtet ist. 5 In Hamburg gibt es sogar ein Schenker-Institut, auch Universitäts-Dozenten haben sich mit meiner Lehre befaßt; in New York steht die bekannte David Mannes School, ehemals Damrosch-School, auf meiner Lehre, wie ich denn überhaupt in Amerika unter Lehrenden u. Lernenden viele Anhänger habe. Sogar melden sich von dort Vorschläge zur Uebersetzung. 6

Gern hätte ich mich kürzer gefaßt, um Ihnen Mühe u. Zeitverlust? zu erspa- {8} ren, aber wie hätte [ich] vorbringen dürfen, was ich nun vorbringen will.

Endlich ist es mir diesen Sommer gelungen, den 4. Bd. der [„Neuen musikalischen Theorien und Phantasien“], den mit großer Spannung erwarteten „Freien Satz[,] glücklich zu beenden. Als ich aber nach Wien heimkehrte, fand ich diese Stadt, die mir Heimat ist, vollständig verändert. 7 Ein finanzieller Zusammenbruch riß alle Menschen von meiner Seite, ich meine die Schüler im Engsten des Wortes, von denen ich zeitlebens meinen Unterhalt bezog. Dazu kamen Schwierigkeit des Wiener Verlags u aller deutschen Verlage. Es ist ihnen unmöglich, den Band aufzulegen, der, wie es in der Musik nicht an- {9} ders geht, viele Notenbeispiele führt u. deshalb große Kosten verursacht. Es ist hier so traurig bestellt, daß sich für den Druck eines hochbedeutenden, noch unbekannten theoretischen Werkes von Brahms nicht 500 S. auftreiben lassen. 8

Dass mir mein Lebenswerk nichts eingetragen hat, dürften Sie, hochverehrter Herr Professor, wohl vermuten ‒ man macht nicht ungestraft solche Ausflüge in die Geheimnisse einer Kunst u. eines Kunsthandwerkes. Wohl sind sämtliche Arbeiten mit größstem Erfolg durch die Welt gegangen, aber die Verleger müßten die Sache immer zu ihren Gunsten zu wenden, mir bliebe nichts übrig, als {10} Prozesse zu ‒ vermeiden. Schon mit dem 3. Jahrbuch hatte ich Schwierigkeiten mit dem Drei Masken Verlag in Berlin [recte München]. Kurzer Hand, wegen der Wichtigkeit der Eroica, habe ich in meine sehr kargen Ersparnisse hineingegriffen u. die Druckkosten selbst erlegt; später hat mir Dr. F., als er davon erfuhr, aus seiner Tasche die Hälfte zurückerstattet, weil ihm der Gedanke unerträglich war, daß ich, ein so hart lebender Künstler, der Welt Werke schenke u. Geld dazu. 9

Nun sind aber meine Ersparnisse zuende, meine Schüler muss ich unentgelt- {11} lich unterrichten, auch die, die bis gestern noch wohlhabend gewesen sind. 10 Vor mir liegt der Vertrag mit der U.-E., den freien Satz u. andere wichtige Arbeit betreffend. Daß Dr. F. wieder in seine Tasche greift, möchte ich nun durchaus nicht zugeben, der Verlag aber hat keine Mittel, ich noch weniger.

In dieser Not, in dem Gefühl einer Verantwortung gegenüber einer ‒ gestatten Sie das Wort ‒ unsterblichen Leistung, die das Mißgeschick hat, in die harte Zeit von heute geraten zu sein, wende ich mich nun an Sie, hochverehrter Herr Professor[,] mit der Bitte. Wäre es {12} möglich durch Ihre Fürsprache bei begüteten Menschen eine Förderung in dem Sinne zu errichten, daß ich doch mein Lebenszweck zuendeführen kann? Ich empfinde es selbst als eine Schande für die geistige Welt, wenn ich das wichtigste Manuscript zurücklassen müßte, wo doch nicht einmal die Korrekturen von einem andern durchgeführt werden könnten. Wäre es so, daß ich mit Vorträgen beim Mikrophon für mein Werk etwas erarbeiten konnte, aber meine musikalische Sprache ist so anders, daß kein Hörer sich ein Bild machen {13} könnte, ja ich muß sogar befürchten, daß ich trotz meinem Ansehen keinen Zutritt fände.

Darf ich Sie bitten, mein Buch über die IX. Sinfonie, das ein Standardwerk der Literatur geworden u. dazu den Brief anzunehmen.

[incomplete, unsigned]

© Transcription William Drabkin, 2019

not sent


Highly revered Professor Einstein , 1

That my name should be familiar to you is something which I must doubt. In the forefront of the music business, one finds mainly the performing bodies, that is, those musicians who have little true connection to the art. In the serious music circles, however, I have been considered one of the foremost music theorists for more than a quarter of a century. Today my reputation and position as the world's leading theorist is acknowledged. In truth, however, I cannot be categorized as a [conventional] theorist.

If I attempt to introduce myself here, 2 {2} I feel far less inhibited than liberated by your personality. And so I can tell you what is generally known today, and what I of course know better than anyone else: I am reckoned the equal of Carl Philipp Emanuel Bach, as the founder of a new theory and the head of a new school, among whose pupils even Dr. Furtwängler avows himself with pride. Like many other illustrious musicians, he too usually visits me whenever he is in Vienna.

In my New Musical Theories and Fantasies (Cotta [in Stuttgart] and Universal Edition in Vienna), of which three volumes have so far appeared, I have determined the nature of counterpoint, {3} corrected the errors that have accumulated during the past centuries, and given back to counterpoint that which Beethoven understood when he said that "counterpoint is a religion." 3 I have discovered counterpoint, that misunderstood and feared concept of "strict counterpoint," as it is present and at work in every composition. The point of a musical work is to veil this circumstance with all manner of transformations; I discovered the law of coherence in music, which is based on a play from the background through a middleground right up to the foreground. All variety in the foreground – the very things which a musical composition offers – {4} has coherence only if it can be reduced to the simple formula of a third-, fifth-, or octave-progression. Every piece has its tonal space, but tonal spaces other than the spaces of the third, fifth or octave are unknown in music, whose laws are indeed based on the natural interval of the fifth. Only the greatest masters have proved themselves capable of creating such coherence, even in their most extensive symphonic movements. In my books The Masterwork in Music (three volumes, published by Drei-Masken Verlag), I have demonstrated this in [Mozart's] G minor Symphony and most recently in [Beethoven's] "Eroica," my account of which has attracted a great deal of attention. {5} In contrast with all previous philosophical, aesthetic, and musical theories, I have determined music's vital law as being itself only a similitude completely independent of the material world, even if it is supported by laws of the human soul, yet always autarkically directed towards the fulfillment of being at peace with itself, towards the fulfillment of progressions. Its magic lies in the secret of this autarky, as in the secret of the coherence that derives from a fundamental basis. My technical terms – such as Urlinie, tonal space, composing out, and so on – are on the lips of every musician and even appear in the writings of critics, {6} though they are usually falsified or placed in quotation marks. 4

Until now, I have actually been ignored. The fear of me has assumed downright pathological forms on the part of musicians: they know that I am offering them the only practical form of musical tuition, "practical" even in a pedagogical sense; but they dread first taking the trouble to come to grips with the theory and then inform their pupils of it. And yet even this turning-point has recently been arrived at, and my theory will penetrate the schoolroom after all: my Theory of Harmony – the volume is out of print – {7} will finally be introduced at the Vienna Academy – in Vienna, where I have been stubbornly ignored more than anywhere else, in spite of my worldwide reputation having long been acknowledged. 5 In Hamburg there is even a Schenker Institute; and university lecturers have also studied my theories. In New York, the well-known David Mannes Music School, formerly the Damrosch School, bases its teaching on my theory, and in general I have many adherents among those who are teaching and studying in America. From there one even hears suggestions for the translation of my works. 6

I would have gladly expressed myself more concisely, to save you trouble and time; {8} but how would I have been able to put to you what I would now like to propose?

I have finally succeeded this summer in bringing to a satisfactory conclusion the fourth volume of my [ New Theories and Fantasies ], the long-awaited Free Composition . 7 But when I returned to Vienna I found this city, which is my home, completely transformed. A financial collapse tore everyone away from me, I mean my pupils in the deepest sense of the term, on whom my livelihood had always depended. In addition, there were difficulties with my Viennese publisher, and with all German publishers. It is impossible for them to publish the book which – as cannot be otherwise with a musical subject – {9} introduces many music examples and thus incurs great costs. The situation here is so bleak that 500 shillings cannot be scraped together for the printing of a highly significant theoretical work by Brahms that is still unknown. 8

That my life's work has brought me no material gain is something that you, most revered Professor, can well imagine: such forays into the secrets of an art, or a work of art, do not go unpunished. Of course [my] collected work has been received by the world with the greatest success; but publishers are always obliged to look at the matter from the vantage point of what it will bring to them; there remained nothing for me but to avoid court cases. {10} Even with the third yearbook, I had difficulties with Drei-Masken Verlag in Berlin [recte Munich] . On impulse, because of the importance of the "Eroica," I reached into my very modest savings and covered the printing costs myself; later Dr. Furtwängler, when he heard about it, reimbursed me half of these from his own pocket, since he found the thought unbearable that I, an artist living so close to the margins, should present the world not only with my works but also with [the] money [to issue them]. 9

But now my savings are at an end and I must teach my pupils without pay, {11} even those who until very recently had been well off. 10 In front of me lies the contract with Universal Edition concerning Free Composition and other important work. I should not imagine that Dr. Furtwängler would reach into his pocket again; the publisher has no resources, I still less.

In this difficulty, and with feelings of responsibility concerning – forgive the expression – an immortal achievement that has had the misfortune of arriving in today's hard times, I now turn to you, most revered Professor, with this plea. {12} Would it be possible, by your intercession with well-off persons, to create a fund through which I shall yet be able to bring my life's work to an end? I feel it myself to be a scandal for the intellectual world if I have to leave behind my most important manuscript, in which not even the proof corrections could be undertaken by anyone else. If only it were possible for me to acquire something for my work by giving lectures in front of a microphone; but my musical language is so different that no listener could gain an image of it for himself – {13} indeed I must even fear that I would gain no access, in spite of my reputation.

Please accept my book on Beethoven's Ninth Symphony, which has become a standard work in the literature, together with this letter.

[incomplete, unsigned]

© Translation William Drabkin, 2019

Footnotes

1 Writing of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 4/6, p. 3793, November 20, 1932: "Brief-Entwurf an Einstein – Lie-Liechen schreibt alles bis ¼2h nachts – sträflich, wenn auch so lieb, so äußerst lieb!!" ("Draft letter to Einstein – Lie-Liechen writes everything until 1:15 at night – punishing, albeit so dear, so extremely dear!"). OC File 30 comprises items on Schenker's desk at the time of his death.

2 On the verso of the first page of this letter, Heinrich Schenker has written: "Brahms-Nachlaß / 20-25.000S. / Substanz" ("Brahms's estate / 20,000 to 25,000 pages [or shillings] / substantial material"). These notes may be related to a point Schenker makes towards the end of the letter about Brahms's manuscript Octaven u. Quinten u. A..

3 This is probably a garbled form of a sentiment of Beethoven's, reported by Anton Felix Schindler, to the effect that thoroughbass and religion were matters concerning which there was no place for dispute.

4 From the 1920s onwards, Schenker pasted into his scrapbook (OC File 2) clippings of articles in which his terminology appeared. He may also be thinking here of the possible corruption of his theory on the part of his pupils, for instance Otto Vrieslander's coinage of the term "Urtöne" and Oswald Jonas using his theory not as a strict basis of his own work but more as a "point of departure." As desperate as he was for wider recognition, Schenker was also paranoid about the misrepresentation of his ideas. — No paragraph-break in the original at this point.

5 There were plans for a "schools" version of the Theory of Harmony: an abridged version was being prepared by Otto Vrieslander for use at the Vienna Academy.

6 The school to which Schenker is referring, and where his pupil Hans Weisse was appointed in 1931 to teach theory and composition, was founded by David Mannes and his wife Clara, the daughter of the conductor Leopold Damrosch. Clara's brother Frank Damrosch also founded a school, the New York Institute of Musical Art, which later became part of the Juilliard School of Music.

7 In describing Free Composition as the fourth volume, Schenker is reckoning Counterpoint as comprising two volumes.

8 It would be an exaggeration to describe the manuscript Octaven u. Quinten u. A. as a theoretical work, as it consists entirely of extracts of music in which Brahms noted parallel octaves and fifths in works from the Renaissance to the 19th century, with occasional marginal comments. Schenker, however, turned it into one when he published it in 1933, in facsimile and with substantial commentary. — No paragraph-break in the original at this point.

9 With the intervention of his pupil Hans Weisse, Schenker received 3,000 marks from Furtwängler in June 1931, six months after the publication of the "Eroica" analysis.

10 Schenker is probably referring to Robert Brünauer, one of his oldest pupils, whose complaints about a shortage of money are frequently noted in Schenker's diary.

Commentary

Rights Holder
Heirs of Heinrich Schenker, deemed to be in the public domain
Rights Holder
This document is deemed to be in the public domain. Any claim to intellectual rights on this document should be addressed to Schenker Documents Online, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence[at]mus(dot)cam(dot)ac(dot)uk
Format
13p, single-sided, draft letter in the hand of Jeanette Schenker with emendations by Heinrich Schenker; p. 1v annotation by Heinrich Schenker
Provenance
Schenker, Heinrich (document date-1935)--Schenker, Jeanette (1935-c.1942)--Ratz, Erwin (c.1942-c.1945)--Jonas, Oswald (c.1945-1978)--University of California, Riverside (1978--)

Digital version created: 2019-01-20
Last updated: 2011-02-10