Browse by
OJ 15/16, [48] - Handwritten letter from Hans and Hertha Weisse to Schenker, dated July 15, 1923
[decorative printed letterhead:]
[engraving of hotel, caption: BESITZ. K. MÜLLER-MEISSER.] ⇧ HÔTEL MÜLLER PONTRESINA CENTRALHEIZUNG SOMMER-& WINTERSAISON Pontresina, den ⇧ 15. Juli 1923 Lieber Meister! 1 Herzlichen Dank für Ihre liebe Karte, die mich bereits in Pontresina erwartet hat. Um Ihnen nur einen kurzen Gesammtbericht unserer Reise zu geben, fange ich nochmals mit Wolkenstein an. Wir fühlten uns doch schon sehr wohl, unternahmen mannigfache Partieen, bis uns zuletzt das Wetter nach Süden trieb. Wir fuhren also über Bozen direkt nach Venedig, hielten uns nur wenige Stunden in dem herrlichen Verona auf, dessen altgothische Kirchen einen tiefen Eindruck auf uns machten. Noch am selben Tage abends trafen wir in Venedig ein und blieben vier Tage. Die Vormittage waren dem Lido gewidmet, das Baden im Meere eine großartige Erquickung. Nachmittags Kirchen-[,] Stadt[-] und Musealwanderungen und abends Gondelfahrten. Das Wetter war uns außerordentlich günstig: wolkenloser Himmel und dabei doch keine arge Hitze. Am Rückweg in die Schweiz nahmen wir über den Como-See, an dem uns 3 unvergeßliche Tage in Bellaggio beschieden waren. Von hier durch’s Veltlin und über den Berninapaß nun endlich, nach Pontresina, wo wir uns ganz besonders behaglich fühlen: Das kleine Hotel[,] das uns beherbergt, wird ausschließlich von Schweizern besucht, die mich in ihrer drolligen philiströsen Art immer an Kellers Seldwyler Ehrenbürger erinnern. 2 Immerhin ist das Fehlen jeglicher österreichischer und deutscher Juden eine wahre Wohltat und die beglückende Herbigkeit der Athmosphäre wird durch die wenigen Engländer und Amerikaner nicht gestört. 3 {2} Da wir hier blos bis Morgen Zimmer bekommen konnten, übersiedeln wir nach St. Moriz, wo wir bis zum 23. Juli zu bleiben gedenken. Von da dann über Finstermunz, Landeck, Salzburg, Ischl nach Hause, wo ich in meiner neuen Wohnung La-Rochegasse 14 eine Nachricht von Ihnen vorzufinden hoffe. Vor allem wüßte ich gerne, wie Sie heuer in Galtür zufrieden sind; und ob die Türtscherschen Annoncen[4] Ihnen nicht gar zu lästige Leute als Mitbewohner des Hostels angelockt haben. In erster Linie aber wüßte ich gern, woran Sie jetzt, liebster Meister, arbeiten, und ob nicht schon der 4. Halbband 4 auf dem Horizonte auftaucht? Wie glücklich wäre ich, wüßte ich Sie schon mit vollen Segeln seiner Vollendung entgegensteuren. Ich habe je mehr ich den Tonwillen lese, stets desto stärker die Empfindung, daß erst die wissenschaftlich-theoretische Fundierung des Urlinienbegriffes, den Leuten die nötige Achtung vor den Resultaten der „Tonwille“hefte einflössen kann. Denn bis dahin hält jeder, und man kann es ihm gar nicht übel rechnen, die Urlinie, mehr oder weniger für eine willkürliche Erfindung Ihrer individuellen Lesart, als und nicht für eine objective Maxime der Komposition! – 5 Und was macht die liebe Frau Lie Lie? Sie ist wohl hoffentlich schon ganz ausgeruht von den Strapazen des lästigen Küchenwinters! Ich grüße Sie beide von ganzem Herzen und wünsche Ihnen weiterhin recht gute Erholung in der der hiesigen so sehr verwandten Galtürer Luft. Ihr getreuer und stets dankbarer [signed:] Hans. ⇧ Die herzlichsten Grüße an Sie, lieber Herr Doktor, und an Frau Lie-Lie mit den besten Wünschen für Ihren weiteren Aufenthalt von Ihrer [signed:] Hertha Weisse Haben Sie etwas von Violin gehört? und hat Vrieslander Sie schon besucht? © Transcription William Drabkin, 2008 |
[decorative printed letterhead:]
[engraving of hotel, caption: PROPRIETOR K. MÜLLER-MEISSER.] ⇧ HÔTEL MÜLLER PONTRESINA CENTRAL HEATING SUMMER & WINTER SEASONS Pontresina, ⇧ July 15, 1923 Dear Master, 1 Many thanks for your kind card, which was waiting for me when I arrived in Pontresina. To give you just a brief account of our journey, I'll start again with Wolkenstein. We were already in good heart and enjoyed several excursions until, in the end, the weather drove us south. We travelled via Bolzano straight to Venice and spent just a few hours in the glorious city of Verona, whose Gothic churches made a deep impression on us. That same evening we reached Venice and stayed there for four days. We spent our mornings on the lido – bathing in the sea was wonderfully refreshing. The afternoons saw us wandering through the town, visiting churches and museums, and in the evenings we took to gondolas. The weather was extraordinarily kind to us: cloudless skies and yet not unpleasantly hot. On our way back to Switzerland we travelled via Lake Como and were granted three unforgettable days there in Bellagio. From there we travelled through the Valtellina and over the Bernina Pass and on at last to Pontresina, where we have settled in extremely comfortably. The little hotel where we are staying is frequented exclusively by Swiss, who, with their droll philistine manner, always remind me of the good citizens of Keller’s Seldwyla. 2 Nonetheless the absence of any Austrian or German Jews is of true benefit and the pleasing austerity of the atmosphere is not spoilt by the few English and Americans present. 3 {2} As we could only secure rooms here until tomorrow, we are moving to St. Moritz, where we intend to stay until July 23. Then from there we shall travel home via Finstermunz, Landeck, Salzburg and Ischl. I hope I shall find a message from you awaiting me in my new apartment at number 14 La-Rochegasse. Above all I should like to hear that you have been contented in Galtür, and that the Türtschers' advertisements didn't entice any tiresome people there as your fellow residents. But more than that, dearest Master, I should like to know what you are working on at present, and whether the fourth volume 4 is not perhaps already about to surface on the horizon? How happy I would be to know that you were already steering in full sail towards its completion. The more I read Der Tonwille , the stronger my feeling always grows that the only way to instill in people the necessary respect for the results contained in the different parts of Der Tonwille is by means of the scholarly theoretical foundation of the theory of the Urlinie. For without the latter one can hardly blame anybody for considering the Urlinie to be more or less an arbitrary invention of your individual interpretation, rather than an objective compositional maxim! – 5 And how is dear Lie Lie? I hope she is now quite recovered from the strain and stress of the tiresome winter in the kitchen! Heartfelt greetings to you both and may you enjoy a full recovery in the Galtür air, which is so similar to that which we have here. Your faithful and ever grateful, [signed:] Hans ⇧ Kindest regards to both you yourself, dear Doctor, and to Lie-Lie, and very best wishes for the rest of your visit, from [signed:] Hertha Weisse Have you heard anything from Violin? And has Vrieslander visited you yet? © Translation Alison Hiley, 2009 |
[decorative printed letterhead:]
[engraving of hotel, caption: BESITZ. K. MÜLLER-MEISSER.] ⇧ HÔTEL MÜLLER PONTRESINA CENTRALHEIZUNG SOMMER-& WINTERSAISON Pontresina, den ⇧ 15. Juli 1923 Lieber Meister! 1 Herzlichen Dank für Ihre liebe Karte, die mich bereits in Pontresina erwartet hat. Um Ihnen nur einen kurzen Gesammtbericht unserer Reise zu geben, fange ich nochmals mit Wolkenstein an. Wir fühlten uns doch schon sehr wohl, unternahmen mannigfache Partieen, bis uns zuletzt das Wetter nach Süden trieb. Wir fuhren also über Bozen direkt nach Venedig, hielten uns nur wenige Stunden in dem herrlichen Verona auf, dessen altgothische Kirchen einen tiefen Eindruck auf uns machten. Noch am selben Tage abends trafen wir in Venedig ein und blieben vier Tage. Die Vormittage waren dem Lido gewidmet, das Baden im Meere eine großartige Erquickung. Nachmittags Kirchen-[,] Stadt[-] und Musealwanderungen und abends Gondelfahrten. Das Wetter war uns außerordentlich günstig: wolkenloser Himmel und dabei doch keine arge Hitze. Am Rückweg in die Schweiz nahmen wir über den Como-See, an dem uns 3 unvergeßliche Tage in Bellaggio beschieden waren. Von hier durch’s Veltlin und über den Berninapaß nun endlich, nach Pontresina, wo wir uns ganz besonders behaglich fühlen: Das kleine Hotel[,] das uns beherbergt, wird ausschließlich von Schweizern besucht, die mich in ihrer drolligen philiströsen Art immer an Kellers Seldwyler Ehrenbürger erinnern. 2 Immerhin ist das Fehlen jeglicher österreichischer und deutscher Juden eine wahre Wohltat und die beglückende Herbigkeit der Athmosphäre wird durch die wenigen Engländer und Amerikaner nicht gestört. 3 {2} Da wir hier blos bis Morgen Zimmer bekommen konnten, übersiedeln wir nach St. Moriz, wo wir bis zum 23. Juli zu bleiben gedenken. Von da dann über Finstermunz, Landeck, Salzburg, Ischl nach Hause, wo ich in meiner neuen Wohnung La-Rochegasse 14 eine Nachricht von Ihnen vorzufinden hoffe. Vor allem wüßte ich gerne, wie Sie heuer in Galtür zufrieden sind; und ob die Türtscherschen Annoncen[4] Ihnen nicht gar zu lästige Leute als Mitbewohner des Hostels angelockt haben. In erster Linie aber wüßte ich gern, woran Sie jetzt, liebster Meister, arbeiten, und ob nicht schon der 4. Halbband 4 auf dem Horizonte auftaucht? Wie glücklich wäre ich, wüßte ich Sie schon mit vollen Segeln seiner Vollendung entgegensteuren. Ich habe je mehr ich den Tonwillen lese, stets desto stärker die Empfindung, daß erst die wissenschaftlich-theoretische Fundierung des Urlinienbegriffes, den Leuten die nötige Achtung vor den Resultaten der „Tonwille“hefte einflössen kann. Denn bis dahin hält jeder, und man kann es ihm gar nicht übel rechnen, die Urlinie, mehr oder weniger für eine willkürliche Erfindung Ihrer individuellen Lesart, als und nicht für eine objective Maxime der Komposition! – 5 Und was macht die liebe Frau Lie Lie? Sie ist wohl hoffentlich schon ganz ausgeruht von den Strapazen des lästigen Küchenwinters! Ich grüße Sie beide von ganzem Herzen und wünsche Ihnen weiterhin recht gute Erholung in der der hiesigen so sehr verwandten Galtürer Luft. Ihr getreuer und stets dankbarer [signed:] Hans. ⇧ Die herzlichsten Grüße an Sie, lieber Herr Doktor, und an Frau Lie-Lie mit den besten Wünschen für Ihren weiteren Aufenthalt von Ihrer [signed:] Hertha Weisse Haben Sie etwas von Violin gehört? und hat Vrieslander Sie schon besucht? © Transcription William Drabkin, 2008 |
[decorative printed letterhead:]
[engraving of hotel, caption: PROPRIETOR K. MÜLLER-MEISSER.] ⇧ HÔTEL MÜLLER PONTRESINA CENTRAL HEATING SUMMER & WINTER SEASONS Pontresina, ⇧ July 15, 1923 Dear Master, 1 Many thanks for your kind card, which was waiting for me when I arrived in Pontresina. To give you just a brief account of our journey, I'll start again with Wolkenstein. We were already in good heart and enjoyed several excursions until, in the end, the weather drove us south. We travelled via Bolzano straight to Venice and spent just a few hours in the glorious city of Verona, whose Gothic churches made a deep impression on us. That same evening we reached Venice and stayed there for four days. We spent our mornings on the lido – bathing in the sea was wonderfully refreshing. The afternoons saw us wandering through the town, visiting churches and museums, and in the evenings we took to gondolas. The weather was extraordinarily kind to us: cloudless skies and yet not unpleasantly hot. On our way back to Switzerland we travelled via Lake Como and were granted three unforgettable days there in Bellagio. From there we travelled through the Valtellina and over the Bernina Pass and on at last to Pontresina, where we have settled in extremely comfortably. The little hotel where we are staying is frequented exclusively by Swiss, who, with their droll philistine manner, always remind me of the good citizens of Keller’s Seldwyla. 2 Nonetheless the absence of any Austrian or German Jews is of true benefit and the pleasing austerity of the atmosphere is not spoilt by the few English and Americans present. 3 {2} As we could only secure rooms here until tomorrow, we are moving to St. Moritz, where we intend to stay until July 23. Then from there we shall travel home via Finstermunz, Landeck, Salzburg and Ischl. I hope I shall find a message from you awaiting me in my new apartment at number 14 La-Rochegasse. Above all I should like to hear that you have been contented in Galtür, and that the Türtschers' advertisements didn't entice any tiresome people there as your fellow residents. But more than that, dearest Master, I should like to know what you are working on at present, and whether the fourth volume 4 is not perhaps already about to surface on the horizon? How happy I would be to know that you were already steering in full sail towards its completion. The more I read Der Tonwille , the stronger my feeling always grows that the only way to instill in people the necessary respect for the results contained in the different parts of Der Tonwille is by means of the scholarly theoretical foundation of the theory of the Urlinie. For without the latter one can hardly blame anybody for considering the Urlinie to be more or less an arbitrary invention of your individual interpretation, rather than an objective compositional maxim! – 5 And how is dear Lie Lie? I hope she is now quite recovered from the strain and stress of the tiresome winter in the kitchen! Heartfelt greetings to you both and may you enjoy a full recovery in the Galtür air, which is so similar to that which we have here. Your faithful and ever grateful, [signed:] Hans ⇧ Kindest regards to both you yourself, dear Doctor, and to Lie-Lie, and very best wishes for the rest of your visit, from [signed:] Hertha Weisse Have you heard anything from Violin? And has Vrieslander visited you yet? © Translation Alison Hiley, 2009 |
Footnotes1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/4, p. 2538, July 19, 1923: "Von Weisse (Br. aus Pontresina): beschreibt den Ausflug nach Italien; mahnt um den IV. Band!" ("From Weisse (letter from Pontresina): describes the excursion to Italy; admonishes me about the fourth issue."). 2 Gottfried Keller (1819–90), Swiss writer. His collection Die Leute von Seldwyla includes the story Romeo und Julia auf dem Dorfe, the basis of Delius’s A Village Romeo and Juliet. Schenker quotes from his autobiographical novel Der grüne Heinrich in the "Miscellanea" of Der Tonwille, issues 8/9. 3 No paragraph-break in source. 4 Der freie Satz, at the time still planned as the third and final section of Kontrapunkt ("II3"), and as the fourth volume (not "Halbband") in the series "Neue theoretische Theorien und Phantasien." 5 No paragraph-break in source. |
|
Commentary
Digital version created: 2011-10-25 |