Lieber Herr Doktor! 1

Ihr Brief 2 war mir eine Herzenserquickung. Meine Ischias und die übrige furchtbare Schwächung meines ganzen Nervensÿstems bequemen sich allmählig zu einiger Besserung. Ich kann schon etwas lesen – schöne Literatur zumeist. Natürlich fühle ich mich – da ich als ständig bettlägerig immer in das Zimmer gebannt bin und unter der lauten Gesellschaft von ca. 10 „Kameraden“ oft Höllenqualen auszustehen habe – manchmal hoffnungslos unglücklich. Aber vorherrschend ist doch das Glücksgefühl, zunächst der rohesten Gemeinheit auf längere Zeit entrückt zu sein. Ihr Hass gegen England bestätigt meine Empfindungen und ich freue mich, dass Sie das alles schonungslos aussprechen. Gewiss, „man“ wird Ihr Verhalten wenig „vornehm“ finden, wie man so manches in Ihren Werken als zu wenig „vornehm“ getadelt hat – es war auch gar zu tötlich für die Betroffenen.

{2} Wenn ich das Getriebe im politischen und kulturellen Leben betrachte, wie es bemüht ist, die alte verrückte Falschmünzerei schamlos weiter zu betreiben und wie das dummi [sic] deutsche Volk wieder auf den nun schon geradezu – stinkigen Leim gehen wird und schon geht – dann freue ich mich darauf, mich dem zukünftigen schweren Kampf zu erhalten, der schlimmer zu führen ist als gegen Englands Gemeinheit. Die „andere Seite“ (Strauß Schillings etc) wird ja als „künstlerischer Kulturfaktor“ schon von staatswegen in diesem Krieg geschont. Wir müssen uns selbst schonen; denn sonst haben die ja das Heft ganz in der Hand. Und unter der jüngeren Generation, zu der ich zähle, sind ja leider Gottes nur wenige, die nicht den Modegrössen und der Afterkunst Gefolgschaft leisten.

Für Ihre Worte über Strauß und die anderen „Verbrecher“ hätte ich Sie umarmen mögen. Wie wunderbar, dass Sie mit der Macht Ihrer Persönlichkeit das Entweder-Oder vertreten. Und vor {3} allem: dass es keine Kompromisse mehr für Sie gibt. Nur durch die allerstrengste Forderung und Absonderung aller unsauberen Geister von unserer heiligen Kunst, können wir zu idealen Ziel kommen.

Ich habe nur einen Wunsch: dass der Krieg bald zu Ende sein möge. Dann komme ich nach Wien, um von Ihnen zu lernen. Ich muss! In wieviel schlaflosen Nächten habe ich alle Möglichkeiten berechnet! Ich muss die Brücken hinter mir abbrechen und ein anderer Mensch werden – grösser im Wollen und vor allem im Vollbringen! – Glauben Sie mir, meine Gedanken arbeiten täglich an diesem Plan – 1 Jahr Wien und dann Einsamkeit, um zur letzten Klarheit zu kommen. –

{4} Mit grösster Genugtuung erfüllt es mich, dass Sie arbeiten und dass Ihr Werk unaufhaltsam wächst. Hoffentlich habe ich bald wieder etwas von Ihnen in den Händen.

Wenn ich erst aufstehen darf – in einigen Wochen – dann kann ich auch bald auf einige Stunden täglich nach Haus gehen und arbeiten. Wie ich mich darauf freue! –

Leben Sie recht wohl und seien Sie herzlichst gegrüsst


von Ihrem ergebenen
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2012



Dear Dr. [Schenker], 1

Your letter 2 was for me rejuvenation for the heart. My sciatica and the rest of the dreadful impairment to my entire nervous system are gradually settling into a recovery. I can already read something – mostly splendid literature. Of course sometimes I feel hopelessly unhappy – as I am constantly bedridden in the room and have often put up with hellish torment amongst the loud company of about ten "comrades." But nonetheless happiness prevails, first of all to be removed from the most base foulness for a long time. Your hatred against England confirms my feelings and I am happy that you express it all so bluntly. Certainly, "one" will find your attitude less than "genteel," just as so much in your works has been reproached for being too lacking in "gentility"– it was even too deadly for those affected.

{2} When I look at the activity in political and cultural life, how it is anxious to continue to carry on shamelessly with the same old demented scam, and how the stupid German people again will fall for and have already fallen for such rotten tricks – then I am happy to remain committed to the difficult struggle of the future, which is more difficult to fight for than against the foulness of England. The "other side" (Strauss, Schillings, etc.) has already been preserved as an "artistic cultural factor" in this war by the State. We must preserve ourselves; otherwise they will completely have the upper hand. And in the younger generation, to which I belong, there are (God forbid) unfortunately only a few of us who do not hold allegiance to fashionable grandeur and anus art.

For your words about Strauss and the other "thugs" I could hug you. How wonderful that you show the question of either-or with the power of your personality. And above {3} all: that there are no more compromises for you. Only through the most severe demand and separation of all unclean spirits from our sacred art can we achieve ideal goals.

I have only one wish: that the war may soon come to an end. Then I will come to Vienna in order to learn from you. I must! So many sleepless nights have been spent calculating all the possibilities! I have to break all previous ties and become another person – greater in will and above all in accomplishment! – Believe me, my thoughts work daily on this plan – one year in Vienna and then solitude to reach the final level of clarity.

{4} It fills me with great satisfaction that you are working and that your work progresses unimpeded. I hope I will again soon have something of yours in my hands.

When I am first able to get up – in a few weeks – then I will be able to go home for a few hours a day to work. How much I look forward to it! –

Farewell for now, and warmest greetings


from your devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2012



Lieber Herr Doktor! 1

Ihr Brief 2 war mir eine Herzenserquickung. Meine Ischias und die übrige furchtbare Schwächung meines ganzen Nervensÿstems bequemen sich allmählig zu einiger Besserung. Ich kann schon etwas lesen – schöne Literatur zumeist. Natürlich fühle ich mich – da ich als ständig bettlägerig immer in das Zimmer gebannt bin und unter der lauten Gesellschaft von ca. 10 „Kameraden“ oft Höllenqualen auszustehen habe – manchmal hoffnungslos unglücklich. Aber vorherrschend ist doch das Glücksgefühl, zunächst der rohesten Gemeinheit auf längere Zeit entrückt zu sein. Ihr Hass gegen England bestätigt meine Empfindungen und ich freue mich, dass Sie das alles schonungslos aussprechen. Gewiss, „man“ wird Ihr Verhalten wenig „vornehm“ finden, wie man so manches in Ihren Werken als zu wenig „vornehm“ getadelt hat – es war auch gar zu tötlich für die Betroffenen.

{2} Wenn ich das Getriebe im politischen und kulturellen Leben betrachte, wie es bemüht ist, die alte verrückte Falschmünzerei schamlos weiter zu betreiben und wie das dummi [sic] deutsche Volk wieder auf den nun schon geradezu – stinkigen Leim gehen wird und schon geht – dann freue ich mich darauf, mich dem zukünftigen schweren Kampf zu erhalten, der schlimmer zu führen ist als gegen Englands Gemeinheit. Die „andere Seite“ (Strauß Schillings etc) wird ja als „künstlerischer Kulturfaktor“ schon von staatswegen in diesem Krieg geschont. Wir müssen uns selbst schonen; denn sonst haben die ja das Heft ganz in der Hand. Und unter der jüngeren Generation, zu der ich zähle, sind ja leider Gottes nur wenige, die nicht den Modegrössen und der Afterkunst Gefolgschaft leisten.

Für Ihre Worte über Strauß und die anderen „Verbrecher“ hätte ich Sie umarmen mögen. Wie wunderbar, dass Sie mit der Macht Ihrer Persönlichkeit das Entweder-Oder vertreten. Und vor {3} allem: dass es keine Kompromisse mehr für Sie gibt. Nur durch die allerstrengste Forderung und Absonderung aller unsauberen Geister von unserer heiligen Kunst, können wir zu idealen Ziel kommen.

Ich habe nur einen Wunsch: dass der Krieg bald zu Ende sein möge. Dann komme ich nach Wien, um von Ihnen zu lernen. Ich muss! In wieviel schlaflosen Nächten habe ich alle Möglichkeiten berechnet! Ich muss die Brücken hinter mir abbrechen und ein anderer Mensch werden – grösser im Wollen und vor allem im Vollbringen! – Glauben Sie mir, meine Gedanken arbeiten täglich an diesem Plan – 1 Jahr Wien und dann Einsamkeit, um zur letzten Klarheit zu kommen. –

{4} Mit grösster Genugtuung erfüllt es mich, dass Sie arbeiten und dass Ihr Werk unaufhaltsam wächst. Hoffentlich habe ich bald wieder etwas von Ihnen in den Händen.

Wenn ich erst aufstehen darf – in einigen Wochen – dann kann ich auch bald auf einige Stunden täglich nach Haus gehen und arbeiten. Wie ich mich darauf freue! –

Leben Sie recht wohl und seien Sie herzlichst gegrüsst


von Ihrem ergebenen
[signed:] Walter Dahms

© Transcription John Koslovsky, 2012



Dear Dr. [Schenker], 1

Your letter 2 was for me rejuvenation for the heart. My sciatica and the rest of the dreadful impairment to my entire nervous system are gradually settling into a recovery. I can already read something – mostly splendid literature. Of course sometimes I feel hopelessly unhappy – as I am constantly bedridden in the room and have often put up with hellish torment amongst the loud company of about ten "comrades." But nonetheless happiness prevails, first of all to be removed from the most base foulness for a long time. Your hatred against England confirms my feelings and I am happy that you express it all so bluntly. Certainly, "one" will find your attitude less than "genteel," just as so much in your works has been reproached for being too lacking in "gentility"– it was even too deadly for those affected.

{2} When I look at the activity in political and cultural life, how it is anxious to continue to carry on shamelessly with the same old demented scam, and how the stupid German people again will fall for and have already fallen for such rotten tricks – then I am happy to remain committed to the difficult struggle of the future, which is more difficult to fight for than against the foulness of England. The "other side" (Strauss, Schillings, etc.) has already been preserved as an "artistic cultural factor" in this war by the State. We must preserve ourselves; otherwise they will completely have the upper hand. And in the younger generation, to which I belong, there are (God forbid) unfortunately only a few of us who do not hold allegiance to fashionable grandeur and anus art.

For your words about Strauss and the other "thugs" I could hug you. How wonderful that you show the question of either-or with the power of your personality. And above {3} all: that there are no more compromises for you. Only through the most severe demand and separation of all unclean spirits from our sacred art can we achieve ideal goals.

I have only one wish: that the war may soon come to an end. Then I will come to Vienna in order to learn from you. I must! So many sleepless nights have been spent calculating all the possibilities! I have to break all previous ties and become another person – greater in will and above all in accomplishment! – Believe me, my thoughts work daily on this plan – one year in Vienna and then solitude to reach the final level of clarity.

{4} It fills me with great satisfaction that you are working and that your work progresses unimpeded. I hope I will again soon have something of yours in my hands.

When I am first able to get up – in a few weeks – then I will be able to go home for a few hours a day to work. How much I look forward to it! –

Farewell for now, and warmest greetings


from your devoted
[signed:] Walter Dahms

© Translation John Koslovsky, 2012

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 1/19, p. 33, November 12, 1915: "Von Dahms (Br.): drückt seinen Entschluß aus, für ein Jahr zu mir zu kommen. Hernach möchte er in Einsamkeit lediglich dem Schaffen leben. Vorläufig sei er noch krank u. bedürfe auf lange heraus der Ruhe." ("From Dahms (letter): declares his decision to come to me for a year. After that he would like to live the creative life purely in isolation. He is still for the time being ill and needs a long period of rest.").

2 This letter is not known to survive; its writing is recorded in Schenker's diary at OJ 1/19, p. 29, November 2, 1915: ".. Antwort an ihn (Br.) daraus: Die Töne neigen von Haus aus zu moralischem Beisammensein, erst die Verwahrlosung ^!^ der modernen Menschen trug [illegible words] die Töne aus. Der Hass gegen England sei aufrecht zu erhalten; Gründe." ("... Answer to him (letter) thus: Tones intrinsically incline toward moral being-together. Only now has the dissipation ^!^ of modern men torn tones asunder. The hatred against England has to be sturdily maintaned; reasons.").