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OJ 10/1, [87] - Handwritten letter from Dahms to Schenker, dated February 26, 1925
Längst hätte ich etwas von mir hören lassen, wenn ich nicht durch heftige Erkältungen und durch viel Lohnarbeit davon abgehalten worden wäre. Im übrigen geht es uns – um erst einmal Ihre nachsichtige Frage 2 zu beantworten – äusserlich genommen gut – besser als bisher, wenn auch diese Besserung innerlich manchmal etwas teuer bezahlt werden muss. Aber es ist erträglich. Frau Vrieslander ist nicht über Venedig gekommen, hat in Florenz und dann am Meer viel Störendes erlebt und soll dann, wie uns Vrieslander schrieb, gen Neapel gefahren sein. Nur schien mir die Begründung, dass sie nach Neapel gegangen sei, „um dem Lärm zu entgehen,“ doch sehr gewagt. Denn dort unten pflegt sich ja das ganze Leben restlos auf der Strasse abzuspielen. Vrieslander verhiess allerdings sein Erscheinen in Venedig; aber daran glaube ich noch nicht. Ihre Erlebnisse mit Herzka haben sich nun zu dem lange vorhergesehenen Bruch zugespitzt! Seine Unanständigkeit ist allerdings unüberbietbar und eine gründliche Lektion wäre ihm von Herzen zu gönnen. Hoffentlicht sind Sie in München in besseren Händen, 3 wenigstens in sauberen. Der Kraftaufwand, den der geistig-schöpferische Mensch aufbringen muss, nur um seine Leistung durchzusetzen, ist ungeheuerlich. Hertzka gilt sicher im österreichischen Staat als ein „Ehrenmann,“ genau wie in Deutschland die Barmat, Ebert, Haarmann und Konsorten. Aber irgendwann fällt einmal die Hülle und die Wahrheit triumphiert – wenn a beruch nie mit Hilfe der Gerichte und unserer {2} famosen Gerechtigkeit, sondern immer durch die eigene Überhebung. Auch ich hoffe, Hertzka einen Streich spielen zu können. Wie Sie mir seinerzeit mitteilten, hat der „Anbruch“ meinen 12 Jahre alten offenen Brief an Schönberg abgedruckt, 4 ohne meine Genehmigung. Ich habe den Rechtsanwalt Adler in München darüber befragt, wie man den Anbruch am empfindlichsten (natürlich pekuniär) strafen könne u. erwarte täglich Antwort. Ich werde der U.E. hoffentlich eine gepfefferte Honorar-Rechnung, vielleicht sogar Schadenersatzansprüche vorlegen können, dass dem H. die Tränen kommen sollen. Es wäre schon ein Triumpf, wenn diese Burschen überhaupt für ihre böse Absicht zahlen müssten! je mehr desto besser. – Ob wir uns bald einmal sehen werden? Bei uns ist alles sehr unbestimmt und in der Schwebe. Mit unsere Wohnung sind wir sehr unzufrieden, sie ist ebenso teuer wie mangelhaft; möglicherweise müssen wir also bald wechseln. Das gibt dann wieder mancherlei Störungen. Das unüberwindliche ist seit dem Kriege die innere Unruhe, die mich ganz unstät gemacht und entwurzelt hat. Ich würde vielleicht längst nach Deutschland zurückgekehrt sein, wenn mich die deutsche „Gerechtigkeit“ 8 Tage lang in Ruhe liesse; aber dort darf ich nicht leben... also .... Herr Bekker ist ja köstlich mit seiner „Hermeneuten-“Entdeckung. 5 Und der brave Korngold erst! Als ich ihm ganz zufällig in Rom begegnete und ihm vorgestellt wurde, war er einer Ohnmacht nahe. Das „Genie“ ist ja einfach hinreissend. – Wie gut, dass er’s selber glaubt; so brauchts kein anderer zu glauben. Herzlichste Grüsse Ihnen, lieber Meister, und Ihrer verehrten Frau Gemahlin von uns beiden © Transcription John Koslovsky, 2012 |
I would have been in touch long ago if I had not been prevented by an intense cold and by so much work. Otherwise on the face of things – for once to answer your merciful question 2 – we are doing well – better than before, even if this improvement sometimes comes at a cost on the inside. But it is tolerable. Mrs. Vrieslander did not travel through Venice: she experienced many annoyances in Florence and then at the sea, and so she then decided, as Vrieslander wrote to us, to travel towards Naples. But the reason that she traveled to Naples, "to get away from the noise," seemed to me very risky. Because down there the life maintains itself by playing out restlessly on the street. Vrieslander promised, however, his appearance in Venice; but I still don't believe him. Your experiences with Hertzka have now escalated to the point of the long-foreseen rupture! His rudeness is unparalleled and honestly a thorough lesson seems to be in order. Let us hope you are in better hands in Munich, 3 at least in cleaner ones. The amount of energy that the intellectual-creative person must summon just to carry out his activities is enormous. Hertzka certainly counts in the Austrian State as a "gentleman," just as Barmat, Ebert, Haarmann and Co. do in Germany. But at some point the veil will come off and the truth will triumph – buteven if it is never with the help of the legal system and our {2} famous justice, but rather always through its own conceit. I also hope to play a trick on Hertzka. As you yourself informed me, the Anbruch published my twelve-year-old open letter to Schoenberg without my permission. 4 I have asked the attorney Adler in Munich how one could punish Anbruch in the most severe way possible (naturally monetarily), and I await an answer daily. I hope I will be able to present UE with a steep bill for an honorarium, perhaps even claims for damage compensation, so much that tears should come to Hertzka's eyes. It would already be a great triumph if these guys would have to pay for their evil intentions! The more the better. – [I don't know] whether we will soon see each other once again? Everything with us is very unsettled and up in the air. We are very displeased with our dwellings, it is just as expensive as it is inconvenient; it is possible that we will soon have to relocate. That leads again to all sorts of disruptions. Since the war I have been unable to overcome this inner unrest, which has made me completely unstable and has uprooted me. Perhaps long ago I would have gone back to Germany, if the German "justice system" left me in peace for eight days; but I cannot live there ... so .... Mr. Bekker is truly exquisite with the discovery of his "hermeneutics." 5 And now the brave Korngold! When I happened to encounter him in Rome and was introduced to him, he was nearly powerless. The "genius" is simply enchanting. How nice that he believes it himself; he doesn't need anyone else to believe it. Most cordial greetings to you, dear master, and your dear wife from both of us. © Translation John Koslovsky, 2012 |
Längst hätte ich etwas von mir hören lassen, wenn ich nicht durch heftige Erkältungen und durch viel Lohnarbeit davon abgehalten worden wäre. Im übrigen geht es uns – um erst einmal Ihre nachsichtige Frage 2 zu beantworten – äusserlich genommen gut – besser als bisher, wenn auch diese Besserung innerlich manchmal etwas teuer bezahlt werden muss. Aber es ist erträglich. Frau Vrieslander ist nicht über Venedig gekommen, hat in Florenz und dann am Meer viel Störendes erlebt und soll dann, wie uns Vrieslander schrieb, gen Neapel gefahren sein. Nur schien mir die Begründung, dass sie nach Neapel gegangen sei, „um dem Lärm zu entgehen,“ doch sehr gewagt. Denn dort unten pflegt sich ja das ganze Leben restlos auf der Strasse abzuspielen. Vrieslander verhiess allerdings sein Erscheinen in Venedig; aber daran glaube ich noch nicht. Ihre Erlebnisse mit Herzka haben sich nun zu dem lange vorhergesehenen Bruch zugespitzt! Seine Unanständigkeit ist allerdings unüberbietbar und eine gründliche Lektion wäre ihm von Herzen zu gönnen. Hoffentlicht sind Sie in München in besseren Händen, 3 wenigstens in sauberen. Der Kraftaufwand, den der geistig-schöpferische Mensch aufbringen muss, nur um seine Leistung durchzusetzen, ist ungeheuerlich. Hertzka gilt sicher im österreichischen Staat als ein „Ehrenmann,“ genau wie in Deutschland die Barmat, Ebert, Haarmann und Konsorten. Aber irgendwann fällt einmal die Hülle und die Wahrheit triumphiert – wenn a beruch nie mit Hilfe der Gerichte und unserer {2} famosen Gerechtigkeit, sondern immer durch die eigene Überhebung. Auch ich hoffe, Hertzka einen Streich spielen zu können. Wie Sie mir seinerzeit mitteilten, hat der „Anbruch“ meinen 12 Jahre alten offenen Brief an Schönberg abgedruckt, 4 ohne meine Genehmigung. Ich habe den Rechtsanwalt Adler in München darüber befragt, wie man den Anbruch am empfindlichsten (natürlich pekuniär) strafen könne u. erwarte täglich Antwort. Ich werde der U.E. hoffentlich eine gepfefferte Honorar-Rechnung, vielleicht sogar Schadenersatzansprüche vorlegen können, dass dem H. die Tränen kommen sollen. Es wäre schon ein Triumpf, wenn diese Burschen überhaupt für ihre böse Absicht zahlen müssten! je mehr desto besser. – Ob wir uns bald einmal sehen werden? Bei uns ist alles sehr unbestimmt und in der Schwebe. Mit unsere Wohnung sind wir sehr unzufrieden, sie ist ebenso teuer wie mangelhaft; möglicherweise müssen wir also bald wechseln. Das gibt dann wieder mancherlei Störungen. Das unüberwindliche ist seit dem Kriege die innere Unruhe, die mich ganz unstät gemacht und entwurzelt hat. Ich würde vielleicht längst nach Deutschland zurückgekehrt sein, wenn mich die deutsche „Gerechtigkeit“ 8 Tage lang in Ruhe liesse; aber dort darf ich nicht leben... also .... Herr Bekker ist ja köstlich mit seiner „Hermeneuten-“Entdeckung. 5 Und der brave Korngold erst! Als ich ihm ganz zufällig in Rom begegnete und ihm vorgestellt wurde, war er einer Ohnmacht nahe. Das „Genie“ ist ja einfach hinreissend. – Wie gut, dass er’s selber glaubt; so brauchts kein anderer zu glauben. Herzlichste Grüsse Ihnen, lieber Meister, und Ihrer verehrten Frau Gemahlin von uns beiden © Transcription John Koslovsky, 2012 |
I would have been in touch long ago if I had not been prevented by an intense cold and by so much work. Otherwise on the face of things – for once to answer your merciful question 2 – we are doing well – better than before, even if this improvement sometimes comes at a cost on the inside. But it is tolerable. Mrs. Vrieslander did not travel through Venice: she experienced many annoyances in Florence and then at the sea, and so she then decided, as Vrieslander wrote to us, to travel towards Naples. But the reason that she traveled to Naples, "to get away from the noise," seemed to me very risky. Because down there the life maintains itself by playing out restlessly on the street. Vrieslander promised, however, his appearance in Venice; but I still don't believe him. Your experiences with Hertzka have now escalated to the point of the long-foreseen rupture! His rudeness is unparalleled and honestly a thorough lesson seems to be in order. Let us hope you are in better hands in Munich, 3 at least in cleaner ones. The amount of energy that the intellectual-creative person must summon just to carry out his activities is enormous. Hertzka certainly counts in the Austrian State as a "gentleman," just as Barmat, Ebert, Haarmann and Co. do in Germany. But at some point the veil will come off and the truth will triumph – buteven if it is never with the help of the legal system and our {2} famous justice, but rather always through its own conceit. I also hope to play a trick on Hertzka. As you yourself informed me, the Anbruch published my twelve-year-old open letter to Schoenberg without my permission. 4 I have asked the attorney Adler in Munich how one could punish Anbruch in the most severe way possible (naturally monetarily), and I await an answer daily. I hope I will be able to present UE with a steep bill for an honorarium, perhaps even claims for damage compensation, so much that tears should come to Hertzka's eyes. It would already be a great triumph if these guys would have to pay for their evil intentions! The more the better. – [I don't know] whether we will soon see each other once again? Everything with us is very unsettled and up in the air. We are very displeased with our dwellings, it is just as expensive as it is inconvenient; it is possible that we will soon have to relocate. That leads again to all sorts of disruptions. Since the war I have been unable to overcome this inner unrest, which has made me completely unstable and has uprooted me. Perhaps long ago I would have gone back to Germany, if the German "justice system" left me in peace for eight days; but I cannot live there ... so .... Mr. Bekker is truly exquisite with the discovery of his "hermeneutics." 5 And now the brave Korngold! When I happened to encounter him in Rome and was introduced to him, he was nearly powerless. The "genius" is simply enchanting. How nice that he believes it himself; he doesn't need anyone else to believe it. Most cordial greetings to you, dear master, and your dear wife from both of us. © Translation John Koslovsky, 2012 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/7, p. 2792, February 28, 1925: "Von Dahms (K. [recte Br.]): über seine nur wenig gebesserten Verhältnisse, über die elende Wohnung; er wäre bereit, nach Deutschland zurückzukehren, wenn er dort nur Ruhe fände." ("From Dahms (postcard [recte letter]): about his only slightly improved situation, about the awful apartment; he would be willing to return to Germany, if he could only find peace there."). 2 Presumably the letter, not known to survive, writing of which is recorded in Schenker's diary at OJ 3/7, p. 2790, February 24, 1925: "An Dahms (Br.): Bericht über den Vertragswechsel." ("To Dahms (letter): report on the change of contract."). 3 Dahms is referring to Schenker's arrangement with the publishing house Drei Masken Verlag in November 1924, after Schenker broke off ties with Universal Edition. 4 In a 1924 issue commemorating the fiftieth birthday of Arnold Schoenberg, Musikblätter des Anbruch republished an open letter Dahms had written to Schoenberg in 1912 in the Berlin newspaper Das kleine Journal. See Walter Dahms, "Offener Brief an den Komponisten Arnold Schönberg," Musikblätter des Anbruch 6/7‒8 (1924), 323‒24. 5 Dahms is most likely referring to Paul Bekker, "Was ist Phänomenologie der Musik," Die Musik XVII/4 (1925), where Bekker makes a brief mention of Schenker. |
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Commentary
Digital version created: 2012-03-18 |