22. XII. 16 +1°, Nebel!
— An Fr. D. Brief durch die Hausbesorgerin, es sei mir dennoch un- {547} möglich zu kommen, ich wäre aber bereit, mit Lie-Liechen morgen, Samstag, bei ihr einzutreffen. — Mama Brünauer läßt das bei mir schon lange erliegende Packet [sic] abholen u. ladet mich mit einigen freundlichen Worten zu einem „bescheidenen Kriegsabendbrot“ ein. — Mit meinem Brief an Frau D. kreuzte sich ein Brief an von ihr in Lie-Liechens Wohnung, worin sie auch ihrerseits von der Stunde um ½11h absteht, da sie ohnehin nicht gut spielen könne; zugleich kündigt sie uns den ursprünglich eben für den Mittagstisch bestimmt gewesenen Karpfen an. — Mittelmann im Caféhaus (10 Kronen). — Weisse kommt aber nicht, auch keinerlei Absage seinerseits. Nun Karte an ihn, er möge selbst einen Vorschlag machen. — An Tante (Br.): erkläre mich außerstande, irgendwie ihrem Wunsche entsprechen zu können ; u. führe Gründe an. — An Floriz (K.OJ 8/3, [19]): teile mit, daß ich Hans noch immer nicht gesehen habe. — Lie-Liechen muß sich nun selbst das Fenster verdichten lassen (5 Kronen!); von solchem Pflichtversäumniß der Vermieterin hebt sich desto eigentümlicher davon die ihre Mitteilung der Vermieterin ab, daß sie für mehrere Tage eine WeihnachtsFerienreise anzutreten gedenke. Diese Reise dürfte doch wohl nur aus vielen ähnlichen erschlichenen 5 Kronen zusammengesetzt sein. — — Brahms–Simrock Briefe; s. Kalbeck im „N. W. Tgbl.“. 1 — Des abends essen wir den Fisch der Frau D., der schon vor abend zu uns gebracht eingeschickt wurde. — — Wilsons Friedensnote wird bekannt. 2 Für mich besteht nun allerdings kein Zweifel, daß hier nur ein angelsächsisches Manöver vorliegt, das, wie bisher alle Manöver der Amerikaner u. Engländer, nur auf eine Demütigung Deutschlands selbst noch in dem Augenblicke abzielt, da Deutschland dieses sich anschickt, Konsequenzen aus seinen Siegen zu ziehen. Leider muß ich befürchten, daß die niedrige Gesinnung gewisser deutscher speziell sozialdemokratischer Elemente aus purer Unfähigkeit, einem ordentlich gewachsenen englischen Betrug auf die Spur zu kommen u. aus tölpelhaft naivem Vergnügen an einer mißverstandenen Mißverständniß wahrer Menschenliebe Wilson in die Rolle hineinhelfen werden, aus der er weit eher mit Fußtritten sofort hinauskomplimentiert werden sollte. Ich stehe nicht an, diese Intervention Amerikas als die größte Lumperei zu bezeichnen, die sich je {548} im Kriege ereignet hat, wie sie denn auch sonst ganz B beispiellos dasteht in der Geschichte, sofern hier ein Leichenfledderer schlimmster Sorte sich herausnimmt, trotz wiederholt beteuerter pazifistischer Gesinnung mit Krieg nun auch seinerseits zu drohen, wenn nicht Deutschland die Friedensbedingungen gegenüber den Besiegten ähnlich ermäßigt, sofern also ein nicht unneutraler Neutraler nicht nur gewissermaßen als ein Kriegführender auftritt, sondern obendrein gar sich als der Sieger giriert, der den Frieden zu diktier ten das Recht hätte. Wilson benimmt sich wie maßt sich die Rechte eines Hindenburg an! Die In letzter Linie gilt Wilsons Absicht freilich nur der Abwendung einer blamablen Niederlage für die Entente. — © Transcription Marko Deisinger. |
December 22, 1916. +1°, fog!
— Letter to Mrs. Deutsch via the caretaker; it is still impossible for me to come; {547} I would be prepared, however, to come with Lie-Liechen tomorrow, Saturday, to her place. — Mrs. Brünauer arranges for the package which had been left for a long time at my place to be collected, and she invites me with a few friendly words to a "modest wartime evening meal." — My letter to Mrs. Deutsch has crossed with a letter from her directed to Lie-Liechen's apartment; in it she also abandons the lesson at 10:30 on her part, as she is unable to play well; at the same time she mentions the carp that was originally intended for our midday meal. — Mittelmann at the coffee house (10 Kronen). — But Weisse does not come, and no word of cancellation on his part. I now write a postcard to him; he may make a suggestion himself. — Letter to my aunt: I explain that I am not able to fulfill her wish in any way, giving reasons. — PostcardOJ 8/3, [19] to Floriz: I tell him that I have still not seen Hans. — Lie-Liechen must have the windows sealed herself (5 Kronen!); such dereliction of duty on the part of the landlady is in even more marked contrast to her announcement that she is thinking of making a Christmas holiday trip for several days. This trip could, for sure, only be put together from many other 5 Kronen similarly obtained by trickery. — — Brahms–Simrock correspondence; see Kalbeck in the Neues Wiener Tagblatt . 1 — In the evening we eat Mrs. Deutsch's fish, which was already brought to us before the evening. — — Wilson's peace note is published. 2 For me, at any rate, there is no doubt that merely an Anglo-Saxon maneuver is at play which, like all previous Anglo-Saxon maneuvers, is intended only to demoralize Germany even at the moment that it is beginning to draw the consequences of its victories. Unfortunately, I fear that the lesser convictions of certain German, and specifically social-democratic, elements will, from pure incompetence, allow a steadily evolved English deception to surface and, from a foolishly naïve misunderstanding of true human kindness, help Wilson to take on the role from which he ought instead to have been kicked out of forthwith. I do not hesitate to call this intervention on the part of America as the greatest trick that has yet been perpetrated in the war, {548} and also otherwise stands unequalled in history, insofar as a vulture of the worst sort now presumes, in spite of repeated claims of a pacifist mentality, to threaten war if Germany does not moderate its peace conditions upon those it has conquered; insofar, then, as an un-neutral neutral country not only enters to a certain extent as a wager of war but moreover thinks that it has the right as victor to dictate the piece. Wilson is assuming the rights of a Hindenburg! In the last analysis, Wilson's intention will of course amount only to the avoidance of an embarrassing defeat for the Entente. — © Translation William Drabkin. |
22. XII. 16 +1°, Nebel!
— An Fr. D. Brief durch die Hausbesorgerin, es sei mir dennoch un- {547} möglich zu kommen, ich wäre aber bereit, mit Lie-Liechen morgen, Samstag, bei ihr einzutreffen. — Mama Brünauer läßt das bei mir schon lange erliegende Packet [sic] abholen u. ladet mich mit einigen freundlichen Worten zu einem „bescheidenen Kriegsabendbrot“ ein. — Mit meinem Brief an Frau D. kreuzte sich ein Brief an von ihr in Lie-Liechens Wohnung, worin sie auch ihrerseits von der Stunde um ½11h absteht, da sie ohnehin nicht gut spielen könne; zugleich kündigt sie uns den ursprünglich eben für den Mittagstisch bestimmt gewesenen Karpfen an. — Mittelmann im Caféhaus (10 Kronen). — Weisse kommt aber nicht, auch keinerlei Absage seinerseits. Nun Karte an ihn, er möge selbst einen Vorschlag machen. — An Tante (Br.): erkläre mich außerstande, irgendwie ihrem Wunsche entsprechen zu können ; u. führe Gründe an. — An Floriz (K.OJ 8/3, [19]): teile mit, daß ich Hans noch immer nicht gesehen habe. — Lie-Liechen muß sich nun selbst das Fenster verdichten lassen (5 Kronen!); von solchem Pflichtversäumniß der Vermieterin hebt sich desto eigentümlicher davon die ihre Mitteilung der Vermieterin ab, daß sie für mehrere Tage eine WeihnachtsFerienreise anzutreten gedenke. Diese Reise dürfte doch wohl nur aus vielen ähnlichen erschlichenen 5 Kronen zusammengesetzt sein. — — Brahms–Simrock Briefe; s. Kalbeck im „N. W. Tgbl.“. 1 — Des abends essen wir den Fisch der Frau D., der schon vor abend zu uns gebracht eingeschickt wurde. — — Wilsons Friedensnote wird bekannt. 2 Für mich besteht nun allerdings kein Zweifel, daß hier nur ein angelsächsisches Manöver vorliegt, das, wie bisher alle Manöver der Amerikaner u. Engländer, nur auf eine Demütigung Deutschlands selbst noch in dem Augenblicke abzielt, da Deutschland dieses sich anschickt, Konsequenzen aus seinen Siegen zu ziehen. Leider muß ich befürchten, daß die niedrige Gesinnung gewisser deutscher speziell sozialdemokratischer Elemente aus purer Unfähigkeit, einem ordentlich gewachsenen englischen Betrug auf die Spur zu kommen u. aus tölpelhaft naivem Vergnügen an einer mißverstandenen Mißverständniß wahrer Menschenliebe Wilson in die Rolle hineinhelfen werden, aus der er weit eher mit Fußtritten sofort hinauskomplimentiert werden sollte. Ich stehe nicht an, diese Intervention Amerikas als die größte Lumperei zu bezeichnen, die sich je {548} im Kriege ereignet hat, wie sie denn auch sonst ganz B beispiellos dasteht in der Geschichte, sofern hier ein Leichenfledderer schlimmster Sorte sich herausnimmt, trotz wiederholt beteuerter pazifistischer Gesinnung mit Krieg nun auch seinerseits zu drohen, wenn nicht Deutschland die Friedensbedingungen gegenüber den Besiegten ähnlich ermäßigt, sofern also ein nicht unneutraler Neutraler nicht nur gewissermaßen als ein Kriegführender auftritt, sondern obendrein gar sich als der Sieger giriert, der den Frieden zu diktier ten das Recht hätte. Wilson benimmt sich wie maßt sich die Rechte eines Hindenburg an! Die In letzter Linie gilt Wilsons Absicht freilich nur der Abwendung einer blamablen Niederlage für die Entente. — © Transcription Marko Deisinger. |
December 22, 1916. +1°, fog!
— Letter to Mrs. Deutsch via the caretaker; it is still impossible for me to come; {547} I would be prepared, however, to come with Lie-Liechen tomorrow, Saturday, to her place. — Mrs. Brünauer arranges for the package which had been left for a long time at my place to be collected, and she invites me with a few friendly words to a "modest wartime evening meal." — My letter to Mrs. Deutsch has crossed with a letter from her directed to Lie-Liechen's apartment; in it she also abandons the lesson at 10:30 on her part, as she is unable to play well; at the same time she mentions the carp that was originally intended for our midday meal. — Mittelmann at the coffee house (10 Kronen). — But Weisse does not come, and no word of cancellation on his part. I now write a postcard to him; he may make a suggestion himself. — Letter to my aunt: I explain that I am not able to fulfill her wish in any way, giving reasons. — PostcardOJ 8/3, [19] to Floriz: I tell him that I have still not seen Hans. — Lie-Liechen must have the windows sealed herself (5 Kronen!); such dereliction of duty on the part of the landlady is in even more marked contrast to her announcement that she is thinking of making a Christmas holiday trip for several days. This trip could, for sure, only be put together from many other 5 Kronen similarly obtained by trickery. — — Brahms–Simrock correspondence; see Kalbeck in the Neues Wiener Tagblatt . 1 — In the evening we eat Mrs. Deutsch's fish, which was already brought to us before the evening. — — Wilson's peace note is published. 2 For me, at any rate, there is no doubt that merely an Anglo-Saxon maneuver is at play which, like all previous Anglo-Saxon maneuvers, is intended only to demoralize Germany even at the moment that it is beginning to draw the consequences of its victories. Unfortunately, I fear that the lesser convictions of certain German, and specifically social-democratic, elements will, from pure incompetence, allow a steadily evolved English deception to surface and, from a foolishly naïve misunderstanding of true human kindness, help Wilson to take on the role from which he ought instead to have been kicked out of forthwith. I do not hesitate to call this intervention on the part of America as the greatest trick that has yet been perpetrated in the war, {548} and also otherwise stands unequalled in history, insofar as a vulture of the worst sort now presumes, in spite of repeated claims of a pacifist mentality, to threaten war if Germany does not moderate its peace conditions upon those it has conquered; insofar, then, as an un-neutral neutral country not only enters to a certain extent as a wager of war but moreover thinks that it has the right as victor to dictate the piece. Wilson is assuming the rights of a Hindenburg! In the last analysis, Wilson's intention will of course amount only to the avoidance of an embarrassing defeat for the Entente. — © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Max Kalbeck, "Brahms und seine Verleger," Neues Wiener Tagblatt, No. 354, November 22, 1916, 50th year, pp. 4-7. 2 "Ein Friedensschritt des Präsidenten Wilson," Neue Freie Presse, No. 18801, December 22, 1916, evening edition, pp. 1-2. |