1. IX. 14
Seit langem der Himmel zum erstenmal bewölkt. *Die Nachrichten vom Kriegsschauplatz laufen echt oesterreichisch immer wieder erst auf günstige Stimmung aus; die Blätter sind voll Andeutungen auch günstigen Enderfolges, beschränken sich aber vorläufig darauf, Stimmung für die Stimmung zu machen. Und das ist wahrlich in Oesterreich sehr nötig, wo meine Trafikantin die Bedienerin, die um die „N. Fr. Pr.“ kommt, mit den Worten anschnauzt: „Sie versamen jo nix.“ – Auch die „N. Fr. Pr.“ hat übrigens Besseres zu tun, als den Krieg die erste Rolle spielen zu lassen: In echt englisch-krämerhafter Weise bringt sie auch heute {676} an erster Stelle wieder die Selbstberäucherung [sic] des Gedenkblattes. 1 Wendet man die eigenen Grundsätze der „N. Fr. Pr.“ an, die im ersten Artikel das Wichtigste des Tages „bespricht“ (bepredigt!), so ergibt sich, daß am 31. VIII. 2 u. 1. IX. 1914 3 als die wichtigsten Ereignisse der Monarchie offenbar das Jubilaeum des 50jährigen Bestandes der „N. Fr. Pr.“ gewesen [sind]. *Der engl. Krämer der Typus eines echten Krämers. Er begnügt sich mit der billigen Höchstleistung, Waren zu jonglieren u. streicht damit so viel Gewinn ein, daß er sich dann mit dem Geld Soldaten, Kunst, u. Unterhaltung überhaupt u. s. w. einkauft. dDie heiligsten Güter[,] die die Menschheit hat aus Eigenem u. in sich zu erzeugen hat, gerade darauf besteht er nicht; er will sie sich lieber mit dem krämerisch erbeuteten u. erwucherten Geld einfach wie Elefantenzähne u. andere Waren bei günstiger Gelegenheit einkaufen. In diesen Tagen liefert Bernard Shaw wohl die beste Charakteristik des Engländers, von dem er sagt, daß er „niemals ohne Grundsatz Grundsätze“ etwas tue, niemals ohne ein Gefühl der Pflicht, – nur wendet er als eben ein von allem Edlen u. Schönen verlassenes Tier die Grundsätze so an, wie es eben die materiellen Interessen erfordern. Jede schlechte Sache hat im Munde des Engländers einen schönen Namen u. einen trefflichen Grundsatz – Sso sehr ist noch die innere Natur des Engländers identisch mit dem Schlechten allein. Doch ist dies, wie gesagt, ein allgemeiner Krämerzug. So empfanden wir es beide bei unserem letzten Besuch bei Mendels 4 überaus schmerzlich, daß der Fabrikant, den wir doch immerhin für einen der klügsten Köpfe hielten, sich hinreißen ließ, zu sagen, daß begreiflicherweise das meiste Interesse am Krieg nur die Dynastie u. die ihr nahestehenden hohen u. höchsten Kreise haben. Dieses war die Antwort darauf, daß ich die Apathie gerade derjenigen Kreise hervorhob, für deren Interesse der Krieg eigentlich geführt wird. Es war also Herr Mendel noch nicht einmal imstande zu verstehen, daß er von der Stellung des Staates, in dem er lebt, Vorteile bezieht, die er z. B. in Montenegro oder Serbien, Griechenland, niemals haben könnte. Und trotzdem er solche Vorteile bezieht, weiß er nicht einmal, daß er dem Staat dafür Dank schuldet, u. glaubt, hier seine Reichtümer sammelnd, nur der Kaiser habe Interesse daran. Echt krämerhaft! (Auch der Engländer sammelt zuhause Reichtümer u. überläßt ihre Verteidigung bezahlten Soldaten. Es hätte also Herr Mendl nichts dagegen, wenn er hier seine Reichtümer sammeln, die Verteidigung aber, ohne selbst eingreifen zu müssen, auf die Dynastie schieben könnte!) *{677} © Transcription Marko Deisinger. |
September 1, 1914.
For the first time in a long time, a cloudy sky. *The news from the war zone is dispatched, in typical Austrian fashion, time and again proceeding favorably. The newspapers are full of hints, too, of a favorable end result, but for the time being restrict themselves to promoting a good mood. And that is truly necessary in Austria, where the proprietor at the corner shop snaps at my maid, who comes for the Neue freie Presse as follows: "You ain't missin' nothin'." – Even the Neue freie Presse has, moreover, better things to do than to make the war its principal concern. In a genuinely English-commercial way, it again leads, even today, {676} with its self-congratulatory commemorative supplement. 1 If one applies the basic principles of the Neue freie Presse , which "comments" (preaches!) on the most important matters of the day, then it emerges that the most important event in the monarchy on August 31 2 and September 1, 1914, 3 was, evidently, the 50th anniversary of the Neue freie Presse . *The English businessman as the archetypal businessman. He is content with an easy top achievement by juggling his wares, and stretches his profits out so much that he can purchase soldiers, art, entertainment etc. with it. He is not concerned with what are actually the most sacred goods that humanity can produce, on its own and from within itself: he would rather use commercially and usuriously gained money to buy into things like elephant tusks and other wares, when a favorable opportunity arises. Nowadays, Bernard Shaw probably conveys the best characterization of the Englishman, about whom he says that he "never does anything without basic principles," never without a feeling for obligation; like an animal bereft of all that is noble and beautiful, he only applies the basic principles as the material interests demand. In the mouth of the Englishman, every bad thing has a beautiful name and appropriate basic principles – the inner nature of the Englishman is so very much identical with only that which is bad. Yet this, as I have said, is a general characteristic of the businessman. Thus on our last visit to the Mendls 4 we found it thoroughly painful to see that the manufacturer, whom we had always regarded as one of the smartest minds, went so far as to say that, understandably, only the ruling family, and the high and highest circles near to it had the greatest interest in the war. This was the answer he gave when I highlighted the apathy of precisely those circles in whose interests the war is actually being fought. Thus Mr. Mendl was not even capable of understanding that he gains advantages from the standing of the state in which he lives which he could never have in, say, Montenegro, or Serbia, or Greece. And in spite of deriving such advantages, he does not know at all that he owes his gratitude to the state for this; he believes that, as he amasses his wealth here, only the Emperor is interested in it. So business-like! (The Englishman, too, amasses wealth at home and leaves the defense of it to paid soldiers. Thus Mr. Mendl would have no objection to amassing his wealth here but to shift the responsibility of defending it – without having to get involved himself – to the ruling family!) *{677} © Translation William Drabkin. |
1. IX. 14
Seit langem der Himmel zum erstenmal bewölkt. *Die Nachrichten vom Kriegsschauplatz laufen echt oesterreichisch immer wieder erst auf günstige Stimmung aus; die Blätter sind voll Andeutungen auch günstigen Enderfolges, beschränken sich aber vorläufig darauf, Stimmung für die Stimmung zu machen. Und das ist wahrlich in Oesterreich sehr nötig, wo meine Trafikantin die Bedienerin, die um die „N. Fr. Pr.“ kommt, mit den Worten anschnauzt: „Sie versamen jo nix.“ – Auch die „N. Fr. Pr.“ hat übrigens Besseres zu tun, als den Krieg die erste Rolle spielen zu lassen: In echt englisch-krämerhafter Weise bringt sie auch heute {676} an erster Stelle wieder die Selbstberäucherung [sic] des Gedenkblattes. 1 Wendet man die eigenen Grundsätze der „N. Fr. Pr.“ an, die im ersten Artikel das Wichtigste des Tages „bespricht“ (bepredigt!), so ergibt sich, daß am 31. VIII. 2 u. 1. IX. 1914 3 als die wichtigsten Ereignisse der Monarchie offenbar das Jubilaeum des 50jährigen Bestandes der „N. Fr. Pr.“ gewesen [sind]. *Der engl. Krämer der Typus eines echten Krämers. Er begnügt sich mit der billigen Höchstleistung, Waren zu jonglieren u. streicht damit so viel Gewinn ein, daß er sich dann mit dem Geld Soldaten, Kunst, u. Unterhaltung überhaupt u. s. w. einkauft. dDie heiligsten Güter[,] die die Menschheit hat aus Eigenem u. in sich zu erzeugen hat, gerade darauf besteht er nicht; er will sie sich lieber mit dem krämerisch erbeuteten u. erwucherten Geld einfach wie Elefantenzähne u. andere Waren bei günstiger Gelegenheit einkaufen. In diesen Tagen liefert Bernard Shaw wohl die beste Charakteristik des Engländers, von dem er sagt, daß er „niemals ohne Grundsatz Grundsätze“ etwas tue, niemals ohne ein Gefühl der Pflicht, – nur wendet er als eben ein von allem Edlen u. Schönen verlassenes Tier die Grundsätze so an, wie es eben die materiellen Interessen erfordern. Jede schlechte Sache hat im Munde des Engländers einen schönen Namen u. einen trefflichen Grundsatz – Sso sehr ist noch die innere Natur des Engländers identisch mit dem Schlechten allein. Doch ist dies, wie gesagt, ein allgemeiner Krämerzug. So empfanden wir es beide bei unserem letzten Besuch bei Mendels 4 überaus schmerzlich, daß der Fabrikant, den wir doch immerhin für einen der klügsten Köpfe hielten, sich hinreißen ließ, zu sagen, daß begreiflicherweise das meiste Interesse am Krieg nur die Dynastie u. die ihr nahestehenden hohen u. höchsten Kreise haben. Dieses war die Antwort darauf, daß ich die Apathie gerade derjenigen Kreise hervorhob, für deren Interesse der Krieg eigentlich geführt wird. Es war also Herr Mendel noch nicht einmal imstande zu verstehen, daß er von der Stellung des Staates, in dem er lebt, Vorteile bezieht, die er z. B. in Montenegro oder Serbien, Griechenland, niemals haben könnte. Und trotzdem er solche Vorteile bezieht, weiß er nicht einmal, daß er dem Staat dafür Dank schuldet, u. glaubt, hier seine Reichtümer sammelnd, nur der Kaiser habe Interesse daran. Echt krämerhaft! (Auch der Engländer sammelt zuhause Reichtümer u. überläßt ihre Verteidigung bezahlten Soldaten. Es hätte also Herr Mendl nichts dagegen, wenn er hier seine Reichtümer sammeln, die Verteidigung aber, ohne selbst eingreifen zu müssen, auf die Dynastie schieben könnte!) *{677} © Transcription Marko Deisinger. |
September 1, 1914.
For the first time in a long time, a cloudy sky. *The news from the war zone is dispatched, in typical Austrian fashion, time and again proceeding favorably. The newspapers are full of hints, too, of a favorable end result, but for the time being restrict themselves to promoting a good mood. And that is truly necessary in Austria, where the proprietor at the corner shop snaps at my maid, who comes for the Neue freie Presse as follows: "You ain't missin' nothin'." – Even the Neue freie Presse has, moreover, better things to do than to make the war its principal concern. In a genuinely English-commercial way, it again leads, even today, {676} with its self-congratulatory commemorative supplement. 1 If one applies the basic principles of the Neue freie Presse , which "comments" (preaches!) on the most important matters of the day, then it emerges that the most important event in the monarchy on August 31 2 and September 1, 1914, 3 was, evidently, the 50th anniversary of the Neue freie Presse . *The English businessman as the archetypal businessman. He is content with an easy top achievement by juggling his wares, and stretches his profits out so much that he can purchase soldiers, art, entertainment etc. with it. He is not concerned with what are actually the most sacred goods that humanity can produce, on its own and from within itself: he would rather use commercially and usuriously gained money to buy into things like elephant tusks and other wares, when a favorable opportunity arises. Nowadays, Bernard Shaw probably conveys the best characterization of the Englishman, about whom he says that he "never does anything without basic principles," never without a feeling for obligation; like an animal bereft of all that is noble and beautiful, he only applies the basic principles as the material interests demand. In the mouth of the Englishman, every bad thing has a beautiful name and appropriate basic principles – the inner nature of the Englishman is so very much identical with only that which is bad. Yet this, as I have said, is a general characteristic of the businessman. Thus on our last visit to the Mendls 4 we found it thoroughly painful to see that the manufacturer, whom we had always regarded as one of the smartest minds, went so far as to say that, understandably, only the ruling family, and the high and highest circles near to it had the greatest interest in the war. This was the answer he gave when I highlighted the apathy of precisely those circles in whose interests the war is actually being fought. Thus Mr. Mendl was not even capable of understanding that he gains advantages from the standing of the state in which he lives which he could never have in, say, Montenegro, or Serbia, or Greece. And in spite of deriving such advantages, he does not know at all that he owes his gratitude to the state for this; he believes that, as he amasses his wealth here, only the Emperor is interested in it. So business-like! (The Englishman, too, amasses wealth at home and leaves the defense of it to paid soldiers. Thus Mr. Mendl would have no objection to amassing his wealth here but to shift the responsibility of defending it – without having to get involved himself – to the ruling family!) *{677} © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 "Ein Gedenkblatt der „Neuen Freien Presse“. Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung," Neue Freie Presse, No. 17965, August 30, 1914, morning edition, pp. 127–142. 2 "Die Gedenkfeier der „Neuen Freien Presse“," Neue Freie Presse, No. 17966, August 31, 1914, afternoon edition, p. 1. 3 "Die Gedenkfeier der „Neuen Freien Presse“. Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung," Neue Freie Presse, No. 17967, September 1, 1914, morning edition, p. 1. 4 The visit to Mendl's place occurred two days earlier: see the diary entry for [ August 30, 1914]. |