6. I. 17 Sehr schöner Tag.
— Der Milchjunge gibt zu, nicht geläutet zu haben u. meint selbst: „ziehen Sie’s halt ab“! Hierüber nun ergänzender Bericht in a einer Karte an den Inspektor. — ParteOJ 13/36, [2] Professor Ernst Rudorff. — Gegen 11h gehen wir ins Sanatorium Auersperg um uns nach dem Befinden der Fr. Deutsch persönlich zu erkundigen u. erfahren zu unserer größten Bestürzung, daß sie heute nachts gegen ½12h verschieden sei. Der Portier gab Knochencaries als Ursache des Todes an. Auf diese Weise würde sich nachträglich so manche Erscheinung erklären lassen, die weder sie selbst, noch wir, noch auch die Ärzte zu erklären gewußt haben. Keinesfalls war blos eine Fischvergiftung im Spiele u. alle Behandlung des Magens war nur eine Fehlbehandlung. Das Ereignis kam uns so unerwartet, daß wir beide lange die Fassung nicht wieder erlangen konnten. Mir selbst, der ich wohl das meiste Verdienst an der Aufrichtung u. Besserung der Verstorbenen hatte, bleibt gegenüber dem unabänderlichen Ereignis nur zu bedauern übrig, daß sie nicht noch einige Jahre länger gelebt hat, um sich vom Triumphe meiner Ideen u. Vorschläge am eigenen Leibe noch viel besser zu überzeugen. Nach Ueberwindung der Krankheit hätte sie sich, wie ich annehmen zu dürfen glaube, noch viel williger als bisher entschlossen, das Leben von den leeren Außenseiten ab u. der inneren Welt mehr zuzukehren. Und wenn sie schon durch das wenige, das sie auf meinen Rat hin ihrer Natur abtrotzte, gehoben schien, um wie viel mehr hätte sie sich gehoben gefühlt, wenn sie dem Rat voll entsprochen hätte, wozu das zunehmende Alter noch einen Antrieb mehr gegeben hätte! Nun ist das alles dahin, u. noch vor ihrer Ernte, an die sie sie im Geheimen vielleicht ebenso wie ich gedacht, verließ sie die Welt, übrigens genau so einsam, als sie alle die Zeit ihrer Wittwenschaft {562} gelebt hat. Wer weiß, ob in ihrer Sterbestunde auch nur das Dienstmädchen in ihrem Zimmer geweilt hat. 1 — Condolenzbrief an Herrn Fritz Mendl; daraus: „. . Vielleicht war niemand so wie ich in der Lage zu beobachten, wie sie auf tapferste Weise einen Ausgleich zwischen den Pflichten zur Gesellschaft u. zu einem von ihr selbst höher gewertetem gewerteten persönlichen Leben suchte. Vergönnen Sie mir nun in dieser Stunde die Genugtuung, der Verewigten zu bezeugen, daß sie, über alle Wiederstände [sic] hinweg, die sie mehr als man ahnte schmerzlich empfand, am Ziel, das ihr vorschwebte, mit vollendeter Gesinnungstreue festhielt u. sich daraus die lebendigsten Freuden holte. Möge ihr Vorbildliches in neuen Spuren u. Wirkungen in gleichsam neuen Leben sich fortsetzen.“ — — Condolenzschreiben an die Wittwe Rudorff : Die Mitteilung vom Ableben Ihres hochgeehrten Gatten hat auch mich in tiefste persönliche Trauer versetzt. Seine Zustimmung, sein edler Zuruf waren mir glückverheißende Momente im Kampfe. Ueber alle Tumulte des Tages wird die wirklich nur dem Höchsten und Besten zugewendete Kunstgesinnung, die er vorbildlich vertrat, endgültig triumphieren. — — An Fl. (K.OJ 8/3, [26]): teile das Ableben der Fr. Deutsch mit. — An Breisach (K.): Antwort für Neujahrsgratulation. — Bruch des Wasserleitungsrohres; wegen Feiertags u. darauf folgenden Sonntags kann die Reparatur, wie verlautet, erst Montag gemacht werden. — — Wunderschöner Abend mit vollem Mondschein. — © Transcription Marko Deisinger. |
January 6, 1917. Very fine day.
— The milk-delivery boy admits that he did not ring, and says: "Just take it off the bill"! Concerning this, a supplementary report in a postcard to the inspector. — Death noticeOJ 13/36, [2] for Professor Ernst Rudorff. — Towards 11 o'clock, we go to the Auersperg Clinic to enquire after Mrs. Deutsch's health in person; we learn, to our great consternation, that she had died that night, around 11:30. The porter indicated that necrosis of the bones was the cause of death. In this way, so many manifestations could be explained in retrospect, which neither she, nor we, nor even her doctors had been able to explain. Fish poisoning could have not played any role at all, and all treatment of the digestive system was merely a false treatment. The result came to us so unexpectedly that we could not regain our composure for a long time. As for myself, who surely had the most to gain from the convalescence of the dead woman, I could only regret that the inalterable course of events prevented her from living a few more years so that she could be convinced much more of the triumph of my ideas and recommendations at first hand. If only, after overcoming her illness, she would – as I believe I may assume – have been determined even more than previously to turn her life away from the empty exterior and more to her inner world. And if she seemed already to have been elevated by that little which, on my advice, had wrested her from her own nature, how much more would she have felt elevated if she had taken full account of that advice, whereby the increase in age would have given her greater impetus! Now everything is over; and even before her harvest, about which she had perhaps secretly thought as much as I did, she departed this world, moreover just as lonely as she had lived all the time of her widowhood. {562} Who knows whether even her servant girl was beside her in the hour of her death. 1 — Letter of condolence to Fritz Mendl, including: "Perhaps no one was as much in a position as I was to observe how she sought a balance between her duties to society and to a personal life which she herself valued more highly. Grant me now in this hour the satisfaction of testifying about the immortalized that she, in spite of all hindrances, which she found more painful than one can realize, remained steadfast in pursuit of the goal that hovered before her with complete faithfulness and drew from it the most vivid joys. May her exemplary life be continued along new paths and with new effects, as it were in new lives." — — Letter of condolence to Rudorff's widow: the news of the death of her highly esteemed husband has moved me, too, to the deepest personal sadness. His approval, his noble acclamation were propitious moments in my struggle. Over all the tumult of everyday life, only an attitude towards art aimed at the highest and best, which he represented in exemplary fashion, will triumph in the end. — — PostcardOJ 8/3, [26] to Floriz: I inform him of the death of Mrs. Deutsch. — Postcard to Breisach: reply to his new year's wishes. — Break in the water pipe; because of the holiday and the Sunday that follows, I am informed the repair cannot be made until Monday. — — A very beautiful evening, with full moonlight. — © Translation William Drabkin. |
6. I. 17 Sehr schöner Tag.
— Der Milchjunge gibt zu, nicht geläutet zu haben u. meint selbst: „ziehen Sie’s halt ab“! Hierüber nun ergänzender Bericht in a einer Karte an den Inspektor. — ParteOJ 13/36, [2] Professor Ernst Rudorff. — Gegen 11h gehen wir ins Sanatorium Auersperg um uns nach dem Befinden der Fr. Deutsch persönlich zu erkundigen u. erfahren zu unserer größten Bestürzung, daß sie heute nachts gegen ½12h verschieden sei. Der Portier gab Knochencaries als Ursache des Todes an. Auf diese Weise würde sich nachträglich so manche Erscheinung erklären lassen, die weder sie selbst, noch wir, noch auch die Ärzte zu erklären gewußt haben. Keinesfalls war blos eine Fischvergiftung im Spiele u. alle Behandlung des Magens war nur eine Fehlbehandlung. Das Ereignis kam uns so unerwartet, daß wir beide lange die Fassung nicht wieder erlangen konnten. Mir selbst, der ich wohl das meiste Verdienst an der Aufrichtung u. Besserung der Verstorbenen hatte, bleibt gegenüber dem unabänderlichen Ereignis nur zu bedauern übrig, daß sie nicht noch einige Jahre länger gelebt hat, um sich vom Triumphe meiner Ideen u. Vorschläge am eigenen Leibe noch viel besser zu überzeugen. Nach Ueberwindung der Krankheit hätte sie sich, wie ich annehmen zu dürfen glaube, noch viel williger als bisher entschlossen, das Leben von den leeren Außenseiten ab u. der inneren Welt mehr zuzukehren. Und wenn sie schon durch das wenige, das sie auf meinen Rat hin ihrer Natur abtrotzte, gehoben schien, um wie viel mehr hätte sie sich gehoben gefühlt, wenn sie dem Rat voll entsprochen hätte, wozu das zunehmende Alter noch einen Antrieb mehr gegeben hätte! Nun ist das alles dahin, u. noch vor ihrer Ernte, an die sie sie im Geheimen vielleicht ebenso wie ich gedacht, verließ sie die Welt, übrigens genau so einsam, als sie alle die Zeit ihrer Wittwenschaft {562} gelebt hat. Wer weiß, ob in ihrer Sterbestunde auch nur das Dienstmädchen in ihrem Zimmer geweilt hat. 1 — Condolenzbrief an Herrn Fritz Mendl; daraus: „. . Vielleicht war niemand so wie ich in der Lage zu beobachten, wie sie auf tapferste Weise einen Ausgleich zwischen den Pflichten zur Gesellschaft u. zu einem von ihr selbst höher gewertetem gewerteten persönlichen Leben suchte. Vergönnen Sie mir nun in dieser Stunde die Genugtuung, der Verewigten zu bezeugen, daß sie, über alle Wiederstände [sic] hinweg, die sie mehr als man ahnte schmerzlich empfand, am Ziel, das ihr vorschwebte, mit vollendeter Gesinnungstreue festhielt u. sich daraus die lebendigsten Freuden holte. Möge ihr Vorbildliches in neuen Spuren u. Wirkungen in gleichsam neuen Leben sich fortsetzen.“ — — Condolenzschreiben an die Wittwe Rudorff : Die Mitteilung vom Ableben Ihres hochgeehrten Gatten hat auch mich in tiefste persönliche Trauer versetzt. Seine Zustimmung, sein edler Zuruf waren mir glückverheißende Momente im Kampfe. Ueber alle Tumulte des Tages wird die wirklich nur dem Höchsten und Besten zugewendete Kunstgesinnung, die er vorbildlich vertrat, endgültig triumphieren. — — An Fl. (K.OJ 8/3, [26]): teile das Ableben der Fr. Deutsch mit. — An Breisach (K.): Antwort für Neujahrsgratulation. — Bruch des Wasserleitungsrohres; wegen Feiertags u. darauf folgenden Sonntags kann die Reparatur, wie verlautet, erst Montag gemacht werden. — — Wunderschöner Abend mit vollem Mondschein. — © Transcription Marko Deisinger. |
January 6, 1917. Very fine day.
— The milk-delivery boy admits that he did not ring, and says: "Just take it off the bill"! Concerning this, a supplementary report in a postcard to the inspector. — Death noticeOJ 13/36, [2] for Professor Ernst Rudorff. — Towards 11 o'clock, we go to the Auersperg Clinic to enquire after Mrs. Deutsch's health in person; we learn, to our great consternation, that she had died that night, around 11:30. The porter indicated that necrosis of the bones was the cause of death. In this way, so many manifestations could be explained in retrospect, which neither she, nor we, nor even her doctors had been able to explain. Fish poisoning could have not played any role at all, and all treatment of the digestive system was merely a false treatment. The result came to us so unexpectedly that we could not regain our composure for a long time. As for myself, who surely had the most to gain from the convalescence of the dead woman, I could only regret that the inalterable course of events prevented her from living a few more years so that she could be convinced much more of the triumph of my ideas and recommendations at first hand. If only, after overcoming her illness, she would – as I believe I may assume – have been determined even more than previously to turn her life away from the empty exterior and more to her inner world. And if she seemed already to have been elevated by that little which, on my advice, had wrested her from her own nature, how much more would she have felt elevated if she had taken full account of that advice, whereby the increase in age would have given her greater impetus! Now everything is over; and even before her harvest, about which she had perhaps secretly thought as much as I did, she departed this world, moreover just as lonely as she had lived all the time of her widowhood. {562} Who knows whether even her servant girl was beside her in the hour of her death. 1 — Letter of condolence to Fritz Mendl, including: "Perhaps no one was as much in a position as I was to observe how she sought a balance between her duties to society and to a personal life which she herself valued more highly. Grant me now in this hour the satisfaction of testifying about the immortalized that she, in spite of all hindrances, which she found more painful than one can realize, remained steadfast in pursuit of the goal that hovered before her with complete faithfulness and drew from it the most vivid joys. May her exemplary life be continued along new paths and with new effects, as it were in new lives." — — Letter of condolence to Rudorff's widow: the news of the death of her highly esteemed husband has moved me, too, to the deepest personal sadness. His approval, his noble acclamation were propitious moments in my struggle. Over all the tumult of everyday life, only an attitude towards art aimed at the highest and best, which he represented in exemplary fashion, will triumph in the end. — — PostcardOJ 8/3, [26] to Floriz: I inform him of the death of Mrs. Deutsch. — Postcard to Breisach: reply to his new year's wishes. — Break in the water pipe; because of the holiday and the Sunday that follows, I am informed the repair cannot be made until Monday. — — A very beautiful evening, with full moonlight. — © Translation William Drabkin. |
Footnotes1 Marginal remark in Schenker's hand: †. |