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OJ 10/1, [4] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated June 2, 1914
Seit Ihrem so überaus eingehenden und liebenswürdigen Brief 2 ist eine geraume Zeit verstrichen. Ich hätte Ihnen längst für Ihre Güte danken müssen; aber es nahm mich so vieles Ablenkende in Anspruch. Wie Sie muss nun auch ich den Juli als eine Erlösung begrüssen. Ich hoffe im Schwarzwald die Nerven wieder zusammen zubringen, die die letzte Zeit zerrissen hat durch Jahre ohne die geringste Erholung. Was Sie mir über die dortigen Verhältnisse schrieben, diese traurigen Zustände, die die Aufrichtigen zum Frohndienst [sic] zwingen und zu Märtÿreren ihrer Arbeit machen, – das alles ist so verständlich und einleuchtend, so – notwendig, dass ich davor kaum noch erschrecken konnte. Aber Ihre Tätigkeit ist nur ein neuer Ansporn, nach hohen Zielen zu streben und alles andere auf sich zu nehmen. {2} Leider ist mir durch das Bestehende der Weg zu Ihnen vorläufig versperrt. Ich muss versuchen, an der Hand Ihrer Werke fertig zu werden; denn ich weiss in der Tat niemanden in Berlin, zu dem ich mich begeben darf. Zu dem muss ich ja auch, weil ich Kritiker bin, vorsichtig sein. Denn dieses Pack versteht ja nicht, dass auch ein „Kritiker“ noch viel zu lernen hat. Da ich bei gewissen Cliquen sehr unbeliebt bin und die Denunziationen nach jedem einzelnen Akt meines Auftretens gegen die modische Musik nur so in die Zeitungsredaktion regnen, würde dies eine neue Waffe gegen mich geben, deren ich mich kaum erwehren könnte. Ich will es also zunächst einmal autodidaktisch versuchen. Im Herbst fange ich mit dem gründlichen Studium Ihrer „Th. u. Ph.“ an. Vielleicht kann ich es später doch noch einmal ermöglichen, im Winter zu Ihnen zu kommen. Dann bin ich wenigstens vorbereitet. Ich bin nun 27 Jahre alt. Hoffentlich wird es nicht zu spät, dass ich bei Ihnen noch das Letzte lernen kann. Was meinen Sie? Auch grosse {3} Meister haben ja noch in späteren Jahren die letzte Feile an ihr Können gelegt, Bruckner, Schumann – übrigens: sans comparaison. Inzwischen begrüsse ich Sie mit nochmaligen herzlichsten Dank © Transcription John Koslovsky, 2012 |
Since your last letter, 2 which was so penetrating and considerate, a great deal of time has passed. I have been wanting to thank you for a while now for your kindness, but I have been greatly distracted by other matters. Like you I must now greet the month of July as a relief. I hope to calm my nerves in the Black Forest. Since my last visit there I have been pulled to pieces without the slightest bit of rest. What you wrote to me about relations there, these sad conditions that force honest people into the drudgery of life and make them martyrs of their work – everything is so understandable and enlightening, so – necessary, that I could hardly still be startled by such a thing. But your work is just a new incentive to strive toward higher aims and to take it upon oneself to do everything else. {2} Unfortunately the present path to you for me is temporarily blocked. I have to try to prepare myself with the help of your writings, because in Berlin I actually know of no one to whom I can turn. I must also be careful since I am a critic. This riffraff does not understand that even a "critic" still has much to learn. Since I am not well-liked in certain cliques, and since denunciations pour in in the news editorials after every single act of my appearance against fashionable music, this would provide a new weapon against me, one I would hardly be able to withstand. Thus, I will first try to educate myself in your methods on my own. In the autumn I will begin with the foundational study of your "Theories and Fantasies." In the winter I will see if I can come to you. Then at least I will be prepared. Presently I am twenty-seven years old; I hope it will not be too late for me to be able to learn from you. What do you think? Even great {3} masters have in later years put the final touches on their knowledge, Bruckner and Schumann – incidentally: sans comparaison. In the meantime I send my greetings and again many thanks. © Translation John Koslovsky, 2012 |
Seit Ihrem so überaus eingehenden und liebenswürdigen Brief 2 ist eine geraume Zeit verstrichen. Ich hätte Ihnen längst für Ihre Güte danken müssen; aber es nahm mich so vieles Ablenkende in Anspruch. Wie Sie muss nun auch ich den Juli als eine Erlösung begrüssen. Ich hoffe im Schwarzwald die Nerven wieder zusammen zubringen, die die letzte Zeit zerrissen hat durch Jahre ohne die geringste Erholung. Was Sie mir über die dortigen Verhältnisse schrieben, diese traurigen Zustände, die die Aufrichtigen zum Frohndienst [sic] zwingen und zu Märtÿreren ihrer Arbeit machen, – das alles ist so verständlich und einleuchtend, so – notwendig, dass ich davor kaum noch erschrecken konnte. Aber Ihre Tätigkeit ist nur ein neuer Ansporn, nach hohen Zielen zu streben und alles andere auf sich zu nehmen. {2} Leider ist mir durch das Bestehende der Weg zu Ihnen vorläufig versperrt. Ich muss versuchen, an der Hand Ihrer Werke fertig zu werden; denn ich weiss in der Tat niemanden in Berlin, zu dem ich mich begeben darf. Zu dem muss ich ja auch, weil ich Kritiker bin, vorsichtig sein. Denn dieses Pack versteht ja nicht, dass auch ein „Kritiker“ noch viel zu lernen hat. Da ich bei gewissen Cliquen sehr unbeliebt bin und die Denunziationen nach jedem einzelnen Akt meines Auftretens gegen die modische Musik nur so in die Zeitungsredaktion regnen, würde dies eine neue Waffe gegen mich geben, deren ich mich kaum erwehren könnte. Ich will es also zunächst einmal autodidaktisch versuchen. Im Herbst fange ich mit dem gründlichen Studium Ihrer „Th. u. Ph.“ an. Vielleicht kann ich es später doch noch einmal ermöglichen, im Winter zu Ihnen zu kommen. Dann bin ich wenigstens vorbereitet. Ich bin nun 27 Jahre alt. Hoffentlich wird es nicht zu spät, dass ich bei Ihnen noch das Letzte lernen kann. Was meinen Sie? Auch grosse {3} Meister haben ja noch in späteren Jahren die letzte Feile an ihr Können gelegt, Bruckner, Schumann – übrigens: sans comparaison. Inzwischen begrüsse ich Sie mit nochmaligen herzlichsten Dank © Transcription John Koslovsky, 2012 |
Since your last letter, 2 which was so penetrating and considerate, a great deal of time has passed. I have been wanting to thank you for a while now for your kindness, but I have been greatly distracted by other matters. Like you I must now greet the month of July as a relief. I hope to calm my nerves in the Black Forest. Since my last visit there I have been pulled to pieces without the slightest bit of rest. What you wrote to me about relations there, these sad conditions that force honest people into the drudgery of life and make them martyrs of their work – everything is so understandable and enlightening, so – necessary, that I could hardly still be startled by such a thing. But your work is just a new incentive to strive toward higher aims and to take it upon oneself to do everything else. {2} Unfortunately the present path to you for me is temporarily blocked. I have to try to prepare myself with the help of your writings, because in Berlin I actually know of no one to whom I can turn. I must also be careful since I am a critic. This riffraff does not understand that even a "critic" still has much to learn. Since I am not well-liked in certain cliques, and since denunciations pour in in the news editorials after every single act of my appearance against fashionable music, this would provide a new weapon against me, one I would hardly be able to withstand. Thus, I will first try to educate myself in your methods on my own. In the autumn I will begin with the foundational study of your "Theories and Fantasies." In the winter I will see if I can come to you. Then at least I will be prepared. Presently I am twenty-seven years old; I hope it will not be too late for me to be able to learn from you. What do you think? Even great {3} masters have in later years put the final touches on their knowledge, Bruckner and Schumann – incidentally: sans comparaison. In the meantime I send my greetings and again many thanks. © Translation John Koslovsky, 2012 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 1/14, p. 586, June 4, 1914: "Brief von Dahms rührend in seiner Bescheidenheit u. Ergebenheit sowohl gegenüber seinem Schicksal als mir." ("Letter from Dahms, touching in its self-effacement and devotion to his fate as also to me."). 2 Schenker's diary records writing of a letter at OJ 1/14, p. 562, May 4, 1914: "An Dahms [?motiverte] Absage seine [sic] Wunsches, nach Wien zu kommen." ("To Dahms: [?reasoned] refusal of his wish to come to Vienna."). |
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Commentary
Digital version created: 2012-08-09 |