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Verehrter Meister! 1

Meinen aufrichtigsten Dank für Ihren eben erhaltenen Brief, den ich umso höher einschätze, als ich ihm entnehme, daß Ihre persönliche Teilnahme an mir, in früheren Jahren wohl das schönste meiner Besitztümer, sich erhalten hat. Daß ich Sie ganz verstehe, brauche ich wohl des weitern nicht auszuführen. Daß ich meinen Schülern gegenüber genau so handle, als Sie es wünschen, ist nur ein Beleg dafür: Ich nehme nur Werke von A bis Z mit Ihnen [recte ?ihnen] durch und mein Bestreben ihnen gegenüber gilt [word deleted] dem einen Ziele: den Blick fürs Ganze aus dem Ganzen heraus zu schärfen.

Sie hegen, so scheint es mir, den Verdacht, daß die Stellen um die ich Sie oft befrage, mich unsicher machen, und ich aus „Angst“ meine Zuflucht zu Ihnen nehme, um mir von den Schülern nichts zu vergeben. Dies trifft aber nicht zu. Fürs erste entspringen die Fragen meinen eigenen Studienkreisen; so blie{2} be denn nur zu beantworten, was für eine Bewandtnis es mit der Angst habe, mit der „Angst vor dem Stoffe“, als welche ihre Bezeichnung wohl verstanden werden will: und wenn ich Sie bitte, Sich einen Augenblick in einen Ihrer Schüler zu versetzen, so glaube ich es im Namen all ihrer tiefer veranlagten tun zu dürfen. Erst das Bewußtsein von Gut und Böse läßt Probleme der Moral aufkommen: und so ist und muß es eine Begleiterscheinung Ihrer Lehre sein, die man auch das Bewußtsein der Musik nennen könnte, sein, daß jeder der vollen Verantwortung sich inne wird, mit der er nun seinen Beruf auszuüben hat. Angst vor anderm braucht sie nicht zu sein, denn lernten wir nicht gleichzeitig von Ihnen, daß wir das notwendig falsche Urteil der andern nicht zu fürchten haben? Aber das innige Bedürfnis dem Stoffe bis ins Letzte gerecht zu werden kann von der Erkenntnis nicht gelöst werden, daß so etwas überhaupt möglich ist. Verstehe ich das also unter Angst, und nur so will und kann ich das Wort in Ihrem Zusammenhange deuten. {3} Unsere Abhängigkeit vom musikalischen Stoff ist selbstverständlich gleichzeitig eine Abhängigkeit von Ihnen als dem Mittler dieses Stoffes. Was uns zu Ihnen treibt mit unseren tausend Fragen ist eine Art Heimatgefühl, was sollte sie es stillen können, wenn nicht Sie? – Jede Ihrer Lösungen ist mit ein Baustein zur Reife. –

Ich wollte nichts, als Ihnen den organischen Zusammenhang unsrer Fragelust mit Ihrer Lehre aufzuzeigen[corr.].

Im übrigen respektiere ich selbstverständlich Ihren Befehl, und erscheine von nun an nur mehr mit Haydn. 2


Mit besten Grüßen an Sie und Frau Lie Lie
Ihr dankbarer
[signed:] Hans

14. Jänner 24. 3

© Transcription William Drabkin, 2008



Revered Master, 1

My most sincere thanks for your letter, which I have just received, and which I appreciate all the more since I can infer from it that your personal interest in me – certainly my most treasured possession of former years – has been preserved. I understand you fully and feel I do not need to explain further. The fact that I approach my pupils just as you wish is merely evidence of this. I only go through works with you [recte ?them] from A to Z, endeavouring always to attain the same goal, namely to tease out a sense of the whole from the whole.

It seems to me that you are harbouring the suspicion that the many passages that I frequently ask you about make me unsure of myself and that I come running to you out of fear that I might lose face in front of my pupils. That is, however, not the case. In the first place my questions arise from my own studies; thus the only question to address is {2} what it might have to do with fear, with "fear of the subject," which is how one should evidently understand your term. And if I were to ask you to put yourself in the shoes of one of your pupils, I would feel justified in doing so in the name of all those whose deeper inclination [you have invoked]. It is only with an awareness of good and evil that moral problems arise; and thus what one might call the consciousness of music does, and must, go hand in hand with your teaching, since you enable everyone to reach an awareness of the full responsibility with which he must now carry out his profession. Fear doesn't need to be involved, for did we not at the same time learn from you that we must not be afraid of the inevitably false judgement of others? But the inner need to do full justice to the material cannot be separated from the realization that such a thing is at all possible. That is my understanding of fear and that is the only way I want and am able to interpret the word as you use it. {3} It stands to reason that our dependency on the musical material is simultaneously a dependence on you as the medium. The sense that drives us to you with our thousand fold questions is like a homecoming – who else to satisfy it but you? – Each of your solutions is at the same time a building block towards maturity. –

I only wanted to exhibit the organic cohesion of our questioning in relation to your teaching.

Otherwise I of course respect your command and will appear from now on only with Haydn. 2


With warmest greetings to you and Lie Lie
Your grateful
[signed:] Hans

January 14, 1924 3

© Translation Alison Hiley, 2009



Verehrter Meister! 1

Meinen aufrichtigsten Dank für Ihren eben erhaltenen Brief, den ich umso höher einschätze, als ich ihm entnehme, daß Ihre persönliche Teilnahme an mir, in früheren Jahren wohl das schönste meiner Besitztümer, sich erhalten hat. Daß ich Sie ganz verstehe, brauche ich wohl des weitern nicht auszuführen. Daß ich meinen Schülern gegenüber genau so handle, als Sie es wünschen, ist nur ein Beleg dafür: Ich nehme nur Werke von A bis Z mit Ihnen [recte ?ihnen] durch und mein Bestreben ihnen gegenüber gilt [word deleted] dem einen Ziele: den Blick fürs Ganze aus dem Ganzen heraus zu schärfen.

Sie hegen, so scheint es mir, den Verdacht, daß die Stellen um die ich Sie oft befrage, mich unsicher machen, und ich aus „Angst“ meine Zuflucht zu Ihnen nehme, um mir von den Schülern nichts zu vergeben. Dies trifft aber nicht zu. Fürs erste entspringen die Fragen meinen eigenen Studienkreisen; so blie{2} be denn nur zu beantworten, was für eine Bewandtnis es mit der Angst habe, mit der „Angst vor dem Stoffe“, als welche ihre Bezeichnung wohl verstanden werden will: und wenn ich Sie bitte, Sich einen Augenblick in einen Ihrer Schüler zu versetzen, so glaube ich es im Namen all ihrer tiefer veranlagten tun zu dürfen. Erst das Bewußtsein von Gut und Böse läßt Probleme der Moral aufkommen: und so ist und muß es eine Begleiterscheinung Ihrer Lehre sein, die man auch das Bewußtsein der Musik nennen könnte, sein, daß jeder der vollen Verantwortung sich inne wird, mit der er nun seinen Beruf auszuüben hat. Angst vor anderm braucht sie nicht zu sein, denn lernten wir nicht gleichzeitig von Ihnen, daß wir das notwendig falsche Urteil der andern nicht zu fürchten haben? Aber das innige Bedürfnis dem Stoffe bis ins Letzte gerecht zu werden kann von der Erkenntnis nicht gelöst werden, daß so etwas überhaupt möglich ist. Verstehe ich das also unter Angst, und nur so will und kann ich das Wort in Ihrem Zusammenhange deuten. {3} Unsere Abhängigkeit vom musikalischen Stoff ist selbstverständlich gleichzeitig eine Abhängigkeit von Ihnen als dem Mittler dieses Stoffes. Was uns zu Ihnen treibt mit unseren tausend Fragen ist eine Art Heimatgefühl, was sollte sie es stillen können, wenn nicht Sie? – Jede Ihrer Lösungen ist mit ein Baustein zur Reife. –

Ich wollte nichts, als Ihnen den organischen Zusammenhang unsrer Fragelust mit Ihrer Lehre aufzuzeigen[corr.].

Im übrigen respektiere ich selbstverständlich Ihren Befehl, und erscheine von nun an nur mehr mit Haydn. 2


Mit besten Grüßen an Sie und Frau Lie Lie
Ihr dankbarer
[signed:] Hans

14. Jänner 24. 3

© Transcription William Drabkin, 2008



Revered Master, 1

My most sincere thanks for your letter, which I have just received, and which I appreciate all the more since I can infer from it that your personal interest in me – certainly my most treasured possession of former years – has been preserved. I understand you fully and feel I do not need to explain further. The fact that I approach my pupils just as you wish is merely evidence of this. I only go through works with you [recte ?them] from A to Z, endeavouring always to attain the same goal, namely to tease out a sense of the whole from the whole.

It seems to me that you are harbouring the suspicion that the many passages that I frequently ask you about make me unsure of myself and that I come running to you out of fear that I might lose face in front of my pupils. That is, however, not the case. In the first place my questions arise from my own studies; thus the only question to address is {2} what it might have to do with fear, with "fear of the subject," which is how one should evidently understand your term. And if I were to ask you to put yourself in the shoes of one of your pupils, I would feel justified in doing so in the name of all those whose deeper inclination [you have invoked]. It is only with an awareness of good and evil that moral problems arise; and thus what one might call the consciousness of music does, and must, go hand in hand with your teaching, since you enable everyone to reach an awareness of the full responsibility with which he must now carry out his profession. Fear doesn't need to be involved, for did we not at the same time learn from you that we must not be afraid of the inevitably false judgement of others? But the inner need to do full justice to the material cannot be separated from the realization that such a thing is at all possible. That is my understanding of fear and that is the only way I want and am able to interpret the word as you use it. {3} It stands to reason that our dependency on the musical material is simultaneously a dependence on you as the medium. The sense that drives us to you with our thousand fold questions is like a homecoming – who else to satisfy it but you? – Each of your solutions is at the same time a building block towards maturity. –

I only wanted to exhibit the organic cohesion of our questioning in relation to your teaching.

Otherwise I of course respect your command and will appear from now on only with Haydn. 2


With warmest greetings to you and Lie Lie
Your grateful
[signed:] Hans

January 14, 1924 3

© Translation Alison Hiley, 2009

Footnotes

1 Receipt of this letter is recorded in Schenker's diary at OJ 3/6, p. 2621, January 15, 1924: "Von Hans (Br.): gewundene Erwiderung, die unfreiwillig gerade das bestätigt, was ich ihm zum Vorwurf mache, z. B. wenn er schreibt: . . jede Lösung ein Beitrag zur Reife. – Meine Lösung trägt aber zu seiner Reife nichts bei, stillt nur die Neugier. Auch der Anspruch auf das Heimatgefühl legt seinen Eigennutz bloß: bequem ist es, überall wo man Vorteile hat zuhause zu sein, selbst aber niemand ein Heimatgefühl zu bieten." ("From Hans Weisse (letter): wounded reply, which unintentionally confirms precisely what I had reproached him about, e.g. when he writes: . . every solution is a contribution to maturity. – My solution though does not contribute anything to his maturity, but only awakens his curiosity. Also his pretensions to a sense of homeland merely expose his self-interest: it is convenient to be at home everywhere where one enjoys advantages, without offering anyone else a sense of home.").

2 It is not clear whether Weisse was working on a Haydn project (none is mentioned in any of the other letters), or whether he was using the composer’s name as a code for matters of a purely musical nature.

3 Enclosed with this letter is a handwritten copy of a letter from Franz Schubert to the publishers Cappi and Diabelli, identified by Weisse as No. 58 of the Briefe und Schriften Franz Schuberts, edited by Otto Erich Deutsch (Munich: Georg Müller, 1919). Schenker published this, word for word, in the "Vermischtes" (Miscellanea) of Das Meisterwerk in der Musik I (1925), pp. 217–18; Eng. trans., vol. I, p. 120. His postscript remark, "Heute wie gestern, die Cappi’s u. Diabelli’s sterben nicht aus" ("Today, as yesterday, the Cappis and Diabellis of the world are not dying out") is also pencilled at the end of Weisse’s copy of the letter.
That the Schubert letter was withheld for a year – it arrived in time to be included among the "Miscellanea" for Der Tonwille – suggests that it may have had an autobiographical resonance for Schenker. In 1923 and 1924 Schenker was going through a bitter legal wrangle with Emil Hertzka at Universal Edition, and for the Meisterwerk yearbooks he changed publishers. Weisse was aware of this dispute with Hertzka, as he refers to it in his next letter, OJ 15/16, [52], August 28, 1924.

Commentary

Format
3p letter, holograph message and signature
Provenance
Schenker, Heinrich (document date-1935)--Schenker, Jeanette (1935-c.1942)--Ratz, Erwin (c.1942-c.1945)--Jonas, Oswald (c.1945-1978)--University of California, Riverside (1978--)
Rights Holder
Heirs of Hans Weisse, reproduced with kind permission
License
Permission to publish granted on March 10, 2008 by the heirs of Hans Weisse. Any claim to intellectual rights on this document should be addressed to the Schenker Documents Online, Faculty of Music, University of Cambridge, at schenkercorrespondence[at]mus(dot)cam(dot)ac(dot)uk

Digital version created: 2011-10-27
Last updated: 2011-10-27