28. VI. 16 13°, leicht bewölkt, schön aber kühl.
— An Fl. (pn. K.); teile unseren Entschluß mit, hier zu bleiben u. frage wegen Freitag oder Samstag an. — — An Weisse (K.); Wünsche für fortschreitende Genesung. — An Pairamall (Br.); Erkundigung nach Befinden. — Blumen zum Gärtner transportiert. — Von Brünauer Geld u. Schirm erhalten. — *Im Peters-Jahrbuch 1914–15 1 finde ich Entlehnungen meiner Beethoven Sonaten angegeben. Zugleich folgendes Kuriosum: Schönberg figurierte noch im Jahre 1914 mit 44 Entlehnungen der Harmonielehre; wie der Katalog erweist, scheint aber sofort bei Kriegsausbruch sich alle Flut verzogen zu haben, denn in der Folge reißt der Name Schönberg plötzlich ab ! . Der Einsichtige mag sich nun selbst die ungesunde Grundlage ausmalen, die so viele Entleiher {314} vor dem Kriege zu Schönberg getrieben hatten. — *Zu Lie-Liechen: Der Magen nimmt alles zu sich; er scheint von Natur aus so eingerichtet zu sein, daß er, unkritisch gehalten, auch für Fälle der Not gerüstet bleibt. Kritischer ist schon der Gaumen. Dem Magen genügt es, blos seine Nerven in Tätigkeit zu wissen; gewissermaßen gerät er dann in freudige Erregung über diese Tätigkeit überhaupt, eine Erregung, die sich als Freude auch den übrigen Nerven mitteilt. In diesem Sinne behält der Magen allezeit Recht vor dem Gaumen. Davon allein, was dem Gaumen mundet, kann könnte der Magen vielleicht nicht leben, noch weniger fröhlich sein. Der Gaumen muß unter Umständen Konzessionen an den G Magen machen u. nur dieser behält die elementare Einrichtung, um jeden Preis seine Nerven in Tätigkeit zu wissen. Ja, es waltet sogar eine Analogie zu den Genitalien hinüber: Kritisch ist in sexuellen Verhältnissen doch nur der Geist, gleichsam der Gaumen der Genitalien, wogegen die Genitalien selbst sich leider wenig kritisch verhalten u. unter allen Umständen nur auf kritiklose Befriedigung ihrer Reize drängen. — *Zu Rothberger; diesmal wickelt sich Hin- u. Herfahrt anstandslos u. standesgemäß ab. Ein grotesker Augenblick war es, da Herr R. mich während der Fahrt plötzlich mit einer Geste wärmster Fürsorge davor warnte, mich so unausgesetzter Arbeit zu ergeben; es sei ja doch Alles nicht der Mühe wert, u. fügte als Beweis eine Unterredung seiner Gattin mit dem Komponisten Herrn Bittner an, der in allen meinen Bestrebungen schließlich nichts anderes als ein Ringen um Kleinigkeiten sehen wollte, die für die Hauptsache gar nicht in Frage kommen kämen. Man sieht, wie unausrottbar im Kleinen der eitle Drang nach angeblich großen Zielen wühlt, ohne daß er ahnt, wie er zum wirklich Großen in der Kunst doch nur auf dem Wege {315} über die Details kommen kann. Nicht minder lehrreich war die Suggestion, die der eine Durchschnittsmensch dem andern mitteilt. im Grunde genommen lief Rothbergers Fürsorge auf die Antwort jenes seligen Herrn Löwinger in St. Anton hinaus, der, als er von mir erfuhr, daß ich von meinen Arbeiten gar nichts habe, mit gelassenstem Börsianergemüt erklärte: „Ich würde nichts machen, wenn ich davon nichts hätte.“ – Erst gegen 12h waren wir zuhause. — — Inzwischen kam von Brünauer ein Packet [sic] mit Süßigkeiten u. einer Bitte um leihweise Ueberlassung der G-dur-Partitur. *
© Transcription Marko Deisinger. |
June 28, 1916. 13°, partly cloudy, fair but cool.
— To Floriz (pneumatic postcard); I share our decision to remain here and ask him about Friday or Saturday. — — Postcard to Weisse; best wishes for continued recovery. — Letter to Pairamall; enquiry about her health. — Flowers delivered to Gärtner. — Money and umbrella received from Brünauer. — *In the Peters Yearbook for 1914–15 1 I find borrowings of my editions of Beethoven sonatas. At the same time, the following curiosity: Schoenberg continues to figure in 1914, with 44 borrowings of his Harmonielehre; but, as the catalog shows, at the outbreak of war the entire flood disappeared, for subsequently the name Schoenberg is suddenly taken down. A perceptive person might imagine for himself the unsound basis that had driven so many borrowers to Schoenberg before the war. – {314} *To Lie-Liechen: the stomach ingests everything; it appears by nature to be so constituted that, when uncritically managed, it remains prepared even in cases of need. More critical, however, is the palate. It is enough to be able to keep the nerves of the stomach active; to a certain extent it will then become joyfully excited about this activity in general, an excitement which it will communicate as a joy even to the other nerves. In this sense, the stomach is at all times proved right with respect to the palate. On that which reaches the palate alone, the stomach could probably not live, still less could it be happy. The palate must, at times, make concessions to the stomach; and only the latter possesses the elementary facility to keep its nerves active at all costs. Indeed, the analogy may even be transferred to the genitals. In sexual relationships, only the intellect – the palate of the genitals – is critical; by contrast, the genitals themselves unfortunately have little discriminatory power and, in any event, press merely for the uncritical satisfaction of their charms. — *To the Rothbergers; this time the trip there and back proceeds without incident and according to plan. It was a grotesque moment during the trip when Rothberger suddenly warned me, in a gesture of the warmest concern, against dedicating myself to such incessant work; it is all not really worth the trouble, he said, adding as proof a conversation his wife had had with the composer Bittner, who could see in all my efforts ultimately nothing more than a struggle for details that were of no consequence at all to the main matter. One sees how ineradicably the vain drive towards ostensibly great goals is rooted in a small person, without his realizing that he can arrive at true greatness in art only by way of the details. {315} No less instructive was the suggestion that one mediocre person will communicate to another. Essentially Rothberger's concern boils down to the answer given by the late Mr. Löwinger in St. Anton when he learned from me that I get nothing at all from my works, he replied with the most relaxed composure of a stock exchange operator: "I would do nothing if I received nothing for it." – We do not get home until midnight. — In the meantime, a package of candies arrived from Brünauer, with a request to borrow the G major score. *
© Translation William Drabkin. |
28. VI. 16 13°, leicht bewölkt, schön aber kühl.
— An Fl. (pn. K.); teile unseren Entschluß mit, hier zu bleiben u. frage wegen Freitag oder Samstag an. — — An Weisse (K.); Wünsche für fortschreitende Genesung. — An Pairamall (Br.); Erkundigung nach Befinden. — Blumen zum Gärtner transportiert. — Von Brünauer Geld u. Schirm erhalten. — *Im Peters-Jahrbuch 1914–15 1 finde ich Entlehnungen meiner Beethoven Sonaten angegeben. Zugleich folgendes Kuriosum: Schönberg figurierte noch im Jahre 1914 mit 44 Entlehnungen der Harmonielehre; wie der Katalog erweist, scheint aber sofort bei Kriegsausbruch sich alle Flut verzogen zu haben, denn in der Folge reißt der Name Schönberg plötzlich ab ! . Der Einsichtige mag sich nun selbst die ungesunde Grundlage ausmalen, die so viele Entleiher {314} vor dem Kriege zu Schönberg getrieben hatten. — *Zu Lie-Liechen: Der Magen nimmt alles zu sich; er scheint von Natur aus so eingerichtet zu sein, daß er, unkritisch gehalten, auch für Fälle der Not gerüstet bleibt. Kritischer ist schon der Gaumen. Dem Magen genügt es, blos seine Nerven in Tätigkeit zu wissen; gewissermaßen gerät er dann in freudige Erregung über diese Tätigkeit überhaupt, eine Erregung, die sich als Freude auch den übrigen Nerven mitteilt. In diesem Sinne behält der Magen allezeit Recht vor dem Gaumen. Davon allein, was dem Gaumen mundet, kann könnte der Magen vielleicht nicht leben, noch weniger fröhlich sein. Der Gaumen muß unter Umständen Konzessionen an den G Magen machen u. nur dieser behält die elementare Einrichtung, um jeden Preis seine Nerven in Tätigkeit zu wissen. Ja, es waltet sogar eine Analogie zu den Genitalien hinüber: Kritisch ist in sexuellen Verhältnissen doch nur der Geist, gleichsam der Gaumen der Genitalien, wogegen die Genitalien selbst sich leider wenig kritisch verhalten u. unter allen Umständen nur auf kritiklose Befriedigung ihrer Reize drängen. — *Zu Rothberger; diesmal wickelt sich Hin- u. Herfahrt anstandslos u. standesgemäß ab. Ein grotesker Augenblick war es, da Herr R. mich während der Fahrt plötzlich mit einer Geste wärmster Fürsorge davor warnte, mich so unausgesetzter Arbeit zu ergeben; es sei ja doch Alles nicht der Mühe wert, u. fügte als Beweis eine Unterredung seiner Gattin mit dem Komponisten Herrn Bittner an, der in allen meinen Bestrebungen schließlich nichts anderes als ein Ringen um Kleinigkeiten sehen wollte, die für die Hauptsache gar nicht in Frage kommen kämen. Man sieht, wie unausrottbar im Kleinen der eitle Drang nach angeblich großen Zielen wühlt, ohne daß er ahnt, wie er zum wirklich Großen in der Kunst doch nur auf dem Wege {315} über die Details kommen kann. Nicht minder lehrreich war die Suggestion, die der eine Durchschnittsmensch dem andern mitteilt. im Grunde genommen lief Rothbergers Fürsorge auf die Antwort jenes seligen Herrn Löwinger in St. Anton hinaus, der, als er von mir erfuhr, daß ich von meinen Arbeiten gar nichts habe, mit gelassenstem Börsianergemüt erklärte: „Ich würde nichts machen, wenn ich davon nichts hätte.“ – Erst gegen 12h waren wir zuhause. — — Inzwischen kam von Brünauer ein Packet [sic] mit Süßigkeiten u. einer Bitte um leihweise Ueberlassung der G-dur-Partitur. *
© Transcription Marko Deisinger. |
June 28, 1916. 13°, partly cloudy, fair but cool.
— To Floriz (pneumatic postcard); I share our decision to remain here and ask him about Friday or Saturday. — — Postcard to Weisse; best wishes for continued recovery. — Letter to Pairamall; enquiry about her health. — Flowers delivered to Gärtner. — Money and umbrella received from Brünauer. — *In the Peters Yearbook for 1914–15 1 I find borrowings of my editions of Beethoven sonatas. At the same time, the following curiosity: Schoenberg continues to figure in 1914, with 44 borrowings of his Harmonielehre; but, as the catalog shows, at the outbreak of war the entire flood disappeared, for subsequently the name Schoenberg is suddenly taken down. A perceptive person might imagine for himself the unsound basis that had driven so many borrowers to Schoenberg before the war. – {314} *To Lie-Liechen: the stomach ingests everything; it appears by nature to be so constituted that, when uncritically managed, it remains prepared even in cases of need. More critical, however, is the palate. It is enough to be able to keep the nerves of the stomach active; to a certain extent it will then become joyfully excited about this activity in general, an excitement which it will communicate as a joy even to the other nerves. In this sense, the stomach is at all times proved right with respect to the palate. On that which reaches the palate alone, the stomach could probably not live, still less could it be happy. The palate must, at times, make concessions to the stomach; and only the latter possesses the elementary facility to keep its nerves active at all costs. Indeed, the analogy may even be transferred to the genitals. In sexual relationships, only the intellect – the palate of the genitals – is critical; by contrast, the genitals themselves unfortunately have little discriminatory power and, in any event, press merely for the uncritical satisfaction of their charms. — *To the Rothbergers; this time the trip there and back proceeds without incident and according to plan. It was a grotesque moment during the trip when Rothberger suddenly warned me, in a gesture of the warmest concern, against dedicating myself to such incessant work; it is all not really worth the trouble, he said, adding as proof a conversation his wife had had with the composer Bittner, who could see in all my efforts ultimately nothing more than a struggle for details that were of no consequence at all to the main matter. One sees how ineradicably the vain drive towards ostensibly great goals is rooted in a small person, without his realizing that he can arrive at true greatness in art only by way of the details. {315} No less instructive was the suggestion that one mediocre person will communicate to another. Essentially Rothberger's concern boils down to the answer given by the late Mr. Löwinger in St. Anton when he learned from me that I get nothing at all from my works, he replied with the most relaxed composure of a stock exchange operator: "I would do nothing if I received nothing for it." – We do not get home until midnight. — In the meantime, a package of candies arrived from Brünauer, with a request to borrow the G major score. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Jahrbuch der Musikbibliothek Peters 21-22 (1914-15). A clipping from this book is preserved in Schenker's scrapbook, OC 2/p. 49. |