25. VIII. 14
*
Weitere erfreuliche Meldungen vom Rrussischen Kriegsschauplatz. Die deutsche Presse weiß sehr geschickt u. sachgemäß die vom Feind getr betroffene Grenzbevölkerung zu trösten mit dem Hinweis auf reichlichen Ersatz. *Der Stadt Brüssel wurde eine Kriegskontribution in der Höhe von 200 Millionen Francs aufgetragen erlegt. 1 Dies allein ist jene Sprache, die die Belgier besser als ihre eigene Muttersprache verstehen werden; im Geld ist ihr Lebensnerv, ihre einzige Kultur getroffen u. erst die Kontribution wird die Distanz der beiden Kulturen auch für die Belgier sinnfällig abstecken. *Eine seltsame Ironie des Schicksals will es, daß Tag um Tag die Natur wahre Wunder an sommerlicher Schönheit sind ausbreitet. Die fiebernden Menschen indessen sind dagegen begreiflicherweise stumpf; u. so stark ist aber der Selbsterhaltungstrieb, daß er der Gunst oder Mißgunst des Wetters überhaupt gar nicht achtet. *Generalbaß-Studie Seb. Bachs revidiert u. abgeschlossen. *Es erkundigte sich ein Detektiv im Hause nach Lie-Liechen u. mir, u. heute ergab sich, daß er auch im Café Monarch eErkundigungen eingezogen. Mir scheint diese Aktion wenn nicht auf Feststellung einer eventuell gemeinsamen Wohnung blos auf eine Störung des moralischen [illeg]Credites im Caféhaus hinauszulaufen, die selbstverständlich ihren Zweck verfehlen muß. Andere Zwecke kann auch die raffinierteste Bosheit des Krämers weder suchen, noch erreichen. *Floriz zu Tisch, um unseren Besuch zu vertagen. Zu Fl.’ Charakteristik: Er spricht von der Notwendigkeit zu sparen u. weist bei dieser Gelegenheit auch auf die kleinen u. kleinsten Beträge hin, wie z. B. Tramwaygelder, deren Summe schließlich doch einen größeren Betrag ausmacht. Bald darauf aber steigt er mit uns in die Tramway ein, präsentiert die vom {665} roten Kreuz stammende Legitimationskarte, die ihm die Tramway unentgeltlich zu benützen gestattet u. stürzt uns in die Auslage, die er zu vermeiden empfahl. *Wie von ungefähr schleicht Gärtner ans Café Monarch heran (ähnlich tapfer vollzog er seinen Einmarsch ins Café Royal.) Ich fürchte, wir werden das Caféhaus räumen müssen. – Mit Absicht brachte ich das Gespräch auf persönliche Momente, meine Stellung in Wien, meine Beziehungen zum Ausland, wobei ich auf seine Eifersucht u. [seinen] läppischen Neid mit allerhand Shrapnells losging. Nur um Lie-Liechen das Bild krassesten Egoismus’ vorzuführen, habe ich, wieder mit Absicht, das Gespräch darauf gebracht, daß ich eventuell nach Kautzen reisen müßte, wenn ich keine Schüler hätte; und es traf das voraus-Berechnete ein, daß „mein Freund“ auch nicht mit einem Wörtchen andeutete, daß es gar nicht „so weit“ erst zu kommen brauchte, daß ich so weit von Wien abreisen müßte. So verhält sich dieses bedenkliche Individuum, seit es in meiner Nähe weilt. Alle Teilnahme, deren er Fremden gegenüber fähig ist, besonders wenn sich daran öffentliches Herumschwätzen heftet, verfliegt gerade im Augenblick, da er mir gegenüber steht! Nachdem das von mir mit astronomischer Genauigkeit Vorausberechnete eingetroffen, wandte ich mich anderen Themen zu; so corrigierte ich z. B. die lügnerische Angabe seines Gewährsmannes Dr. Rüdinger bezüglich Prof. Adlers, u. führte als Gegenbeweis die von Hans Weisse mitgeteilten Tatsachen. Indessen brachte gerade Gärtner die erste Nachricht vom Falle Namur’s, auf die ich mit Sorge schon seit gestern gewartet habe. *In der Tat bringen die Abendblätter die Meldung vom Fall Namur’s; u. wenn auch noch einige Arbeit aussteht, so ist doch kein Zweifel , am deutschen Sieg mehr gestattet. Hoffentlich gelangt jetzt England zum Fußkuss u. erhält den Fußtritt, der ihm gebührt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 25, 1914.
*
Further gratifying reports from the Russian front. The German press knows how skillfully and objectively to comfort the border population affected by the enemy with its reference to abundant compensation. *The city of Brussels has received a war contribution of the sum of 200 million francs. 1 This alone is the language that the Belgians will understand better than their own mother tongue; its nerve center, its only culture is reached by money, and only this contribution will clearly mark out the distance between the two cultures for the Belgians, too. *It is a strange irony of fate that, day after day, nature sends out true wonders of summer-like beauty. The feverish people, on the other hand, are understandably dull; but the drive for self-preservation is so strong that it takes notice whatsoever of the favor – or disfavor – of the weather. *Bach's study in thoroughbass revised and completed. *A detective inquired in my house about Lie-Liechen and me; and today it turned out that he also made inquiries at the Café Monarch. To me, this action appears to amount, if not to the determination of a possible joint accommodation, merely to a breakdown of the moral credit in the coffee house, which will of course defeat its own purpose. As for other purposes, even the most refined malice of the businessman can neither seek nor achieve them. *Floriz for lunch, in order to delay our visit. Concerning Floriz's character: he speaks of the necessity of saving and refers on this occasion to small, very small, sums, for example, money for the streetcar, which comes to a larger amount when it is added up. Soon afterwards, however, he boards the streetcar with us and presents his {665} enablement card from the Red Cross, which permits him to use the streetcar network free of charge, and plunges us into making a payment that he had recommended avoiding. *As if by chance, Gärtner sneaks into the Café Monarch. (With similar bravery, he executed his entry into the Café Royal.) I fear that we shall have to leave the coffee house. – I intentionally made personal matters topics of conversation: my position in Vienna, my relationships abroad, whereby I struck out at his jealousy and foolish envy with every kind of shrapnel. Merely to show Lie-Liechen a picture of the crudest egoism, I turned the topic of conversation – again intentionally – to the possibility of my having to travel to Kautzen if I were to have no pupils. And it turned out, as predicted, that "my friend" did not even so much offer the suggestion that things have not gotten "so bad" that I had to move so far from Vienna. This is the way this doubtful individual has behaved since coming into contact with me. All the sympathy of which he is capable of showing others, especially when public tittle-tattle is flying about, disappears precisely at the moment at which he is facing me! After that which I predicted with astronomical precision had arrived, I turned to other topics of conversation; thus, for example, I corrected the mendacious statements of his informant, Dr. Rüdinger, regarding Prof. Adler and cited information provided by Hans Weisse as evidence to the contrary. However, I gave Gärtner himself the first news of the fall of Namur, of which I had been anxiously waiting already since yesterday. *In fact the evening newspapers the report the fall of Namur; and if there is still some work to be done, there may be no longer any reason to doubt a German victory. It is to be hoped that England will now have to kiss the feet [of the Germans] and get the kick that it deserves. *
© Translation William Drabkin. |
25. VIII. 14
*
Weitere erfreuliche Meldungen vom Rrussischen Kriegsschauplatz. Die deutsche Presse weiß sehr geschickt u. sachgemäß die vom Feind getr betroffene Grenzbevölkerung zu trösten mit dem Hinweis auf reichlichen Ersatz. *Der Stadt Brüssel wurde eine Kriegskontribution in der Höhe von 200 Millionen Francs aufgetragen erlegt. 1 Dies allein ist jene Sprache, die die Belgier besser als ihre eigene Muttersprache verstehen werden; im Geld ist ihr Lebensnerv, ihre einzige Kultur getroffen u. erst die Kontribution wird die Distanz der beiden Kulturen auch für die Belgier sinnfällig abstecken. *Eine seltsame Ironie des Schicksals will es, daß Tag um Tag die Natur wahre Wunder an sommerlicher Schönheit sind ausbreitet. Die fiebernden Menschen indessen sind dagegen begreiflicherweise stumpf; u. so stark ist aber der Selbsterhaltungstrieb, daß er der Gunst oder Mißgunst des Wetters überhaupt gar nicht achtet. *Generalbaß-Studie Seb. Bachs revidiert u. abgeschlossen. *Es erkundigte sich ein Detektiv im Hause nach Lie-Liechen u. mir, u. heute ergab sich, daß er auch im Café Monarch eErkundigungen eingezogen. Mir scheint diese Aktion wenn nicht auf Feststellung einer eventuell gemeinsamen Wohnung blos auf eine Störung des moralischen [illeg]Credites im Caféhaus hinauszulaufen, die selbstverständlich ihren Zweck verfehlen muß. Andere Zwecke kann auch die raffinierteste Bosheit des Krämers weder suchen, noch erreichen. *Floriz zu Tisch, um unseren Besuch zu vertagen. Zu Fl.’ Charakteristik: Er spricht von der Notwendigkeit zu sparen u. weist bei dieser Gelegenheit auch auf die kleinen u. kleinsten Beträge hin, wie z. B. Tramwaygelder, deren Summe schließlich doch einen größeren Betrag ausmacht. Bald darauf aber steigt er mit uns in die Tramway ein, präsentiert die vom {665} roten Kreuz stammende Legitimationskarte, die ihm die Tramway unentgeltlich zu benützen gestattet u. stürzt uns in die Auslage, die er zu vermeiden empfahl. *Wie von ungefähr schleicht Gärtner ans Café Monarch heran (ähnlich tapfer vollzog er seinen Einmarsch ins Café Royal.) Ich fürchte, wir werden das Caféhaus räumen müssen. – Mit Absicht brachte ich das Gespräch auf persönliche Momente, meine Stellung in Wien, meine Beziehungen zum Ausland, wobei ich auf seine Eifersucht u. [seinen] läppischen Neid mit allerhand Shrapnells losging. Nur um Lie-Liechen das Bild krassesten Egoismus’ vorzuführen, habe ich, wieder mit Absicht, das Gespräch darauf gebracht, daß ich eventuell nach Kautzen reisen müßte, wenn ich keine Schüler hätte; und es traf das voraus-Berechnete ein, daß „mein Freund“ auch nicht mit einem Wörtchen andeutete, daß es gar nicht „so weit“ erst zu kommen brauchte, daß ich so weit von Wien abreisen müßte. So verhält sich dieses bedenkliche Individuum, seit es in meiner Nähe weilt. Alle Teilnahme, deren er Fremden gegenüber fähig ist, besonders wenn sich daran öffentliches Herumschwätzen heftet, verfliegt gerade im Augenblick, da er mir gegenüber steht! Nachdem das von mir mit astronomischer Genauigkeit Vorausberechnete eingetroffen, wandte ich mich anderen Themen zu; so corrigierte ich z. B. die lügnerische Angabe seines Gewährsmannes Dr. Rüdinger bezüglich Prof. Adlers, u. führte als Gegenbeweis die von Hans Weisse mitgeteilten Tatsachen. Indessen brachte gerade Gärtner die erste Nachricht vom Falle Namur’s, auf die ich mit Sorge schon seit gestern gewartet habe. *In der Tat bringen die Abendblätter die Meldung vom Fall Namur’s; u. wenn auch noch einige Arbeit aussteht, so ist doch kein Zweifel , am deutschen Sieg mehr gestattet. Hoffentlich gelangt jetzt England zum Fußkuss u. erhält den Fußtritt, der ihm gebührt. *
© Transcription Marko Deisinger. |
August 25, 1914.
*
Further gratifying reports from the Russian front. The German press knows how skillfully and objectively to comfort the border population affected by the enemy with its reference to abundant compensation. *The city of Brussels has received a war contribution of the sum of 200 million francs. 1 This alone is the language that the Belgians will understand better than their own mother tongue; its nerve center, its only culture is reached by money, and only this contribution will clearly mark out the distance between the two cultures for the Belgians, too. *It is a strange irony of fate that, day after day, nature sends out true wonders of summer-like beauty. The feverish people, on the other hand, are understandably dull; but the drive for self-preservation is so strong that it takes notice whatsoever of the favor – or disfavor – of the weather. *Bach's study in thoroughbass revised and completed. *A detective inquired in my house about Lie-Liechen and me; and today it turned out that he also made inquiries at the Café Monarch. To me, this action appears to amount, if not to the determination of a possible joint accommodation, merely to a breakdown of the moral credit in the coffee house, which will of course defeat its own purpose. As for other purposes, even the most refined malice of the businessman can neither seek nor achieve them. *Floriz for lunch, in order to delay our visit. Concerning Floriz's character: he speaks of the necessity of saving and refers on this occasion to small, very small, sums, for example, money for the streetcar, which comes to a larger amount when it is added up. Soon afterwards, however, he boards the streetcar with us and presents his {665} enablement card from the Red Cross, which permits him to use the streetcar network free of charge, and plunges us into making a payment that he had recommended avoiding. *As if by chance, Gärtner sneaks into the Café Monarch. (With similar bravery, he executed his entry into the Café Royal.) I fear that we shall have to leave the coffee house. – I intentionally made personal matters topics of conversation: my position in Vienna, my relationships abroad, whereby I struck out at his jealousy and foolish envy with every kind of shrapnel. Merely to show Lie-Liechen a picture of the crudest egoism, I turned the topic of conversation – again intentionally – to the possibility of my having to travel to Kautzen if I were to have no pupils. And it turned out, as predicted, that "my friend" did not even so much offer the suggestion that things have not gotten "so bad" that I had to move so far from Vienna. This is the way this doubtful individual has behaved since coming into contact with me. All the sympathy of which he is capable of showing others, especially when public tittle-tattle is flying about, disappears precisely at the moment at which he is facing me! After that which I predicted with astronomical precision had arrived, I turned to other topics of conversation; thus, for example, I corrected the mendacious statements of his informant, Dr. Rüdinger, regarding Prof. Adler and cited information provided by Hans Weisse as evidence to the contrary. However, I gave Gärtner himself the first news of the fall of Namur, of which I had been anxiously waiting already since yesterday. *In fact the evening newspapers the report the fall of Namur; and if there is still some work to be done, there may be no longer any reason to doubt a German victory. It is to be hoped that England will now have to kiss the feet [of the Germans] and get the kick that it deserves. *
© Translation William Drabkin. |
Footnotes1 See "Kriegskontribution der Stadt Brüssel von zweihundert Millionen Francs. Forderung der deutschen Armeeleitung an die belgische Hauptstadt," Neue Freie Presse, No. 17959, August 24, 1914, evening edition, p. 2. |