15. IV. 18
+8°, regnerisch, Beginn der Sommerzeit, – steigen aber beide zu spät aus dem Bette wider die Sommerzeit.
— Czernin Demission vom Kaiser angenommen. — Clemenceau beschuldigt den Kaiser direkt der Fälschung des eigenen Briefes, worauf der Kaiser mit einem Telegramm an Kaiser Wilhelm antwortet, die Anschuldigung sei so niedrig, daß er mit Frankreich darüber weiter zu verhandeln nicht mehr gesonnen sei. Mir scheint, als wäre ein Privatbrief des Kaisers an seinen Schwager mißbraucht u. zur Grundlage einer Fälschung gemacht worden. Der aus Paris als vollständig verbreitete Text des Briefes ist derart naiv gehalten, daß man nur der plumpen Fantasie eines Franzosen, der nicht die geringste Gabe hat, sich in fremde Menschen einzufühlen, zumuten kann, einen solchen Kreis von Vorstellungen zu pflegen: Rückgabe von Elsaß-Lothringen, vollständige Wiederherstellung von Belgien, Entrichtung einer Entschädigung an dieses Land, vollständige Wiederherstellung von Serbien u. Belohnung mit einem Zugang zum Meer u. was dgl. Unsinn mehr – soll der Kaiser als Sieger angeboten haben, das meiste aber sozusagen aus fremder Tasche! Ist dieses allein hinreichend, eine Fälschung als erwiesen anzunehmen, so kommt dazu, daß noch von einem zweiten Brief des Kaisers die Rede ist, worin er das Mitwissen u. die Mitverantwortlichkeit des Ministers behauptet. Beinahe noch mehr als der erste Brief macht dieser zweite die Annahme einer Fälschung zur Notwendigkeit: eigens scheint er ja in die Welt gesetzt worden zu sein, um jeglichen Verdacht bezüglich der Echtheit des ersten aus der Welt zu schaffen. Die gefälschten Briefe scheinen – so vermute wenigstens ich – nach Washington u. London geschickt worden zu sein, wo sie beim Präsidenten u. dem König die erwartete Wirkung übten. Der Zweck der Fälschung u. Unterbreitung dürfte gewesen sein, von jenen beiden Instanzen die {876} Fortsetzung des Krieges zu erpressen, den sie vielleicht wegen Elsaß-Lothringen fortzusetzen nicht mehr gewillt waren. Dieses mag auch der Grund gewesen sein, weshalb die Franzosen selbst so lange davon nicht gesprochen; hätten sie an die Stücke geglaubt, kein Zweifel, daß sie schon seit Jahr u. Tag im Parlament oder außerhalb desselben ordentlichen Gebrauch davon gemacht hätten. Nur zur Abwehr glaubte Clemenceau die Stücke ausspielen zu können, nur in Not u. Verlegenheit. Dazu aber ist es so gekommen, daß Czernin dem Kaiser vermutlich zu einer Art Rosskur riet, zu einem Gewaltstreich, von dem er sich die plötzliche Entfernung Clemenceaus versprach u. damit auch die Wendung zum Frieden. Leider hat Czernin die Rechnung ohne die verlotterte Psyche der Franzosen gemacht. Frankreich macht gemeinsam Ehrensache ohneweiters auch mit einem Fälscher, wenn es nur gilt, die Eitelkeit zu verteidigen. Da schweigen die übrigen Gesichtspunkte eines Defaitisten, der Kriegsverlängerung, der Wahrheit, die nationale Ehre steht einfach auf dem Spiel u. diese muß selbst bei Schande gerettet werden. Der Kaiser dürfte zu diesem Gewaltstreich vielleicht nur zögernd seine Einwilligung gegeben haben u. zieht nun aus dem Mißlingen die Konsequenz, indem er den Minister entläßt, der ihn in eine so mißliche Lage gebracht hat, daß er sich öffentlich wider den Vorwurf einer Fälschung zu verteidigen genötigt sieht. 1 — Von Frau Elias (Br.): 2 Dank für Beileid. — Von Sophie Paket: 2 Brote, Honigbrot, Küchelchen. — An Sophie (K.): 3 Bestätigung. —© Transcription Marko Deisinger. |
April 15, 1918
+8°, rainy, beginning of summer [[daylight-saving]] time, – but we both get out of bed too late in reaction to summer time.
— The Emperor accepts Czernin resignation. — Clemenceau directly accuses the Emperor of falsifying his own letter whereupon the Emperor answers with a telegram to Emperor Wilhelm that the accusation is so base that he no longer has any desire to negotiate the matter with France. It seems to me that a private letter of the Emperor to his brother-in-law has been abused and taken as the basis for a forgery. The complete text of the letter released by Paris is so naive in tone that one can only imagine it to be the work of the crude imagination of a Frenchman who in cultivating such a collection of ideas has not the slightest talent for empathizing with other people: returning Alsace-Lorraine, complete reconstitution of Belgium, the payment of restitution to this country, complete reconstitution of Serbia and rewarding them with access to the sea, and similar nonsense – is what the Emperor supposedly would offer as victor, most of it, however, out of someone else's pocket! This in itself is sufficient grounds to assume a forgery, but in addition there is talk of a second letter from the Emperor in which he claims the Minister was both informed and culpable. This second letter makes the assumption of forgery almost even more necessary than the first: it seems to have been released solely to banish all suspicions of forgery attached to the first. The forged letters seem – at least I think this – to have been sent to Washington and London, where they made the expected impression on the President and on the King. The reason for the forgery and its transmission was probably to pressure both authorities to a {876} continuation of the war, which perhaps because of Alsace-Lorraine they were no longer willing to prolong. This may also have been the reason why the French made no mention of it for such a long time; if they had believed the documents there is no doubt that they would have made ample use of them long ago in parliament and elsewhere. Clemenceau thought he could play these out only in self-defense, only in an emergency and in desparation. But it came to this because Czernin supposedly advised a kind of drastic treatment, a bold stroke to the Emperor from which he expected a sudden distancing to Clemenceau and thus the move towards peace. Unfortunately, Czernin implemented his plan without taking into consideration the ruinous psyche of the French. France makes it a collective matter of honor even with a forgerer if it comes down to defending its vanity. That's when the other perspectives, those of the defaitists, of the prolongation of the war, of the truth fall silent; the national honor is imperiled and this simply must be saved even at the cost of infamy. The Emperor probably approved this bold stroke only with hesitation and now draws the consequences of its failure by letting the Minister go who brought him into such a precarious situation that he finds it necessary to defend himself in public against the charge of forgery. 1 — From Mrs. Elias (letter): 2 thanks for the condolences. — From Sophie a package: 2 loaves of bread, honey bread, little cakes. — To Sophie (postcard): 3 confirmation. —© Translation Morten Solvik. |
15. IV. 18
+8°, regnerisch, Beginn der Sommerzeit, – steigen aber beide zu spät aus dem Bette wider die Sommerzeit.
— Czernin Demission vom Kaiser angenommen. — Clemenceau beschuldigt den Kaiser direkt der Fälschung des eigenen Briefes, worauf der Kaiser mit einem Telegramm an Kaiser Wilhelm antwortet, die Anschuldigung sei so niedrig, daß er mit Frankreich darüber weiter zu verhandeln nicht mehr gesonnen sei. Mir scheint, als wäre ein Privatbrief des Kaisers an seinen Schwager mißbraucht u. zur Grundlage einer Fälschung gemacht worden. Der aus Paris als vollständig verbreitete Text des Briefes ist derart naiv gehalten, daß man nur der plumpen Fantasie eines Franzosen, der nicht die geringste Gabe hat, sich in fremde Menschen einzufühlen, zumuten kann, einen solchen Kreis von Vorstellungen zu pflegen: Rückgabe von Elsaß-Lothringen, vollständige Wiederherstellung von Belgien, Entrichtung einer Entschädigung an dieses Land, vollständige Wiederherstellung von Serbien u. Belohnung mit einem Zugang zum Meer u. was dgl. Unsinn mehr – soll der Kaiser als Sieger angeboten haben, das meiste aber sozusagen aus fremder Tasche! Ist dieses allein hinreichend, eine Fälschung als erwiesen anzunehmen, so kommt dazu, daß noch von einem zweiten Brief des Kaisers die Rede ist, worin er das Mitwissen u. die Mitverantwortlichkeit des Ministers behauptet. Beinahe noch mehr als der erste Brief macht dieser zweite die Annahme einer Fälschung zur Notwendigkeit: eigens scheint er ja in die Welt gesetzt worden zu sein, um jeglichen Verdacht bezüglich der Echtheit des ersten aus der Welt zu schaffen. Die gefälschten Briefe scheinen – so vermute wenigstens ich – nach Washington u. London geschickt worden zu sein, wo sie beim Präsidenten u. dem König die erwartete Wirkung übten. Der Zweck der Fälschung u. Unterbreitung dürfte gewesen sein, von jenen beiden Instanzen die {876} Fortsetzung des Krieges zu erpressen, den sie vielleicht wegen Elsaß-Lothringen fortzusetzen nicht mehr gewillt waren. Dieses mag auch der Grund gewesen sein, weshalb die Franzosen selbst so lange davon nicht gesprochen; hätten sie an die Stücke geglaubt, kein Zweifel, daß sie schon seit Jahr u. Tag im Parlament oder außerhalb desselben ordentlichen Gebrauch davon gemacht hätten. Nur zur Abwehr glaubte Clemenceau die Stücke ausspielen zu können, nur in Not u. Verlegenheit. Dazu aber ist es so gekommen, daß Czernin dem Kaiser vermutlich zu einer Art Rosskur riet, zu einem Gewaltstreich, von dem er sich die plötzliche Entfernung Clemenceaus versprach u. damit auch die Wendung zum Frieden. Leider hat Czernin die Rechnung ohne die verlotterte Psyche der Franzosen gemacht. Frankreich macht gemeinsam Ehrensache ohneweiters auch mit einem Fälscher, wenn es nur gilt, die Eitelkeit zu verteidigen. Da schweigen die übrigen Gesichtspunkte eines Defaitisten, der Kriegsverlängerung, der Wahrheit, die nationale Ehre steht einfach auf dem Spiel u. diese muß selbst bei Schande gerettet werden. Der Kaiser dürfte zu diesem Gewaltstreich vielleicht nur zögernd seine Einwilligung gegeben haben u. zieht nun aus dem Mißlingen die Konsequenz, indem er den Minister entläßt, der ihn in eine so mißliche Lage gebracht hat, daß er sich öffentlich wider den Vorwurf einer Fälschung zu verteidigen genötigt sieht. 1 — Von Frau Elias (Br.): 2 Dank für Beileid. — Von Sophie Paket: 2 Brote, Honigbrot, Küchelchen. — An Sophie (K.): 3 Bestätigung. —© Transcription Marko Deisinger. |
April 15, 1918
+8°, rainy, beginning of summer [[daylight-saving]] time, – but we both get out of bed too late in reaction to summer time.
— The Emperor accepts Czernin resignation. — Clemenceau directly accuses the Emperor of falsifying his own letter whereupon the Emperor answers with a telegram to Emperor Wilhelm that the accusation is so base that he no longer has any desire to negotiate the matter with France. It seems to me that a private letter of the Emperor to his brother-in-law has been abused and taken as the basis for a forgery. The complete text of the letter released by Paris is so naive in tone that one can only imagine it to be the work of the crude imagination of a Frenchman who in cultivating such a collection of ideas has not the slightest talent for empathizing with other people: returning Alsace-Lorraine, complete reconstitution of Belgium, the payment of restitution to this country, complete reconstitution of Serbia and rewarding them with access to the sea, and similar nonsense – is what the Emperor supposedly would offer as victor, most of it, however, out of someone else's pocket! This in itself is sufficient grounds to assume a forgery, but in addition there is talk of a second letter from the Emperor in which he claims the Minister was both informed and culpable. This second letter makes the assumption of forgery almost even more necessary than the first: it seems to have been released solely to banish all suspicions of forgery attached to the first. The forged letters seem – at least I think this – to have been sent to Washington and London, where they made the expected impression on the President and on the King. The reason for the forgery and its transmission was probably to pressure both authorities to a {876} continuation of the war, which perhaps because of Alsace-Lorraine they were no longer willing to prolong. This may also have been the reason why the French made no mention of it for such a long time; if they had believed the documents there is no doubt that they would have made ample use of them long ago in parliament and elsewhere. Clemenceau thought he could play these out only in self-defense, only in an emergency and in desparation. But it came to this because Czernin supposedly advised a kind of drastic treatment, a bold stroke to the Emperor from which he expected a sudden distancing to Clemenceau and thus the move towards peace. Unfortunately, Czernin implemented his plan without taking into consideration the ruinous psyche of the French. France makes it a collective matter of honor even with a forgerer if it comes down to defending its vanity. That's when the other perspectives, those of the defaitists, of the prolongation of the war, of the truth fall silent; the national honor is imperiled and this simply must be saved even at the cost of infamy. The Emperor probably approved this bold stroke only with hesitation and now draws the consequences of its failure by letting the Minister go who brought him into such a precarious situation that he finds it necessary to defend himself in public against the charge of forgery. 1 — From Mrs. Elias (letter): 2 thanks for the condolences. — From Sophie a package: 2 loaves of bread, honey bread, little cakes. — To Sophie (postcard): 3 confirmation. —© Translation Morten Solvik. |
Footnotes1 cf. entry for April 3, 1918. 2 No correspondence from Elias to Schenker is known to survive. 3 No correspondence from Schenker to Sophie Guttmann is known to survive. |