19. Oktober 1924 Sonntag – schön.
— Um 9h zu Dr. Halberstam mit Lie-Liechens Analyse; nach langem Suchen wird er im Hause gefunden; er ruft mir zu, er habe gestern an mich gedacht. Ich zeige nun das Blatt vor u. bitte wegen des Ueberfalls um Entschuldigung. Ich erzähle dann kurz, was Frühmann angeordnet. Dr. Halberstam liest die Analyse u. beginnt dann zu lachen; er meint, auf die „Zylinder“ deutend „das ist ja nichts“ – die tiefere Rubrik „das ist noch weniger“ „kein Eiweiß, die Frau ist ja vollkommen gesund, sie gehört gar nicht ins Bett“ – „auch kann sie Café u. Thee wie immer trinken“ –; ich frage, ob er mich zu einem Spezialisten schicken will? „Aber nein“, erwidert er „es liegt gar nichts vor, auf meine Verantwortung.“ „Wie alt ist Ihre Frau?“ Ich sage, 50 Jahre, da lacht er wieder u. sagt „es liegt gar nichts vor“ – wenn Sie bei mir sind, will ich einmal den Blutdruck messen.“ Ich konnte mich kaum länger halten u. stammle nur: für diese Freudenbotschaft möchte ich sie abküssen u. stürze in den Lift, vor dem der Diener gewartet hat. Lie-Liechen erhebt sich also wieder aus dem Bett – zunächst noch mißtrauisch gegen meine Nachricht, sie findet sich aber bald ins Gleichgewicht. — 1 Frau Kurt-Schaab erscheint: sie erzählt die Geschichte ihrer Krankheit, ständig mit Anwandlungen von Besserwissen, die sie den behandelnden Aerzten vorbringt. Schließlich rückt sie mit „zwei Bitten“ heraus: um meine Einwilligung, sich in einer Annonçe Schülerin von Schnabel u. Schenker nennen zu dürfen – u. 2. um Empfehlung eines Theorielehrers für eine junge {2744} Schülerin – nicht Weisse! – ich empfehle Cube. Sie lüftet das Geheimnis des Frl. Neumann: sie nimmt Klavierunterricht bei Smeterlink, was sie damit erklärt, daß es ihr um eine Marke für die Öffentlichkeit zu tun sein! Obwohl sie mit der Neumann zerfallen ist, stellt sie sich doch auf ihre Seite u. meint, wer aufs Podium wolle, sei es des öffentlichen Wirkens oder der Schüler halber, müsse heute eine Marke haben – Robert sei der letzte Lehrer gewesen, der, ohne selbst zu spielen, eine Marke bedeutete! Jetzt sei niemand von diesem Namen mehr da u. man müsse sich an Virtuosen halten, die öffentlich spielen. Sie schied mit der Bemerkung, sie habe nur einen Wunsch, noch einmal zu mir als Schülerin zurückzukehren – u. fügt hinzu: . . als Schülerin in der Theorie, nur könne sie sich heute eine solche Ausgabe nicht erlauben. — An Cube (expeß-K [sic]): kündige die Schülerin an, gebe ihm Winke für die Honorarforderung. — Mizzi richtet den Rundfunk-Anschluß ein, abends können wir schon zuhören – leider war es ein zu grell-bunter Abend. — An Frau Ida Sachs-Brünauer (Br.): danke für ihr Schreiben u. den Aufsatz von Fehling; er scheint einen ähnlichen Weg zu gehen . . u. sonst noch ein paar Worte über den allgemeinen Verfall. — © Transcription Marko Deisinger. |
October 19, 1924 Sunday – nice.
— To Dr. Halberstam at 9:00 with Lie-Liechen's analysis; after a long search, he is found in the house; he calls out to me that he was thinking about me yesterday. I then show him the slip and beg forgiveness for coming unannounced. I then briefly tell him what Frühmann prescribed. Dr. Halberstam reads the analysis and then starts to laugh; pointing to the "casts," he says "Why, that's nothing." – the lower rubric "that's even less" "No protein, the woman is completely healthy, she shouldn't be in bed at all," – "and she can drink coffee and tea as normal" –; I ask whether he would like to send me to a specialist? "No, no," he replies "there is nothing wrong, at my responsibility." "How old is your wife?" I say 50, whereupon he laughs again and says "there is nothing at all wrong" – while you're here, I would like to measure your blood pressure." I could hardly contain myself any longer and just stammer: I want to kiss her for this joyful news and hurl myself into the elevator, in front of which the assistant was waiting. So Lie-Liechen gets back up out of bed – at first still suspicious of my news, but she soon gets back into balance. — 1 Mrs. Kurt-Schaab appears: she tells [us] the history of her illness, with constant waves of contempt toward physicians treating her. She finally voices "two requests:" for my permission to call herself a student of Schnabel and Schenker in an advertisement – and, second, for a recommendation for a theory teacher for a young {2744} student – not Weisse! – I recommend Cube. She betrays Miss Neumann's secret: she is taking piano lessons from Smeterlink, which she explains as having to do with her wanting a reputation for the public! Although she has had a falling out with Neumann, she takes her side anyway and says that if you want to reach the podium, whether in public performance or for the sake of students, you need a reputation these days – Robert is the last teacher who, without playing himself, could provide a reputation! Now there is no one with a name like that here and you have to stick with virtuosos who perform in public. She left with the comment that she has only one wish, and that is to come back to me as a student – and adds: . . as a student of theory, but she could not permit herself an expense like that now. — To Cube (express postcard): alert him to the new student, give him a tip on what fee to charge. — Mizzi sets up the radio connection, we can already listen in the evening – unfortunately the evening was too shrill. — To Mrs. Ida Sachs-Brünauer (letter): I thank [her] for her letter and for the article from Fehling; he appears to be following a similar path . . and also a few words about the general downturn. —© Translation Scott Witmer. |
19. Oktober 1924 Sonntag – schön.
— Um 9h zu Dr. Halberstam mit Lie-Liechens Analyse; nach langem Suchen wird er im Hause gefunden; er ruft mir zu, er habe gestern an mich gedacht. Ich zeige nun das Blatt vor u. bitte wegen des Ueberfalls um Entschuldigung. Ich erzähle dann kurz, was Frühmann angeordnet. Dr. Halberstam liest die Analyse u. beginnt dann zu lachen; er meint, auf die „Zylinder“ deutend „das ist ja nichts“ – die tiefere Rubrik „das ist noch weniger“ „kein Eiweiß, die Frau ist ja vollkommen gesund, sie gehört gar nicht ins Bett“ – „auch kann sie Café u. Thee wie immer trinken“ –; ich frage, ob er mich zu einem Spezialisten schicken will? „Aber nein“, erwidert er „es liegt gar nichts vor, auf meine Verantwortung.“ „Wie alt ist Ihre Frau?“ Ich sage, 50 Jahre, da lacht er wieder u. sagt „es liegt gar nichts vor“ – wenn Sie bei mir sind, will ich einmal den Blutdruck messen.“ Ich konnte mich kaum länger halten u. stammle nur: für diese Freudenbotschaft möchte ich sie abküssen u. stürze in den Lift, vor dem der Diener gewartet hat. Lie-Liechen erhebt sich also wieder aus dem Bett – zunächst noch mißtrauisch gegen meine Nachricht, sie findet sich aber bald ins Gleichgewicht. — 1 Frau Kurt-Schaab erscheint: sie erzählt die Geschichte ihrer Krankheit, ständig mit Anwandlungen von Besserwissen, die sie den behandelnden Aerzten vorbringt. Schließlich rückt sie mit „zwei Bitten“ heraus: um meine Einwilligung, sich in einer Annonçe Schülerin von Schnabel u. Schenker nennen zu dürfen – u. 2. um Empfehlung eines Theorielehrers für eine junge {2744} Schülerin – nicht Weisse! – ich empfehle Cube. Sie lüftet das Geheimnis des Frl. Neumann: sie nimmt Klavierunterricht bei Smeterlink, was sie damit erklärt, daß es ihr um eine Marke für die Öffentlichkeit zu tun sein! Obwohl sie mit der Neumann zerfallen ist, stellt sie sich doch auf ihre Seite u. meint, wer aufs Podium wolle, sei es des öffentlichen Wirkens oder der Schüler halber, müsse heute eine Marke haben – Robert sei der letzte Lehrer gewesen, der, ohne selbst zu spielen, eine Marke bedeutete! Jetzt sei niemand von diesem Namen mehr da u. man müsse sich an Virtuosen halten, die öffentlich spielen. Sie schied mit der Bemerkung, sie habe nur einen Wunsch, noch einmal zu mir als Schülerin zurückzukehren – u. fügt hinzu: . . als Schülerin in der Theorie, nur könne sie sich heute eine solche Ausgabe nicht erlauben. — An Cube (expeß-K [sic]): kündige die Schülerin an, gebe ihm Winke für die Honorarforderung. — Mizzi richtet den Rundfunk-Anschluß ein, abends können wir schon zuhören – leider war es ein zu grell-bunter Abend. — An Frau Ida Sachs-Brünauer (Br.): danke für ihr Schreiben u. den Aufsatz von Fehling; er scheint einen ähnlichen Weg zu gehen . . u. sonst noch ein paar Worte über den allgemeinen Verfall. — © Transcription Marko Deisinger. |
October 19, 1924 Sunday – nice.
— To Dr. Halberstam at 9:00 with Lie-Liechen's analysis; after a long search, he is found in the house; he calls out to me that he was thinking about me yesterday. I then show him the slip and beg forgiveness for coming unannounced. I then briefly tell him what Frühmann prescribed. Dr. Halberstam reads the analysis and then starts to laugh; pointing to the "casts," he says "Why, that's nothing." – the lower rubric "that's even less" "No protein, the woman is completely healthy, she shouldn't be in bed at all," – "and she can drink coffee and tea as normal" –; I ask whether he would like to send me to a specialist? "No, no," he replies "there is nothing wrong, at my responsibility." "How old is your wife?" I say 50, whereupon he laughs again and says "there is nothing at all wrong" – while you're here, I would like to measure your blood pressure." I could hardly contain myself any longer and just stammer: I want to kiss her for this joyful news and hurl myself into the elevator, in front of which the assistant was waiting. So Lie-Liechen gets back up out of bed – at first still suspicious of my news, but she soon gets back into balance. — 1 Mrs. Kurt-Schaab appears: she tells [us] the history of her illness, with constant waves of contempt toward physicians treating her. She finally voices "two requests:" for my permission to call herself a student of Schnabel and Schenker in an advertisement – and, second, for a recommendation for a theory teacher for a young {2744} student – not Weisse! – I recommend Cube. She betrays Miss Neumann's secret: she is taking piano lessons from Smeterlink, which she explains as having to do with her wanting a reputation for the public! Although she has had a falling out with Neumann, she takes her side anyway and says that if you want to reach the podium, whether in public performance or for the sake of students, you need a reputation these days – Robert is the last teacher who, without playing himself, could provide a reputation! Now there is no one with a name like that here and you have to stick with virtuosos who perform in public. She left with the comment that she has only one wish, and that is to come back to me as a student – and adds: . . as a student of theory, but she could not permit herself an expense like that now. — To Cube (express postcard): alert him to the new student, give him a tip on what fee to charge. — Mizzi sets up the radio connection, we can already listen in the evening – unfortunately the evening was too shrill. — To Mrs. Ida Sachs-Brünauer (letter): I thank [her] for her letter and for the article from Fehling; he appears to be following a similar path . . and also a few words about the general downturn. —© Translation Scott Witmer. |
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