7. IX. 16
Ankunft in Wien, nach schwer durchwachter Nacht! Regen!! Die Schwierigkeit, zu eine ms Wagens zu gelangen habhaft zu werden, legt uns nahe, den ersten besten zu benutzen, um nur, u. sei es auch ohne Frühstück, vor allem das Gepäck zuhause abzusetzen. Schließlich lassen wir uns ins Caféhaus führen, auch ohne daß wir uns gewaschen haben, da wir die Frühstücksstunde nicht gar so weit hinausschieben wollten. – Unser erster Weg galt dann der Versorgung von Milch. In einem ungelüfteten Corridor ist eine große Menge von Frauen aller Stände versammelt, die beim Inspektor ihr Anliegen vorzubringen wünschen. Es fällt {411} überaus unangenehm auf, daß derselbe manche Kundin ungewöhnlich lange behält, wofür nach allen Mutmaßungen, die wir nur haben können, kein vernünftiger Grund vorliegt. Da hieß es mit Geduld ausharren! Schließlich kam auch an uns die Reihe u. es gelang Lie-Liechen ihren ½ l Milch wieder neu zu erobern. – Nun erst machten wir den Weg zu meiner Brotkommission. Hier wurde meine Bitte um Erhöhung der Brotration abgewiesen, weil im Sinne der Verordnung eine solche nur „körperlich schwer arbeitenden“ Menschen zugedacht ist! – Endlich erst gewaschen u. zu Tisch! Die Preise fanden wir wieder erhöht: ein Rindfleisch 2.60 Kronen, jede Mehlspeise 70 Heller, Braten 2.80–3.00 Kronen!! Wer erklärt nun aber diesen Widerspruch zwischen Innsbruck u. Wien? — *VonOJ 9/32, [35] Cotta M. 156.87. — Von Karpath Bf: eine Besprechung der „IX“, op. 109, 110 im „Kunstwart“ („Deutscher Wille“) von einem mir nicht bekannten Schriftsteller, 1 mit Anmerkung eines Grußes von Karp. Der Referent hat bereits zumindest die Höhe gewonnen, im Gegensatz zu seinen Vorgängern die im Rezensieramte meine Polemik nicht nur als blos berechtigt zu erkennen, sondern auch als einen integrierenden Teil der Arbeit, dessen Studium er dringend empfiehlt. Er gibt des weiteren zu, daß meine Arbeit der Hermeneutik eines Kretzschmar ein Ende bereite u. – was wohl das Erfreulichste ist – er bleibt zumindest in diesem Aufsatz sich selbst mindestens so weit konsequent treu, daß er Werke andere Autoren, deren er nach mir den meinen noch erwähnt, tadelt, soweit sie entgegengesetzten Charakter als die meinen tragen zeigen. Somit wäre der polemische Teil bereits als wesentlich erkannt worden; nNur noch der moralische Teil scheint dem Referenten aus der Rolle zu fallen. ; Nnichtsdestoweniger bleibe ich der festen Ueberzeugung, daß die Erkenntnis des Zusammenhanges, in dem auch dieser Teil zu den übrigen alle Teilen meiner Arbeiten stehe nt, bald aufdämmern wird! *Von Fr. Colbert längerer Brief mit Absage, u. auf Grund mehrerer von weit u. nah hergeholte rn Motivierung Motive. Es ist besteht für mich kein Zweifel, daß nur die augenblickliche Verschärfung des Krieges, {412} die durch Rumänien mit verursacht wurde, 2 sie in überflüssig ängstliche Sorgen gestürzt hat u. daß sie aus Angst vor der Zukunft lieber vorsichtshalber an der Musik sparen wollte! — — An Herrn Karpath: Hertzka (K.WSLB 274): teile ihm vom über den Aufsatz im „Kunstwart“ 3 mit. — — An Fr. Deutsch (K.): auch ihr deute ich den heute erhaltenen Aufsatz 4 an! — — Lie-Liechen kann keine Butter auftreiben! — *Extraausgabe: Ungewöhnlich große Niederlage der Rumänen, Eroberung der Feste Tutrakan , u. ungewöhnlich große Siegesbeute! 5 So wäre denn gar rasch der erste Schlag für Rumänien eingetroffen, der, sowie er genug dazu angetan wird einerseits eine moralische Depression bei den Rumänen zu verursachen, anderseits die Russen zu einer unendlich gesteigerten Mitwirkung zu zwingen wird, was beides aber den Oesterreichern u. Deutschen an anderen Stellen nur umso angenehmer fallen wird. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 7, 1916,
arrival in Vienna, after a difficult, sleepless night! Rain!! The difficulty of getting hold of a coach prompts us to use the first best one to leave our luggage at home, even if it means going without breakfast. In the end we are conveyed to the coffee house without having washed ourselves, as we did not want to delay the breakfast hour by too much. Our first errand, then, was to obtain some milk. In an unventilated corridor, a great crowd of women of all rank has gathered, who wish to present their concerns to the inspector. {411} It makes a thoroughly poor impression that this same person is keeping many customers for a long time, for which there not reasonable grounds are apparent as far as we can tell, in spite of all our conjectures. We just have to wait patiently! Finally it was our turn, and Lie-Liechen succeeded in seizing her half liter of milk once again. – Only then did we make our way to my bread commission. Here my request for raising the bread ration was turned down, for the regulations stipulate that this is intended only "for those who do heavy physical labor"! – Finally, we have a wash and go to lunch! We found the prices raised again: a beef dish costs 2.60 Kronen, each dessert 70 Heller, roast beef 2.80–3.00 Kronen!! But how is the contradiction between Innsbruck and Vienna to be explained? — *FromOJ 9/32, [35] Cotta, 156.87 marks. — Letter from Karpath: a review of the Ninth Symphony , Op. 109 , and Op. 110 in Der Kunstwart (Deutsche Wille), by a writer unknown to me, 1 with note of a greeting from Karpath. The reviewer has at least gained the vantage point, in contrast to his predecessors, of fulfilling his duty as a critic to accept my polemics not merely as justified but also as an integral part of my work, the study of which he urgently recommends. He further admits that my work prepares the way for the end of Kretzschmarian hermeneutics and – what is perhaps the most gratifying thing – he remains faithful to himself in this article at least by criticizing works of other authors, who he still mentions after discussing mine, insofar as they reveal a character that is opposed to my works. It is only the moral character that the reviewer appears to misjudge; nonetheless I am firmly convinced that the recognition that even this part of my work is connected to the others will soon come to light! *From Mrs. Colbert, a long letter with cancellation, on the basis of several motives drawn from near and far. I am in no doubt that only the present intensification of the war, {412} brought about by Romania, 2 has plunged her into overanxious concerns and that, out of fear for the future, she wanted to economize in music! — — PostcardWSLB 274 to Hertzka: I tell him about the article in Der Kunstwart . 3 — — Postcard to Mrs. Deutsch: I refer her, too, to the article 4 received today! — — Lie-Liechen cannot obtain any butter! — *Extra edition: unusually great defeat of the Romanians; overpowering of the Tutrakan fortification, unusually large victory spoils! 5 Thus the first strike against Romania arrives quite quickly, one which will be calculated, on the one hand, to cause a moral depression among the Romanians and, on the other hand, to force the Russians into an infinitely heightened collaboration, both of which will only work to the benefit of the Austrians and Germans. — *
© Translation William Drabkin. |
7. IX. 16
Ankunft in Wien, nach schwer durchwachter Nacht! Regen!! Die Schwierigkeit, zu eine ms Wagens zu gelangen habhaft zu werden, legt uns nahe, den ersten besten zu benutzen, um nur, u. sei es auch ohne Frühstück, vor allem das Gepäck zuhause abzusetzen. Schließlich lassen wir uns ins Caféhaus führen, auch ohne daß wir uns gewaschen haben, da wir die Frühstücksstunde nicht gar so weit hinausschieben wollten. – Unser erster Weg galt dann der Versorgung von Milch. In einem ungelüfteten Corridor ist eine große Menge von Frauen aller Stände versammelt, die beim Inspektor ihr Anliegen vorzubringen wünschen. Es fällt {411} überaus unangenehm auf, daß derselbe manche Kundin ungewöhnlich lange behält, wofür nach allen Mutmaßungen, die wir nur haben können, kein vernünftiger Grund vorliegt. Da hieß es mit Geduld ausharren! Schließlich kam auch an uns die Reihe u. es gelang Lie-Liechen ihren ½ l Milch wieder neu zu erobern. – Nun erst machten wir den Weg zu meiner Brotkommission. Hier wurde meine Bitte um Erhöhung der Brotration abgewiesen, weil im Sinne der Verordnung eine solche nur „körperlich schwer arbeitenden“ Menschen zugedacht ist! – Endlich erst gewaschen u. zu Tisch! Die Preise fanden wir wieder erhöht: ein Rindfleisch 2.60 Kronen, jede Mehlspeise 70 Heller, Braten 2.80–3.00 Kronen!! Wer erklärt nun aber diesen Widerspruch zwischen Innsbruck u. Wien? — *VonOJ 9/32, [35] Cotta M. 156.87. — Von Karpath Bf: eine Besprechung der „IX“, op. 109, 110 im „Kunstwart“ („Deutscher Wille“) von einem mir nicht bekannten Schriftsteller, 1 mit Anmerkung eines Grußes von Karp. Der Referent hat bereits zumindest die Höhe gewonnen, im Gegensatz zu seinen Vorgängern die im Rezensieramte meine Polemik nicht nur als blos berechtigt zu erkennen, sondern auch als einen integrierenden Teil der Arbeit, dessen Studium er dringend empfiehlt. Er gibt des weiteren zu, daß meine Arbeit der Hermeneutik eines Kretzschmar ein Ende bereite u. – was wohl das Erfreulichste ist – er bleibt zumindest in diesem Aufsatz sich selbst mindestens so weit konsequent treu, daß er Werke andere Autoren, deren er nach mir den meinen noch erwähnt, tadelt, soweit sie entgegengesetzten Charakter als die meinen tragen zeigen. Somit wäre der polemische Teil bereits als wesentlich erkannt worden; nNur noch der moralische Teil scheint dem Referenten aus der Rolle zu fallen. ; Nnichtsdestoweniger bleibe ich der festen Ueberzeugung, daß die Erkenntnis des Zusammenhanges, in dem auch dieser Teil zu den übrigen alle Teilen meiner Arbeiten stehe nt, bald aufdämmern wird! *Von Fr. Colbert längerer Brief mit Absage, u. auf Grund mehrerer von weit u. nah hergeholte rn Motivierung Motive. Es ist besteht für mich kein Zweifel, daß nur die augenblickliche Verschärfung des Krieges, {412} die durch Rumänien mit verursacht wurde, 2 sie in überflüssig ängstliche Sorgen gestürzt hat u. daß sie aus Angst vor der Zukunft lieber vorsichtshalber an der Musik sparen wollte! — — An Herrn Karpath: Hertzka (K.WSLB 274): teile ihm vom über den Aufsatz im „Kunstwart“ 3 mit. — — An Fr. Deutsch (K.): auch ihr deute ich den heute erhaltenen Aufsatz 4 an! — — Lie-Liechen kann keine Butter auftreiben! — *Extraausgabe: Ungewöhnlich große Niederlage der Rumänen, Eroberung der Feste Tutrakan , u. ungewöhnlich große Siegesbeute! 5 So wäre denn gar rasch der erste Schlag für Rumänien eingetroffen, der, sowie er genug dazu angetan wird einerseits eine moralische Depression bei den Rumänen zu verursachen, anderseits die Russen zu einer unendlich gesteigerten Mitwirkung zu zwingen wird, was beides aber den Oesterreichern u. Deutschen an anderen Stellen nur umso angenehmer fallen wird. — *
© Transcription Marko Deisinger. |
September 7, 1916,
arrival in Vienna, after a difficult, sleepless night! Rain!! The difficulty of getting hold of a coach prompts us to use the first best one to leave our luggage at home, even if it means going without breakfast. In the end we are conveyed to the coffee house without having washed ourselves, as we did not want to delay the breakfast hour by too much. Our first errand, then, was to obtain some milk. In an unventilated corridor, a great crowd of women of all rank has gathered, who wish to present their concerns to the inspector. {411} It makes a thoroughly poor impression that this same person is keeping many customers for a long time, for which there not reasonable grounds are apparent as far as we can tell, in spite of all our conjectures. We just have to wait patiently! Finally it was our turn, and Lie-Liechen succeeded in seizing her half liter of milk once again. – Only then did we make our way to my bread commission. Here my request for raising the bread ration was turned down, for the regulations stipulate that this is intended only "for those who do heavy physical labor"! – Finally, we have a wash and go to lunch! We found the prices raised again: a beef dish costs 2.60 Kronen, each dessert 70 Heller, roast beef 2.80–3.00 Kronen!! But how is the contradiction between Innsbruck and Vienna to be explained? — *FromOJ 9/32, [35] Cotta, 156.87 marks. — Letter from Karpath: a review of the Ninth Symphony , Op. 109 , and Op. 110 in Der Kunstwart (Deutsche Wille), by a writer unknown to me, 1 with note of a greeting from Karpath. The reviewer has at least gained the vantage point, in contrast to his predecessors, of fulfilling his duty as a critic to accept my polemics not merely as justified but also as an integral part of my work, the study of which he urgently recommends. He further admits that my work prepares the way for the end of Kretzschmarian hermeneutics and – what is perhaps the most gratifying thing – he remains faithful to himself in this article at least by criticizing works of other authors, who he still mentions after discussing mine, insofar as they reveal a character that is opposed to my works. It is only the moral character that the reviewer appears to misjudge; nonetheless I am firmly convinced that the recognition that even this part of my work is connected to the others will soon come to light! *From Mrs. Colbert, a long letter with cancellation, on the basis of several motives drawn from near and far. I am in no doubt that only the present intensification of the war, {412} brought about by Romania, 2 has plunged her into overanxious concerns and that, out of fear for the future, she wanted to economize in music! — — PostcardWSLB 274 to Hertzka: I tell him about the article in Der Kunstwart . 3 — — Postcard to Mrs. Deutsch: I refer her, too, to the article 4 received today! — — Lie-Liechen cannot obtain any butter! — *Extra edition: unusually great defeat of the Romanians; overpowering of the Tutrakan fortification, unusually large victory spoils! 5 Thus the first strike against Romania arrives quite quickly, one which will be calculated, on the one hand, to cause a moral depression among the Romanians and, on the other hand, to force the Russians into an infinitely heightened collaboration, both of which will only work to the benefit of the Austrians and Germans. — *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 D. R., "Neue Bücher über Musik 2. Einzelne Werke und Gesamtwerke," Deutscher Wille des Kunstwarts, No. 23, September 1916, 29th year, pp. 209-210; a clipping is preserved in Schenker's scrapbook as OC 2/p. 50. 2 At the end of August 1916, the Kingdom of Romania entered the First World War on the side of the Entente, against the Central Powers. 3 See footnote 1 4 See footnote 1 5 "Tutrakan im Sturm genommen. Ueber 20.000 Gefangene. – Ueber 100 Geschütze erbeutet," Wiener Allgemeine Zeitung, September 7, 1916, special edition, p. 1. The Battle of Tutrakan (Turtucaia) was the opening battle of the first Central Powers offensive against the Kingdom of Romania, which had entered the war on the side of the Entente in late August 1916. The battle lasted for five days (2–6 September 1916) and ended with the capture of the fortress of Tutrakan and the surrender of its Romanian defenders. |