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OJ 15/16, [101] - Handwritten letter from Hans Weisse to Jeanette Schenker, dated October 22, 1935
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{recto} ⇧ S. S. Normandie [An:] Frau Dr. Heinrich Schenker Hasenauerstrasse 12 Wien XIX. Austria ⇧ [received?:] 30. X. 35 beantw. 8. XI. 35 [postmark:] || NEW YORK N.Y. | OCT 23 9‒AM | 1935 || {verso} [Absender:] ⇧ Dr H. Weisse, 1 64th [Street] New York City U. S. A. [Letter: ] New York, 22. Oktober 35. Liebe Frau Lie-Lie, 1 Ich bestätige dankend den Empfang der Bilder, die von meinen Schülern mit Rührung empfangen werden. 2 Noch hatte ich nicht Gelegenheit alle zu verteilen, weil der Unterricht erst kürzlich begonnen hat. Dies ist auch der Grund, weshalb ich die zweite Sendung, 3 die bis zum Jahresende für die Monate Oktober–Dezember gelten soll, nicht schicken konnte. Doch werde ich das in Bälde in Angriff nehmen. Ich habe, so weit ich mich erinnere in meinem letzten Brief an Sie 4 die Frage der Neuauflage der Harmonielehre nicht berührt, möchte mich aber dazu jetzt kurz äussern. Ich glaube, das Buch müsste erscheinen. Die Frage einer gekürzten Fassung ist freilich eine delikate Angelegenheit und ich verstehe Ihren Standpunkt durchaus, der Sie zuerst kurzerhand nein dazu hat sagen lassen. Bei Nach reiflicher Überlegung jedoch glaube ich, dass eine Kürzung vielleicht doch taktvoll zu machen wäre und dass es vielleicht möglich wäre, die im Handexemplar des Meisters hinzugekommenen Bemerkungen der neuen Ausgabe einzuverleiben und die Kürzung trotzdem sich {2} auswirken zu lassen. Die Frage ist, ob das völlige, dauernde Verschwinden des Buches vom Markte der Sache nicht schädlicher ist, als etwaige Kürzungen, die doch selbstverständlich nur Unwesentliches betreffen dürften. Ich lese Ihren diesbezüglichen Brief jetzt grade noch einmal durch, 5 kann aber daraus nicht entnehmen, worauf sich die AbKürzung beziehen sollte? Wenn die U. E. verlangte, dass das Buch gleich um die Hälfte kürzer sein soll, dann hatten Sie gewiss Recht. Im Prinzip aber meine ich sollte man sich nur von rein sachlichen Argumenten leiten lassen und nicht allzu sklavisch an dem Buchstaben hängen. Vielleicht hatte ich früher nie so gedacht – aber die Tatsache, dass ich mich ernstlich mit dem Unternehmen beschäftige, das Werk Schenkers dem englischen Sprachgeist einzuverleiben, hat mich dazu geführt. Nach monatelanger intensivster Beschäftigung mit dem freien Satz ist mir durchaus klar geworden, dass eine wörtliche Übersetzung des Buches unmöglich ist und dass der, der diesen Versuch unternehmen würde, das Buch einer englischen Leserschaft noch mehr unzugänglich machen würde, als wenn er es gar nicht übersetzt hatte. Kein einziger der Termini (soweit es überhaupt englische Worte dafür gibt) sagt könnte etwas im englischen Sprachgeist Aufgewachsenen {3} etwas Eindeutiges, etwas Vorstellbares bedeuten. Mir ist klar geworden, dass um der Idee zu liebe, die für die Menschheit von grösster Bedeutung ist, eine Übertragung in’s Englische nur möglich ist, wenn die Lehre aus dem englischen Sprachgeist neu wiedergeboren wird. Das bedeutet ein völliges Abwenden vom Buchstaben, vom Einzelwort – und Ausdruck und verlangt als Ersatz für jeden Terminus ein Wort oder eine Wortgruppe, die die Sache, als das was sie wirklich ist, treffend kennzeichnet. Die englische Sprache ist zu präzis, als dass die bildliche Ausdrücke im übertragenen Sinne als Mittel der Verständigung zulassen würde. Hinter, Mittel und Vordergrund zum Beispiel bedeuten dem Engländer nur solange etwas, wenn sie auf die Malerei angewandt werden. Zur Charakterisierung von Hörbarem taugen sie einfach nicht und wären, so angewandt, nur Worte, die verschleiern, verdunkeln, statt eindeutig das Gedachte und Vorgestellte blitzartig dem Lesenden oder Hörenden aufzuzwingen. Ich halte es übrigens für ein Verhängnis, das der Verbreitung der Lehre mehr als man zuerst anzunehmen gewillt ist im Wege steht, dass die „Namengebung” von der Schenker selbst sagt, sie sei eines der wichtigsten Geschäfte des Geistes, im „freien Satz“ einem so billigen und verschleierndem [sic] Prinzip huldigt, wie das des Gleichnisses es ist. Mit wenigen Ausnahmen sind alle Termini erborgt von andern Disziplinen, sei es Philosophie, Ma- {4} lerei, Geologie … . Dies verbreitet über Schenkers Hörwelt, die sich nur auf Wirkliches, Wirksames, Tatsächliches bezieht, einen fast undurchsichtigen Schleier von Mystischem und nur daher rührt es, dass diejenigen, die durch sein geschriebenes Wort zu seiner Hörwelt hingeleitet werden sollen den Verdacht erheben, es betreibe Metaphysik und vom kritischen Zweifel abgeschreckt werden. Ich werde das an den eEinzelnen Fachausdrücken in meinen „freien Sätzen“ zu Schenkers freiem Satz 6 Punkt für Punkt beweisen. Ich erwähne das hier blos, um zu erklären, wie ich zu einen [recte einem] neuen Standpunkt gekommen bin, der zwar die Idee über alles hochhält, ihre sprachliche Fassung jedoch daraufhin zu prüfen den Mut findet, ob in ihr das Gedachte endgültigen und eindeutigen Ausdruck gefunden hat. Es war gewiss keine leichte Aufgabe der vollkommen präzisen Hörweise einen entsprechend präzisen sprachlichen Ausdruck zur Seite zu stellen, doch darf die Bewunderung für die erstere einen nicht so blind machen, dass man sich der Tatsache verschliessen will, wie viele verhängnisvolle Fehler Schenker[s] bei dem Prozess der sprachlichen Fassung unterlaufen sind. Das ist es, was einen beim Lesen des freien Satzes so sehr bedrückt: man ahnt, fühlt die Wahrheit, sobald sie in der musikalischen Skizze dargestellt ist und man wird um das Meiste wieder beraubt, wenn man das Daraufbezügliche liest und einen die unpräzis geprägten Begriffe und noch unpräziser angewandten Begriffe in der Schwebe des Unent- {5} schiedenen und Vagen halten. Ich brauche nach Allem bisher Gesagten nicht noch einmal zu betonen, dass ich es als eine meiner Hauptaufgaben ansehe, der Lehre zur Verbreitung zu verhelfen, doch habe ich Ihnen mit dem vor aus her gesagten die Richtung angedeutet, in der ich es einzig für möglich halte. Eine Übersetzung halte ich nicht blos, so weit ich selbst in Betracht komme, sondern für jedermann, für unmöglich. Eine gänzliche neue sprachliche Umformung ist notwendig, soweit es das Englische anbetrifft. Unverändert könnte die Notenbeilage belassen werden. Dass ich mich bei der Abfassung des englischen Textes von dem Gedanken leiten lassen würde, die Lehre für den praktischen Gebrauch des Schulbetriebes darzustellen, versteht sich von selbst. Ich bitte Sie nun, mir zu sagen, wie Sie sich dazu stellen und auch Ihre Fühler nach der U. E. auszustrecken, und mir deren Standpunkt bekannt zu geben. Sie können sich wohl denken, dass ich eine solche immense Arbeit nicht gerne in Angriff nehme, bevor ich nicht weiss, dass man mir weder von Ihnen noch von Seiten des Verlages Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Ich habe die Arbeit bereits in Angriff genommen: wie langsam so etwas auch im Anfange vor sich geh t en würde . Was die deutsche Fassung des freien Satzes anlangt, so bin ich zu der, für mich unwiderlegbaren Überzeugung gekommen, dass er sich [?da] um die nicht zu Ende gedachte sprachliche Darstellung einer in sich völlig gerun- {6} deten, ausgereiften Hörweise handelt, die eines Kommentars bedarf. In welchen Bahnen sich ein solcher Kommentar bewegen müsste, werden Ihnen meine Bemerkungen zum freien Satz deutlich zeigen, deren Niederschrift ich dieser Tage in Angriff nehmen werde. Diese Bemerkungen sind, ich wiederhole es, nicht zur Publikation bestimmt und nur an die Eingeweihten gerichtet. Es liegt mir ferne „Kritik“ zu üben, die nicht zu Positivem führt. Doch muss der Lehrende aus dem Chaos von Widersprüchen und Ungereimtheiten heraus, in das ihn der freie Satz von Seite zu Seite verstrickt. Hier noch eine Anfrage: wären Sie willens des Meisters Bibliothek als Ganzes zu verkaufen und besitzen Sie ein Verzeichnis der Bücher und Noten? Ich könnte in dieser Richtung vielleicht etwas unternehmen. Universitäten und Bibliotheken, sind hier im Wachstum begriffen und es könnte sich vielleicht die eine oder andere finden, die interessiert wäre. Wir sind alle wohl und müssen und recht und schlecht mit der Stadt, und allem Lärm und Hässlichkeit abfinden. © Transcription William Drabkin, 2008 |
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{recto} ⇧ S. S. Normandie [To:] Mrs. Heinrich Schenker Hasenauerstrasse 12 Vienna XIX Austria ⇧ [received?:] 30. X. 35 answered 8. XI. 35 [postmark:] || NEW YORK N.Y. | OCT 23 9‒AM | 1935 || {verso} [From:] ⇧ Dr. H. Weisse, 1 64th [Street] New York City U. S. A. [Letter: ] New York, October 22, 1935 Dear Mrs. Lie-Lie, 1 I confirm, with my thanks, the arrival of the pictures, which my pupils will be touched to receive. 2 I have not yet had the opportunity to distribute all of them, since teaching has only just recently begun. This is also the reason why I could not send you the second payment, 3 which applies to the months October–December. But I will take care of that soon. So far as I recall, in my last letter to you 4 I did not raise the matter of a new edition of Theory of Harmony ; but I should like to say a few words about it now. I believe that the book ought to be published. The question of an abbreviated version is, of course, a delicate matter, and I thoroughly understand your viewpoint, which led you to dismiss it on the spot. After thinking the matter well over, however, I believe that making a shortened version would perhaps be judicious, and that it would perhaps be possible to incorporate the remarks added to the master's working copy and still effect an abbreviated version. {2} One has to consider whether the complete and long-term absence of the book from the market will be more damaging to the cause than a few cuts ‒ which would, of course, concern only non-essential matters. I am reading through your letter about this again right now, 5 but cannot tell where the cuts should be applied. If Universal Edition insisted that the book should be shortened to half its length, then you were of course in the right [to say no]. In principle, however, I believe that one should be guided only by purely objective arguments and not follow the letter too slavishly. Perhaps I would not have thought so earlier, but the fact that I am working seriously on the project of incorporating Schenker's work into the spirit of the English language has led me in this direction. After months of intensive study of Free Composition , it has become perfectly clear to me that a word-for-word translation of the work is impossible, and that anyone who would attempt this would make the work even more inaccessible to an English readership than if he had not translated it at all. Not one of the technical terms (insofar as one can come up with English words for them at all) could {3} mean something unambiguous, something imaginable, to a reader who was mentally brought up in the English language. It has become clear to me that, for the sake of the idea, which is of the greatest importance for humanity, an English translation is possible only if the theory is born again, in the spirit of the English language. This means a complete turning away from the letter, from the individual word and individual expression, and demands that every technical term be replaced by a word or group of words that indicates convincingly the point that it really conveys. The English language is too precise for us to use conceptual expressions in translation as a means of clarification: "background," "middleground" and "foreground," for example, will mean something to the English speaker only if they are applied to painting. For the purpose of characterizing something that is audible, they are simply unsuitable; they would only be words that veiled and obscured, instead instilling in the reader (or listener) a clear idea of what was thought or imagined as if by a stroke of lightning. I regard it, moreover, as a tragedy that the dissemination of the theory will be impeded, more than one is prepared to admit, by the fact that the "naming of things," which Schenker himself claimed to be one of the most important intellectual activities, pays homage to such an easy and obscuring principle as that of the allegory. With very few exceptions, all the technical terms have been borrowed from other disciplines, whether philosophy, painting, {4} geology …. This spreads over Schenker's auditory world, which is concerned only with what is real, effective and objective, an almost impenetrable veil of mysticism; and only for this reason will it come about that those who are supposed to be led from his written word to his auditory world will become suspicious that he is practising metaphysics, and their critical doubts will scare them off. I shall demonstrate this, point for point, in each of the technical terms, in my "free sentences" on Schenker's Free Composition . 6 I mention this here merely to explain how I arrived at a new point of view, which holds the [Schenkerian] idea above all else, but finds the courage to test its verbal formulation as to whether what was thought has found a definitive and unambiguous expression. It was, for sure, no easy task to find for a thoroughly precise manner of hearing a corresponding precise verbal expression; yet one's admiration for the former should not make one so blind as to ignore the fact that so many disastrous mistakes on Schenker's part have been commited in the process of verbal formulation. This is what depressed me so much when I read Free Composition : I can sense and feel the truth so long as it is presented as a musical illustration, and I am then robbed of most of its meaning when I read what is said about it, and the imprecisely formulated ‒ and the even more imprecisely applied ‒ terminology holds me in the air, in a state of uncertainty {5} and vagueness. After all I have said until now, I need not stress yet again that I regard it as one of my principal assignments to assist in the dissemination of the theory; yet I have indicated to you, by what I have previously said, the only possible direction I could possibly take. I regard a translation of it, not merely as concerns myself but for anyone, as an impossibility. A completely new verbal formulation is necessary, as far as the English language is concerned. The appendix of musical illustrations could be left unchanged. It goes without saying that, in preparing an English text, I would be led by the idea of presenting the theory for practical use in the education system. I ask you now to tell me what you think of this, and also to put out your feelers to Universal Edition, and to let me know where they stand. You can probably imagine that I would not wish to undertake such an immense piece of work before I knew that difficulties would be placed in my way neither by you nor by the publishing house, however slowly things would have to proceed at the outset. Regarding the German version of Free Composition , I have come to the inescapable conclusion that a fully rounded, fully matured method of hearing {6} requires a commentary to compensate for a verbal presentation that has not been fully thought out. Along what paths such a commentary must move is something that my forthcoming observations on Free Composition will indicate clearly; I shall make a point of writing these down in the coming days. These observations are, I repeat, not intended for publication, and only intended for those who are initiated. Far be it from me to practise "criticism" that does not lead to positive results. And yet, the teacher must free himself from the chaos of contradictions and inconsistencies into which he has become entangled by Free Composition , page after page. I have one further question: would you be willing to sell the master's library as an entirety, and do you posess an index of the books and scores? I could perhaps undertake something in this direction. Universities and libraries here are in the process of growing, and one might find one or another of them that would be interested. We are all well, and must put up with the hustle and bustle of the city, with all its noise and unpleasantness. © Translation William Drabkin, 2008 |
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{recto} ⇧ S. S. Normandie [An:] Frau Dr. Heinrich Schenker Hasenauerstrasse 12 Wien XIX. Austria ⇧ [received?:] 30. X. 35 beantw. 8. XI. 35 [postmark:] || NEW YORK N.Y. | OCT 23 9‒AM | 1935 || {verso} [Absender:] ⇧ Dr H. Weisse, 1 64th [Street] New York City U. S. A. [Letter: ] New York, 22. Oktober 35. Liebe Frau Lie-Lie, 1 Ich bestätige dankend den Empfang der Bilder, die von meinen Schülern mit Rührung empfangen werden. 2 Noch hatte ich nicht Gelegenheit alle zu verteilen, weil der Unterricht erst kürzlich begonnen hat. Dies ist auch der Grund, weshalb ich die zweite Sendung, 3 die bis zum Jahresende für die Monate Oktober–Dezember gelten soll, nicht schicken konnte. Doch werde ich das in Bälde in Angriff nehmen. Ich habe, so weit ich mich erinnere in meinem letzten Brief an Sie 4 die Frage der Neuauflage der Harmonielehre nicht berührt, möchte mich aber dazu jetzt kurz äussern. Ich glaube, das Buch müsste erscheinen. Die Frage einer gekürzten Fassung ist freilich eine delikate Angelegenheit und ich verstehe Ihren Standpunkt durchaus, der Sie zuerst kurzerhand nein dazu hat sagen lassen. Bei Nach reiflicher Überlegung jedoch glaube ich, dass eine Kürzung vielleicht doch taktvoll zu machen wäre und dass es vielleicht möglich wäre, die im Handexemplar des Meisters hinzugekommenen Bemerkungen der neuen Ausgabe einzuverleiben und die Kürzung trotzdem sich {2} auswirken zu lassen. Die Frage ist, ob das völlige, dauernde Verschwinden des Buches vom Markte der Sache nicht schädlicher ist, als etwaige Kürzungen, die doch selbstverständlich nur Unwesentliches betreffen dürften. Ich lese Ihren diesbezüglichen Brief jetzt grade noch einmal durch, 5 kann aber daraus nicht entnehmen, worauf sich die AbKürzung beziehen sollte? Wenn die U. E. verlangte, dass das Buch gleich um die Hälfte kürzer sein soll, dann hatten Sie gewiss Recht. Im Prinzip aber meine ich sollte man sich nur von rein sachlichen Argumenten leiten lassen und nicht allzu sklavisch an dem Buchstaben hängen. Vielleicht hatte ich früher nie so gedacht – aber die Tatsache, dass ich mich ernstlich mit dem Unternehmen beschäftige, das Werk Schenkers dem englischen Sprachgeist einzuverleiben, hat mich dazu geführt. Nach monatelanger intensivster Beschäftigung mit dem freien Satz ist mir durchaus klar geworden, dass eine wörtliche Übersetzung des Buches unmöglich ist und dass der, der diesen Versuch unternehmen würde, das Buch einer englischen Leserschaft noch mehr unzugänglich machen würde, als wenn er es gar nicht übersetzt hatte. Kein einziger der Termini (soweit es überhaupt englische Worte dafür gibt) sagt könnte etwas im englischen Sprachgeist Aufgewachsenen {3} etwas Eindeutiges, etwas Vorstellbares bedeuten. Mir ist klar geworden, dass um der Idee zu liebe, die für die Menschheit von grösster Bedeutung ist, eine Übertragung in’s Englische nur möglich ist, wenn die Lehre aus dem englischen Sprachgeist neu wiedergeboren wird. Das bedeutet ein völliges Abwenden vom Buchstaben, vom Einzelwort – und Ausdruck und verlangt als Ersatz für jeden Terminus ein Wort oder eine Wortgruppe, die die Sache, als das was sie wirklich ist, treffend kennzeichnet. Die englische Sprache ist zu präzis, als dass die bildliche Ausdrücke im übertragenen Sinne als Mittel der Verständigung zulassen würde. Hinter, Mittel und Vordergrund zum Beispiel bedeuten dem Engländer nur solange etwas, wenn sie auf die Malerei angewandt werden. Zur Charakterisierung von Hörbarem taugen sie einfach nicht und wären, so angewandt, nur Worte, die verschleiern, verdunkeln, statt eindeutig das Gedachte und Vorgestellte blitzartig dem Lesenden oder Hörenden aufzuzwingen. Ich halte es übrigens für ein Verhängnis, das der Verbreitung der Lehre mehr als man zuerst anzunehmen gewillt ist im Wege steht, dass die „Namengebung” von der Schenker selbst sagt, sie sei eines der wichtigsten Geschäfte des Geistes, im „freien Satz“ einem so billigen und verschleierndem [sic] Prinzip huldigt, wie das des Gleichnisses es ist. Mit wenigen Ausnahmen sind alle Termini erborgt von andern Disziplinen, sei es Philosophie, Ma- {4} lerei, Geologie … . Dies verbreitet über Schenkers Hörwelt, die sich nur auf Wirkliches, Wirksames, Tatsächliches bezieht, einen fast undurchsichtigen Schleier von Mystischem und nur daher rührt es, dass diejenigen, die durch sein geschriebenes Wort zu seiner Hörwelt hingeleitet werden sollen den Verdacht erheben, es betreibe Metaphysik und vom kritischen Zweifel abgeschreckt werden. Ich werde das an den eEinzelnen Fachausdrücken in meinen „freien Sätzen“ zu Schenkers freiem Satz 6 Punkt für Punkt beweisen. Ich erwähne das hier blos, um zu erklären, wie ich zu einen [recte einem] neuen Standpunkt gekommen bin, der zwar die Idee über alles hochhält, ihre sprachliche Fassung jedoch daraufhin zu prüfen den Mut findet, ob in ihr das Gedachte endgültigen und eindeutigen Ausdruck gefunden hat. Es war gewiss keine leichte Aufgabe der vollkommen präzisen Hörweise einen entsprechend präzisen sprachlichen Ausdruck zur Seite zu stellen, doch darf die Bewunderung für die erstere einen nicht so blind machen, dass man sich der Tatsache verschliessen will, wie viele verhängnisvolle Fehler Schenker[s] bei dem Prozess der sprachlichen Fassung unterlaufen sind. Das ist es, was einen beim Lesen des freien Satzes so sehr bedrückt: man ahnt, fühlt die Wahrheit, sobald sie in der musikalischen Skizze dargestellt ist und man wird um das Meiste wieder beraubt, wenn man das Daraufbezügliche liest und einen die unpräzis geprägten Begriffe und noch unpräziser angewandten Begriffe in der Schwebe des Unent- {5} schiedenen und Vagen halten. Ich brauche nach Allem bisher Gesagten nicht noch einmal zu betonen, dass ich es als eine meiner Hauptaufgaben ansehe, der Lehre zur Verbreitung zu verhelfen, doch habe ich Ihnen mit dem vor aus her gesagten die Richtung angedeutet, in der ich es einzig für möglich halte. Eine Übersetzung halte ich nicht blos, so weit ich selbst in Betracht komme, sondern für jedermann, für unmöglich. Eine gänzliche neue sprachliche Umformung ist notwendig, soweit es das Englische anbetrifft. Unverändert könnte die Notenbeilage belassen werden. Dass ich mich bei der Abfassung des englischen Textes von dem Gedanken leiten lassen würde, die Lehre für den praktischen Gebrauch des Schulbetriebes darzustellen, versteht sich von selbst. Ich bitte Sie nun, mir zu sagen, wie Sie sich dazu stellen und auch Ihre Fühler nach der U. E. auszustrecken, und mir deren Standpunkt bekannt zu geben. Sie können sich wohl denken, dass ich eine solche immense Arbeit nicht gerne in Angriff nehme, bevor ich nicht weiss, dass man mir weder von Ihnen noch von Seiten des Verlages Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Ich habe die Arbeit bereits in Angriff genommen: wie langsam so etwas auch im Anfange vor sich geh t en würde . Was die deutsche Fassung des freien Satzes anlangt, so bin ich zu der, für mich unwiderlegbaren Überzeugung gekommen, dass er sich [?da] um die nicht zu Ende gedachte sprachliche Darstellung einer in sich völlig gerun- {6} deten, ausgereiften Hörweise handelt, die eines Kommentars bedarf. In welchen Bahnen sich ein solcher Kommentar bewegen müsste, werden Ihnen meine Bemerkungen zum freien Satz deutlich zeigen, deren Niederschrift ich dieser Tage in Angriff nehmen werde. Diese Bemerkungen sind, ich wiederhole es, nicht zur Publikation bestimmt und nur an die Eingeweihten gerichtet. Es liegt mir ferne „Kritik“ zu üben, die nicht zu Positivem führt. Doch muss der Lehrende aus dem Chaos von Widersprüchen und Ungereimtheiten heraus, in das ihn der freie Satz von Seite zu Seite verstrickt. Hier noch eine Anfrage: wären Sie willens des Meisters Bibliothek als Ganzes zu verkaufen und besitzen Sie ein Verzeichnis der Bücher und Noten? Ich könnte in dieser Richtung vielleicht etwas unternehmen. Universitäten und Bibliotheken, sind hier im Wachstum begriffen und es könnte sich vielleicht die eine oder andere finden, die interessiert wäre. Wir sind alle wohl und müssen und recht und schlecht mit der Stadt, und allem Lärm und Hässlichkeit abfinden. © Transcription William Drabkin, 2008 |
[Envelope:
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{recto} ⇧ S. S. Normandie [To:] Mrs. Heinrich Schenker Hasenauerstrasse 12 Vienna XIX Austria ⇧ [received?:] 30. X. 35 answered 8. XI. 35 [postmark:] || NEW YORK N.Y. | OCT 23 9‒AM | 1935 || {verso} [From:] ⇧ Dr. H. Weisse, 1 64th [Street] New York City U. S. A. [Letter: ] New York, October 22, 1935 Dear Mrs. Lie-Lie, 1 I confirm, with my thanks, the arrival of the pictures, which my pupils will be touched to receive. 2 I have not yet had the opportunity to distribute all of them, since teaching has only just recently begun. This is also the reason why I could not send you the second payment, 3 which applies to the months October–December. But I will take care of that soon. So far as I recall, in my last letter to you 4 I did not raise the matter of a new edition of Theory of Harmony ; but I should like to say a few words about it now. I believe that the book ought to be published. The question of an abbreviated version is, of course, a delicate matter, and I thoroughly understand your viewpoint, which led you to dismiss it on the spot. After thinking the matter well over, however, I believe that making a shortened version would perhaps be judicious, and that it would perhaps be possible to incorporate the remarks added to the master's working copy and still effect an abbreviated version. {2} One has to consider whether the complete and long-term absence of the book from the market will be more damaging to the cause than a few cuts ‒ which would, of course, concern only non-essential matters. I am reading through your letter about this again right now, 5 but cannot tell where the cuts should be applied. If Universal Edition insisted that the book should be shortened to half its length, then you were of course in the right [to say no]. In principle, however, I believe that one should be guided only by purely objective arguments and not follow the letter too slavishly. Perhaps I would not have thought so earlier, but the fact that I am working seriously on the project of incorporating Schenker's work into the spirit of the English language has led me in this direction. After months of intensive study of Free Composition , it has become perfectly clear to me that a word-for-word translation of the work is impossible, and that anyone who would attempt this would make the work even more inaccessible to an English readership than if he had not translated it at all. Not one of the technical terms (insofar as one can come up with English words for them at all) could {3} mean something unambiguous, something imaginable, to a reader who was mentally brought up in the English language. It has become clear to me that, for the sake of the idea, which is of the greatest importance for humanity, an English translation is possible only if the theory is born again, in the spirit of the English language. This means a complete turning away from the letter, from the individual word and individual expression, and demands that every technical term be replaced by a word or group of words that indicates convincingly the point that it really conveys. The English language is too precise for us to use conceptual expressions in translation as a means of clarification: "background," "middleground" and "foreground," for example, will mean something to the English speaker only if they are applied to painting. For the purpose of characterizing something that is audible, they are simply unsuitable; they would only be words that veiled and obscured, instead instilling in the reader (or listener) a clear idea of what was thought or imagined as if by a stroke of lightning. I regard it, moreover, as a tragedy that the dissemination of the theory will be impeded, more than one is prepared to admit, by the fact that the "naming of things," which Schenker himself claimed to be one of the most important intellectual activities, pays homage to such an easy and obscuring principle as that of the allegory. With very few exceptions, all the technical terms have been borrowed from other disciplines, whether philosophy, painting, {4} geology …. This spreads over Schenker's auditory world, which is concerned only with what is real, effective and objective, an almost impenetrable veil of mysticism; and only for this reason will it come about that those who are supposed to be led from his written word to his auditory world will become suspicious that he is practising metaphysics, and their critical doubts will scare them off. I shall demonstrate this, point for point, in each of the technical terms, in my "free sentences" on Schenker's Free Composition . 6 I mention this here merely to explain how I arrived at a new point of view, which holds the [Schenkerian] idea above all else, but finds the courage to test its verbal formulation as to whether what was thought has found a definitive and unambiguous expression. It was, for sure, no easy task to find for a thoroughly precise manner of hearing a corresponding precise verbal expression; yet one's admiration for the former should not make one so blind as to ignore the fact that so many disastrous mistakes on Schenker's part have been commited in the process of verbal formulation. This is what depressed me so much when I read Free Composition : I can sense and feel the truth so long as it is presented as a musical illustration, and I am then robbed of most of its meaning when I read what is said about it, and the imprecisely formulated ‒ and the even more imprecisely applied ‒ terminology holds me in the air, in a state of uncertainty {5} and vagueness. After all I have said until now, I need not stress yet again that I regard it as one of my principal assignments to assist in the dissemination of the theory; yet I have indicated to you, by what I have previously said, the only possible direction I could possibly take. I regard a translation of it, not merely as concerns myself but for anyone, as an impossibility. A completely new verbal formulation is necessary, as far as the English language is concerned. The appendix of musical illustrations could be left unchanged. It goes without saying that, in preparing an English text, I would be led by the idea of presenting the theory for practical use in the education system. I ask you now to tell me what you think of this, and also to put out your feelers to Universal Edition, and to let me know where they stand. You can probably imagine that I would not wish to undertake such an immense piece of work before I knew that difficulties would be placed in my way neither by you nor by the publishing house, however slowly things would have to proceed at the outset. Regarding the German version of Free Composition , I have come to the inescapable conclusion that a fully rounded, fully matured method of hearing {6} requires a commentary to compensate for a verbal presentation that has not been fully thought out. Along what paths such a commentary must move is something that my forthcoming observations on Free Composition will indicate clearly; I shall make a point of writing these down in the coming days. These observations are, I repeat, not intended for publication, and only intended for those who are initiated. Far be it from me to practise "criticism" that does not lead to positive results. And yet, the teacher must free himself from the chaos of contradictions and inconsistencies into which he has become entangled by Free Composition , page after page. I have one further question: would you be willing to sell the master's library as an entirety, and do you posess an index of the books and scores? I could perhaps undertake something in this direction. Universities and libraries here are in the process of growing, and one might find one or another of them that would be interested. We are all well, and must put up with the hustle and bustle of the city, with all its noise and unpleasantness. © Translation William Drabkin, 2008 |
Footnotes1 This is Weisse's last surviving letter to Jeanette Schenker. Her reply, dated November 8, is not known to survive. The only subsequent items of Weisse correspondence are: OJ 70/46, [12], December 21, 1935 (Weisse to Moriz Violin), OJ 36/73, [1], June 18, 1938 (Jonas to Weisse), OJ 36/246, [6], July 17, 1938 (Weisse to Jonas), and OJ 36/73, [2], August 15, 1938 (Jonas to Weisse). 2 A photograph of Heinrich Schenker, which Jeanette had reproduced for each of Weisse's pupils who had contributed a sum of money toward an annuity for her for the year 1935/36. 3 Weisse had made a first "quarterly" payment at the end of May; see Weisse's letter OJ 15/16, [98] of May 26, 1935, in which he describes how he conceived and set up the fund. 4 = OJ 15/16, [100], September 18, 1935. 5 No letters from Jeanette to Weisse at this period are known to survive. We know only, from her annotations to Weisse's envelopes, that she wrote to him on June 9 and August 10, and replied to the previous and current letters on November 8, 1935. — For a full account of initiatives to republish and to translate Harmonielehre, see Robert Wason, "From Harmonielehre to Harmony: Schenker's Theory of Harmony and its Americanization," in Essays from the Fourth International Schenker Symposium, vol. I, ed. Allen Cadwallader (Hildesheim: Georg Olms Verlag, 2008), pp. 213‒58, esp. pp. 231‒33. 6 Weisse used the same play on words in his previous letter to Jeanette; the body of the letter is, in effect, a varied repetition of OJ 15/16, [100], with Schenker receiving more severe criticism for lack of clarity when defining technical terms. |
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Commentary
Digital version created: 2019-01-09 |