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OJ 14/10, [26] - Handwritten letter with envelope from Rosa Weil to Jeanette Schenker, dated August 11, 1935
[envelope]
{recto} [An:] ⇧ Frau Dr. Heinrich Schenker Hofgastein 34/5, Salzburg. [postmark:] || [ÚSTÍ NAD LABE]M 2 | [illeg]VIII. 35–10 | 3f | * AUSSIG 2 * || ⇧ Antwort 30. VIII. 35 {verso} [Absender:] ⇧ R. Weil, Westphalenstr. 25. Aussig a/E. C. S. R. [letter] ⇧ Aussig, 11. Aug. 1935. Meine liebe Schwester! 1 auch ohne Deinen so lieben herzlichen Brief, für den ich Dir vielmals danke, hätte ich Dir heute geschrieben. Diese erste Woche war sehr mit Arbeit angefüllt und es ist mir noch nie so schwer geworden, mich in den Alltag zurückzufinden. Diese Reise war so wunderschön und überreich an Eindrücken, daß es noch einige Zeit braucht, alles zu verarbeiten und zu den früheren, schönen Erinnerungen zu legen. Es ist wie ein Geschenk vom Himmel, daß man in diesen Zeiten noch schöne Erinnerungen sammeln kann und man sollte es ausnützen, solange es möglich ist. – Die Rückreise von Wien, wo wir zwei herrliche Tage verbrachten, verlief in angenehmer Gesellschaft sehr rasch und angenehm und die Wiedersehensfreude mit Lene war groß. Leider war die Zeit des {2} Beisammenseins ganz kurz, auspacken und mit Lene wieder einpacken, noch am selben Abend; das mußte sehr rasch gehen, weil sie am nächsten Morgen wegfahren mußte, sonst hätte sie ihren Urlaub nicht voll ausnützen können; außerdem hatte sie für Montag abends schon das Schlafwagenbillet. Sie hatte uns eigentlich zwei Tage früher erwartet, weil wir diesmal ausnahmsweise und da zwei Feiertage vor dem Sonntag fielen, statt Samstag schon Freitag weggefahren sind. Nun in drei Wochen sehen wir uns wieder; da ihr die Arbeit im Lungenheim sehr gut gefallen und sie sehr viel gesehen und zugelernt hat, wird sie vielleicht auch noch den Monat September hier verbringen. Sie hat in meiner Abwesenheit, trotzdem sie doch fast den ganzen Tag außer Haus war, alles wunderschön geleitet und {3} angeordnet auch wiederholt Gäste bewirtet und mir damit den Beweis erbracht, daß ein intelligenter Mensch mit festem Willen jede ihm gestellte Aufgabe irgendwie zu lösen vermag. Das alles wird Dich kaum sehr interessieren, aber aus allen Deinen Äußerungen entnehme ich immer mehr und mehr, daß Dir das Ehepaar O. H. 2 ein ganz falsches Bild von meinem Kind und unserem Verhältnis zueinander entworfen hat. Es mag sein, daß ich in früheren Jahren oft recht nervös war, da ich fast zehn Jahre mit dem Wechsel und seinen recht üblen Begleiterscheinungen zu tun hatte; das war recht hart für mich und meine Lieben; daß ein junges Mädl mit hohen Interessen und geistigen Bestrebungen viel härter an den Flegeljahren und der ersten Sturm-und[-]Drangperiode zu kauen hat, als ein Gänschen, {4} das an Mutter‘s Schürzenband hängt, – und daß sie deshalb fortstrebt aus einer Kleinstadt mit so engbegrenzten Möglichkeiten, kann eine Mutter, die keine Tochter hat, nicht verstehen und die seelischen Konflikte aus der eigenen Jugendzeit hat sie längst vergessen. 3 Verzeih‘ wenn ich Dich mit Sachen belästigen, die kein großes Interesse für Dich bedeuten können. Lene telegrafierte aus Brüssel, wollte weiter in das belgische Seebad Knocke, 4 dann in die Normandie. Wir erwarten morgen ausführlichen Bericht. Deine Befürchtung wegen Hella ist schon deshalb hinfällig, weil der Mann 5 seit Monaten im Hotel lebt und Hella mit Lotte, die jetzt Ferien hat, eine neue 2 Zimmer-Wohnung bewohnt. Ich werde noch oft an die schönen Stunden in Gastein denken und danke Dir, daß Du uns für würdig befunden hast, einen Blick in Dein Heiligtum zu werfen. Ich habe mich auch mit Deinem besseren Aussehen sehr gefreut! [note in margin] left margin, sideways: Noch den allerherzlichsten Grüßen Deine Schwester [signed:] Rosa.
[in top margin, p. 3:]
© Transcription Ian Bent, 2024 |
[envelope]
{recto} [To:] ⇧ Mrs. Heinrich Schenker Hofgastein 34/5 Salzburg [postmark:] || [ÚSTÍ NAD LABE]M 2 | [illeg]VIII. 35–10 | 3f | * AUSSIG 2 * || ⇧ Answer[ed] August 30, 1935 {verso} [From:] ⇧ R. Weil, Westphalenstraße 25 Aussig on the Elbe Czechoslovakia [letter] ⇧ Aussig, August 11, 1935 My dear sister, 1 Even without your dear, warm letter, for which I thank you from the bottom of my heart, I would have written to you today. This first week was packed with jobs to do, and never before has it become so difficult for me get back into the daily routine. The journey this time was so glorious and profuse with impressions that it still requires some time to absorb it all, and to consolidate with our earlier beautiful memories. It is like a gift from heaven that in these times one can still accumulate delightful memories, and one should take advantage of it for as long as is possible. The journey back from Vienna, where we spent two magnificent days, passed by in congenial company very quickly and pleasantly, and our joy at seeing Lene again was great. It’s a pity our {2} time together was so short, unpacking and repacking together with Lene all on the same evening. It had to be done very fast since we needed to depart the next morning, otherwise she would not have been able to make full use of her leave, added to which she already had her sleeping car ticket for the Monday evening. She had been expecting us two days earlier, because unusually this time, and since two national holidays fell before the Sunday, we set off on the Friday instead of the Saturday. In three weeks’ time we will see each other again. As she has enjoyed her work in Lungenheim very much, and has seen and learned a great deal, she may perhaps spend the month of September here. In my absence, and despite her having been out of the house the whole day, she has managed and {3} regulated everything magnificently and hosted several guests, and in so doing has shown me proof that an intelligent person with a strong will can dispatch any tasks assigned to them. All of this will hardly be of interest to you, but from all that you say I gather more and more that the O. H. couple 2 has created a totally false impression for you of my child and our relationship to one another. It may be that in earlier years I was often highly nervous, since for nearly ten years I had to deal with the change and its insidious accompanying symptoms. That was really hard for me and those close to me. A mother who has no daughter cannot understand that a young lass with keen interests and intellectual aspirations had to try out the first sturm-und-drang period, as a gosling {4} that clings to its mother’s apron strings, and consequently strained at the leash to get away from a small town with such restricted possibilities, and [that that mother] has long since forgotten the mental conflicts of her own youthful years. 3 Forgive me if I am burdening you with matters that can be of no great interest for you. Lene telegraphed from Brussels wanting to extend her travels, to the Belgian seaside resort of Knokke and then on to Normandy. 4 We are expecting a detailed report tomorrow. Your anxiety concerning Hella is by now out-of-date because her husband 5 has been living for some months in a hotel, and Hella and Lotte (who is now on holiday) are living in a two-room apartment. I still think often of those happy hours we spent in Gastein, and thank you for considering us worthy of having a glimpse into your sanctuary. I was also greatly cheered by your improved appearance. [note in margin] left margin, sideways:Once again, most heartfelt greetings Your sister [signed:] Rosa
[in top margin, p. 3:]
© Translation Ian Bent, 2024 |
[envelope]
{recto} [An:] ⇧ Frau Dr. Heinrich Schenker Hofgastein 34/5, Salzburg. [postmark:] || [ÚSTÍ NAD LABE]M 2 | [illeg]VIII. 35–10 | 3f | * AUSSIG 2 * || ⇧ Antwort 30. VIII. 35 {verso} [Absender:] ⇧ R. Weil, Westphalenstr. 25. Aussig a/E. C. S. R. [letter] ⇧ Aussig, 11. Aug. 1935. Meine liebe Schwester! 1 auch ohne Deinen so lieben herzlichen Brief, für den ich Dir vielmals danke, hätte ich Dir heute geschrieben. Diese erste Woche war sehr mit Arbeit angefüllt und es ist mir noch nie so schwer geworden, mich in den Alltag zurückzufinden. Diese Reise war so wunderschön und überreich an Eindrücken, daß es noch einige Zeit braucht, alles zu verarbeiten und zu den früheren, schönen Erinnerungen zu legen. Es ist wie ein Geschenk vom Himmel, daß man in diesen Zeiten noch schöne Erinnerungen sammeln kann und man sollte es ausnützen, solange es möglich ist. – Die Rückreise von Wien, wo wir zwei herrliche Tage verbrachten, verlief in angenehmer Gesellschaft sehr rasch und angenehm und die Wiedersehensfreude mit Lene war groß. Leider war die Zeit des {2} Beisammenseins ganz kurz, auspacken und mit Lene wieder einpacken, noch am selben Abend; das mußte sehr rasch gehen, weil sie am nächsten Morgen wegfahren mußte, sonst hätte sie ihren Urlaub nicht voll ausnützen können; außerdem hatte sie für Montag abends schon das Schlafwagenbillet. Sie hatte uns eigentlich zwei Tage früher erwartet, weil wir diesmal ausnahmsweise und da zwei Feiertage vor dem Sonntag fielen, statt Samstag schon Freitag weggefahren sind. Nun in drei Wochen sehen wir uns wieder; da ihr die Arbeit im Lungenheim sehr gut gefallen und sie sehr viel gesehen und zugelernt hat, wird sie vielleicht auch noch den Monat September hier verbringen. Sie hat in meiner Abwesenheit, trotzdem sie doch fast den ganzen Tag außer Haus war, alles wunderschön geleitet und {3} angeordnet auch wiederholt Gäste bewirtet und mir damit den Beweis erbracht, daß ein intelligenter Mensch mit festem Willen jede ihm gestellte Aufgabe irgendwie zu lösen vermag. Das alles wird Dich kaum sehr interessieren, aber aus allen Deinen Äußerungen entnehme ich immer mehr und mehr, daß Dir das Ehepaar O. H. 2 ein ganz falsches Bild von meinem Kind und unserem Verhältnis zueinander entworfen hat. Es mag sein, daß ich in früheren Jahren oft recht nervös war, da ich fast zehn Jahre mit dem Wechsel und seinen recht üblen Begleiterscheinungen zu tun hatte; das war recht hart für mich und meine Lieben; daß ein junges Mädl mit hohen Interessen und geistigen Bestrebungen viel härter an den Flegeljahren und der ersten Sturm-und[-]Drangperiode zu kauen hat, als ein Gänschen, {4} das an Mutter‘s Schürzenband hängt, – und daß sie deshalb fortstrebt aus einer Kleinstadt mit so engbegrenzten Möglichkeiten, kann eine Mutter, die keine Tochter hat, nicht verstehen und die seelischen Konflikte aus der eigenen Jugendzeit hat sie längst vergessen. 3 Verzeih‘ wenn ich Dich mit Sachen belästigen, die kein großes Interesse für Dich bedeuten können. Lene telegrafierte aus Brüssel, wollte weiter in das belgische Seebad Knocke, 4 dann in die Normandie. Wir erwarten morgen ausführlichen Bericht. Deine Befürchtung wegen Hella ist schon deshalb hinfällig, weil der Mann 5 seit Monaten im Hotel lebt und Hella mit Lotte, die jetzt Ferien hat, eine neue 2 Zimmer-Wohnung bewohnt. Ich werde noch oft an die schönen Stunden in Gastein denken und danke Dir, daß Du uns für würdig befunden hast, einen Blick in Dein Heiligtum zu werfen. Ich habe mich auch mit Deinem besseren Aussehen sehr gefreut! [note in margin] left margin, sideways: Noch den allerherzlichsten Grüßen Deine Schwester [signed:] Rosa.
[in top margin, p. 3:]
© Transcription Ian Bent, 2024 |
[envelope]
{recto} [To:] ⇧ Mrs. Heinrich Schenker Hofgastein 34/5 Salzburg [postmark:] || [ÚSTÍ NAD LABE]M 2 | [illeg]VIII. 35–10 | 3f | * AUSSIG 2 * || ⇧ Answer[ed] August 30, 1935 {verso} [From:] ⇧ R. Weil, Westphalenstraße 25 Aussig on the Elbe Czechoslovakia [letter] ⇧ Aussig, August 11, 1935 My dear sister, 1 Even without your dear, warm letter, for which I thank you from the bottom of my heart, I would have written to you today. This first week was packed with jobs to do, and never before has it become so difficult for me get back into the daily routine. The journey this time was so glorious and profuse with impressions that it still requires some time to absorb it all, and to consolidate with our earlier beautiful memories. It is like a gift from heaven that in these times one can still accumulate delightful memories, and one should take advantage of it for as long as is possible. The journey back from Vienna, where we spent two magnificent days, passed by in congenial company very quickly and pleasantly, and our joy at seeing Lene again was great. It’s a pity our {2} time together was so short, unpacking and repacking together with Lene all on the same evening. It had to be done very fast since we needed to depart the next morning, otherwise she would not have been able to make full use of her leave, added to which she already had her sleeping car ticket for the Monday evening. She had been expecting us two days earlier, because unusually this time, and since two national holidays fell before the Sunday, we set off on the Friday instead of the Saturday. In three weeks’ time we will see each other again. As she has enjoyed her work in Lungenheim very much, and has seen and learned a great deal, she may perhaps spend the month of September here. In my absence, and despite her having been out of the house the whole day, she has managed and {3} regulated everything magnificently and hosted several guests, and in so doing has shown me proof that an intelligent person with a strong will can dispatch any tasks assigned to them. All of this will hardly be of interest to you, but from all that you say I gather more and more that the O. H. couple 2 has created a totally false impression for you of my child and our relationship to one another. It may be that in earlier years I was often highly nervous, since for nearly ten years I had to deal with the change and its insidious accompanying symptoms. That was really hard for me and those close to me. A mother who has no daughter cannot understand that a young lass with keen interests and intellectual aspirations had to try out the first sturm-und-drang period, as a gosling {4} that clings to its mother’s apron strings, and consequently strained at the leash to get away from a small town with such restricted possibilities, and [that that mother] has long since forgotten the mental conflicts of her own youthful years. 3 Forgive me if I am burdening you with matters that can be of no great interest for you. Lene telegraphed from Brussels wanting to extend her travels, to the Belgian seaside resort of Knokke and then on to Normandy. 4 We are expecting a detailed report tomorrow. Your anxiety concerning Hella is by now out-of-date because her husband 5 has been living for some months in a hotel, and Hella and Lotte (who is now on holiday) are living in a two-room apartment. I still think often of those happy hours we spent in Gastein, and thank you for considering us worthy of having a glimpse into your sanctuary. I was also greatly cheered by your improved appearance. [note in margin] left margin, sideways:Once again, most heartfelt greetings Your sister [signed:] Rosa
[in top margin, p. 3:]
© Translation Ian Bent, 2024 |
Footnotes1 All paragraph-breaks except the first and last are editorial and based on endashes by Rosa. 2 “O. H. couple”: presumably Klara and Oskar Hatschek (there is no other “O. H.” among Heinrich’s close acquaintances), though this seems an unlikely slur. 3 Is there a suggestion here (with “Wechsel” and “die keine Tochter hat”) that Lene was adopted, or that she was Arnold’s daughter by another mother? 4 Knokke: the most north-easterly seaside resort in Belgium, adjacent to the border with Holland (Wikipedia). Earlier in the letter we were told that Lene would be away for three weeks. Evidently the telegraph has come in during the writing of this letter. 5 Emil Hatschek, Hella’s husband, who Rosa in an earlier letter spoke of as a “Lump” (“idiot”) (OJ 14/10, [15], November 24–28, 1934). 6 . Prostějov: town 60 km (38 miles) north-east of Brno. |
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Commentary
Digital version created: 2024-07-31 |